Mexiko, März 2001
Kompakte Chronik
Das EZLN hat im Dezember 2000 sein langes Schweigen schließlich mit einer Pressekonferenz zum Sturz des PRI-Regimes und der großmäuligen Ankündigung des neuen Präsidenten, den Konflikt in Chiapas in 15 Minuten zu lösen, beendet und seinen Marsch in die Hautstadt Mexikos, in den Bundesdistrikt (Distrito Federal, D.F.) angekündigt. Am 24. Dezember verließen 23 Kommandanten, ein Subkomandant und ein unvermummter Mitkämpfer La Realidad, am Rande des Lakandonischen Urwalds, um nach einem Marsch durch 12 Staaten der Republik am 11. März das historische Zentrum der Hauptstadt zu erreichen. Das Ziel: die gesetzmäßige und verfassungsrechtliche Verankerung des Gesetzes über indigene Rechte und Kultur, das vom EZLN und Regierungsvertretern in San Andrà©s Sacamchen (vormals Larrainzar, nach dem Namen eines spanischen Eroberers) am 16. Februar 1996 unterzeichnet worden war, dann jedoch durch Weigerung des Präsidenten Zedillo nie dem Parlament vorgelegt wurde, indem er die Gefahr einer „Balkanisierung“ des Landes heraufbeschwor, das heißt seines Zerfalls in zahlreiche Autonomien. Zu dieser Zeit wurde auch der angebliche Kommandant Germán gefasst, um dann gemäß dem Gesetz der Eintracht und Befriedung (Ley de Concordia y Pacificacià³n) wieder freigelassen zu werden.
Von Anbeginn des Marsches an versuchte die Regierung von Vicente Fox sich die indigene Fahne des EZLN anzueignen und das „Wasser der EZLN“ zu vergiften. Sie organisierte selbst indigene Zusammenkünfte und Treffen mit NGOs im Präsidentenpalast von Los Pinos organisierte. Der Präsident trat dort in legerem Hemd und mit scheinbar indigenem Amtstab vor einem folkloristischen Hintergrund auf, zur selben Zeit, als auch Marcos von indigenen Vertretern willkommengeheißen und dem EZLN zugejubelt wurde. Die Medien schrieben beständig einen bevorstehenden Friedensabschluss herbei, ein Treffen zwischen Fox und Marcos, wo ein Abkommen ausgehandelt und unterzeichnet werde. Von Seiten einiger Unternehmerverbände, Abgeordneter und Senatoren, den Gouverneuren von Querà©taro und Morelos, einigen unbekannten korrupten Bauern- und Arbeiterführern und dem einen oder anderen mittelmäßigen Journalisten kam die Forderung „Runter mit der Maskierung!“, „Wer steckt dahinter?“, „Ihr wollt die republikanischen Institutionen aushebeln!“ und es gab sogar einen Ex-Guerilla-Veteranen von Lucio Cabañas, heute Lokalabgeordneter von Morelos, der über das „schwulen Bürschchen“ schimpfte, „das nicht weiß, was kämpfen heißt.“
Das Vorüberziehen des Marsches rief die Zivilgesellschaft auf den Plan. Marcos hatte den Dialog mit der Zivilgesellschaft als strategisches Ziel vorgesehen und konnte auf den Stationen in Chiapas, Oaxaca, Puebla, Tlaxcala, Hidalgo, Querà©tero, Guanajuato, Michoacán, Bundesstaat Mexiko, Guerrero und D.F. zahlreiche zivile, soziale und (jedoch am wenigsten) politische Organisationen mobilisieren. Die Organisatoren des Empfangs sehnten sich danach, den berühmten „Sup“ und die 23 Kommandanten endlich zu Gesicht zu bekommen: Esther, Fidelia, Susana, Yolanda, Abraham, Tacho, Ismael, Alejandro, Bulmaro, Daniel, David, Eduardo, Filemà³n, Gustavo, Javier, Omar, Isaàas, Abel, Sergio, Maxo, Moisà©s, Zebedeo und den, mit dem ungewöhnlichen Decknahmen Mister. Mit ihnen war, ohne sich das Gesicht zu vermummen, der Architekt Fernando Yañez, der immer hinter Marcos war wie ein Generalstabschef hinter dem Präsidenten der Republik.
Die politischeren unter den Tausenden Versammelten während des mehr als 3.500 km langen Marsches warteten ohne Erfolg auf eine Erwähnung des Weltwirtschaftsforums und der Repression gegen die in Cancún niedergeknüppelten Studenten, die, verwundet oder verhaftet, den Marsch nicht begleiten konnten. Man wartete auch auf die Erwähnung der nicht zapatistischen politischen Gefangenen, der Verschwundenen, die nur einmal nebenbei erwähnt wurden, nämlich in Guerrero, der Wiege des Revolutionären Volksheers (EPR), des Revolutionären Heers des Aufständischen Volkes (ERPI), der Revolutionären Volksstreitkräfte (FARP) und des nie genannten Revolutionären Volksheers/Revolutionär Demokratische Volkspartei – Demokratische Tendenz (EPR/PDPR-TD). Das EPR machte in einem nahe Xochimilco, der letzten Station vor dem Einzug in die Hauptstadt Mexikos, gelegenen Dorf eine bewaffnete Propagandaaktion zur Unterstützung des EZLN.
Der Diskurs des EZLN blieb auf den zentralen Punkt der indigenen Frage beschränkt. Der III. Nationale Indigena-Kongress in Nurio, Michoacán, erwies daher dem EZLN besondere Ehren und sprach sich für die gesetzliche Umsetzung des sogenannten „COCOPA-Gesetzes“ (Anm.: Senats- und Parlamentskommission für Eintracht und Befriedung, Comisià³n de Concordia y Pacificacià³n, COCPA) sowie die Erfüllung der drei Forderungen von Marcos an die Regierung Fox als Zeichen für ihren Friedenswillen aus: die Freilassung der mit dem EZLN in Verbindung gebrachten politischen Gefangenen, die Entmilitarisierung von Chiapas jenseits von bloßen Truppenverschiebungen – wie sie in drei Gelegenheiten immer mit einer pompösen Zeremonie passiert waren, in der ein General das Land seinen ursprünglichen Besitzern zurückgab – und letztlich die Diskussion und Verabschiedung der Abkommen von San Andrà©s.
Fox reiste unterdessen beständig in indianische Gemeinden und Dörfer, hielt Diskussionen über Radio, Fernsehen und die Presse ab, in denen er den Subkommandanten zum Dialog einlud. Fox war gut beraten worden. Angesichts des Eintreffen des Marsches am Hauptplatz von Mexiko Stadt und auf die Frage nach der Behandlung von Marcos in Anbetracht dessen Beleidigungen gegen den Gouverneur von Querà©taro, dem er den Beinamen Fiulais gegeben hatte, eine Kasperlfigur von Anfang diese Jahrhunderts, und des Präsidenten selbst, den er „der Fox“ nannte, scheinbar mit der Absicht ihn für die englischsprachigen mit einem Fuchs in Zusammenhang zu bringen, stellte er klar, dass all das ein Beweis für die mexikanische Demokratie sei, des Wandels, der es erlaube, Flegeleien und Beleidigungen gegen jemanden auszusprechen, der ohnedies von der Staatssicherheit gut beschützt ist.
Die großen Fernsehstationen organisierten ein Friedenskonzert, das am selben Tag wie die Eröffnung des Indigena-Kongresses, am Samstag, den 3. März, stattfand. Zwei der schlechtesten Kitsch-Rock and Roll Gruppen riefen dazu auf, sich in Weiß zu kleiden und um halb elf in der Nacht eine Kerze anzuzünden. Die Fernsehankündigung bestand aus einem indianischen Mädchen, das weiß gekleidet in Mitten eines Fußballfeldes eine weiße Taube fliegen ließ. Die Reaktion war jedoch neben verallgemeinertem Erstaunen, eine breite zivile und politische Ablehnung, sodass nicht einmal das Stadion „Azteca“ gefüllt werden konnte. Auch die Fernsehkampagne gegen die Tutti Bianchi (die „weißen Affen“, wie sie genannt wurden), die unter der Führung von Federico Mariani stand und für die Sicherheit des Marsches zuständig waren, fruchtete nicht. Schließlich sprach man von „Begleitung“, um nicht jene wieder in Schwierigkeiten zu bringen, die vor einigen Jahren von der mexikanischen Regierung ausgewiesen worden waren. Die italienischen Genossen hatten den Auftrag niemand durchzulassen und die Auftritte und Abtritte des EZLN zu beschützen. Sie widerstanden allen Unkenrufen, bis sie von den Organisationen des III. Indigenen Kongresses ersetzt wurden, vor allem die Huicholes. Die Chauvinisten blieben ohne Argumente und auch ihre Umfragenkampagne über TV Azteca blieb ohne Wirkung, in der sie fragten: Sind Sie einverstanden, dass die Leibwache des EZLN von Ausländern gestellt wird? Die Presse, die an ihre privilegierte Behandlung gewohnt ist, beklagte sich beleidigt, nicht arbeiten zu können.
Beim Einmarsch auf dem Zà³calo (Hauptplatz) am Sonntag, den 11. März, war der 21 384 m2 große Platz voll von Menschen und umgeben von Transparenten, die den zapatistischen Marsch begrüßten. Auch die Zufahrtsstrassen waren voll. Am Zocalo gab es zwei Bühnen: eine für Musikgruppen, die am Montag ein Konzert gaben, das von der Stadtregierung der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) organisiert wurde. Die PRD war erpicht darauf, ihre Solidarität zu beweisen. Die andere Bühne, gegenüber dem Nationalpalast, war für die zapatistische Delegation bestimme. Der Lastwagen, der seit Xochimilco für ihren Transport verwendet wurde – mit einer Plattform, die dem karnevalesken Kitsch nahe war, indem sie versuchte einen Stall mit Bündel von Nahrungsmittel nachzustellen, um die die EZLN-Delegation stand – konnte kaum zufahren. Die Hauptlosung auf einem Transparent, das am Lastwagen und auf der Hauptbühne angebracht war, war: Nie wieder ein Mexiko ohne uns! Dahinter ein riesiges weißes Transparent, das dem Komitee „Ya Basta“ zugeschrieben wurde, mit den Worten: „Wir sind alle Indios der Welt“.
Die zeremonielle und symbolische Ausrichtung der Kundgebung erfüllte die Hoffnungen der Mehrheit der Anwesenden, von denen sich einige schon Tage zuvor Balkongalerien in den umliegenden Gebäuden gesichert hatten. Vertreter zweier indianischer Völker hielten eine Willkommenszeremonie ab um dann das Wort zwei wichtigen Rednern zu geben: einem von der Revolutionären Volksfront aus der Gebirgsregion von Guerrero, der zu Fuß bis in die Hauptstadt gekommen war, um sich gemeinsam mit 1.500 armen Bauern mit dem EZLN zu treffen. Man hat aber diesen Bauern wenig Beachtung geschenkt, die die Freiheit ihrer Gefangenen und die Verurteilung der Schuldigen für das Verschwindenlassen forderten. Der Redner erinnerte an die Märsche von Guerrero in den Jahren 1992, 1994 und 1995 als Vorgänger, die aber offensichtlich nicht so erfolgreich waren wie der Marsch des EZLN. Es folgte der Gruß des III. Indigena-Kongresses und die Reden der Frauenvertreterinnen, einer Vertreterin der Mazahua, die über die Migration in die Städte sprach, und die Kommandantin Esther des EZLN. (Es gab Kritiken einer französischen Abgeordneten, die erstaunt war über einen Autobus-Marsch, der von der Verkehrspolizei begleitet wurde und wie ein Konvoi einer Fußballmannschaft aussah, die die Weltmeisterschaft gewonnen hat; die Abgeordnete berichtete auch über Texte, die von anderen geschrieben wurden und den weiblichen Kommandantinnen in den Mund gelegt wurde. Vielleicht war der Auftritt der Kommandantin auch eine Antwort auf diese Kritik.) Die Kommandantin Esther sprach über die dreifach Ausbeutung „als Frau, India und Arme“, um damit die Notwendigkeit der Rebellion aufzuzeigen und ihre Ablehnung der Angeboten von Präsident Fox an die Armen auszudrücken, der ihnen einen kleinen Laden, ein Auto und einen Fernseher geben wolle, damit sie glücklich werden. Es folgten die Interventionen von den Kommandanten Zebedeo, Tacho und David, die auf den „entschlossenen und friedlichen“ Charakter des Marsches hinwiesen, wie es der erstere nannte. Er forderte die Regierung auf, sich die „taubmachenden Ohrenstöpsel und Geschwüre“ aus den Ohren zu entfernen. Zweiterer wählte eine poetische Sprache und rief die Mutter Erde und den Vater Sonne an. In seiner indianische Kleidung, ohne Schuhe und seinen Sombrero mit Bänder sprach schließlich der Kommandant David über die 250 Militärstellungen in Chiapas, von denen die Regierung nur sieben geräumt hat. Schließlich hielt Marcos seine Rede, „mit der Regierung hinter uns“ in Anspielung auf den Regierungspalast und die ständigen Schikanen während des Marsches. Er erwähnte alle 53 indigenen Gruppen Mexikos in Form eines poetischen Satzes, rief dazu auf standhaft zu bleiben und stellte klar, dass das EZLN nicht gekommen sei, um zu sagen, was zu tun ist, noch um irgendeine Linie einzufordern. „Wir sollten eigentlich nicht hier sein“, erklärte er, sondern es sollte die aufständische Basis des EZLN sein. Ganz von oben, vom Dach des Nationalpalastes aus, beobachtete ihn ein Soldat.
Die anderen Gebäude, außer die Kathedrale und das Regierungsgebäude des Distrito Federal, wo Andrà©s Manuel Là³pez Obrador residiert, waren voller Menschen auf den Balkonen und Dächern. Auf allen Mauern und Pfeilern des Zà³calo wehten Grußtransparente. Anfangs stand hinter Marcos der Architekt Fernando Yañez, der sich dann auf die andere Seite des Podiums setzte.
Die Reden waren nicht politisch im traditionellen Sinn, so wie beim EZLN nichts traditionell ist, außer seine Bekleidung und einige seiner Kommandanten. Es war die Übertragung der Verantwortung für eine mächtige soziale Bewegung an die Zivilgesellschaft. Einen Tag davor erklärte Marcos in einem langen Fernsehinterview von einer Stunde, das von PROCESO veröffentlicht wurde, dass das EZLN und er nicht revolutionär seine, sonder rebellisch, denn sie arbeiteten von der sozialen Basis aus und wollten nicht die Macht ergreifen.
Vom Zà³calo ginge es zur Nationalen Schule für Anthropologie, wo die Sicherheit in den Händen der Zivilgesellschaft lag, namentlich des Zapatistischen Informationszentrums und Freiwilliger der Schule mit Unterstützung der Distriktverwaltung von Tlapán, dem südlichsten Teil des Distrito Federal, wo auch die Schule liegt. Wie es der Zufall will, ist an der Spitze der Distriktverwaltung ein Veteran der lateinamerikanischen Solidarität und Experte in Autonomieprozessen, worin er auch die Sandinisten beraten hatte, der gleichzeitig Ex-Direktor der Schule ist und als Kommandant Gilberto Là³pez y Rivas bekannt ist.
Die allgemeine Überraschung kam, als Marcos sagte, sie würden solange nicht gehen, bis die Abkommen von an Andrà©s nicht als Gesetz verabschiedet würden. Nach den ersten Treffen mit der COCOPA im Auditorium der Schule und den Zusammenkünften des Architekten Yáñez mit Vertreter des Parlaments, denunzierte Marcos die respektlose Haltung gegenüber dem EZLN. Der Vorschlag, mit einer Delegation von nur 20 Parlamentsvertretern zu verhandeln, würde dessen Bedeutung nicht gerecht werden. Er forderte dagegen vor dem Plenum des Parlaments sprechen zu dürfen, wie es auch Nicht-mexikanischen Präsidenten gewährt wurde und selbst einem Serienkiller wie Goyo Cárdenas, nachdem er seine Strafe in den 70er Jahren abgebüßt hatte.
Der Rest ist bäuerliche und städtische Folklore: die Rockkonzerte am Zà³calo, um zu sehen wer sich nackt auszieht, das Konzert am riesigen Sportplatz im Osten der Stadt, um Nahrungsmittel und Medikamente mitten im Tumult (desmadre; Umgangssprache, wörtlich: sich von der Mutter befreien oder auch das Überlaufen eines Flusses – so nennen es die „Chavos“, Jugendliche die zwischen modischer Coolheit und Lumpenproletariat liegen, wenn sich ihre Gleichgesinnten mit Drogen „zumachen“, trinken bis zum Umfallen und dann heldenhaft Polizei oder Zivilisten angreifen.) Daneben die Eingeladenen, die wie Könige behandelt wurden und direkten Zugang zur Kommandantur des EZLN erhielten: Saramago, Touraine, Madame Mitterand, Vázquez Montalban, der unbeachtete Bauernführer Josà© Bovà© und, als mexikanische Begleiter für die offene Konferenz und den III. Nationalen Indigenakongress, Pablo Gonzáles Casanova, ein ehemaliger Universitätsrektor und Soziologe, der über die mexikanische Demokratie arbeitet. Er versuchte in Nahuatl zu grüßen. Weiters der Schriftsteller Carlos Montemayor, der seinen Gruß in Maya hielt und schließlich Carlos Monsivais, der spanische sprach, jedoch ohne seine charakteristische und rentable Scherzhaftigkeit. Joaquàn Sabina kam nicht zum Konzert am Zà³calo und Miguel Rios wurde ausgepfiffen, als er versuchte die Ode an die Freude von Schiller zu singen.
Oxymoron
Oxymoron war die war die rethorische Figur, mit der Marcos ein Kommunique für das Weltsozialforum von Porto Alegre 2001 titulierte. Ein erklärender Text von Jorge Luis Borges sagt dazu: „In der Figur des Oxymoron wird ein Wort mit einem Beiwort versehen, das ihm scheinbar widerspricht; so sprachen die Gnostiker von einem düsteren Licht, die Alchemisten von einer schwarzen Sonne“. Marcos ist sicher Weltmeister im Oxymoron, sowohl in der von ihm häufig gebrauten Form zu Sprechen („hablar chueco“), wobei er die syntaktische Ordnung von Subjekt, Verb und Prädikat durchbricht, als auch in seiner Position gegenüber der Macht, der er die ständige Anrufung einer Zivilgesellschaft, die an der – nie überschrittenen – Schwelle zur politischen Gesellschaft steht, gegenüberstellt. Das ist das erstrangige Paradoxon: Wie ein Land verändern, wie Hoffnung der Welt sein, ohne mehr Macht aufzubauen als die der Mobilisierungen und Demonstrationen?
1. Dagegen organisiert die bestehende Macht einen „Plan Puebla-Panama“ der ganz Zentralamerika einschließlich, das halben mexikanischen Territoriums umfassend, um die Armut in neoliberaler Form zu bekämpfen. Die Arbeitsplätze, die die koordinierten transnationalen Unternehmer schaffen wollen, würden Land und Reichtümer rauben, den Zusammenhalt der Völker zersetzen und die amerikanische Kultur als anzustrebende Lebensart der Indios und des Volkes dieser ärmsten Region Mexikos verbreiten. Guerrero an der Pazifikküste soll über Megatourismus-Projekte ebenfalls in den Prozess der globalisierten Gebietseroberung einbezogen werden und in Veracruz an der Atlantikküste wird, unter der Regierung eines Aktionärs der Fernsehanstalt Televisa, gerade der traditionelle Zeremonienplatz von Tajàn geschleift, um die Lust der Touristen zu befriedigen. Fox hat bereits geurteilt: man soll sich nicht über den Plan auslassen, wenn man ihn nicht kennt. Was tun? Reichen die Proteste der Zivilgesellschaft, die sich nicht einmal durch diese konkrete Situation mobilisieren lässt, die zu weit weg vom poetischen Diskurs des Oxymoron liegt?
2. Die Indios waren nicht das einzige geschichtliche Subjekt, das man sich aufzubauen vornahm, als im Despertador Mexicano (Anm.: Zeitung des EZLN) im Dezember 1993 dem mexikanischen Staat der Krieg erklärt wurde. Damals drückte man eine allgemein revolutionäre Ablehnung, mitsamt einem neuen Gesetzesmodell und allem dazugehörigen, aus; einen Protest gegen den Freihandelsvertrag, wie es sich in einer Aufschrift auf einer Wand in San Cristà³bal de Las Casas, das vom EZLN besetzt war, ausdrückte. Ein Kampf für konkrete Positionen, die einem das Vorrücken ins Zentrum des Landes ermöglichen sollten. Die 500 Jahre europäischer Besetzung Amerikas 1492-1992 waren für das EZLN mit seiner mehrheitlich indianischen Basis bedeutend. Doch das war nur ein Anfang eines nationalen, revolutionären Volksprozesses. Und heute: nur die Indios? Reicht es aus, da sie die ärmsten sind?
3. Die Selbstbestimmung der Völker wird in einigen Länder Europas praktiziert, aber auch in Oaxaca wo ihre Machtstrukturen anerkannt sind und in Quintana Roo im Mayagebiet der Halbinsel, sowie in Veracruz, wo ihre Kultur und Sprache legal anerkannt sind. Was wird aus den Problemen der Territorialität und der Verfügungsgewalt, die diese impliziert?
4. Die Macht korrumpiert, sagt das gute Gewissen. Marcos hat sich über jene lustig gemacht, die die Macht wollen, aber keine aufbauen. Wo ist das politische Projekt des EZLN? Beschränkt sich alles auf eine amorphe Zivilgesellschaft, ihre hübschen Mobilisierungen und ihr Nachmachen des Oxymoron?
5. Die Anerkennung, die das EZLN von Seiten revolutionärer Organisationen, namentlich des Revolutionären Heers des Aufständischen Volkes (ERPI) und der Revolutionären Volksstreitkräfte (FARP) erreicht hat, den beiden wichtigsten klandestinen Organisationen, denen auch der Dank für ihre Unterstützung bei dem Sonderbesuch in Iguala am 7. März ausgesprochen wurde, steht im Widerspruch zur manchmal schändlichen Ablehnung des EZLN und im besonderen Marcos jeder politisch-militärischen Unterstützung und Solidarität. Öffnet sich das EZLN einer revolutionären Koordination? Impliziert die Feststellung rebellisch und nicht revolutionär zu sein die Überlassung der politisch-militärischen Notwendigkeiten an andere, um selbst als große soziale Bewegung bestehen zu bleiben?
6. Entwaffnet und ohne die Kriegserklärung an den Staat fallengelassen zu haben, wurde die Gruppe der 24 Kommandanten unter Applaus, mit offizieller Unterstützung und Anerkennung ihres Heroismus durch den Präsidenten und andere hohe Funktionäre empfangen. Alles um einen scheinbaren Frieden durchzusetzen, der für die Regierung im Unterzeichnen eines Protokolls zwischen zwei Führern besteht, Fox und Marcos. Marcos dagegen legt die Betonung auf die Anerkennung durch das Parlament, die legislative Gewalt. Was, wenn man die Übereinkunft unterzeichnet und das COCOPA-Gesetz der parlamentarischen Diskussion unterbreitet? Der möglichen Approbation würden Monate oder zumindest wochenlange Formalitäten vorausgehen. Wer würde das alles kontrollieren? Die Zivilgesellschaft, Experten, die internationalistische Solidarität?
7. Der III. Indigena-Kongress hat erneut die Unterschiedlichkeit der Probleme der 53 Indio-Gruppen gezeigt. Ist das COCOPA-Gesetz ausreichend, um diese Probleme zu lösen oder ist es nur ein Öffnen der Büchse der Pandora? Als 1994 die erste Konvention von Aguascalientes als Versuch des Aufbaus eines breiten sozialen Rückhalts organisiert wurde, war das einer der Diskussionspunkte – der ohne jeglichen wahlbedingten Druck debattiert werden sollte. Die PRD, mit der Autorisierung des EZLN, verhinderte aber jegliche Diskussion und leistete der Zerstörung der Arbeiter, Bauern, Indigena und Volkskoordination (COCIP) Vorschub. Das Kokketieren des EZLN mit der PRD war nutzlos, denn ihr historischer Kandidat Cuathà©moc Cárdenas verlor die Wahlen. Danach distanzierte man sich von der Breiten Aufbaufront für die Nationale Befreiungsbewegung (FAC-MLN), die nicht bedingungslos der zivilistischen Orientierung des EZLN folgte. Ist das alles eine Vergangenheit ohne Umkehrmöglichkeit?
Wir Vorzapatisten waren am Zà³calo und dachten an die im Kampf gefallenen Genossen, an 1974, als das Versteck in Monterrey aufflog und das Heer mit den Spezialeinsatzkräften der Polizei in Nepantla, Bundesstaat Mexiko nahe der Hauptstadt, fünf Genossen massakrierte, wo auch der Autor gefasst wurde, während in Ocosingo der Führer der Streitkräfte der Nationalen Befreiung (FALN) und seine Begleiter fielen. Doch wir überlebten als Nationale Befreiungskräfte (FLN) in harten Jahren der Klandestinität. Marcos hat das historische und soziale Verdienst mit der klösterlichen Disziplin gebrochen und die extremen Sicherheitsmaßregeln der Klandestinität überwunden zu haben. Er führte gemeinsam mit anderen die Cañadas von Chiapas zur Erhebung, doch er brach auch klar mit der politischen Grundlage, die über 25 Jahre aufgebaut wurde. Daher musste man angesichts der einseitigen Waffenpause der Regierung Salinas am 11. Januar 1994 zugeben, dass man keine Kader hatte, um einen Dialog und Verhandlungsprozess zu beginnen – die übliche Art (mit Sitz in Mexiko), um die Revolutionen Amerikas zu besiegen. Gibt es jetzt bereits die notwendigen Kader und ist der Architekt Yáñez eine Art Ehrenabgesandter einer vom EZLN nicht anerkannten Vergangenheit?
Natürlich, weder Führung noch Anweisungen, was zu tun sei, abgesehen von Beispielen. Doch das EZLN ist am Scheideweg und wir mit ihm: entweder ist das alles nur ein Beginn, wie Saramago und Vázquez Montalbán sagen würden, oder es ist der Abschied und Rückzug ins Warten auf wer weis was.
Gegenwart und Zukunft
Die Regierung der Partei der Nationalen Aktion (PAN), gespalten durch die unternehmerische Willkür ihres siegreichen Kandidaten, ergreift schwerwiegende neoliberalen Maßnahmen und es passiert nichts außer Protesten und dem ein oder anderen Vorschlag einer gespaltenen Linken. Nehmen wir einige Beispiele:
Bevor er noch seinen Posten antrat, reiste Fox durch Amerika und Europa und verpflichtete das Land in Freihandelsverträgen zum Ausverkauf dessen, was einst für die nationale Souveränität strategische Wirtschaftszweige waren und er leitet den Plan Puebla-Panama in die Wege.
Ein Vertrag über die energetischen Ressourcen zwischen den USA, Kanada und Mexiko garantiert die Ausbeutung der Energiereserven unter den Normen und Patenten des Imperialismus. Das mexikanische Erdöl ist bereits Teil der strategischen Reserve der USA. Im Führungsgremium der PEMEX (Mexikanische Erdölindustrie) sind drei mächtige Unternehmer, darunter Carlos Slim, mit einem Vermögen von 7,2 Mrd. USD, Eigentümer der mexikanischen Telefongesellschaft und anderer transnationaler Unternehmen.
Fox ernannte einen ehemaligen Führungsfunktionär der mächtigsten Unternehmervereinigung, der Arbeitgeberkonföderation der Mexikanischen Republik (COPARMEX) zum Arbeitsminister. In den ersten Dezembertagen 2000 erließ dieser eine Mitteilung an seine mittleren Funktionäre, wo er zu exzellenter Arbeit unter dem Schutz der Jungfrau von Guadalupe aufrief. Sein Nachfolger in der COPARMEX hat während eines Treffens in den Präsidialgebäuden in Los Pinos vorgeschlagen, die Sozialversicherung auszusetzen, sodass neu Versicherte ohne Zuwendungen wie Pensionen, Notkredite, Gesundheitsschutz und anderes blieben. Die Gewerkschaft des Mexikanischen Verbands der Sozialversicherten antwortete nicht.
Die Preise für Energie, vor allem für Haushaltsgas, stiegen an und fielen dann wieder ein wenig; alles um das Monopolen von fünf Unternehmen auf Kosten der Ärmsten zu schützen.
Expräsident Zedillo ist, neben seiner Funktion des Projektleiters eines UNO-Projekts für wirtschaftliche Entwicklung, von der wir schon wissen, was sie bringt, Mitglied des Verwaltungsrates der Union Pacific, einer mächtigen Eisenbahngesellschaft, die möglicherweise den Auftrag einer Verbindungsstrecke an der Engstelle zwischen Veracruz und Oaxaca erhalten könnte, wo ein „Trockenkanal“ für Warentransport unter imperialistischer Kontrolle entstehen soll – mit allen militärischen Kontrollen, die zu dessen Schutz notwendig wären.
Das Projekt für Kleinkredite, „für Kleinladen, Auto und Fernsehen“, dient zur Entfremdung von Familien und ihrer Kontrolle, um die informelle Wirtschaft zu reduzieren, die keine Steuern zahlt, und gleichzeitig das Bild eines Wohlfahrtsstaates abzugeben.
Die Kulturdenkmäler, Flüsse, Wälder, Strände und Seen sind in den Fängen des transnationalen Tourismus. Der Festival Tajàn 2000 hat die präshispanische Zeremonieanlage verwüstet. Die Nationale Gewerkschaft des Instituts für Anthropologie wird gegen Bauernorganisationen, Organisatoren und Teilnehmer des Frühjahrsenvents kämpfen müssen.
Die transgenen Pflanzen haben in Mexiko ein wunderbares Feld zur Reproduktion gefunden, da es den US-Normen für Bodennutzung, Dünger und Saatgut unterworfen ist. Die Bauern müssen ihren Mais den Schweinen verfüttern, um dann als Lohnabhängige in den transnationalen Nahrungsmittelunternehmen zu arbeiten.
Es ist unmöglich angesichts dieses Panoramas, dieser laufenden Aktionen, alles auf die Forderungen der Indios in Chiapas zu reduzieren. Es sind Vorgänge von solcher Sprengkraft, dass die amorphe Zivilgesellschaft sich ihnen nicht entgegenstellen wird können. Hebe de Bonafini, von den Müttern der Plaza de Mayo, rief am 14. März das EZLN auf, nicht die Waffen abzulegen (die jetzt sicher in La Realidad verborgen sind) und den Regierungen zu glauben. Wurde ihrem Aufruf Gehör geschenkt?
Das Beispiel des EZLN wird sicher von einer aufzubauenden linken Tendenz aufgenommen werden, die der neoliberalen und globalisierten Macht mit der Kraft des organisierten Volkes gegenübertritt, mit wirtschaftlichen Projekten, die nicht nur antikapitalistisch sondern sozialistisch sind und mit einem andauernden sozialen Kampf des Volkes, das seine Forderungen von einst und jetzt artikuliert. Die Forderungen nach der Freiheit aller politischen Gefangenen, dem Abzug des Heeres aus Guerrero, Los Loxicha in Oaxaca, Veracruz und auch Chiapas und der konkreten Diskussion der Probleme der Bauern erfordert langfristige Kämpfe, die in eine notwendige und dringliche internationalistische Perspektive eingebettet sein müssen, um die von den großen Konzernen dekretierte Auslöschung der Menschheit aufzuhalten und zu besiegen.
Die letzten Nachrichten, als dieser Text beendet wurde, sind, dass das Europäische Parlament bereit ist, Marcos zu empfangen, wie es von beiden Seiten bestätig wurde. Das Heer ist derzeit dabei sich aus seinem Stützpunkt in La Garrucha zurückzuziehen. Das COCOPA-Gesetz ist bereits seit den ersten Tagen der Regierung Fox dem Kongress vorgelegt worden, die meisten der politischen Gefangenen des EZLN sind freigelassen und selbst einer der Führer der Bauernorganisation der Südlichen Berge (OCSS), Benigno Gúzman, der der Mitgliedschaft im EPR angeklagt war, wurde freigelassen. Schachzüge „politischen Willens für den Frieden“ um die Möglichkeiten in einem Krieg zu verbessern, der immer mehr virtuelle geführt wird, abgesehen von den ungeklärten Massakern von Acteal und El Bosque in Chiapas sowie Aguas Blancas und El Charco in Guerrero, von den politischen Gefangenen wie Erica Zamora, die im Hochsicherheitsgefängnis von Puente Grande sitzt, aus dem der gefährliche Drogenhändler El Chapo Guzmán ohne Spuren zu hinterlassen entkam, während sie und andere in einem Männergefängnis vegetieren, ohne dass Menschenrechtsorganisationen zu ihnen Zugang hätten.
Ein Gespenst geht um in Mexiko und bedroht die Welt, das Gespenst von Eugene Dühring. Das Buch, das ihm Friedrich Engels im Auftrag der organisierten Kommunisten widmete, war nutzlos. Die Idee der Gewalt und der Politik im Allgemeinen als Basis der politischen Ökonomie wächst wieder. Er gute Wille einer Seite und der Wille einer Gruppe, deren Heroismus von der Klasse, die ihre Macht verewigen will, anerkannt wurde, kann als ethisches, moralisches und philanthropisches Beispiel für die Welt dienen. Bewegend! Das Ende der Ideologien ist erreicht. Die Globalisierung ist das einzige Ziel der Menschheit. Das Todesurteil über die Arbeiterinnen und Arbeiter der Welt, die Produzenten allen Reichtums, ist fatal und notwendig. Die Regierung Fox hat eine neue Verfassungsgebende Versammlung und eine neue politische Verfassung, wo all das legalisiert und durch die Medien legitimiert wird, innerhalb von drei Jahren versprochen, zur Hälfte ihrer Amtszeit. Dann könnten die indigenen Rechte und Kultur aufgenommen werden, damit alles beim Alten bleibe. Wir werden das nicht zulassen. Davon hängt unser Überleben als radikale Linke und als menschliche Wesen ab, die Gefahr laufen, ausgelöscht zu werden.