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Russland und die antiimperialistische Bewegung

30. April 2001

von Sergei A. Novikov

Die schrittweise Veränderung des russischen Regimes

Derzeit sind die vorherrschende Einstellung der russischen Massen antiamerikanisch und nationalistisch. Es gibt zwar winzige Jugendbewegungen, welche die NATO befürworten, die mit der sogenannten Allianz der Rechten Kräfte in Verbindung stehen, genauso wie ein paar Zirkel unter den Gelehrten und Wissenschaftlern, aber in der letzten Umfrage antworteten 70 oder 80% der Befragten, dass sie Russland für kein anderes Land verlassen würden. Das Verhältnis viele Bauern aus den ehemaligen Kolchosen und diejenigen, die in der nationalen Industrie beschäftigt sind, zu den USA kühlte ebenfalls spürbar ab, als sie ihre tödliche Konkurrenz zu spüren bekamen. Das genügt aber noch nicht für eine konsequente Ablehnung der Neuen Weltordnung. Beispielsweise gibt es keinen ernsthaften Protest gegen den Beitritt Russlands zur WTO.

Die Industriellen zählen ihre Gewinne und Verluste. Es gibt sicherlich ein gewisses wachsendes Gefühl der nationalen Identität, ein bisschen Antiamerikanismus, aber diese Gefühle sind sehr moderat. Derzeitige und potentielle Exporteure sind stark am WTO-Beitritt interessiert, während jene, die von dem russischen Markt und der GUS abhängig sind, sich dagegen aussprechen. Über die russische Bourgeoisie kann man sagen, dass sie offensichtlich gespalten ist, und zwar in jene, die von den Import-Geschäften profitieren, inklusive dem Großteil des Bankkapitals und jenen die von einem inneren russischen Markt profitieren. Während erstere einen stärkeren russischen Rubel im Verhältnis zum US-Dollar anstreben, um billiger im Ausland kaufen zu können und importierte Güter auf dem russischen Markt für einen guten Preis verkaufen zu können, was für die nationalen Produzenten das Ende bedeutet, streben letztere einen schwachen Rubel an, der ausländische Produkte teurer macht und ihnen daher ermöglichen mit ihren relativ billigen Produkten zu überleben. Unter den Regierungen von Gaidar und Tschernomyrdin waren die ersteren stark, und zwischen 1995 und 1998 hielten sie den Rubel so hoch wie möglich, auch wenn im Frühjahr 1998 klar war, dass diese Wechselkursrelation nichts mit der Realität zu tun hatte. Nach der Krise von 1998 änderte sich die Situation und die letzteren begannen nach und nach die Oberhand in dem Kräfteringen zu gewinnen.

Das Regime von Putin ist in gewissen Hinsicht ein Versuch der US-Hegemonie entgegenzutreten. Die Waffengeschäfte mit dem Iran und Indien, die Besuche Putins in Kuba, Nordkorea und Vietnam und einige andere neue Orientierungen der russischen Außenpolitik – all das ist ein Zug um den nationalistischen und antiamerikanischen Gefühlen und der Sowjetnostalgie zu entgegenzukommen. Kombiniert mit ein wenig ökonomischer Stabilität, die von hohen Ölpreisen herrührte, brachte ihm das im letzten März eine Popularität von 75% ein gegenüber 69% im letzten Jahr. Es handelte sich dabei um eine schrittweise Änderung des Regimes.

Der handfesteste Beweis hierfür ist die Repression gegen Gussinsky und Beresovsky. Beide sind absolut unehrlich und könnten durchaus ein Gerichtsverfahren angehängt bekommen. Beide aber gehören zum typischen Schlag Geschäftsleute, sie sind also keine Ausnahmen, so dass man mit Leichtigkeit Hunderte von denen vor Gericht bringen könnte, inklusive dem notorischen Anatoli Tschubais, der für die Privatisierung verantwortlich war, die darin geendet hat, dass ungefähr 60% der russischen Industrie für 3-4% ihres eigentlichen Wertes verschleudert wurden, und der jetzt die Verantwortung für RAO EES Rossia, die Elektrizitätsindustrie in Russland, inne hat. Warum gerade Gussinsky? Wegen seinen Zeitungen, Radiostationen und NTV, die offen proamerikanisch waren, und deswegen werden sie oft als die „fünfte Kolonne in Russland“ beschrieben. All diese Massenmedien sind sehr professionell. Sie lügen nicht auf einer einfachen und offenen Art und Weise, wie die meisten der Medien, die für die Regierung sind, das machen, sondern sie manipulieren Information, geben Raum für das gesamte politische Spektrum, inklusive Kommunisten, aber immer mit dem Ergebnis, das sie brauchen. Als Kopf des russischen Jüdischen Kongresses ist Gussinsky das ideale Ziel für solch einen Angriff. Letzten Sommer hofften viele Linke, dass der Unfall der Kursk und der Brand des TV-Zentrums in Ostankino eine politische Krise auslösen könnte, aber das stellte sich als unrichtig heraus, weil Putin einen sehr gekonnten Schachzug vollführte und die ganze Wut und Erniedrigung gegen Gussinsky für seine fortgesetzten Versuche, die russische Armee auf jede mögliche Art und Weise in den Dreck zu ziehen, lenkte.

KPRF folgt Putin

Auf die gleiche Art und Weise ist die KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) auf die nationalistische Linie eingeschwenkt. Dabei muss man im Auge behalten, dass die KPRF ihre Strategie gegen den „Verrat des Regimes an den national-patriotischen Zielen“ über die schrittweise Infiltration der Staatsmacht auf allen Ebenen bereits in den Jahren 1992-94, proklamierte. Sie pflegten zu sagen, dass die Revolution (eine Konterrevolution sei ein spezieller Fall einer Revolution) früher oder später „ihre Kinder fressen würde“ und sie dann an die Macht kämen. Putin könnte als ihr Erfolg gewertet werden, der Erfolg ihrer Strategie sich mit allen Spielarten der nationalen-patriotischen, staatstreuen und machthungrigen Kräften, bis hin zu der Russisch Orthodoxen Kirche zu verbinden. Aber da sind noch immer mehrere gehasste „Kinder“ der Konterrevolution in Putins Team, solche wie Anatoli Tschubais und German Gref. Daher ist die Strategie der KPRF jetzt, Putin von diesen gehassten proamerikanischen Liberalen zu isolieren und ihn näher an die national-patriotischen Kräfte zu bringen. Das war der Hintergrund ihres lächerlichen Versuches einen Misstrauensantrag gegen die Regierung Michail Kosianovs letzten März zu stellen. Ihre offizielle Erklärung dafür war, dass sie nicht gegen Putin seien, ihm aber helfen wollen, die antinationalen Elemente los zu werden. Sie sind noch nicht vollständig mit Putin assoziiert, sie unterstützen ihn nicht direkt, aber in der Basis sagen die lokalen Führer, dass sie und der Kreml (soll heißen Putin) beide gegen die jüdische Gefahr sind. Anfänglich war es offen von Michailov gesagt worden, ein lokaler Kopf der CPRF, der von Rutskoi (ehemaliger Vizepräsident Russlands unter Jelzin und 1993 einer jener, welcher die Anti-Jelzin-Revolte des Obersten Sowjets führte) den Posten des Gouverneurs der Kursk-Region geerbt hatte. Und übereinstimmend mit meinen eigenen Eindrücken, sah die KPRF in den Wahlen zur Staatsduma 1999 nicht in der Putin freundlichen Partei „Einheit“ sondern in „Vaterland – Ganz Russland“ mit Gusinsky dahinter ihren Hauptfeind.

Neoliberal und autoritär

Wie auch immer, dieses Regime ist ziemlich autoritär. Bezugnehmend auf den Entwurf des neuen Gesetzes über politische Parteien, der bereits von der Staatsduma letzten Februar nach dem ersten Durchgang angenommen worden war, wird sowohl die RPK (Revolutionäre Kommunistische Partei) wie auch die RKRP (Kommunistische Arbeiterpartei Russlands von Tiulkin) kaum eine wirkliche Chance haben, am offiziellen politischen Leben teilzuhaben. Aber es kommt noch schlimmer. Das Regime ist wirtschaftsliberal. Während das Jahr 2000 mit der Wiedereinführung der Musik der alten Sowjethymne als Nationalhymne und der Roten Flagge als Symbol der Russischen Armee, beendet wurde, plant das Regime Putins schrittweise die zweite bürgerlich-liberale Offensive vor, die wie folgt aussieht:

– ein Ende für die staatlichen Subventionen für Wohnungs- und öffentliche Ausgaben, was zu einer ernsten Wiederaufteilung von Wohnungen führen wird,
– ein Ende für das bisherige Pensionssystem zugunsten von Pensionsfonds; Anhebung des Pensionsalter auf 65 für Männer und Frauen.
– Abschaffung der progressiven Besteuerung (13% Einkommenssteuer für alle)
– Sie sind für eine bürgerliche Reform der Armee
– Sie schaffen freie Bildung ab, propagieren Privatbesitz an Land usw.

Mittels der Klänge der ehemaligen Sowjethymne und der roten Flagge wurde die nationale Idee durch das Putin-Regime gestohlen und missbraucht, das offen vom FSB und dem Militär unterstützt wird, das nun aktiv in die staatlichen Machtstrukturen eindringt. Ja, proamerikanische Liberale sind wütend. Sie sind besorgt um ihre Redefreiheit und von ihrem Standpunkt aus betrachtet, haben sie absolut recht. Das Recht ihrer Rede ist drastisch beschränkt worden. Aber sie haben verloren. Die liberal-bürgerliche Sache wurde ihnen von ehemaligen Kindern des KGB gestohlen, ebenso wie die Sache der bürgerlichen Transformation von alten Dissidenten der Partei und staatlichen Bürokarten gestohlen wurde. Die Idee des Liberalismus hat sich schließlich mit jener der starken Macht und des autoritären Regierungsstils verbunden, die klug den militantesten Liberalismus und Ausbeutung mit nationaler und sogar antiamerikanischer Rhetorik für eine multipolare Welt, Gleichheit in internationalen Beziehungen usw. kombiniert, das aber nichts anderes ist als die Wiederspiegelung ihres Interessen an einer vermeintlichen „gerechten Konkurrenz“.

Kommunistischer Wiederaufbau: Selbstgenügsamkeit oder Internationalismus

Wirklich radikale kommunistische Opposition tendiert derzeit noch zur Sowjetnostalgie, aber nicht zu einem Block oder irgendeiner anderen Allianz mit der nationalen russischen Bourgeoisie. Deshalb haben im Grunde Roskomsoyuz (Bündnis verschiedenen kommunistischer Parteien) dieser Versuchung widerstanden. Während die KPRF und ihre Verbündeten zufrieden mit der roten Fahne und der Sowjethymne sind, wurden diese Symbole von der RPK und dem Rest der Roskomsoyuz-Parteien zurückgewiesen, da sie nur ein Deckmantel für die neue bürgerliche Offensive sind. Das jetzige Problem ist, unser antikapitalistisches Konzept der Nation von dem der Bourgeoisie und anderer reaktionärer Elemente abzugrenzen.
Die traditionelle Orientierung auf das eigene Land und die Autarkie, während Jahrhunderten entstanden und auch in den letzten Jahrzehnten gepflegt, tritt nun wieder auf, in Form von mangelndem Vertrauen auf den weltweiten revolutionären Prozess was, als Konsequenz dessen, zu der Schlussfolgerung führt, mit der „nationalen Bourgeoisie“ eine Allianz einzugehen. Dagegen muss die Idee der Kombination der antiwestlichen Stimmung mit der Allianz der weltweiten revolutionären Bewegung und den Kommunisten als ihr konsequentester Teil zu propagieren.

Über Antiimperialismus in Russland

Die Idee eines antiimperialistischen Zentrums oder Komitees in Russland besteht darin, die antiwestliche und antiimperialistische Stimmung der Massen mit der internationalen antiimperialistischen und kommunistischen Bewegung zu vereinen und revolutionäre Aktivisten für starke antiimperialistische Aktionen zu mobilisieren, die den Zweck haben, die Massen von der KPRF weg zu bekommen, die in einem Block mit der nationalen Bourgeoisie ist und die revolutionäre Perspektive sowohl in Russland als auch in der Welt ablehnt. Die KPRF muss als das gekennzeichnet was sie ist: einer reformistischen Partei. Weiters ist der Kampf gegen die imperialistischen Interventionen in den Irak, Jugoslawien usw. entscheidend, weil er den revolutionären und internationalistischen Elementen die Gelegenheit für eine spätere revolutionäre Machtübernahme bietet. Die Alternative zur moderaten nationalen Front, nämlich die revolutionäre antiimperialistische Allianz muss klar herausgestellt werden. Und natürlich ist es notwendig zu zeigen, dass nach dem Zusammenbruch des Sozialismus und dem Ende der UdSSR die revolutionäre Bewegung nicht geendet hat. Sie geht weiter in Lateinamerika, auf den Philippinen, in der Türkei usw. und die internationale revolutionäre Konsolidierung ist die einzige Möglichkeit für diese Bewegung, weiter zu existieren. Und es ist wichtig zu betonen, wenn es um unsere Positionen zum Irak, Jugoslawien, Kuba, Kolumbien usw. geht, dass wir einerseits die Kategorie der Klassen nicht vergessen haben (zum Beispiel ist auch der Reaktionär Schirinovski auf Seiten des Irak), wir auf der anderen Seite bereit sind jeden Kampf gegen den Imperialismus zu unterstützen, auch wenn er nicht klar kommunistisch ist. Es nicht weniger wichtig unsere Position gegen zu Tschetschenien darzulegen, namentlich das Recht auf Selbstbestimmung in Russland zu verteidigen, aber uns gleichzeitig von jenen abzugrenzen, die noch immer die bewaffneten Tschetschenen für eine nationale Befreiungsbewegung halten.

Moskau, 3. April 2001

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