Jihad für Saddam Hussein

22.05.2002

Schiiten im Irak sind zum Widerstand bereit –- gegen US-Präsident George W. Bush

Saddam Hussein ist ein direkter Nachfahre des schiitischen Imams und Kalifen Ali und damit des Propheten Mohammed selbst. Dies glaubt zumindest Dr. Said Haidar. Der Leiter der Moschee in Najaf hat sich einen goldgefassten Stammbaum in seinen Empfangsraum hängen lassen, der vom Begründer des Islam über den der schiitischen Glaubensrichtung bis hin zum irakischen Präsidenten dieser Tage reicht. Draußen im Moscheehof, links und rechts vom Schrein von Ali, dem Cousin und Schwiegersohn Mohammeds, thronen zwei Bilder Saddam Husseins. Der Präsident, ein Sunnit, präsentiert sich den schiitischen Gläubigen in religiös verklärter Pose.
In dem prächtigen Gotteshaus herrscht reges Kommen und Gehen. Im Vorhof sitzt eine Gruppe Frauen in ihren schwarzen Abayas, den traditionellen Ganzkörpergewändern, auf dem Marmorboden. Im Schatten der monumentalen Mauern richten sie ein kleines Mittagsmahl. Direkt daneben hat sich der eine oder andere Pilger zum Schlafen in die Ecke gelegt, während fröhliche Kinder zwischen allen herumtollen. Ein friedlicher Ort des Palavers und der Kommunikation. Derweil trägt eine Handvoll Gläubige einen schlichten Holzsarg in die Moschee zum Schrein von Ali und wieder hinaus. Ein kleiner Leichenzug folgt der Prozession, die sich im Laufe des Tages noch oft wiederholen wird. Najaf ist als schiitischer Begräbnisplatz begehrt. 94 Prozent der 23 Millionen Iraker sind Muslime, gut 60 Prozent davon sind Schiiten. Weltweit gehören die meisten Muslime dagegen der sunnitischen Glaubensrichtung an.
Gut drei Millionen Pilger kommen mittlerweile wieder jährlich in die Moschee nach Najaf, erklärt mir Dr. Haidar beim Rundgang. Die 50000 Einwohner der Stadt Najaf, 150 Kilometer südlich von Bagdad gelegen, leben einträglich vom Religionstourismus. Die Gläubigen kommen mitunter von weit her, "aus Pakistan, Iran und Indien sowie den arabischen Ländern". Unter den wachsamen Augen Präsident Husseins waschen sie sich Hände und Füße, bevor sie im Inneren des Wallfahrtortes ihr Gebet verrichten.
Die prächtige Moschee, neben Kerbala wichtigstes schiitisches Heiligtum, wurde in den letzten Jahren auf Staatskosten restauriert und in alten Glanz versetzt. Auf die Kuppel wurden zwölf Kilogramm Blattgold aufgetragen. "Saddam Hussein hat angeordnet, dass es keine Änderungen gibt und die Moschee so aufgebaut wird, wie sie einmal war", erzählt Dr. Haidar. Dass es die "Republikanischen Garden" des irakischen Staatschefs waren, die das Gotteshaus nach dem Schiitenaufstand 1991 verwüstet hatten, lässt er bei dieser Gelegenheit unerwähnt. Eine kleine Änderung gibt es auch. Die präsidialen Heiligenbildchen sind neu, unerklärlich obendrein, verstoßen sie doch gegen das islamische Bilderverbot.
Moschee-Leiter Said Haidar ist in erster Linie Iraker, dann Muslim und dann Schiit. Als ich ihn frage, ob die Schiiten zum Widerstand gegen Saddam Hussein bereit seien, wie der US-Präsident und so mancher linker Kriegslobbyist in Deutschland vermuten, lacht er nur. "Wie kann Bush glauben, dass auch nur ein Iraker für ihn ist. Jeden Tag werden wir von US-Flugzeugen angegriffen. Sie bombardieren unsere Straßen, unsere Autos, alles. Jeden Tag! Das ganze irakische Volk steht hinter Saddam Hussein. Deshalb greifen uns die Amerikaner auch an."
Der stolze Schiit macht darüber hinaus klar: Sollten die "christlichen USA" den Irak angreifen, seien "alle Muslime" bereit zur Verteidigung. Dr. Haidar will sie im Fall eines Krieges zum Jihad aufrufen. "Bush befindet sich auf dem Feldzug gegen die Muslime. Jeder, der die Muslime angreift, muss aber wissen, dass es die Pflicht aller Muslime ist, gegen die Angreifer vorzugehen", begründet er seine Haltung zum "Heiligen Krieg".
Ähnlich sieht es auch Jasin Abdul Amir Tomar. Der junge Mann leitet mit seinen knapp 30 Jahren die Moschee in Kufa. Hier soll anno 661 das Attentat auf Ali verübt worden sein. Gestorben ist der Schwiegersohn Mohammeds, der seines Beinamens Haidar (Löwe) wegen auch "Allahs Löwe" genannt wird, in einem Haus knapp hundert Meter neben der Moschee. Der Legende nach soll Ali bin Abi Talib vor seinem Tod angewiesen haben, seinen Leichnam auf ein Kamel zu binden und ihn dort zu begraben, wo das Tier das erste Mal rasten würde. Das Kamel hielt in Najaf, zehn Kilometer südwestlich von Kufa, beide am Ostrand der heißen Syrischen Wüste gelegen.
Die Große Moschee in Kufa mit ihren massiven Ziegelsteinmauern ebenso wie das direkt daneben gelegene Sterbehaus Alis werden gerade umfassend restauriert. Handwerker hämmern und meißeln in der heißen Mittagssonne, während sich die weitgereisten Pilger ihren Weg in die zwei Innenhöfe der Moschee bahnen. "Wir Schiiten werden unterdrückt? Aha.", entgegnet mir Tomar. Dies sei platte Propaganda. "Die Amerikaner wollen uns Iraker nur spalten."
"Im Irak gibt es keinen Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten. Wir sind alle Muslime und alle Muslime sagen Allahu Akbar, Gott ist groß. Da gibt es keine Unterschiede", pflichtet Mohammed Ali Abdul Jalil bei. Der in die Jahre gekommene Bürgermeister von Kufa verweist auf die Notsituation in seiner Stadt. "Uns fehlt es wegen des Embargos an Medikamenten und Lebensmitteln." Und wer kommt für die aufwendige Moschee-Renovierung auf? "Das geschieht auf Anweisung von Präsident Saddam Hussein", erklärt Mohammed Ali. "Genauso kümmert sich die Regierung aber auch um die christlichen Kirchen", merkt Moschee-Vorsteher Tomar rasch an.
"Wir haben keine Angst vor Herrn Bush und Amerika. Wir scheren uns nicht um die neuen Drohungen", geben mir die beiden mit auf den Weg.

Rüdiger Göbel, junge Welt, 10. April 2002