Neue Frontlinien

20.02.2009

Zu der Diskussion um die islamischen Religionslehrer in Österreich

Im Kampf der Kulturen wurde eine neue Frontlinie eröffnet. Im Fadenkreuz der jüngsten Attacken befinden sich nun jene österreichischen Lehrer, die Islamunterricht an den Schulen erteilen. In zwei Wellen wurden die Attacken geritten und es ist zu befürchten, dass es sich dabei erst um vorbereitende Scharmützel handelt.

Als erste Welle kann man die Veröffentlichung jener Studie interpretieren, die den Islamlehrern in Österreich grundsätzlich eine demokratiefeindliche und fanatische Haltung attestierte. Die Vorabveröffentlichung der Ergebnisse hat in Österreich einen Aufschrei ausgelöst, der eine sofortige Reaktion des Ministeriums provozierte. Gemeinsam mit dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich wurde ein Fünf-Punkte-Paket ausgearbeitet, das die Islamlehrer stärker an die Kandare nehmen sollte. Dass diese Doktorarbeit von Experten wie Stefan Hopmann, einem Bildungsforscher der Universität Wien, als "wissenschaftlich unhaltbar", "fehlerhaft" und "irreführend" beurteilt wird, spielte in der öffentlichen Debatte keine große Rolle.

Harsche Maßnahmen
Prompt einige Wochen danach wurde ein Fall publik, der einen weiteren Aufschrei auslöste. Ein Islamlehrer an einer Wiener Mittelschule habe an seine Schüler Flugblätter verteilt, in denen Firmen aufgelistet wurden, deren Produkte man nicht kaufen sollte. Hintergrund für diesen Boykottaufruf war die blutige Aggression Israels gegen den Gazastreifen.

Bundesministerin Schmied fackelte nicht lange. In einem für die Zweite Republik unvergleichbaren Schritt wurde der Lehrer vom Dienst suspendiert. Unvergleichbar war der Schritt deshalb, weil damit ein wesentliches Prinzip des Konkordats ausgehebelt wurde. Ein Schritt, der selbst den Wiener Stadtschulrat ein wenig brüskierte. Denn die für einen solchen Fall vorgesehenen Maßnahmen wurden schon längst eingeleitet: schriftliche Verwarnung und Disziplinarverfahren. Doch selbst die Suspendierung war der Ministerin zu wenig. Sie reichte eine Anzeige wegen Verhetzung bei der Staatsanwaltschaft ein.

Dieser Boykottaufruf hat das Land erschüttert. Sofort wurde in den Medienagenturen eine klare Sprachregelung für den Fall verhängt. Von nun an wurde nur mehr von einem "antisemitischen Flugblatt" gesprochen, ungeachtet der genauen Hintergründe. Soweit dies jedoch aus den Medien rekonstruierbar ist, hat der Lehrer den Text von einer türkisch-sprachigen Homepage übernommen (http://www.muslumangenc.com/boykot.htm). Ausdrückliches Ziel der Seite ist der Boykott israelischer Produkte. Die angeführte Produktpalette hat zwar nicht unmittelbar etwas mit Israel zu tun, doch dies mag auf fehlerhafte Recherche zurück zu führen sein. Der Lehrer selbst bestreitet außerdem, die Flugblätter überhaupt verteilt zu haben.

Der Version des Bundesministeriums folgend habe der Lehrer die aufgeführten Unternehmen boykottieren wollen, da sie "jüdisch" seien. Falls diese Darstellung den Tatsachen entspricht, müssen wir uns davon distanzieren. Gerade in einer so heiklen Frage ist die genaue Differenzierung zwischen dem zionistischen Projekt und dem Judentum von entscheidender Bedeutung. Doch der Pauschalvorwurf des Antisemitismus, der hier von den Gegnern ins Feld geführt wird, ist nicht auf den konkreten Fall zu beziehen. Er stellt vielmehr den Versuch dar, die Legitimität von Boykottmaßnahmen schlichthin anzugreifen.

Hegemonialer Konsens
Die Qualifizierung dieses Aufrufs als "antisemitisch" wurde vom hegemonialen Konsens sofort vorgegeben. Auch die Zeitung "Österreich" schrieb sogleich von Reminiszenzen an den Nazi-Slogan "Kauft nicht bei Juden!". Dieser Vergleich ist jedoch vollkommen abwegig, da Israel mit jedem Krieg, den es führt, aufs Neue beweist, wer der Aggressor in dieser Region ist. Das koloniale Projekt des zionistischen Landraubs hat in der Region klare Unterdrückungsverhältnisse geschaffen.

Gerade die Aggression gegen den Gazastreifen hat weltweit den Boykottkampagnen gegen Israel neuen Aufschwung verliehen. Mag sein, dass sich der Islamlehrer gerade jene Kampagne ausgesucht hat, die auf einer denkbar schlechten Grundlage arbeitet. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine Vielzahl gut fundierter Kampagnen gibt. Diese Bewegung reicht bis in das Weltsozialforum hinein, das jüngst in Belem einen Boykott Israels beschlossen hat. Auch Naomi Klein hatte zuletzt für einen Boykott argumentiert (http://www.naomiklein.org/articles/2009/01/israel-boycott-divest-sanction)

Mit dieser Klarstellung und dem Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse erledigt sich die Nazi-Reminiszenz von selbst. Was sich jedoch vielmehr aufdrängt ist der Vergleich mit dem Boykott gegen Südafrika. Dabei handelte es sich um eine Kampagne, die in Österreich breite Unterstützung fand - bis tief hinein in die Lehrerschaft. Es ist nicht zuletzt ein Ausdruck der grundlegenden Schwäche der Linken und der veränderten globalen Kräfteverhältnisse, dass der jetzige Boykottaufruf nicht die gleichen Ausmaße annehmen kann wie jener gegen den afrikanischen Apartheidsstaat.

Demokratie
Gegen den Islamlehrer wurde außerdem der Vorwurf erhoben, er bewege sich mit diesem Aufruf außerhalb des demokratischen Konsenses. Doch gerade der Vergleich mit Südafrika zeigt, dass der Boykott Israels den eigentlichen Kampf um demokratische Rechte repräsentiert. Der Widerstand gegen die israelische Unterdrückungspolitik ist gleich zu setzten mit dem Kampf um Freiheit und Demokratie in der Region. Erst mit der Überwindung des israelischen Staates kann wahre Demokratie hergestellt werden.

Unabhängig von den konkreten Ereignissen zeigt sich einmal mehr, wie scharf sich die antiislamische Stimmung in diesem Land entladen kann. Wenn es um Muslime geht, wenn vermeintlich "demokratische Werte" verteidigt werden müssen, dann wird sogar am Konkordat gekratzt. Wir verteidigen die Autonomie der islamischen Religionslehrer und Selbständigkeit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich bei der Gestaltung des Religionsunterrichtes. Wir verteidigen Boykottaufrufe gegen Israel, sofern sie tatsächlich keinen antisemitischen Hintergrund haben.

AIK