Israels sichtbare Niederlage

31.08.2006

Bericht von einem Lokalaugenschein im Libanon

Eine Woche nach der Waffenruhe ermöglicht es eine Reise in den Libanon, sich aus nächster Nähe ein Bild über die wichtigsten Ergebnisse von Israels kurzem aber heftigen Aggressionskrieg gegen den Libanon zu machen: Erstens geht die Hizbullah politisch als klare Siegerin aus dem Konflikt hervor, doch auch ihre militärische und organisatorische Stärke ist weithin sichtbar. Zweitens wird dieser Sieg von der Bevölkerung des Libanon, jedoch ebenso von jener der anderen arabischen Staaten, als ein fast historischer Durchbruch gefeiert: Es ist gelungen, dem Zionismus eine klare Niederlage zuzufügen und den Mythos seiner Unbesiegbarkeit zu brechen. Drittens spricht die Form dieses Sieges eine klare Sprache: Der Volkswiderstand, und nur dieser, ist in der Lage, dem übermächtigen Feind standzuhalten. Hingegen hat die Bevölkerung begriffen, dass jegliches Vertrauen in die arabischen Regimes verschwendete Liebesmühe ist.

Hizbullahs "Divine Victory"Bereits kurz nach der syrisch-libanesischen Grenze begrüßt den Reisenden die professionelle Kampagne der Hizbullah: Von leuchtend roten Plakatwänden mit Kriegsbildern und dem Logo der Hizbullah prangen in Arabisch und Englisch markante Sprüche, allen voran der Slogan "Divine Victory", der "göttliche Sieg" des libanesischen Volkes über den israelischen Eindringling. Den Eindruck von der Professionalität der "Partei Gottes" verstärkt ein Besuch der mehrheitlich von Schiiten bewohnten südlichen Stadtviertel von Beirut. Die Häuserblocks rund um Haret Hryek, dem Standort des Hauptquartiers der Hizbullah, sind durch gezielte Bombentreffer der israelischen Armee vollkommen dem Erdboden gleichgemacht worden. Ganze Wohnhausreihen bestehen nur noch aus Schutt und Asche. Wo einst die Sendestation von Hizbullahs Fernsehkanal al-Manar stand, ist nur ein riesiges Kraterloch zu sehen.

Doch nur eine Woche nach Ende der Bombardierungen sind, wie uns Bewohner versichern, die Aufräumungsarbeiten beträchtlich vorangeschritten. Bulldozer planieren die Schuttberge, die Bevölkerung wird mit dem Nötigsten versorgt. Eindeutig sichtbar ist, wer diese Aufräumungsarbeiten organisiert: Nicht etwa die libanesischen Behörden, sondern die Hizbullah bzw. ihre sozialen Organisationen. Eigens geschaffene Komitees machen Bestandsaufnahmen der Zerstörungen und unterstützen die obdachlosen Familien mit massiven Geldzahlungen. Doch auch die politische Professionalität Hizbullahs wird in Haret Hryek sichtbar. Sofort nach Ende der Bombardierungen wurden auch hier überall auf den Schutthaufen rote Plakatwände aufgestellt, auf denen "Made in USA" oder "This is US-Democracy" zu lesen steht.

Das Bild der kapillaren Organisation bestätigt sich im Süden des Landes, der am stärksten von den Bombardierungen betroffen war. Von einigen Dörfern und Städten, vor allem Bint Jbeil und Khiam, ist nicht viel mehr übriggeblieben als Schutthaufen. Wir werden auf die spezifisch silbrig-graue Farbe aufmerksam gemacht, welche die Bomben an allen Einschlagstellen hinterlassen haben. Es besteht die Gefahr, dass durch diese Substanz Böden und Grundwasser nachhaltig verseucht werden. Dies würde kurzfristig die ohnehin schon äußerst prekäre Wasserversorgung außer Gefecht setzen und birgt langfristige große Risiken für die Landwirtschaft. Trotz der Zerstörungen zeigt sich dem Besucher kein Bild der Verzweiflung, sondern es entsteht vielmehr der Eindruck relativ geordneter Aufräumungsarbeiten und einer Bevölkerung, welche die Situation mit Gefasstheit und Würde trägt. An vielen Orten treffen wir auf Bautrupps der Hizbullah-Organisation "Jihad des Wiederaufbaus". Oft sehen wir auch die Hizbullah-Kommitees zur Bestandsaufnahme der Schäden mit der lokalen Bevölkerung unter behelfsmäßig aufgespannten Zelten sitzen und die notwendigen Maßnahmen besprechen.

Weit über den Libanon hinaus ist sich die arabische Bevölkerung des Sieges bewusst. In Damaskus zieren Hizbullah-Fahnen und Nasrallah-Poster eine Vielzahl von Straßenzügen, Taxis und Privatautos, sie hängen in Cafà©s und Geschäften. Uns wird berichtet, dass Nasrallah, der Führer der Hizbullah, inzwischen im gesamten arabischen Raum als Held gefeiert und mit dem ägyptischen Nasser verglichen wird.

Israels Kriegsziele Die Zerstörungen, die Israels Bombardements angerichtet haben, bestätigen Israels deklarierte und nichtdeklarierte Kriegsziele. Die Bomben wurden sowohl in den Beiruter Schiitenviertel als auch im Süden des Libanon zielgerichtet auf begrenzte Zonen abgeworfen. In Beirut trafen sie die Wohngebiete rund um das Hauptquartier der Hizbullah, im Süden des Libanon vor allem jene Orte wie Bint Jbeil, die als Hochburgen der Hizbullah gelten. Dort wurde, ebenso wie in Khiam, ein Großteil der Häuser im Stadtzentrum einfach dem Erdboden gleichgemacht. Viele der zerstörten Häuser tragen darüber hinaus sichtbare Zeichen eines erbitterten Bodenkampfes Haus um Haus. In anderen Orten sieht man nur einzelne Häuser bzw. einige Straßenzüge, die bombardiert wurden. Hier handelt es sich offensichtlich um die Häuser vermeintlicher Hizbullah-Kämpfer bzw. -Anhänger. Zerstörungen des Krankenhauses in Nabatiyeh sowie die noch sichtbaren ausgebrannten Autowracks vor dem Krankenhaus in Tibnine weisen darauf hin, dass Israel keineswegs davor zurückschreckte lebensnotwendige zivile Einrichtungen zu bombardieren, wenn es darum ging, vermeintliche Hizbullah-Kämpfer zu treffen: Die israelische Armee vermutete, dass Hizbullah-Kämpfer im Krankenhaus von Nabatiyeh behandelt wurden und dass sich solche in den vor dem Krankenhaus von Tibnine parkenden Autors befanden.

Christliche und sunnitische Orte, wie etwa Marj 'Ayun, sowie die christlichen und sunnitischen Stadtviertel Beiruts wurden nicht bzw. kaum bombardiert. Diese "konfessionelle" Treffsicherheit bestätigt das Hauptkriegsziel Israels, Hizbullah zu schwächen und die - schiitische - Bevölkerung davon abzuhalten, sie zu unterstützen. Sie bestätigt darüber hinaus ein anderes, unausgesprochenes Ziel, nämlich die konfessionellen Gruppen gegeneinander auszuspielen, damit den Druck auf Hizbullah zu erhöhen und eventuell einen neuen Bürgerkrieg zu provozieren.

Ein interessantes Detail zeigen die Zerstörungen in der Kleinstadt Sryfe, in der Nähe Bint Jbeils. Dort wurde zielgerichtet jenes Wohnviertel dem Erdboden gleichgemacht, in dem der Kommunistischen Partei Libanons nahe stehende Familien leben. Auf den ersten Blick scheint diese Tatsache zu überraschen. Die KP hat zwar den Widerstand der Hizbullah gut geheißen und ihre eigenen Leute zur Verteidigung ihrer Wohnorte aufgefordert, verfügt aber selbst über keine schweren Waffen und ist auch nicht Teil einer militärischen Front mit Hizbullah. Augenscheinlich dienten diese Bombardements daher dem Zweck, jeden Verweis - und sei er nur noch von historisch-symbolischer Bedeutung - auf den Volkswiderstand (die KP hat während des Bürgerkrieges und im Widerstandskampf gegen die israelische Besatzung eine wichtige Rolle eingenommen) zu vernichten.

Opfer der israelischen Zerstörungswut wurde auch die Infrastruktur. Fast keine Tankstelle auf den Straßen des südlichen Libanon ist noch intakt und funktionsfähig. Die Autobahn nach Beirut zeigt zahlreiche Bombentreffer, jede Brücke über die Autobahn hat einen abbekommen. Auffällig ist dabei, dass die Brücken fast ausnahmslos über jener Fahrbahn getroffen wurden, die aus dem Süden nach Beirut führt. Fast könnte man daraus schließen, dass der flüchtenden Bevölkerung die Flucht besonders schwer gemacht werden sollte. Zerstört wurde auch die Autobahn, die von Beirut über die Bekaa-Ebene zur syrischen Grenze führt, um vermeintliche Waffenlieferungen über Syrien zu erschweren.

Die Bombentreffer auf die Ölraffinerie bei Saida sowie auf nördlich von Beirut gelegene Städte wie Tripolis zeigen, dass Israel schlussendlich die libanesische Wirtschaft insgesamt schwächen wollte. Auch damit wurde darauf abgezielt, die konfessionellen Gruppen gegeneinander aufzuhetzen und die Ablehnung der nicht-schiitischen Bevölkerung gegenüber der Hizbullah zu vergrößern.

Veränderte libanesische KräfteverhältnisseIsrael hat seine Kriegsziele nicht erreicht. Oftmals ist sogar genau das Gegenteil eingetreten. Die Unterstützung für Hizbullah ist nicht nur unter der schiitischen Bevölkerung gewachsen. Angesichts der Bomben und der massiven Zerstörungen zeigt sich Sympathie für die Hizbullah, vor allem jedoch Ablehnung gegenüber Israel und den USA auch in großen Teilen der nicht-schiitischen Bevölkerung des Libanon.

Diese verschobenen Kräfteverhältnisse drücken sich auch in neuen Bündnissen aus. Während General Michel Aoun traditionell den rechtesten und pro-westlichsten Flügel der libanesischen Maroniten verkörperte, ist er heute, und vor allem nach dem Krieg, derjenige Politiker seiner Gemeinschaft, der der Hizbullah am nächsten steht und sie in der politischen Arena unterstützt. Demgegenüber wird der pro-westliche Block aus dem Maroniten Geagea, dem Drusen Junblat (der während des Bürgerkrieges der Widerstandsfront angehörte) und den Sunniten um Hariri gebildet. Geagea scheint allerdings die Führungsrolle innerhalb der Maroniten an Aoun verloren zu haben und auch innerhalb der Drusen existieren Kräfte, die zur Linie Junblats in Opposition stehen. Insgesamt hat der israelische Aggressionskrieg die Kräfteverhältnisse im Libanon zugunsten des Widerstandes verschoben.

Politischer Sieg Israels durch UNO-Resolution?Da die militärische Durchsetzbarkeit der israelischen Kriegsziele in weite Ferne gerückt war, hat Israel in die Waffenruhe eingewilligt. Es versucht nun seine Ziele mittels der UNO-Resolution zu erreichen. Die UNO-Truppen sollen die Hizbullah entwaffnen und nach Möglichkeit auch die Grenzen zu Syrien überwachen.

Inwieweit die Entsendung einer UNO-Truppe in obigem Sinne tatsächlich zu Stande kommen wird, wird die nahe Zukunft zeigen. Die Schwierigkeiten dabei sind jedenfalls offensichtlich. Die USA zeigen keinerlei Ambitionen sich im Südlibanon die Finger zu verbrennen. Frankreich hätte zwar Interesse daran, seine eigene Position durch einen solchen Einsatz zu stärken und zeigt dies durch eine relativ aggressive Haltung vor allem in der Frage der Stationierung an der syrischen Grenze. Andererseits möchte es sich aber nicht vollständig zum Handlanger der USA und Israels degradieren lassen, woraus sich die anfängliche Ablehnung der Führung der Truppe erklärt. Italien, das sich ebenfalls eine Stärkung der eigenen Position erhofft, hat mit dieser Rolle offenbar weniger Probleme, spielt es doch schon seit geraumer Zeit den Kettenhund der USA im Irak und in Afghanistan.

Vom Zustandekommen der UNO-Truppe, sowie vom Grad der Umsetzung der UN-Resolution wird es abhängen, ob Israels seine Kriegsziele nun auf diesem "politischen" Weg erreichen wird können. Keine rühmliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die westliche öffentliche Meinung, ebenso wenig wie die kaum noch vorhandene westliche Friedensbewegung. Während des Krieges waren hauptsächlich Hinweise auf die humanitäre Katastrophe zu hören, im besten Fall wurde die Unverhältnismäßigkeit der israelischen Luftschläge angeprangert. Nach Ausrufung der Waffenruhe wird nun in der Entsendung der UNO-Truppe eine gangbare Lösung des Konfliktes geortet. Hinter dieser vermeintlich humanitären und äquidistanten Haltung verbirgt sich jedoch in Wahrheit eine pro-israelische Linie, die Israel ausschließlich in Form und Methodik kritisiert. Am Inhalt des israelischen Aggressionskrieges - die Entwaffnung und Entwurzelung der Hizbullah - wird nicht gerüttelt, was gleichbedeutend damit ist, diesen gutzuheißen. Damit bezieht die europäische öffentliche Meinung ebenso wie die Friedensbewegung unzweideutig Seite mit dem Aggressor und verweigert dem libanesischen Volkswiderstand sowohl Legitimität als auch Solidarität.

Nicht zu rütteln ist jedoch an der Tatsache, dass eben dieser Volkswiderstand kürzlich einen Sieg errungen hat und dass damit der Nahe Osten einer Lösung des Konfliktes auf Grundlage wirklicher Volkssouveränität und Gleichberechtigung der Volks- und Religionsgemeinschaften einen Schritt näher gekommen ist. Es wird Aufgabe der antiimperialistischen Bewegung sein, dieser Botschaft auch in den europäischen Gesellschaften eine Stimme zu geben.

Margarethe Berger
Beirut, 25. August 2006