"Georgien muss zur Freundschaft mit Russland zurückfinden"

10.10.2008

Interview mit Lasha Shawdia von der Anti-Kriegsbewegung Georgien

F: Geht Georgiens Präsident Saakaschwili aus dem Feldzug im vergangenen Sommer gestärkt oder geschwächt hervor?

Natürlich geschwächt. Es ist ein tragischer Fehler auf Kosten des georgischen Volkes mit militärischen Mitteln die territoriale Integrität des Landes wiederherstellen zu wollen. Diese Niederlage war abzusehen. Russland hatte mehrfach erklärt, dass es Südossetien verteidigen würde, also anders als 1990.

F: Vieles deutet darauf hin, dass die Mehrheit der Georgier wie ihr Präsident in die NATO will.

Nein, das stimmt nicht. Es gab Anfang 2008 ein Referendum, bei dem angeblich 79% für den Beitritt gestimmt hätten. Doch das sind keine realen Zahlen, zumal nach dem Krieg. Dieser hat gezeigt, dass die Annahme, die NATO würde die territoriale Integrität Georgiens sicherstellen können, falsch ist. Die NATO bringt nur Konflikte und keine Stabilität.

F: Sie sprechen von der territorialen Integrität Georgiens, aber wäre der Autonomiestatus, wie sie Südossetien, Abchasien und Adscharien in der UdSSR genossen, für Sie akzeptabel?

Stalin wird von allen Seiten beschuldigt, er hätte die Autonomie eingeführt. Doch diese geht nicht auf Sowjetzeiten zurück, sie ist älter. Das Status Südossetiens als autonomer Bezirk wurde in der UdSSR zwar verbrieft, doch das bildete nur reale Verhältnisse ab. Tatsächlich waren Südossetien, Abchasien und Adscharien nach dem Zerfall des Zarenreiches de facto unabhängig. Eine ähnliche Situation wie in der jüngsten Vergangenheit. Sie wurden mitsamt Autonomierechten Georgien eingegliedert.

Erst der sozialistische Charakter Georgiens machte das möglich. Heute reagiert man auf diese Tatsache beleidigt, doch den drei Völkern ging es in der Sowjetunion gut. Diese Geschichte kann nicht ausgelöscht werden, auch wenn als alle Seiten versuchen, die Führungen Georgiens, Südossetiens und Russlands.

F: Warum wurde Südossetien in der UdSSR nicht mit Nordossetien vereinigt?

Vor allem aufgrund der ökonomischen Zweckmäßigkeit, denn dazwischen liegt der Kaukasus. Südossetien war wirtschaftlich vor allem mit Georgien verbunden und eine andere Integration wird auch in Zukunft nicht möglich sein.

F: Nochmals, was hielten Sie von der Wiederherstellung der Autonomie?

Die Südossetien selbst lehnen die Autonomie ab, die ihnen von der Regierung angeboten wurde. Wir sind jedenfalls für die Wiederherstellung der territorialen Integrität Georgiens und unterstützen den Zerfall nicht. Aber das ist mit einer Regierung in Tiflis, die unbedingt in die NATO will, nicht möglich. Wir unterstützen die Südossetien und Abchasen insofern sie sich gegen den NATO-Beitritt zur Wehr setzen. Wir sind für ein einheitliches Georgien in Freundschaft zu Russland.

F: Warum glauben Sie haben die Südosseten das Angebot abgelehnt?

Weil Tiflis sich in den Windschatten der NATO gestellt hat und extrem proamerikanisch ist, was sowohl Südosseten als auch Abchasen ablehnen. Außerdem darf man den gewaltigen Einfluss Moskaus nicht unterschätzen.

Die Situation wäre vergleichbar mit jener Transnistriens. Doch dort wird unter Vermittlung Moskaus eine konföderative Lösung gesucht. Die moldawische Regierung liebäugelt zwar auch mit der NATO, aber sie achtet darauf, die Tür zu Moskau nicht gänzlich zuzuschlagen.

F: Können Sie mit Südosseten und Abchasen an einem Tisch sitzen?

Ja, wir kämpfen gemeinsam gegen den von den proamerikanischen Kräften entfesselten Krieg und die NATO. Auf der anderen Seiten repräsentieren wir jenes Spektrum in der georgischen Gesellschaft, mit dem die Südosseten und Abchasen gute Beziehungen suchen sollten.

F: Welche Chancen sehen sie für die Anti-NATO-Kräfte in Georgien?

Die von der NATO aufgefahrene Propagandamaschinerie ist gewaltig. Es gibt zum Beispiel keinen Fernseh-Kanal, der dem etwas entgegenhält. Dennoch hat sich die Stimmung nach dem Krieg gewandelt. Viele haben begriffen, dass der Pro-NATO-Kurs nicht den Interessen des Volkes entspricht und freundschaftliche Beziehungen zu Russland unerlässlich sind. Außerdem können wir unsere Wirtschaft nur mit der Integration in den russischen Wirtschaftsraum wieder in Gang bringen. Vielleicht steht es etwa 50:50.

Unsere strategische Lage ist allerdings anders als jene beispielsweise Armeniens. Dort ist man, egal ob rechts oder links, prorussisch. Das ergibt sich aus der Geschichte und den nach wie vor schwierigen Beziehungen zur Türkei.

F: Können Sie mit der offiziellen Opposition zu Saakaschwili kooperieren?

Es handelt sich um eine rechte Opposition, die genauso prowestlich und pro-NATO ist, wie Saakaschwili selbst. Sie unterstützten seinen Krieg.

F: Können Sie ihre Positionen frei artikulieren?

Öffentliche Proteste gegen die NATO sind in Georgien derzeit nicht möglich. Ich selbst wurde unmittelbar nach dem Krieg verhaftet und gefoltert. Die Kommunistische Partei gilt als terroristisch und jedwede Opposition gegen den Krieg wird als destruktive Kraft verunglimpft. Ein georgischer Patriot Act wurde beschlossen, der uns de facto illegalisiert.

F: Was denken Sie über Tschetschenien?

Die tschetschenische Tragödie wurde von Jelzin ausgelöst. Er bildete ein Regime, das die Interessen der kapitalistischen Oligarchie vertritt und eine falsche Nationalitätenpolitik betrieb. Er betrog sowohl das russische Volk und walzte das tschetschenische mit Panzern platt. Putin setzte dies fort.

Wir sind gegen den Zerfall der russischen Föderation, aber das muss man mit anderen Methoden bewerkstelligen. Wenn Moskau seine Politik nicht ändert, wir es im Kaukasus weitere Probleme bekommen, genauso wie wir sie haben.

Wilhelm Langthaler