Obama Friedenspräsident?

25.10.2009

Warum das Moment zum Krieg erhalten bleibt

Über den Friedensnobelpreises für US-Präsident Obama wurde gewitzelt, dass er diese Auszeichnung wohl nicht für bereits erbrachte Leistungen erhalten habe, sondern vielmehr weil er eben noch nichts getan habe. So lächerlich und einseitig die Entscheidung des Nobel-Komitees auch sein mag, so drückt sie doch eine sowohl unter den Eliten als auch in der Breite der europäischen Gesellschaft gängige Erwartung aus: Unter Obama solle und werde die US-Weltpolitik eine qualitative Wende Richtung Frieden und Entspannung nehmen. Es ist die Hoffnung letztlich all derer, die 2003 zu Millionen gegen den US-Angriff auf den Irak auf die Straße gegangen sind und enttäuscht wurden.

Von Obama wird mehr Flexibilität in der Einbindung der Verbündeten erwartet. Und viel wichtiger: es wird angenommen, dass die Kräfte des Widerstands (vor allem staatliche aber auch nichtstaatliche Akteure) mit gewissen Zugeständnissen zufrieden gestellt werden können, so dass sie ihre Opposition zumindest dämpfen. Das schließt also mit ein, dass die USA bereit wären, einen Schritt Richtung Multipolarität – die Hauptforderung der staatlichen (potentiellen) Widersacher – zu gehen. Die Aufgabe des Raketenschildes gegen Russland in Osteuropa wird von Obamas Gegnern im US-Regime jedenfalls so gelesen.

Gerne wird dem permanenten Krieg Bushs und der Neocons ein überwiegend ideologisches Motiv unterstellt. Über die Form wird der tiefer liegende Zweck als Interessensvertretung der US- oder westlichen Eliten im Allgemeinen nicht erkannt. Das American Empire wird nicht als innere Notwendigkeit der Herrschaft des US-Imperialismus gesehen, sondern als ein möglich-zufälliger Auswuchs.

Die Tendenz zum Reich und zum Krieg

Es sei daran erinnert, dass der Krieg für das American Empire de facto nicht mit Bush, sondern bereits mit Clinton gegen Jugoslawien eröffnet wurde, auch wenn die amerikanischen Bestrebungen damals euphemistisch noch „global village“ hießen. Bei dem Krieg ging es nur untergeordnet um unmittelbare ökonomische Interessen in der Region, sondern es handelte sich vor allem um die Etablierung und Stabilisierung eines Weltsystems, wie es sich dann als American Empire festigen sollte. Wer sich widersetzte, musste niedergeknüppelt werden. Zur Statuierung eines Exempels.

Der ehemalige slowakische Premier Meciar, der hie und da antiwestliche Anwandlungen hatte, soll einmal sinngemäß gesagt haben: „Wenn wir die Unabhängigkeit gegenüber EU und Nato bewahren wollen, wird uns das serbische Schicksal ereilen.“ Heute ist die Slowakei neoliberaler Musterschüler – auch dank des Nato-Krieges gegen Jugoslawien.

Bush hat diese Logik fortgesetzt, ja er ist dorthin getrieben worden. Es ist ja bereits gänzlich aus den Köpfen verdrängt, dass Bush ganz am Anfang eine wenig „internationalistische“ Position hatte und in der Tradition der konservativen Rechten stand, die sich auf Amerika beschränken will.

War der Krieg gegen Afghanistan im Sinne der US-Elite falsch? Wie sonst hätte man auf die Demütigung 9/11 reagieren können? Kann die USA Staaten oder Kräfte ohne Machtverlust akzeptieren, die der militanten salafitischen Bewegung Unterschlupf gewähren?

Und noch mehr der Krieg gegen den Irak? Hier haben die Bushisten sicher den Fehler begannen, alles im Alleingang machen zu wollen und die Verbündeten abgestoßen zu haben. Aber der Irak nach 10 Jahren Embargo war eine reife Frucht, das hat man im Zusammenbruch des Baathismus gesehen. Der größte Fehler bestand in der Debaathizierung. Hätte man den geköpften Baath-Apparat an der Macht lassen, wäre eine jugoslawische Entwicklung nicht auszuschließen gewesen. Mag sein, dass der schiitische Islamismus dann eine ähnliche Bewegung entwickelt hätte, wie es die sunnitische Guerilla tatsächlich zustande brachte. Den Krieg nicht zu führen, hätte jedenfalls die USA am meisten geschwächt.

Krieg als Mittel der Politik bleibt für den Imperialismus effizient und unverzichtbar, vor allem wenn man seine totale Überlegenheit ausspielen kann. Diese ist nur dann glaubwürdig, wenn sie ab und an auch eingesetzt wird.

Der Fehler bestand in der Hybris der Omnipotenz, in der begleitenden ideologischen Mobilisierung, die die Verbündeten abstieß und den Gegner provozierte ohne ihn gänzlich mundtot machen zu können.

Der Spielraum des Präsidenten

Angesichts der Schwierigkeiten im Irak und den anderen Fronten sowie durch das Hereinbrechen der Wirtschaftskrise, die in den USA sozial viel spürbarer war als in Europa, ergab sich der fulminante Sieg eines Präsidenten, der nicht nur schwarz ist, sondern auch nicht direkt aus dem Establishment stammt. Für die USA zugegebener Maßen eine wirkliche Sensation. Kann von diesem nun in der internationalen Politik eine ebensolche Sensation erwartet werden?

Dass er die kontraproduktive ideologische Kampagne gegen den Islam, den christlichen Kreuzzug, die Gebetsmühlen vom Terror, etc. stoppt? Aber allemal, das ist nur vernünftig im Sinne der US-Eliten. Dass er die Provokation gegen die Verbündeten einstellt und sie ins Boot holt? Gegenüber Europa ja, er findet dafür auch günstigere Bedingungen vor. Europa ist noch mehr politischer Zwerg als 1995 gegen Jugoslawien oder 2003 gegen den Irak. Das Moment zum Multipolarität von China, Russland, Indien etc. ist stark angewachsen, dem gegenüber die europäischen Eliten die US-Alleinherrschaft bevorzugen. Gegenüber dem Iran verhalten sie sich päpstlicher als der Washingtoner Papst. Nur gegenüber Moskau gibt es noch einige abweichende Meinungen. Viel mehr aber schon nicht.

Wie sieht es mit wirklichen Zugeständnissen aus? Ist Obama mit der Zurücknahme des Raketenschildes nicht einen wirklichen Schritt auf Moskau zugegangen? Das kann aber auch als kluger Schachzug gegen den Iran gelesen werden. Zweiter Punkt ist der Irak, aber dort hat die USA eine ernste Teilniederlage einstecken und die Macht mit dem Erzfeind Iran zumindest teilen müssen. Selbst Bush ist am Ende seiner Amtszeit diesbezüglich etwas ins Wanken geraten. Der dritte Fall mag Honduras sein, wo Obama nicht reflexartig den Putsch der Militäroligarchie stützt.

Man kann diese Positionen nicht allein mit den rationalen Interessen der US-Elite erklären, denn der Präsident hat natürlich einen Spielraum und er legt sich auch in der Frage des Gesundheitssystems mit Teilen der Elite an. Aller all das geht in keiner Weise gegen die Interessen der Eliten. Es ist eine mögliche Variante der Vertretung dieser Interessen unter anderen.

In der letzten Periode haben sich zwei mit einander verbundene grundlegende geopolitische Tendenzen gezeigt, an denen die US-Außenpolitik nicht vorbei kann. Die Konsolidierung des Widerstands gegen US-Herrschaft, der sich mehr oder weniger vermittelt auf die Volksmassen stützt. Ein Erstarken von regionalen Mächten an der Peripherie, die einen entsprechend größeren Anteil am Kuchen erlangen wollen. Der wirtschaftliche Einbruch verstärkt diese Tendenzen.

Es gibt keinerlei Grund anzunehmen, dass die USA diese Momente einfach ohne Gegenmaßnahmen wirken lassen werden. Sie halten alle Hebel der Macht in Händen und es wäre schlicht irrational diese nicht einzusetzen. Das heißt nicht, dass sie keine Niederlagen einstecken werden und nicht zu Zugeständnissen gezwungen werden können. Aber darum läuft ein Kampf, ein Krieg, ein nicht entschiedener Konflikt. Warum sollten sie klein beigeben wie Gorbatschow? Das macht man nur, wenn der Kampf aussichtslos ist. Doch die USA kommandieren die gigantischste Kriegsmaschine, die die Welt je gesehen hat. Warum sollen sie sie nicht einsetzen? Obama hin oder her.

Die Bruchlinien des Weltsystems laufen heute in einem neuralgischen Punkt zusammen, namentlich dem Iran. Zuvor war es der Irak und in den 1990er Jahren Jugoslawien. Persien ist eine unabhängige Regionalmacht, die ein Atomprogramm verfolgt, dass man als power projection begreifen kann. Akzeptieren die USA das, dann müssen sie substanziell ihre Rolle downgraden. Die Regionalmächte wie China und Russland wollen die USA zwar nicht offen herausfordern, einen glatten Sieg der USA wünschen sie sich aber genauso wenig. Zwar steuern sie Teheran keineswegs, doch es wird zwangsläufig ein Faktor ihrer Politik. Die USA haben a priori keinen Grund den Mullahs das Brustklopfen durchgehen zu lassen, denn sie haben ausreichend Machtmittel dem einen Riegel vorzuschieben. Auf der anderen Seite hängt der innere Zusammenhalt des islamischen Regimes stark mit der regionalen Machtrolle zusammen. Die können auf die nukleare Demonstration kaum verzichten. Natürlich sind unzählige Lösungsmöglichkeiten und Kompromisse denkbar. Aber die USA haben keinen Kompromiss notwendig. Der Einsatz ihrer militärischen Macht ist keineswegs aussichtslos (wenn auch riskant), aber letztlich das einzige Mittel die Frage wirklich zu lösen.

Es gibt daneben noch zahllose Konfliktherde, ganz prominent Afghanistan, Dauerbrenner Palästina, in Lateinamerika.

Faktor Wirtschaftskrise

In dieser Situation bricht die Wirtschaftskrise des kapitalistischen Systems herein, die strukturellen Charakter hat und daher über mehrere Jahre wirken wird. Sie ist von den USA, vom Zentrum ausgegangen, aber sie wird früher oder später das gesamte System erfassen. Niemand wird verschon bleiben, auch wenn es heißt, dass die „Schwellenländer“ weniger getroffen sind. Die Kontraktion der globalen Nachfrage trifft alle, auch wenn die durch die Stützungsprogramme vorläufig kompensiert werden konnte. Doch die Austeritätsprogramme kündigen sich bereits an und diese werden insbesondere diesen neuen Industrieländern, die stark vom Export leben, beschädigen. Ihre Binnenmärkte werden das Loch nicht ausgleichen können, nicht einmal Peking wird das zuwege bringen.

Auch in dieser Hinsicht steht das American Empire auf der Probe. Nicht nur ihr globales politisches Regime ist in der Krise, sondern auch ihr sozio-ökonomisches Modell. Doch die Herausforderer sind genau auf dieser Basis der Globalisierung reich geworden. Die Chinesen, die die Zügeln des Staates nie in Frage gestellt haben, sind durch das globale Freihandelsregime zur Fabrik der Welt geworden. Russland hat sich zwar zum Rohstofflieferanten degradiert, das aber um so erfolgreicher. Soll die USA vom Thron gestürzt werden, muss das Lebensniveau der breiten Massen dieser Staaten massiv angehoben wurden. Die Binnenmärkte müssen den Konsum der USA und des Westens im Allgemeinen ersetzen. Das würde aber gleichzeitig den Verlust des wichtigsten Wettbewerbsvorteils bedeuten, nämlich der niedrigen Produktionskosten. Jedenfalls müsste dem Freihandel ein Ende gesetzt werden – was von peripheren Zentren in keiner Weise anvisiert wird.

Trotz der eindeutigen Momente zur Machtverschiebung weg vom Zentrum, haben die USA also allen Grund zu kämpfen und ihre Sache ist keineswegs verloren, auch wenn die Gegner sich durchaus Chancen ausrechnen können und zwar mehr als noch vor 20 oder 10 Jahren.

Die Tendenz zum Konflikt steckt also organisch im System. Selbst wenn Obama wollte kann er dies nicht ändern. Sie ist unabhängig vom Präsidenten der USA und das US-Regime wird den Konflikt ausfechten. Denn es ist nicht das offensichtlich zum Untergang verdammte Reich, auch wenn ich glaube und hoffe, dass sie ihre Schlacht verlieren werden.

Eine neue Phase des Widerstands

Indes beschreibt der Widerstand keine lineare Linie des Aufstiegs. Es gibt durchaus Sackgassen, das hat man vor allem an der Niederlage im Irak gesehen. Allerorts gibt es Schwierigkeiten, die mit der partikulären und kulturalistischen Form des Widerstands zusammenhängen. Der militante Salafismus ist beredtes Symbol dieser Unfähigkeit zur Hegemonie und zum Anschluss an eine globale Bewegung. Der Antiimperialismus steht unter dem Zwang neue Wege zu finden, den globalen Zusammenschluss zu suchen. Es geht darum sich über Elemente einer Alternative zur Herrschaft der kapitalistisch-imperialistischen Oligarchie zu verständigen. Überall gibt es Kräfte, die diesen Ansinnen teilen. Sie müssen zusammenfinden und den Kern einer antiimperialistischen Front bilden.

Wilhelm Langthaler
25.10.09