von Nadja Berger
Seit der Ermordung Laurent Dà©sirà© Kabilas am 16. Jänner ist die Demokratische Republik Kongo zwar aus den Schlagzeilen der westlichen Medien wieder weitgehend verschwunden, doch das nimmt der Frage ob Krieg oder Frieden im Kongo keineswegs etwas von ihrer Bedeutung. Der Krieg, der nun schon Jahre andauert, trägt nicht umsonst den klingenden Namen „erster afrikanischer Weltkrieg“. Damit wird einerseits auf die Involvierung mehrerer afrikanischer Staaten angespielt, andererseits aber auch auf die Tatsache, dass hinter diesem afrikanischen Konflikt weltpolitische Interessen an einem an Bodenschätzen ungewöhnlich reichen und geostrategisch nicht unbedeutenden Land stecken. Die Machtverstrickungen in diesem blutigen Krieg zu beleuchten sowie sie in Beziehung zu Afrika und seinem Kampf gegen die imperialistische Verwüstung zu setzen ist Ziel diese Artikels.
Der erste afrikanische Weltkrieg und seine Vorgeschichte
Gehen wir zurück in das Jahr 1960, als die belgische Kolonie Kongo die Unabhängigkeit erlangte. An der Spitze des jungen Staates stand Kasawubu, doch der eigentlich politische Führer war Patrice Lumumba. Ähnlich der kubanischen Führungsriege bezeichnete sich auch Lumumba zunächst keineswegs als Kommunist, doch erstrebte er – sehr zum Leidwesen des Westens – nicht nur die formale sondern auch die tatsächliche Unabhängigkeit für sein Land. Das trieb ihn zwangsläufig in einen Konflikt mit dem Westen, der nicht im geringsten daran dachte die ökonomische Ausbeutung der überaus ergiebigen Bodenschätze des Kongo (vor allem Kupfer, Kobalt und Diamanten) einzustellen, und brachte ihn dazu sich für die Unterstützung der UdSSR zu interessieren. Damit war offensichtlich sein Todesurteil gefällt und so wurde Lumumba am 17. Jänner 1961 auf Geheiß Mobutus und des CIA ermordet.
Die Macht übernahm Joseph-Dà©sirà© Mobutu, unter Lumumba Chef des Generalstabs, der das Land bis 1997 ganz im Sinne seiner westlichen Herren regierte.
Mobutu – vom Liebling des Westens zum Waisenkind
Wenn es Mobutu auch gelingen sollte seine selbstherrliche Diktatur über dreißig Jahre lang aufrechtzuerhalten, so kann diese scheinbare Zentralmacht dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eines der konstantesten Probleme des Kongo (zwischen 1971 und 1997 Zaire) der Erhalt seiner territorialen Integrität war. Schon vor der Unabhängigkeit schafften sich die verschiedenen politischen Tendenzen in territorialen Separationsbewegungen Ausdruck. Die stärksten Sezessionsbestrebungen kamen dabei aus den reichen Bergbauprovinzen, etwa der Diamantenprovinz Kasai oder der Kupferprovinz Katanga. Solange jedoch Mobutu der beste Garant für einen pro-westlichen Kongo war, unterstützten ihn seine westlichen Geldgeber bei der Niederschlagung der separatistischen Aufstandsbewegungen.
Anfang der 90er-Jahre wendete sich das Blatt. Nachdem der Krieg in Angola an Schärfe wesentlich eingebüßt hatte, verlor die vormals strategische Funktion Zaires als Transitland für Waffenlieferungen an die pro-westliche UNITA an Bedeutung. Das Interesse des Westens an Mobutu ließ zusehends nach, zumal dieser aufgrund seines blutigen Regimes und seiner stolz zur Schau getragenen persönlichen Bereicherung alles andere als ein Vorzeigeverbündeter war. Ganz plötzlich schrie der Westen nach Demokratie im Zaire und zeigte auch Verständnis für die Separationstendenzen.
Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich auch jener Mann, der dem Regime Mobutus schließlich ein Ende setzen sollte, zunächst territorial über eine „befreite Zone“ im Osten des Kongo definierte.
Die Rolle Ruandas und Ugandas
Nachdem der Westen nun sein Interesse am Mobutu-Regime weitgehend verloren hatte, setzte er auf neue Verbündete im zentralafrikanischen Raum, in erster Linie auf Ruanda und Uganda. Den blutigen Konflikt, der in Ruanda zwischen 1990 und 1994 über eine Million Todesopfer fordern sollte, als einen Stellvertreterkrieg zwischen den um seine traditionelle Einflusssphäre kämpfenden französischen Imperialismus und dem auf seinem Siegeszug um die Welt nun auch dieses Gebiet beanspruchenden US-Imperialismus zu bezeichnen mag zwar verkürzt sein, doch gehört dieser Aspekt sicher zu den wichtigsten Erklärungssträngen dieses Krieges. Für den Kongo hat er insofern Bedeutung, als sowohl Ruanda als auch Uganda und Burundi die nach der Machübernahme durch das US-hörige Tutsi-Regime von Paul Kagame in die Grenzgebiete des Zaires geflüchteten Hutus zum Vorwand nahmen um ihre eigenen Truppen in diese Gebiete zu entsenden. „Gewährleistung der eigenen Sicherheit“ war die offizielle Diktion, Vordringen in vom geschwächten Mobutu-Regime in Kinshasa nicht mehr vollständig kontrollierbares Gebiet zum Zwecke der Ausdehnung der eigenen Macht und der Ausplünderung der kongolesischen Bodenschätze das wahre Motiv. Dass dabei die Hutu-Flüchtlingslager auf kongolesischem Gebiet, potentiell Ausgangspunkte bewaffneter Aufstände gegen die Tutsis, dem Erdboden gleichgemacht werden sollten, tat der Sache keinen Abbruch.
Kabila im Dienste der neuen US-Verbündeten
Angesichts der Tatsache, dass im Kongo sezessionistische Bewegungen eine lange Tradition haben und sich für die jeweiligen taktischen Schwenks des Imperialismus hervorragend eignen, setzte der Westen in Form seiner neuen zentralafrikanischen Statthalter auch diesmal auf die territoriale Karte. Um der Auflösung der Hutu-Flüchtlingslager den Charakter eines internen Konflikts zu geben wurde im Oktober 1996 als Zusammenschluss mehrer oppositioneller Organisationen die „Alliance des Forces Dà©mocratiques pour la Libà©ration du Congo“ (AFDL) unter Laurent-Dà©sirà© Kabila ins Leben gerufen.
Dass die Gründung der AFDL sowie ihr militärisches Erstarken nur durch ihre Funktionalität für die ugandisch-ruandisch-burundischen Interessen zu erklären ist, steht genauso wenig außer Zweifel wie die Tatsache, dass Kabila auf seinem Marsch auf Kinshasa die von ihm erwarteten Gräueltaten an den Hutu-Flüchtlingen auch tatsächlich ausführte. Doch auch ohne die Duldung der USA wäre Kabilas schlussendliche Machtergreifung in Kinshasa niemals möglich gewesen. Wie sonst ist die Politik der USA, den Einsatz einer UNO-Schutztruppe für die Flüchtlinge im Ostzaire so lange zu verzögern, bis es für die Flüchtlinge zu spät war, aber Kabila bereits Kisangani erobert und von dort seine Machtergreifung verkündet hatte, zu interpretieren? Für diese These spricht auch, dass Kabila bei seinem Vorstoß gegen Westen lukrative Bergbaukonzessionen an US-Firmen (z.B. an American Mineral Fields International) vergab.
Aus Verbündeten werden Gegner
Aus dem Kämpfer gegen den Diktator Mobutu wurde in der Diktion des Westens bald ein unberechenbarer, antidemokratischer und autokratischer Despot Kabila, der dementsprechend die Sympathien des Imperialismus schnell wieder verlor. Was war geschehen? Bald nach seiner Machtübernahme hatte sich Kabila von seinen Verbündeten Ruanda, Uganda und Burundi wieder losgesagt, da diese keine Anstalten machten ihre Truppen aus kongolesischem Gebiet abzuziehen und überdies mit ihrem Appetit auf die Reichtümer des Kongo nicht hinter dem Berg hielten. Ein neuerlicher Krieg gegen die einstigen Verbündeten war unausweichlich. Unterstützung wurde Kabila nun von Seiten Angolas und Zimbabwes zuteil. Dass diese beiden Länder ebenfalls ihren Anteil am Kuchen wollten, ist naheliegend, ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass durch die Involvierung dieser tendenziell anti-westlichen Staaten der Konflikt von einem territorialen unmittelbar zu einem Krieg von mehr als kontinentaler Bedeutung wurde.
Die Annäherung an die traditionellen afrikanischen Gegner des US-Imperialismus einerseits, seine wirtschaftlichen Maßnahmen, die nur das Missfallen des Westens erregen konnten andererseits, machten Kabila schnell zum enfant terrible. Das Zirkulationsverbot für Westdevisen, die Rücknahme der Schürfrechte und allerlei andere protektionistische Maßnahmen konnten den amerikanischen und europäischen Profitgeiern nicht gefallen, die neben den Diamanten nun auch Interesse an einem anderen ebenso seltenen wie wertvollen Erz, Niobit bzw. Tantalit (Coltan), gefunden hatten.
Ein äußerst mysteriöser Tod
Allerlei Legenden ranken sich um die Ermordung Kabilas am 16. Januar. Was auch immer die Wahrheit sein mag, fest steht, dass sein Tod dem Westen sehr gelegen kam. Sein Sohn und Nachfolger Joseph Kabila trat schon wenige Tage nach der Machtübernahme seine erste Auslandsreise an, die ihn pflichtgemäß zunächst nach Washington und dann nach Paris und Brüssel führte. Seine ersten Reden fanden ihren Beifall in den westlichen Medien, es nimmt kaum Wunder, versprach er darin doch die Öffnung des Landes Richtung Westen, die Rücknahme der protektionistischen Wirtschaftsmaßnahmen und eine generelle Liberalisierung. Im Gegenzug pfiff der Imperialismus sofort seine Verbündeten zurück und erhöhte den Druck auf sie die territoriale Integrität des Kongo zu respektieren, will heißen ihre Truppen abzuziehen.
Ein Ende des ersten afrikanischen Weltkrieges steht nun tatsächlich in Aussicht. Was liegt näher als der Schluss, dass der US-Imperialismus glaubt in Joseph Kabila wieder einen hörigen Statthalter gefunden zu haben.
Kabila – Lumumbist und letzter afrikanischer Revolutionär?
Die Frage nach dem politischen Charakter des Kabila-Regimes ist komplex. Seine Machtergreifung auf dem Rücken westlicher Vasallen und durch skrupellose Gräueltaten an den Hutu-Flüchtlingen steht im Gegensatz zu der in letzter Konsequenz anti-westlichen Politik während seiner Regierungszeit, seine unklare Vergangenheit an der Spitze seiner Guerilla-Bewegung und in seiner „befreiten Zone“ – maßlose persönliche Bereicherung durch Teilnahme am Diamantenschmuggel wird ebenso kolportiert wie eine jahrzehntelange Existenz durch Absprachen und (schmutzige) Vereinbarungen mit dem Gegner Mobutu – widerspricht seiner politischen Tradition, die tatsächlich auf Patrice Lumumba zurückgeht.
Afrika im Zeitalter des globalisierten Imperialismus
Die Tragweite dieser Frage lässt sich nur durch ihre Einbindung in den gesamtafrikanischen Kontext verstehen. Afrika, das ist auch ohne wissenschaftliche Studien für jede/n erkennbar, ist der offenkundigste Beweis für die zerstörerische Tätigkeit des Imperialismus und die verheerenden Auswirkungen seiner Politik. Auf keinem anderen Kontinent ist klarer ersichtlich, dass der neoliberale Imperialismus nichts anderes bringt als Hunger, Elend, Massenverseuchungen durch Aids (das im Westen bereits abnimmt und schon weitgehend kontrollierbar ist) oder andere längst heilbare Infektionskrankheiten, nicht enden wollende Kriege und sich beständig ausdehnende Gebiete, deren wirtschaftliche Rückentwicklung jedem Entwicklungsanspruch Hohn spricht. Unglaublichen Sarkasmus drückt demgegenüber das Motto der internationalen Globalisierungsinstitutionen (Weltbank, IWF etc.) aus, die sich angeblich „a world free of poverty“ zum Ziel setzten, wo es doch kaum offensichtlicher sein kann, dass gerade sie die Armut schaffen.
Während in den 60er- und 70er-Jahren zahlreiche afrikanische Staaten im Zuge der nationalen Befreiungsbewegungen sozialistische oder doch zumindest anti-westliche Regime einsetzten, die mancherorts (z.B. Algerien) auch ganz ansehnliche Entwicklungserfolge zu verbuchen hatten, so ist heute, vierzig Jahre später, aufgrund des Zerfalls der UdSSR und dank des massiven politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Drucks des Imperialismus davon nichts mehr übrig geblieben. Die Entwicklungshoffnungen der jungen afrikanischen Staaten sind zerfallen wie Sandburgen, was übrig blieb ist Wüste – in wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht; Wüste, in der ein Menschenleben so gut wie nichts wert ist, in der es kaum noch Produktion für den Weltmarkt gibt, in der sich politische oder gesellschaftliche Strömungen nur schwer unterscheiden lassen, ja selbst die gesellschaftliche Organisation kaum noch klare Strukturen, geschweige denn Klassen erkennen lässt. Eine Wüste, die im Grunde so wenig Wert für den Westen hat, dass er sich nicht einmal bemüht seinen Kulturimperialismus dort aktiv und systematisch durchzusetzen. Folglich bildet sich eine Gesellschaft heraus, in der sich Aspekte dieser amerikanischen Konsumkultur auf verworrene Weise mit den abrupt in Frage gestellten, ihrer sozialen und wirtschaftlichen Wurzeln beraubten kulturellen Traditionen vermischen. Das Ergebnis kann kaum etwas anderes sein als eine bis ins Extrem übersteigerte Brutalität als wichtigstes Merkmal einer Gesellschaft, in der praktisch nur noch das Recht des Stärkeren zählt.
Kein Wunder also, dass auch politische und/oder gesellschaftliche Bewegungen diese Verheerung ausdrücken.
Die Widersprüche in der politischen Tätigkeit und Entwicklung Kabilas sind in diesem afrikanischen Kontext zu betrachten. Sie lassen zwar kaum Schlüsse zu, die mit den traditionellen Kategorien der kommunistischen Bewegung zu erfassen wären. Es scheint allerdings eine Tatsache zu sein, dass mit dem Tod Laurent-Dà©sirà© Kabilas ein weiteres Regime, das nolens volens im Widerspruch zum westlichen Imperialismus stand, zusehends „normalisiert“ werden wird.
Unter den heutigen Bedingungen Perspektiven für die kongolesischen und afrikanischen Völker aufstellen zu wollen ist mehr als schwierig. US-hörige Regimes im Stile von Kabila II werden die lebensbedrohende Krise Afrikas zweifellos nicht lösen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die vollkommen verarmten afrikanischen Massen ihrer Todesverzweiflung früher oder später nicht nur in innerafrikanischen Metzeleien Luft machen, sondern auch gegen die imperialistische Festung selbst losschlagen werden. In welcher Form, das ist nicht abzusehen, zweifellos wird diese Attacke jedoch keinen traditionellen, politisch klaren oder gar kommunistischen Linien folgen. Für Kommunisten wird es dennoch keine Frage sein, auf welcher Seite sie zu stehen haben.
Nadja Berger, Wien