Jugoslawien nicht vergessen

08.03.2011
Der Nato-Krieg als Geburtsstunde des humanitären Imperialismus
Von Antiimperialistische Koordination (AIK)
Wien: Kundgebung 11.3., Diskussion 12.3.2011

Vor 12 Jahren, im März 1999, begann die Nato ihren Angriffskrieg auf Jugoslawien. Es war der Höhepunkt einer langjährigen Kampagne gegen einen Staat, der sich nicht der Neuen Weltordnung der USA unterordnen wollte. Dieser Widerstand war nur möglich durch ein Volk, durch eine Massenbewegung (so passiv sie über gewissen Passagen auch war), die vermutlich über einige Jahre die Bevölkerungsmehrheit repräsentiert haben mag.

Damals war die Hegemonie der Neuen Weltordnung (die sich noch nicht offen als American Empire deklariert hatte) noch ungebrochen. Die westliche Propaganda war so erfolgreich, senkte sich so tief in die Gehirne ein, dass das Narrativ bis heute wirkt: Großserbische Nationalisten überziehen Jugoslawien mit Völkermord gegen die die Nato aus humanitären Gründen eingreifen müsse.

Kampf um die Opferrolle

Der gesamte Aufbau der Kampagne war so erfolgreich, dass daraus ein Modell wurde, um Regierungen zu stürzen, die nicht den Vorstellungen der Herren im Westen entsprechen. Luftangriffe, Krieg im Allgemeinen sowie Sanktionen und Isolierung sind nichts Neues, das machte der Imperialismus schon immer. Auch die Verteufelung des Gegners darf nicht wundern. Neu ist aber Struktur und Inhalt des Narrativs, dem es gelingt, die alte Linke einzubeziehen, ja die Kampagne in der Substanz als auf die Werte der Aufklärung und Emanzipation gestützt darzustellen. Daraus gewinnt diese öffentliche Erzählung ihren hermetischen Charakter und kann vom Ideologieapparat (nicht nur die Politik und die Medien, sondern auch die Bildungs- und Kulturinstitutionen sowie die Justiz) tagaus, tagein verbreitet werden. Gegenstimmen werden in das Eck der Revisionisten – vergleichbar mit Holocaust-Leugnern und Antisemiten – gestellt und bewegen sich damit am Rande eines Meinungsdelikts.

In äußerster Kürze unsere Gegendarstellung, die wir mit großer Anstrengung und viel Einsatz, dafür mit geringem Erfolg dem westlichen Narrativ gegenüberstellten: Die Krise des postkapitalistischen Jugoslawiens (im Einklang mit dem gesamten RGW) entlud sich an überwunden geglaubten Identitäten. Dabei griff man in die Geschichte zurück. Vor allem die Kroaten schlossen an ihre proimperialistische, prokapitalistische Tradition an, während auch angesichts der immer dezidierteren Parteinahme und Intervention des Westens Serbien unter Milošević zunehmend die antiimperialistische Rolle einnahm. So sehr er anfangs mit dem wirtschaftlichen Mainstream geschwommen war, wehrte er sich zunehmend gegen die von den neoliberalen Weltverfassungsinstitutionen IWF, Weltbank etc. verordneten Rezepte.

Die Bombe zündete schließlich die EU, als sie einseitig das Selbstbestimmungsrecht für die Kroaten forderte, den Serben dieses aber verweigerte. Damit begann das, was unter „ethnischer Säuberung“ gefasst wurde – auf Geheiß der EU. Denn wenn man einem Teil der völlig durchmischten Bevölkerung die territoriale Selbstbestimmung in Aussicht stellt, muss der andere Teil weg oder sich unterordnen. Was formal auf allen Seiten ein ziemlich ähnlicher Kampf um territoriale Kontrolle war und durch die reaktionäre, westliche Logik der Trennung initiiert wurde, wurde auf kroatischer Seite mit „gut“ und auf der serbischen mit „böse“ belegt – nach dem Motto der Selbstverteidigung gegen den Menschen fressenden Serbobolschewismus. Wenn man mehr als zehn Jahre danach sagt, dass die Mehrheit der Vertriebenen Serben waren, wird das nicht geglaubt oder man erhält als Antwort: Srebrenica! Als wäre die bosnische Stadt Klein-Ausschwitz. Auch hier begegnen wir wieder einer unantastbaren Erzählung, die das gegenseitige Gemetzel im Dienste des Westens als alleinige Schuld des ewigen Bösen darstellt. Dieses war nun in das Gewand Milošević’ geschlüpft, um in der Folge je nach Bedarf in Saddam, Ahmadinejad, Chávez, Mugabe und zuletzt – trotz dank guter Geschäfte vorübergehenden Freispruchs – in Gaddafi reinkarniert zu werden.

Quintessenz: Der Westen und seine Verbündeten gerieren sich als Opfer, die sich und die Menschenrechte, Demokratie usf. verteidigen. Diese Geschichte zieht bis heute, so sehr sie nicht nur der Realität widerspricht, sondern mit extremer Doppelmoral arbeitet (gute Albaner – böse Kurden; gute Saudis – böser Iran; etc.).

Otpor – bunte Revolutionen

Milošević verlor zwar den Krieg nicht und zeigte gleich bei der ersten Anwendung der Luftkriegstrategie der USA, wie begrenzt dessen Möglichkeiten sind, doch er verlor gegen den leeren Nationalismus, gegen den er sich nicht ausreichend abgegrenzt, ja mit dem er immer wieder kokettiert hatte. Man stürzte ihn mit dem Vorwurf, nicht nationalistisch genug zu sein, während man sich am nächsten Tag umso radikaler dem Westen auslieferte.

Sturmtruppe gegen das antiwestliche Regime war Otpor, eine NGO-artige, von westlichen Regierungen, Medien usw. unterstützte Public-Relations-Maschine auch auf der Straße. Das Milieu imitiert Formen des linken Aktivismus, propagiert einen westlich-oberflächlichen, jeden sozialen Inhalts beraubten Begriff von Freiheit und Demokratie, ist eine studentisch-mittelständische Party-Subkultur, die getarnt aber letztlich doch den westlichen Kapitalismus bejaht.

Die gleiche Methode wurde in der Ukraine, in Georgien und in Kirgisistan verwendet. Von den arabischen Bewegungen erhofft man sich ähnliches.

Möglich sind prowestliche Ergebnisse nur, wenn die Bewegung der Massen für ihre Interessen bereits am Boden liegt, alles erschöpft ist, sprich: wenn sich die Massen durch ein paar geschulte Studenten-Agenten an der Nase herum führen lassen (wollen). In Serbien war das der Fall, weil das Volk nach zehn Jahren des Widerstands genug hatte, ermüdet war, weder Hoffnung noch Perspektive hatte. Während man glaubte, mit der Hetze gegen die Moslems die Sympathien des Westens zurück zu gewinnen, fand das Gegenteil statt: Man hat sich unterworfen und ist Teil des Krieges des Westens gegen den Widerstand geworden, der als islamisch dämonisiert wird.

In der arabischen Welt nach 200 Jahren Brutalo(neo)kolonialismus wird eine analoge Operation kaum möglich sein.

Politische Justiz

Auch Siegerjustiz gab es schon immer. Doch gegen Milošević wurde ein internationaler Apparat aufgebaut, der einzig dazu diente, den Nato-Krieg zu legitimieren und das Narrativ vom Westen als Opfer bzw. humanitärer Retter juristisch zu bedienen. Auch hier wieder das Bild vom zivilisierten westlichen Rechtsstaat versus Verbrecher gegen die Menschlichkeit oder sogar Menschheit. Dass es sich um einen schlimmen politischen Schauprozess handelte, der jeder Rechtsstaatlichkeit spottet, will nicht gehört werden. Anklagen gegen Bush & Co. – nicht nur wegen dem Krieg gegen Jugoslawien, sondern vor allem wegen jenem gegen den Irak – bleiben indes völlig undenkbar, denn die USA nehmen sich selbst von der Strafverfolgung aus.

Mittlerweile werden bei jeder Gelegenheit die internationalen Gerichte bemüht, wenn es darum geht, Kräfte, die sich dem Westen nicht unterordnen wollen, zu erlegen; zum Beispiel das Hariri-Tribunal im Libanon oder die Anklage gegen Sudans Bashir, der dann das Verlangte durchgeführt hat und man nun das Problem hat, wie man die Anklage und den Haftbefehl wieder los wird. Auch gegen Gaddafi begann man flugs zu ermitteln, nachdem man die arabischen Diktaturen Jahrzehnte lang gestützt hatte und mit dem libyschen Revolutionsführer zumindest seit einem Jahrzehnt gut im Geschäft gewesen war. Während man über die Vergangenheit und vor allem die verbliebenen Diktaturen – allen voran Saudiarabien – den Mantel des Schweigens und Vergessens breitet, entdeckt man den alten antiimperialistischen Clown Gaddafi als Feindbild. So kann man sich als demokratisch reinwaschen, den Antiimperialismus als Feind der Demokratie darstellen und gleichzeitig munter weiter die Tyrannen unterstützen.

Realer Kapitalismus

Serbien befindet sich heute im Katzenjammer des realen Peripheriekapitalismus. Extreme Armut, Massenelend gepaart mit protzigem Reichtum für einige wenige. Arbeiter streiken, Teile der Massen protestieren und es gibt eine politische Opposition, die teilweise die Diktate der EU-Oligarchie ablehnt oder zumindest populistisch damit spielt. Doch das interessiert keine Medien, es sei denn, man kann vielleicht wieder einen bösen Nationalismus hervorzaubern, der sich gegen die Segnungen des Westens stellt.

Doch gegen Jugoslawien-Serbien wurde nicht nur der humanitäre Imperialismus erschaffen, sondern es formierte sich der Widerstand, der global immer weiter anwächst. Aufgabe der Periode ist es, einen gemeinsamen Nenner im Kampf gegen den Imperialismus zu bilden.

März 2011

Verweise