Sozial-politische Front gegen EU

Antiimperialistisches Sommerlager Assisi 2012
11.09.2012
Interview mit Jannis Rachiotis von Antarsya, Griechenland
Ein Interview mit Jannis Rachiotis von Antarsya (Antikapitalistische Linke Kooperation für den Umsturz) über die aktuelle Situation in Griechenland. Zu Syriza, KKE, der anarchistischen Bewegung und zur Gefahr, die von der faschistischen Partei Chrysi Avgi ausgeht.
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Jannis Rachiotis ist Anwalt und führendes Mitglied der linken Anwaltsvereinigung Alternative Intervention der Athener Anwälte (AIAL). Die AIAL vertritt unter anderem auch Menschen aus anarchistischen Zusammenhängen vor Gericht. Jannis Rachiotis repräsentiert keine spezifische Gruppierung innerhalb des Bündnisses, sondern ist ein einfaches Mitglied in diesem. Bei den Wahlen in Griechenland 2012 ist er als Kandidat von Antarsya (Antikapitalistische Linke Kooperation für den Umsturz) angetreten.

Antarsya ist eine Koalition aus verschiedenen Gruppen der radikalen Linken in Griechenland. Eine der größten Gruppen und Teil des Bündnisses von Antarsya ist die NAR (Neue Linke Strömung ). Die NAR hat sich 1989 von der Kommunistischen Partei Griechenlands abgespalten. Eine weitere Gruppe dieses Bündnisses wird durch die SEK (Socialist Workers Party ) gebildet. Weitere größere Gruppen kommen aus dem universitären Milieu, die ihre Basis ausschließlich in der Studentenschaft haben. Dazu zählen ARAN und ARAZ. Antarsya ist vor allem in den großen Städten aktiv: Saloniki, Athen, Patras, Heraklion usw. Das Bündnis erzielte bei den Wahlen in Griechenland im Mai 2012 in 1,2 % der Stimmen, verlor aber 75% des Stimmenanteils in der 2. Runde der Parlamentswahlen an das Bündnis Syriza. Ein Grund dafür war sicherlich, dass mit Syriza die Aussicht auf eine starke Linksregierung bestand.

Initiativ: Uns würde Interessieren wie dieses Bündnis aufgebaut ist. Es ist sicherlich keine zentralistisch geführte Organisation.

Jannis Rachiotis: Antartysa ist eine Föderation verschiedener Gruppierungen der radikalen Linken in Griechenland. Es gibt ein zentrales Komitee, zur Koordinierung der politischen Arbeit. Bei politischen Entscheidungen haben aber alle Gruppen die sich in dem Bündnis organisiert haben die Möglichkeit ein Veto einzulegen.

Initiativ: Das bedeutet das alle Endscheidungen in einem Konsens der Gruppen getroffen werden? Gibt es den innerhalb des Bündnisses keine scharfen Auseinandersetzung betreffend des Programms oder anderer politischer Aktionen?

Jannis Rachiotis: Nein. Im Bündnis herrscht eine Diskussionskultur vor, die vor allem versucht gemeinsame Lösung für die aufkommenden inhaltlichen Widersprüche zu finden. Es ist meist nicht schwierig einen Konsens zu finden der sich an der gemeinsamen Zielsetzung orientiert. Es gibt schon die eine oder andere Auseinandersetzung über eine bevorzugte Richtung die eingeschlagen werden soll, aber wie gesagt es herrscht eher eine Kultur vor gemeinsame Lösungen zu finden. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen zu einzelnen Fragen sind kein schwerwiegendes Problem innerhalb unseres Bündnisses.

Initiativ: Wann wurde Antarsya gegründet?

Jannis Rachiotis: Antarsya wurde vor etwa 6 Jahren gegründet. Davor gab es ein anderes Bündnis aus dem heute einige Gruppen sich bei Antarsya beteiligen.

Initiativ: Sie sind als Kandidat von Antarsya zu den Wahlen im Mai 2012 angetreten. Können sie uns einen kurzen Überblick geben was das konkret bedeutet. Was war ihre Aufgabe als Kandidat?

Jannis Rachiotis: Antarsya ist nicht gerade eine durchorganisierte Organisation. Das meint das wir vor allem auf die Stimmen angewiesen sind von denjenigen die in Antarsya selbst organisiert sind oder sich im politischen Umfeld des Bündnisses bewegen. Während des Wahlkampfes ist es vor allem die Aufgabe der Kandidaten, ein klares Programm den Menschen zu präsentieren und ihnen zu erklären warum sie ihre Stimme dir geben sollen und nicht einer anderen linken Partei. Der Unterschied zu anderen linken Parteien ist, dass wir eine klare Position zur EU haben. Wir sind die einzigen die klar gesagt haben, das Griechenland aus der Währungsunion und der Europäischen Union austreten muss. Das waren nicht die einzigen Forderungen unseres Programms, aber im Wahlkampf waren das natürlich die beiden Hauptpunkte unserer Forderungen.

Initativ: Was sind ihrer Meinung nach die Unterschiede zwischen Antarsya und der KKE (Kommunistische Partei Griechenland), die in ihrem Programm auch einen Austritt aus der EU fordert, um die nationale Unabhängigkeit Griechenlands wiederherzustellen?

Jannis Rachiotis: Der größte Unterschied zur KKE besteht, darin das sie keine klare Position zu irgendwas haben. Z.B. zum Euro: Einige Monate vor den Wahlen haben sie vertreten, dass es eine Katastrophe wäre, aus dem Euro auszuscheiden. Die rechten Parteien haben ihnen für diese Position offiziell im Parlament gedankt. Nach dieser Erklärung durch die rechten Parteien, waren sie plötzlich gegen den Euro. Ihre Position war dann, dass es egal wäre ob man den Euro behalten oder den Drachmen wieder einführen würde. Ihrer Meinung nach wäre das nicht das Problem, sondern der Kapitalismus. Sie unterminieren diejenigen Strömungen die versuchen Griechenland aus dem europäischen Währungsraum herauszuführen. Sie sind nicht ehrlich in ihren Positionen die sie vertreten. Sie arbeiten nicht ernsthaft an der Verwirklichung ihrer Forderungen. Das Gleiche gilt für die Frage des Austritts aus der EU. Selbstverständlich sind sie gegen die EU. Aber was kann man gegen die EU machen? Das beste was man ihrer Meinung nach dagegen machen kann ist Revolution und Sozialismus. Und dann treten wir aus der EU aus. Das ist Metaphysik und keine Politik. Wenn man sagt das alles passiert in der Zukunft. Soll man den Menschen als ernsthafte Bewegung erzählen dass alle diese Probleme sich in dieser Zukunft lösen?

Initativ: Es gibt eine sehr breite Bewegung in Griechenland gegen die Kürzungen des Staatshaushaltes und den mit diesen verbundenen Sozialkürzungen, die vor allem die Unterklassen trifft. Zum einen wehren sich die Leute gegen die von der Troika aufgebürdeten Kürzungen auf der anderen Seite ist die Mehrheit weiter gegen einen Austritt aus dem europäischen Währungsraum oder der Europäischen Union. Wie bewerten sie das?

Jannis Rachiotis: Die Menschen in Griechenland sind zum größten Teil fehl informiert. Sie sind durch die Krise sehr verängstigt. Die öffentliche Meinung wird durch einige Institution völlig kontrolliert. Vor allem durch die Gewerkschaften. Das bedeutet z.B., dass um einen Generalstreik durchzuführen, dies von der Zustimmung der PASOK abhängig ist. PASOK hat das Land dem IMF ausgeliefert, bildet aber gleichzeitig die Führung in den griechischen Gewerkschaften. Und der Generalsekretär der Arbeiter Union ist ein persönlicher Freund von Papandreos, dem damaligen Premierminister. Und er hat letztendlich zu entscheiden, ob ein Streik gegen seinen Freund den Premierminister und seine Partei durchgeführt wird. Das ist die Situation. Natürlich wollen sie auch ihre Rolle spielen als Führer der Gewerkschaften. Deshalb wurden einige Streiks, einige Generalstreiks, durchgeführt. Und an diesen Streiks haben sich Hunderttausende, die auf die Strassen gingen, beteiligt. Aber wenn es keine Entscheidung zu solchen Aktionen gibt, passiert in Griechenland nichts. Das ist der der Schlüssel um zu verstehen an welchem Punkt die Bewegung sich heute in Griechenland befindet. Es gibt zwar eine große und breite Bewegung, aber eine kontrollierte Bewegung. Unter diesen Umständen ist es schwierig Ziele zu erreichen. Es ist keine Bewegung von unten.

Initative: Kommen wir zurück zu den verschiedenen Positionen die die Linke in Griechenland zu Europa und im Umgang mit der Krise hat. Ihre Position zur KKE haben sie bereits erläutert. Welche Unterschiede gibt es ihrer Meinung nach zu Syriza. Interessant in diesem Zusammenhang sind diese Unterschiede zudem auch von Interesse unsererseits, weil Antarysa und Syriza beides Bündnisse verschiedener linker Strömungen sind. Ist das richtig?

Jannis Rachiotis: Ja das ist korrekt. Syriza hat sich entschlossen in eine formale Partei um zu formen. Der Hauptgrund für diese Umformung hat rechtliche Hintergründe, da das Wahlrecht in Griechenland die Parteien bevorzugt und Wahlbündnisse dabei ins Hintertreffen geraten. Ein anderer Grund ist das Bestreben ihre verschiedenen Stimmen zu vereinigen. Diese Zielsetzung wird von allen Teilen aus denen Syriza besteht mehr oder weniger getragen. Wenn wir von Unterschieden zu Syriza sprechen, dann müssen wir vor allem über unsere Unterschiede zu der führenden Kraft, Synaspismos (Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie ) sprechen. Denn diese macht gut 95% des Bündnisses von Syriza aus. Synaspismos besteht aus den alten Euro-Kommunisten Griechenlands. Ich würde die Frage gerne in zwei Abschnitten beantworten. Im ersten Teil möchte ich zwei, drei Dinge aus der Vergangenheit erläutern und dann zu unserer aktuellen Kritik an Synaspismos kommen. Ihre Ursprünge als Partei hatte Synaspismos 1968 als Ergebnis des Auseinanderbrechens der Kommunistischen Partei. Von 1974 bis zum heutigen Tag haben sie immer eine sehr rechte Position innerhalb der Linken eingenommen. Was dazu führte das sie immer mehr oder weniger mit den führenden Parteien des Systems zusammen gearbeitet haben. In den ersten zwei Jahren haben sie mit der Nea Dimokratia (Konservative Partei in Griechenland), zusammengearbeitet. Begründet wurde dies um z.B. die Teilnahme Griechenlands an den Kriegen des Westens oder dass Erstarken der Faschisten zu verhindern usw. . Letztes Jahr haben sie mit der PASOK zusammengearbeitet, auf verschiedenen Ebenen. Aus diesem Grund verlassen alle vier Jahre führende Persönlichkeiten das Bündnis und wechseln zu PASOK über. Synaspismos steht der PASOK politisch sehr nahe. Besonders in den Gewerkschaften arbeiten sie ganz offiziell mit PASOK zusammen. Diese beiden sind der führende Block in den Gewerkschaften. Das ist der Grund für unsere Schwierigkeiten mit den Gewerkschaften. Die Führung von Synaspismos ist tief mit der Elite Griechenlands vernetzt. Sie repräsentieren letztlich den linken Flügel der griechischen Eliten. Das wäre mehr oder weniger der Punkt zur Vergangenheit zu diesem Komplex.
Über die Wahlen und die aktuellen Entwicklungen in Griechenland bestehen unsere größten Differenzen mit ihnen in Bezug auf das Programm. Sie beziehen darin keine klare Position oder sagen nicht was vor dem Hintergrund der Krise zu tun sei. Selbstverständlich wollen sie die Armen unterstützen, sie unterstützen die Forderung nach Lohnanhebungen, sie sind für einen Austritt aus dem Schuldenmemorandum, aber sie beantworten nicht die Frage, wie das alles praktisch umgesetzt werden soll. Was muss gemacht werden? Man muss dazu aus der Euro-Zone austreten. Aber es gibt keine klare Antwort darauf. Die letzten Wochen vor der Wahl haben sie gesagt das sie die beste Wahl wären, um zu garantieren das Griechenland innerhalb der Euro-Zone verbleibt. Das ist eine Katastrophe. Was die EU betrifft, steht es gar nicht zur Debatte ob man aus der EU austritt. Syriza akzepiert die EU wie sie ist. Denn alle Maßnahmen die unternommen werden müssten, um den armen Menschen, in Griechenland oder anderen südeuropäischen Ländern zu helfen, sind schlicht illegal im Rahmen der europäischen Gesetzgebung. Wenn man den freien Wettbewerb der Unternehmen akzeptiert, wenn man akzeptiert, dass die eigene Ökonomie von Brüssel aus kontrolliert wird. Was kann man dann machen? Man hat unter diesen Bedingungen gar nicht die Macht irgend etwas zu tun. Aus diesem Grund tangiert es niemanden, wenn man sagt man will etwas für die Armen Menschen machen. Man muss sich aber die Instrumente aneignen um den armen Menschen zu helfen. Wenn man aber nicht die Instrumente hat um den Menschen zu helfen, hat man letztendlich gar nichts. Wie man nun aber in den Besitz dieser Instrumente kommen kann oder welche das sein könnten, darüber steht bei Syriza nichts im Programm. Das ist unser Hauptproblem mit diesem Programm.
Selbstverständlich sprechen sie über eine linke Regierung. Und das ist sicherlich keine schlechte Idee eine linke Regierung in Griechenland zu haben, aber wir haben die Verpflichtung den Menschen klar zu machen, wie das Programm einer solchen linken Regierung aussieht. Wenn man also von der Absicht spricht eine linke Regierung zu bilden, was erst mal gar nichts aussagt, muss man auch ein entsprechendes Programm einer solchen Regierung präsentieren. Doch das Programm von Syriza sagt in dieser Hinsicht nichts wirklich ernsthaftes aus.

Initiativ: Im Wahlkampf in Griechenland dieses Jahr, wurde in den bürgerlichen Medien in Deutschland der Eindruck vermittelt, in Griechenland gebe es eine starke politische Polarisierung. Auf der einen Seite Syriza und auf der anderen die anderen Parteien. Ein Kampf der sich letztendlich um einen Verbleib in der EU oder um einen Austritt aus dieser drehen würde.
Syriza hat für den Fall einer Regierungsübernahme angekündigt aus dem Schuldenmemorandum auszutreten.

Jannis Rachiotis: Das hat sich geändert. Sie haben diese Position in den letzten Wochen vor den Wahlen, durch die Forderung nach einer Neuverhandlung des Schuldenmemorandum ersetzt.
Dadurch ist es ihnen gelungen sich auf keine konkreten Punkte festlegen zu lassen.

Initiativ: Welche Auseinandersetzungen und Analysen gibt es in Ihrem Bündnis nachdem die Wahlen gelaufen sind und welche politischen Entwicklungen erwarten sie in den nächsten Monaten.

Jannis Rachiotis: Für die griechische Ökonomie gibt es keine Möglichkeit sich zu erholen. Unser Bündnis hat die letzten Wahlen verloren. Wir haben 90% unserer Stimmen an Syriza verloren. Das bedeutet dass in unserem Bündnis die aktuelle Stimmung alles andere als gut ist. Die nächsten Monate werden eine schwierige Zeit für uns. Es ist erst mal für uns notwendig die Menschen erneut zu mobilisieren. Wir müssen einen neuen Weg finden um eine neue Bewegung aufzubauen gegen die EU, gegen das Schuldenmemorandum und gegen den Verbleib in der Euro-Zone. Das wird sehr schwierig sein. Die einzige Weg dies zu erreichen ist die Vereinigung aller Gegner der EU in einer politischen und sozialen Front- und das sind nicht nur die Gruppen die in Antarsya organisiert sind. Dazu gehören auch die ernsthaften Teile der linken Intellektuellen und ihrer Gruppen, die innerhalb und außerhalb Griechenlands anzutreffen sind. Besonders in London.
Eine Gruppe dieser Intellektuellen arbeitet speziell an der Thematik, warum Griechenland aus der EU raus sollte. Unser Bestreben ist es eine neue sozial-politische Front gegen die EU zu bilden mit dem Ziel aus der EU auszutreten. Den Kampf mit dieser Front eben für dieses Ziel erneut aufzunehmen. Ich weiß dass uns für dieses Vorhaben nicht sehr viel Zeit bleibt.

Initativ: Die Hauptforderung Ihres Bündnisses während des Wahlkampfes war „Raus aus dem Euro- Raus aus der EU“ Während der Diskussionsrunde auf dem Antiimperialistischen Sommerlagers zur Revolte in Griechenland gab es zwischen Ihnen und Petros Alachmar ( Mitglied der KOE (Kommunistische Organisation Griechenlands) die Teil des Bündnisses von Syriza ist) einen Disput um diese Frage. Im Gegensatz zu Ihnen hat der Genosse der KOE es vorgezogen die Frage nach dem Austritt aus der EU nicht offen zu stellen, sondern die Forderung der griechischen Unabhängigkeit in den Vordergrund zu stellen. Nach unserem Verständnis meint dies letztlich dasselbe. Ist es ihrer Ansicht ein Unterschied, ob man eine Kampagne zum Austritt aus der EU macht oder eben eine Kampagne zur Verteidigung der griechischen Unabhängigkeit? Sind sie der Meinung die Menschen würden es nicht verstehen, dass es letztendlich nur Wörter sind die das gleiche Ziel beschreiben?

Jannis Rachiotis: Das ist nicht das Gleiche. Wenn man vor den Menschen seine Absichten nicht klar ausdrückt, hat man einen bestimmten Grund das nicht zu tun. Und ein Grund dies zu tun ist es sich selbst damit eine Möglichkeit offen zu halten seine Politik wieder zu ändern. Andererseits ist es eine Möglichkeit mit unklaren Aussagen, seinen Stimmenanteil bei den Wahlen zu erhöhen. Denn jeder versteht unter einer solchen Aussage nur das was er verstehen will. Doch mit einer solchen Politik kommt man nicht weit, da die Menschen im Grunde nicht dumm sind. Sie verstehen recht gut warum man in bestimmten Dingen keine klare Aussage macht. Wenn wir aber die Absicht haben in Griechenland eine wirkliche Bewegung aufzubauen, etwas in Griechenland zu bewegen und nicht nur die Absicht haben einige Stimmen bei den Wahlen anderen Parteien zu stehlen, müssen wir in unserer Programmatik klar sein. Wir müssen klar machen was nach unserer Ansicht der Weg aus der Krise ist. Wir stimmen mit dieser Art der Politik nicht überein wie sie der Genosse der KOE formuliert hat. Eigentlich gehört die KOE zu uns, denn sie ist Teil der radikalen Linken in Griechenland. Wir sind traurig darüber, dass sich die KOE in eine solche Position integriert hat, da sie in ihren Reihen sehr viele wertvolle GenossInnen haben. Diese Positionierung ist Ausdruck eines überkommenen Ansatzes Politik zu machen. Gib mir deine Stimme und ich werde sehen was sich machen lässt.

Initiativ: Die Krise in Griechenland hat nicht nur eine Massenrevolte gegen das Schuldenmemorandum der EU hervorgebracht, sondern auch zu einem Erstarken von Kräften der Rechten geführt. Es gibt immer wieder Berichte von regelrecht organisierten Angriffen dieser Kräfte gegen MigrantInnen und Linken in Griechenland. Viele griechische Aktivisten der politischen Linken mit denen wir in Deutschland diskutieren haben die Befürchtung, dass diese Kräfte noch weiter an Bedeutung gewinnen werden.
Teilen sie diese Befürchtungen und können sie uns erläutern welche Dynamiken und Interessen hinter dieser Entwicklung stehen?

Jannis Rachiotis: Ich denke es gibt in Griechenland eine sehr gefährliche Entwicklung. Die Gefahr ist größer als sie durch die 6% bei den Wahlen, für die Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung), zum Ausdruck kam. Denn Chrysi Avgi ist nicht einfach nur eine neofaschistische Partei oder Organisation. Sie sind Teil des politischen Systems in Griechenland. Es gibt große Unterschiede auch historisch im Vergleich mit anderen faschistischen Parteien in Westeuropa. Nehmen wir z.B. faschistische Gruppen in Deutschland. Das sind unabhängige Gruppen mit einer entsprechenden faschistischen Ideologie. Es gab auch dort Morde an Linken und MigrantInnen. In Griechenland haben wir eine ganz andere Situation. Selbstverständlich haben auch die griechischen Faschisten eine faschistische Ideologie, sie verehren Hitler und den Nationalsozialismus, aber in Griechenland sind sie Teil der politischen Struktur, ein großer Unterschied zu Deutschland, Italien oder Österreich. Dort sind sie nicht Teil der politischen Struktur des politischen Establishments. In Griechenland gab es nach dem Bürgerkrieg von 1949 eine Entwicklung, die dazu führte das sich para-staatliche Organisationen herausbildeten. Diese Organisationen besorgten diejenige Arbeit, die das politische Establishment des Staates nicht offiziell erledigen wollte. Aus diesem Grunde gab es faschistische para-staatliche Organisationen die das Morden erledigten. Wir haben selbst vor der Junta (Militärdiktatur von 1967 bis 1974) in Griechenland sehr viele GenossInnen durch Morde faschistischer para-staatlicher Gruppen verloren. Die Väter der heutigen Führer von Chrysi Avgi waren die Führer der para-staatlichen Organisationen der Vergangenheit. Ich meine das natürlich im übertragenden Sinne und keine wirklichen Verwandtschaftsbeziehungen im Allgemeinen. Der Führer von Chrysi Avgi (Nikos Michaliolakos ) kommt aus einer der bedeutendsten Familien des rechten politischen Lagers. Ein Teil dieser Familie ist im rechten Flügel der Nea Dimokratia organisiert und ein anderer Teil dieser Familie ist in der Chrysi Avgi organisiert. Ein wieder anderer Teil ist in der Armee und in der Polizei. Die Verbindungen von Chrysi Avgi mit dem Staat sind sehr stark.
Vor einem Jahr noch war Chrysi Avgi eine sehr kleine Gruppe mit vielleicht 100 Mitgliedern. Sie haben schon in der Vergangenheit an den Parlamentswahlen in Griechenland teilgenommen und haben meist einen Stimmenanteil von 0,1% - 0,2% der Stimmen erhalten. Sechs Monate vor den letzten Wahlen haben PASOK und Nea Dimokratia eine große Kampagne gegen die MigrantInnen gestartet. Sicher der Staat war immer gegen die MigrantInnen. Aber es ist ein Unterschied wenn dies in einer staatlich organisierten Kampagne zum Ausdruck kommt. Die Führer von Nea Dimokratia und PASOK lancierten diese Kampagne, indem sie äußerten das es notwendig wäre sog. illegale Flüchtlinge in Lager zusammen zu fassen. Dass es notwendig wäre mehr Kraft aufzuwenden um die Grenzen zu Mazedonien und zur Türkei zu überwachen, um die „Illegalen“ in diese Länder sofort wieder abschieben zu können. Ein weiterer Teil dieser Kampagne bestand darin die MigrantInnen als eine sog. Gesundheitsbombe darzustellen; das sie viele Krankheiten verbreiten würden. Eine solche Bezeichnung von Menschen als Krankheitserreger lässt sich eigentlich nur mit der Propaganda der Nazis gegen die Juden vergleichen. Infolge dieser Kampagne erstarkte Chrysi Avgi in nur sechs Monaten. Wie konnte das passieren? Sie haben den schmutzigen Teil der Arbeit übernommen. Sie sind auf die Strasse gegangen und haben MigrantInnen angegriffen. Gleichzeitig haben sie Propaganda gegen diejenigen Teile der Linken und Anarchisten gemacht, die sich mit den Flüchtlingen solidarisierten. In diesem Zusammenhang gab es auch Angriffe gegen Linke. Aber die Angriffe der Faschisten haben sich hauptsächlich gegen die MigrantInnen gerichtet, weil sie eben ein schwächeres oder einfacheres Ziel sind. Die MigrantInnen haben eben keine politischen Organisationen und befinden sich in einem für sie fremden Land.
Die Faschisten wurden von den Besitzern der größten Medien unterstützt. Die übrigens alle dem rechten politischen Lager zu zuordnen sind. Sie sorgten dafür dass in ihren Medien und jenen die sie unter Vertrag haben, dass Chrysi Avgi in allen großen Zeitungen auf der Titelseite erschien. Im Fernsehen, überall sprach man plötzlich über Chrysi Avgi. So ist es gar nicht nötig sie ganz offen und von offizieller Seite zu unterstützen. Aber wenn man die Medien zu ihrem Sprachrohr macht, erzielen sie darüber auch ihr Ziel. Das ist der Grund für das schnelle Erstarken von Chrysi Avgi. Das hat letztendlich dazu geführt, dass sie bei den Wahlen 6% der Stimmen holen konnten. 45% aller Polizeioffiziere haben bei den Wahlen Chrysi Avgi ihre Stimme gegeben. Wir wissen das, weil die Polizei ihre Stimme an gesonderten Orten abgibt. Nach den Wahlen gab es durch den Staat eine weitere Kampagne gegen die MigrantInnen. Auch in der aktuellen Kampagne spielt Chrysi Avgi wieder ihre schmutzige Rolle. Bis heute sind durch sie 3 MigrantInnen bei Angriffen ums Leben gekommen. Ein weiterer wurde durch die Polizei getötet. Dazu kommen hunderte schwer verletze MigrantInnen. Täglich gibt es weitere Berichte über Übergriffe gegen MigratInnen und Verletze. Dabei machen die Faschisten mit der Polizei gemeinsame Operationen, das meine ich so wortwörtlich. So beteiligen sich an Patrouillen von 5 Polizisten mit Motorrädern 10 Motorräder mit Anhängern von Chrysi Avgi. Sie suchen sich eine/einen Migranten/ in und schlagen ihn dann gemeinsam zusammen. Das ist eine sehr gefährliche Situation in der wir uns alle in Griechenland aktuell befinden.

Initiativ: Inwiefern gelingt es Chrysi Avgi auch Teile der Unterklassen zu organisieren? Es gibt immer wieder Berichte darüber, dass es ihnen in größeren Städten in den ärmeren Vierteln gelingt sich durch Sozialarbeit zu verankern und die Armen dort zu organisieren.

Jannis Rachiotis: Das ist Teil ihrer Ideologie. Sie behaupten das sie das machen. Die Leute werden eingeladen zu Aktionen bei denen sie dann Lebensmittel oder Suppe an einige arme Menschen verteilen. Um aber in den Genuss dieser Lebensmittel zu gelangen muss du deine ID vorlegen und beweisen das du ein „reinrassiger“ Grieche bist - und nicht nur partiell. Doch diese Aktionen sind nur für die Fernsehkanäle. Diese Aktionen sind nicht Teil eines wirklichen Netzwerkes, das die Menschen in Not unterstützt. Wenn wir uns ansehen welche sozialen Segmente der Gesellschaft Chrysi Avgi vertritt kommen wir zum Ergebnis, das die Mittelklasse Chrysi Avgi wählt, nicht die ArbeiterInnen oder die armen Leute. Mit dem Wachsen der Arbeitslosigkeit würde man denken, dass diese Chrysi Avgi wählen, dem ist aber nicht so. Es gibt eine Tradition des Kleinbürgertums in Griechenland die faschistische Bewegung zu unterstützen.

Initiativ: Die anarchistische Bewegung in Griechenland ist sehr stark im Verhältnis zu anderen Ländern in Europa. Während sie die These vertreten, dass dies auch dem Vertrauensverlust vor allem der griechischen Jugend in politische Parteien im allgemeinen geschuldet ist, bezeichnet die KKE diese gar als Agenten des Staates. Sie treten für eine Zusammenarbeit mit dieser Bewegung ein. Wie kann oder wie sieht diese Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der aktuellen Entwickelungen aus?

Jannis Rachiotis: Das ist eine wichtige Frage. Ich persönlich arbeite als Anwalt auch in dieser Bewegung seit über 10 Jahren. Meiner Meinung nach sind die Anarchisten der aktivste Teil der Bewegung in Griechenland. Wenn wir also eine wirkliche Veränderung durch die Revolte auf den Straßen in Griechenland erreichen wollen, können wir das ohne die Anarchisten nicht erreichen. Nur die Anarchisten zeigen den Mut und die Risikobereitschaft dazu. Die radikale Linke zeigt unglücklicherweise keine Bereitschaft mehr dazu, zumindest im Moment. Ein Grund für meine Beteiligung bei Antarsya war die Idee, die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der radikalen Linken mit der anarchistischen Bewegung dort voranzutreiben. Ohne diese Zusammenarbeit wird es keine Möglichkeiten geben etwas zu verändern. Ich weiß dass die Genossinnen, die diese Position mit mir in Antarsya teilen in der Minderheit sind. Doch viele versuchen sich dieser Position anzunähern, auch weil sie sehen, dass sie selbst schwach sind. Auch weil sie sehen, das die Anarchisten bereit sind sich selbst in Gefahr zu bringen, um ihre Ziele zu erreichen. Sie wehren sich gegen die Polizei, werden verhaftet, sie greifen Chrysi Avgi an. Sie haben eine Praxis. Die radikale Linke hingegen gibt lediglich Erklärungen heraus. Ich arbeite hart an dieser Frage. Für mich ist das der eigentliche Grund für meine Beteiligung bei Antarsya. Die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit wird aber auch auf Seiten der anarchistischen Bewegung nur schwer verstanden. Weil sie denken, das sie alles machen, sie kämpfen mit der Polizei usw. und die radikale Linke macht nichts. Sie fragen sich, was sie von der radikalen Linken zu erwarten haben. Sie sehen schon die Unterschiede zwischen uns und der KKE. Das wir nicht gegen sie sind oder sie wie die KKE als Agenten bezeichnen. Ihnen fehlt aber die Einsicht in die Notwendigkeit mit der radikalen Linken zusammen zu arbeiten. Das führt uns zu einem generellen Problem mit der anarchistischen Bewegung. Sie machen Politik allein vor dem Hintergrund der täglichen politischen Auseinandersetzungen. Sie haben Schwierigkeiten einen politischen Plan zu entwickeln. Zu formulieren welche Veränderungen in der Zukunft notwendig sind. Welches Ziel zu erreichen ist. Was muss sich in Griechenland verändern? Sie sind an diesen Fragen nicht allzu sehr interessiert. Sie sind zufrieden sich mit den Dingen auseinanderzusetzen die sie selbst betreffen. Sie haben Schwierigkeiten, dass genau diesen Punkt betreffend die radikale Linke eine Hilfe sein kann. Einen politischen Plan zu entwickeln. Einen Plan zu entwickeln der die Probleme des Landes lösen kann. Ich glaube nicht, dass es dafür notwendig ist eine Koalition zu bilden oder eine gemeinsame politische Organisation mit der anarchistischen Bewegung aufzubauen. Aber wir müssen einen Weg finden in der die Arbeit parallel laufen kann. Das ist meine Meinung darüber. Auch wenn ich mit diesen Ansichten zu einer Minderheit bei Antarsya zähle, so ist Antarsya nicht gegen die anarchistische Bewegung. Wir müssen einen Weg finden zusammen zu arbeiten. Wir haben eine Organisation, die zwar nicht Teil unseres Bündnisses ist aber zu unserem politischen Umfeld gehört, die seit sehr langer Zeit mit anarchistischen Gruppen zusammen arbeitet. Eine trotzkistische Gruppe, die bei der Suche nach einem Weg der Zusammenarbeit mit unserem Bündnis hilfreich sein kann.

Assisi, den 26.08.2012

Verweise