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Interview mit dem Politbüromitglied der PFLP Jamil Majdalawi

14. Mai 2001

aus Gaza

Was halten Sie von dem Friedensprozeß?

Wir können nicht sagen, daß es im Nahen Osten überhaupt einen Friedensprozeß gibt. Es handelt sich vielmehr um ein amerikanisch-israelisches Projekt, daß auf die Liquidierung der palästinensischen Frage zielt. Israel lehnt bis heute ab, irgendwelche palästinensischen Rechte anzuerkennen. Vor allem das Selbstbestimmungsrecht, einen palästinensischen Staat und das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge. Israel lehnt nach wie vor jede echte palästinensische Autonomie und die palästinensischen Rechte in Jerusalem ab. Statt dessen breitet es sich durch neue Siedlungen weiter aus. Solange diese Rechte des palästinensischen Volkes nicht anerkannt werden, können wir nicht von einem Frieden reden.

Wie stark ist die palästinensische Linke heute?

Historisch ist die palästinensische Linke eine wesentliche Kraft. Es gibt verschiedene Strömungen. Einmal die klassische Linke (KP), dann die kämpfende Linke (PFLP und DFLP). Die letzteren waren immer eine wesentliche Kraft, mal stärker, mal schwächer.
Aktuell ist die kämpfende Linke die drittstärkste Kraft hinter Fatah und den Islamisten.
Die palästinensische Linke wurde durch den Zusammenbruch der Sowjetunion sehr negativ beeinflußt. Wir in der PFLP sind dabei eine Revision der Vergangenheit durchzuführen, die Fehler festzustellen und sie zu überwinden. Wir wollen dabei aber unsere linken Prinzipien nicht verlieren. Wir befinden uns auf dem Weg, die Linke auf der Straße effektiver zu machen. Besonders nach dem Scheitern der Politik der palästinensischen Bourgeoisie ist es erforderlich, ein soziales und politisches Programm zu entwerfen und durchzuführen, um eine demokratische Alternative für das palästinensische Volk herzustellen.

Welche Fehler gab es in der Vergangenheit?

Einer der Fehler war, daß wir den Konflikt nicht auf allen Ebenen gegen den Imperialismus und Zionismus in der Region geführt haben. Wir dachten, nur eine Form des Kampfes könnte den Konflikt lösen. Wir haben nicht die historische Differenz zwischen dem zionistischen Projekt in der Region und dem palästinensischen Befreiungsprojekt berücksichtigt. Jetzt sehen wir den Konflikt umfassender. Nicht allein auf der Ebene des Kampfes, sondern auch auf seiner wirtschaftlichen, sozialen und historischen Ebene. Der bewaffnete Kampf ist für uns nicht mehr der einzige Weg zur Befreiung, sondern es gibt noch andere Kampfformen: politisch, sozial, kulturell und wirtschaftlich. Ein Fehler war auch, daß wir die Besonderheiten der verschiedenen Communities nicht berücksichtigt haben. Also die unterschiedlichen Bedingungen in den verschiedenen Staaten, in denen PalästinenserInnen leben. Dazu haben wir nicht soviel Wert auf den sozial-demokratischen Kampf gelegt. Für uns bedeutet heute die nationale Befreiung gleichzeitig auch soziale Befreiung. In Bezug auf Internationalismus sagen wir heute: Wir betrachten noch immer die Linie des Internationalismus als wichtige strategische Linie. Wenn wir im Zusammenhang des Internationalismus Fehler begangen haben, dann, daß wir die SU nicht in manchen ihrer Praktiken kritisiert haben. Heute glauben wir, daß die strategische Allianz mit Verbündeten und Freunden bedeutet, auch Kritik zu üben. Die Kritik ist sehr wichtig, damit die Beziehung auf dem richtigen Weg bleibt.

Dies ist ein sehr komplexes Thema. Das Scheitern der PLO Ende der 80-er Jahre hat den Islamisten Aufwind gebracht. Hinzu kam der Zerfall der Sowjetunion, die Krise der linken Ideologie, das Scheitern des Versuchs der palästinensischen Linke (inklusive der PFLP), eine Alternative zu repräsentieren.

Die islamistischen Organisationen gibt es schon lange. In ihrer Entwicklung können zwei Phasen unterschieden werden: Die Phase vor der 1.Intifada und die Phase nach dieser Intifada.
Vorher sahen sie ihren Hauptwiderspruch in ihrem Verhältnis zur Linken. Es gab damals viele blutige Zusammenstöße. Die Islamisten hatten die Vorstellung: Erst die Linken schlagen und dann gegen die israelischen Besatzer kämpfen. Sie wurden damals von Israel geduldet und konnten sich eine Infrastruktur in der palästinensischen Gesellschaft aufbauen. Zur gleichen Zeit wurden die linken Organisationen durch Israel unerbittlich bekämpft.
Als die Intifada begann, war die Linke schon verblutet. Die Islamisten aber waren obenauf. Sie standen vor der Wahl: Die alte Politik beibehalten oder zusammen mit der Intifada kämpfen. Sie haben sich für letzteres entschieden, und alles andere hätte auch ihre Isolierung innerhalb der Bevölkerung bedeutet. so haben die Islamisten eine dynamische Dimension bekommen und wurden zum Problem für Israel. Diese Entwicklung bedeutete auch für die Linken eine veränderte Realität.
Wichtig ist: Der Hauptwiderspruch für die Linke bildet immer die Besatzung. Das ist so, weil die Besatzung auf die Liquidation des palästinensischen Volkes zielt. Deshalb gibt es eine Zusammenarbeit der Linken mit den Islamisten im Kampf gegen die Besatzung. Dabei geht es darum, das Überleben (in einem ganz existentiellen Sinne) zu sichern.
Daneben gibt es dauerhafte Widersprüche der Linken zu den Islamisten: Ideologische Widersprüche, die sozialen Vorstellungen betreffende Widersprüche; Widersprüche in der Frauenfrage, der Frage der Familie, der Erziehung, der Demokratie und der persönlichen Freiheiten usw..

Kam die palästinensische Linke aus der 1.Intifada geschwächt hervor? Wenn ja, warum?

Die gesammelte palästinensische Befreiungsbewegung und die gesammelten palästinensischen Organisationen kamen aus der 1.Intifada geschwächt hervor. Diese Intifada an sich war nicht schwach, aber die politische Krönung der Intifada durch die Osloer Verhandlungen waren eine Fehlinvestition, die zu einer Schwächung aller Kräfte führte, welche die Intifada getragen haben.

Wie lief die Zusammenarbeit zwischen den linken Kräften in den Volkskomitees mit den religiösen Kräften?

Die islamistischen Kräfte waren an der damaligen vereinigten nationalen Führung nicht beteiligt. In dieser Führung waren FATAH, PFLP, DFLP und die Volkspartei vertreten. Die Islamisten waren nicht politisch und organisatorisch in den Volkskomitees aktiv. Sie haben nur teilweise und auf der Ebene von Privatpersonen in manchen Komitees mancher Stadtteile mitgewirkt.

Was sind die Lektionen aus dieser Erfahrung?

Die Islamisten wollten damals an der vereinigten nationalen Führung nicht teilnehmen. Es wäre besser für alle Kräfte gewesen, wenn die Islamisten sich daran beteiligt hätten. Dadurch hätte man viele Fehler vermeiden können, die den Kampf gegen die Besatzung geschwächt haben.
Die Islamisten haben ihre Aktivitäten parallel zu den anderen Kräften und nicht gemeinsam durchgeführt. Dadurch kam es zu verschiedenen Protestaktionen, die sich von einander abgeschnitten haben. Auch in den gemeinsamen Demonstrationen kam es zu Streitigkeiten, weil die Islamisten andere zuständige Führungspersonen hatten als der Rest der DemonstrantInnen. Bei allen Demonstrationen und anderen Aktivitäten ist es aber notwendig, daß alle eine geschlossene Einheit während der Aktion bilden, damit die Aktionen von den Israelis nicht so leicht niedergeschlagen werden können. Dies ist eine wichtige Lektion der ersten Intifada.

Wie hat sich die PFLP im 2.Golfkrieg verhalten?

Der 2.Golfkrieg hatte zwei Phasen: Die erste Phase war vor der Ankunft der US-Truppen am Golf. Während dieser Phase, die sehr kurz war, war die PFLP gegen den Einmarsch der irakischen Truppen in Kuwait. Ihre Haltung war: Die Arabische Einheit darf nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Die irakische Armee soll Kuwait verlassen. Es sollte eine arabische Lösung der Krise gefunden werden. Mit dieser Haltung besuchte Georges Habash die meisten arabischen Staaten und versuchte eine Arabische Initiative zur Lösung der Krise zu Stande zu bringen. Im Mittelpunkt dieser arabischen Lösung standen damals zwei Prinzipien: Abzug der irakischen Armee aus Kuwait und die Bewahrung des Selbstbestimmungsrechtes des kuwaitischen Volkes.
Die zweite Phase: Sie begann mit der Ankunft der US-Truppen und anderer westlicher Truppen in der Golfregion. Hier gab es für die PFLP eine einzige Priorität, nämlich der Kampf gegen die imperialistischen Truppen, die keine Lösung sondern die Befestigung der imperialistischen Herrschaft in der Region anstrebten.

Diese Truppen bedrohten in erster Linie das irakische Volk und deshalb war und ist die Haltung der PFLP auf Seiten des Iraks gegen die imperialistische Bedrohung für die gesamte Region.

Stimmt es, daß sich die PFLP aus opportunistischen Gründen lange Zeit an Bagdad angehängt hat?

Die Beziehung der PFLP zu jedem arabischen Land basiert auf dem Glauben, daß die palästinensische und die arabischen Dimensionen und Interessen einander ergänzen.
Im ersten Golfkrieg zwischen Irak und Iran war die PFLP gegen den Irak. Dies führte dazu, daß der Irak damals als Reaktion die Büros der PFLP im Irak geschlossen hat und die PFLP-Mitglieder ausgewiesen hat.
1980 bis 1989 gab es keine Kontakte zwischen der PFLP und dem Irak. Die Präsenz der PFLP im Irak war geheim.
Aus der Beziehung zum Irak in den 90-er Jahren hat die PFLP keinen Nutzen gezogen. Der Irak ist nicht in der Lage andere Kräfte zu unterstützen. Er braucht selber die Unterstützung gegen die imperialistischen Mächte.

Was hatte die Linke der Oslo-Dynamik entgegenzusetzen?

Die Linke hat alles getan, was sie tun konnte auf allen Ebenen.

Auf der Ebene des bewaffneten Kampfes hat die Linke am Kampf in Palästina und im Südlibanon teilgenommen.

Auf der Ebene des Volkes hat die Linke vor allem sehr gute Aufklärungsarbeit geleistet in Bezug auf die Gefahren, die durch das Osloer Abkommen und die anderen Abkommen entstehen. Die Linke hat sehr viel getan, damit das Volk seine Rechte und Interessen wahrnehmen konnte, und damit es nicht von den Versprechen der palästinensischen Bourgeoisie, der Israelis und der US-Amerikaner in die Irre geführt wird.

Auf panarabischer Ebene war die PFLP z.B. sehr aktiv, um die arabischen Massen in den verschiedenen Ländern, und die verschiedenen arabischen unabhängigen Parteien, Gewerkschaften und Volksinitiativen, von den Gefahren von Oslo für die verschiedenen arabischen Länder zu überzeugen, und um sie dazu zu bewegen, eine arabische Volksfront zu schaffen, gegen die Normalisierung mit dem Zionismus, mit Israel und dem Imperialismus.

Auf innerpalästinensischer Ebene hat die Linke gegen die Korruption der palästinensischen Behörde und für Demokratie gekämpft. Sie organisierte Proteste und unterstützte den Kampf der politischen Gefangenen in den israelischen und palästinensischen Gefängnissen.
Auch in den Schulen und Universitäten hat die Linke viel Widerstand gegen das Oslo-Abkommen und seine Folgen mobilisiert. So haben z.B. Israel und die CIA auf der Grundlage des Why-River-Abkommens von 1999 versucht, Einfluß auf die Erziehung der palästinensischen Schulkinder zu nehmen. Sie wollten durchsetzen, daß die palästinensischen Behörden die Schulbücher neu schreiben läßt mit dem Argument der Neutralisierung, um eine freundliche Stimmung gegenüber Israel und den USA zu erzeugen.
Nur durch intensive Arbeit der linken Kräfte war es möglich diese Pläne scheitern zu lassen. Die Linke hat Basisarbeit und viel Aufklärung in der Bevölkerung betrieben, und damit stand eine breite Front gegen die neue imperialistische Erziehung. Das sind Beispiele für die tägliche Kleinarbeit, welche die Linke seit dem Oslo-Abkommen 1993 geleistet hat.

Die Linke hat auch eine neue Ausrichtung genommen. Sie hat es in den letzten Jahren geschafft, ihre politischen Kader aus den Nachbarländern in die besetzten palästinensischen Gebiete zu verlegen, damit es möglich wird, den Kampf des Volkes gegen die israelische Besatzung direkt und vor Ort zu unterstützen. Diese Genossen stehen heute in den ersten Reihen der Proteste der jetzigen Intifada.

Die wichtigste Errungenschaft der Linken in ihrem Kampf gegen die Oslo-Dynamik besteht in der Tatsache, daß ihre politische Arbeit zu einem großen Konsens unter dem palästinensischen Volk geführt hat, über die Wichtigkeit der Formulierung und Bewahrung der palästinensischen roten Linien, die von der offiziellen palästinensischen Führung nicht verletzt (überschritten) werden darf. Diese roten Linien sind eng verbunden mit den Grundrechten des palästinensischen Volkes, auf die kein Vertreter verzichten darf : Selbstbestimmungsrecht, palästinensischer Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt, Rückkehrrecht der Millionen palästinensischer Flüchtlinge, Ende der Besatzung und Räumung der israelischen Siedlungen.

Die Linke hat diese roten Linien populär und verständlich gemacht, so daß es in Camp David im Juli 2000 nicht möglich war für die offizielle palästinensische Führung, weitere Konzessionen einzugehen.
Während diese in Camp David verhandelte, wachte das palästinensische Volk mit Argusaugen, damit seine Grundrechte nicht aufgegeben wurden. Auch als die neue Intifada Ende September 2000 begann, hatte sie klare Ziele. Dies ist den Linken zu verdanken.

Der Kampf gegen Oslo war erfolgreich, obwohl er die Linie von Oslo nicht zerstören konnte. Dies liegt daran, daß die Kräfte, die hinter dem Prozeß von Oslo stehen, nicht alleine sind und sehr viel Macht haben.
Diese Kräfte sind die westlichen imperialistischen Staaten, Israel, die meisten arabischen Staaten, bestimmte palästinensische Schichten und die offizielle palästinensische Führung.
Alle diese Kräfte haben sich z.B. für ein Sicherheitsabkommen eingesetzt, welches den Interessen Israels und dem Imperialismus dient. Es sollte in Wirklichkeit ein Abkommen für die Organisierung, Verwaltung und Befestigung der Besatzung werden.

Welche Relevanz hat die Linke in der neuen Intifada?

Die Linke hat durch ihre Aufklärungsarbeit in den letzten Jahren die politische Stimmung für die Intifada verstärkt. Zur Zeit ist die Linke an allen Aktivitäten der neuen Intifada in allen Bereichen beteiligt. Die Linke ist auf der Straße anwesend, in den oberen Koordinierungskomitees aktiv, sowie in den verschiedenen Volkskomitees, die unterschiedliche Aufgaben haben: z.B. wirtschaftliche Komitees zur Unterstützung von armen Familien, politische Komitees, Gefangenenkomitees…etc
Die Linke nimmt auch am bewaffneten Kampf teil.

Welche Perspektive der Befreiung sieht die palästinensische Linke heute?

Die Linke betrachtet den Befreiungsprozeß als einen wechselseitigen Prozeß: Soziale Befreiung ohne Beseitigung der Besatzung ist genauso wenig möglich wie eine Beseitigung der Besatzung ohne soziale Befreiung. Im Rahmen des Fortschreitens der sozialen Befreiung ist es möglich, das Volk gegen die Besatzung zu mobilisieren.
Umgekehrt ist die Beseitigung der Besatzung die Bedingung für soziale Befreiung.
Eine Hauptaufgabe der palästinensischen Linken besteht auch darin, das Leben der PalästinenserInnen zu schützen und zu verteidigen bis sich die Bedingungen insgesamt verändert haben. Damit dieser Schutz möglich wird, akzeptiert die Linke die „Zwei-Staaten-Lösung“ als eine vorübergehende Lösung. Diese wird natürlich nur unter der Bedingung akzeptiert, daß diese Lösung die palästinensischen Mindestrechte und das Leben der PalästinenserInnen schützt.
Aus historischer Sicht bleibt das Problem die zionistische Ideologie. Deshalb bekommt der Kampf gegen den Zionismus eine strategische Dimension. Die zionistische imperialistische Allianz ist der Feind aller Menschen in der Region. Deshalb ist die einzige strategische Lösung ein demokratischer Staat für alle dort Lebenden – frei von Zionismus und Imperialismus. Für diesen Kampf ist es notwendig, die Unterstützung der Linken in aller Welt zu gewinnen.
Deshalb ist die internationale Solidarität eine zentrale Achse der Arbeit der palästinensischen Linken.

Wie denkt die palästinensische Linke über die israelische Linke?

Die palästinensische Linke hat nur Kontakt zu antizionistischen israelischen linken Gruppen, die leider noch sehr klein sind. Sie hofft, daß diese Gruppen größer werden und in die Lage kommen, die zionistische Ideologie in der israelischen Gesellschaft wirksam zu bekämpfen. Das ist nicht nur im Interesse der PalästinenserInnen sondern auch der israelischen Bevölkerung.
Der Kontakt zu israelischen linken Gruppen setzt als Bedingung voraus, daß diese Gruppen antizionistisch sind, daß sie gegen die Besatzung sind und daß sie die palästinensischen Mindestrechte anerkennen – also auch das Selbstbestimmungsrecht und das Rückkehrrecht der Millionen von palästinensischen Flüchtlingen in der Diaspora).

Worin besteht der wesentliche Unterschied zwischen der ersten Intifada ab 1987 und der jetzigen Intifada?

Erstens: 1987 gab es die palästinensische Behörde noch nicht – die Intifada war der Aufstand des Volkes gegen die direkte Besatzung. Damals gab es nur zwei Autoritäten: Die israelische Besatzungsmacht war konfrontiert mit der palästinensischen Volksbewegung, als einziger palästinensischen Volksautorität.
Heute existiert neben der Intifada eine palästinensische Autorität (Behörde), die durch ihre Verträge mit Israel Verpflichtungen gegenüber der Besatzungsmacht hat. Sie steht dadurch in einer Beziehung zur Besatzungsmacht. Dies führt dazu, daß sie wenig Spielraum gegenüber der Besatzung hat. Als Folge steht sie manchmal gegen die Emotionen des Volkes und gegen die Taktik der nationalen Führung der Intifada. Das Volk erwartet von dieser Behörde, daß sie ihrer Verpflichtung / Verantwortung gegenüber der palästinensischen Gesellschaft in Fragen der Wirtschaft und Sicherheit der Bevölkerung sowie im Bereich der sozialen Aufgaben nachkommt.

Zweitens: Bei der jetzigen Intifada ist die israelische Anwendung von Gewalt und Waffen gegen die PalästinenserInnen viel heftiger und intensiver als bei der ersten Intifada. Dies wird deutlich an Hand der Zahlen der palästinensischer Opfer.

Drittens: Die nationale Führung der Intifada ist heute besser organisiert als früher. Deshalb war sie bis jetzt in der Lage, die Aktivitäten der Intifada zu organisieren und gleichzeitig die zivilen Aktivitäten der Gesellschaft laufen zu lassen (Schulen, Geschäfte…etc.). Man strebt eine Art Ausgleich zwischen diesen beiden Aspekten an.

Viertens: Es ist auch zu erwähnen, daß die jetzige Intifada von einer großen Solidaritätsbewegung in den verschiedenen arabischen Ländern begleitet wird. Die riesigen Solidaritätsdemonstrationen auf den arabischen Straßen haben viele Regime überrascht.

Was sind die wichtigsten politischen Strömungen im palästinensischen Widerstand aus Sicht der PFLP?

Die politischen Strömungen spiegeln die verschiedenen Schichten, politischen Denkweisen und ideologischen Unterschiede wider: Man kann folgende Strömungen nennen:
Die Strömung der nationalen Bourgeoisie, die hauptsächlich von der Fatah vertreten wird. Diese Linie wird von der nationalen Bourgeoisie politisch, gesellschaftlich und ideologisch geführt. Die Basis der Fatah stellt dagegen die arme Mehrheit der PalästinenserInnen, wie z.B. die Jugendlichen in den Flüchtlingslager.
Die islamistische Strömung, deren Führungsebene aus der Mittelschicht kommt. Ihre Basis ist gemischt. Diese Strömung profitiert aus der Tatsache, daß die palästinensische Gesellschaft ursprünglich eine traditionelle religiöse Gesellschaft ist.
Die linke Strömung: In erster Linie wird diese Strömung von der PFLP und der DFLP vertreten. Die Aktivistlnnen dieser Strömung gehören dem palästinensischen Proletariat an. Diese Strömung umfaßt auch andere Organisationen wie die Volkspartei (ehemalige kommunistische Partei), die Organisation FIDA und die Front des Volkskampfes sowie viele unabhängige Personen. Diese Strömung umfaßt alle fortschrittlichen, säkularen und demokratischen Kräfte. Diese Kräfte beziehen sich in unterschiedlicher Weise auf den Marxismus.

Wie läßt sich die aktuelle Situation der palästinensischen Linken beschreiben und wie sehen die jeweiligen politischen Positionen zum Aufstand aus?

In den letzten Jahren hat die palästinensische Linke ihre Wurzeln in der palästinensischen Gesellschaft vertiefen können. Vorher war die palästinensische Linke durch zwei äußere Faktoren geschwächt: Einmal der Zerfall der SU und des sozialistischen Lagers und zum Anderen der Rückgang der Linken überall in der Welt.
Man kann aber sagen, daß der Rückgang der palästinensischen Linke im Vergleich zum Rückgang der Linken in Europa und anderswo in der Welt geringer ausfiel. Die PFLP genießt eine besondere Glaubwürdigkeit in der palästinensischen Gesellschaft. Durch die verschiedenen Kampfformen und die richtigen politischen und gesellschaftlichen Analysen gewinnt die PFLP an Glaubwürdigkeit. Die linken Positionen zum Aufstand sind in Bezug auf die Ziele der Intifada einheitlich. Diese Ziel sind: Beendigung der israelischen Besatzung, Errichtung eines palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt und mit echter Souveränität, Bewahrung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge). Es gibt Einigkeit in den wesentlichen Punkten. Alle sind sich auch darüber einig, daß die Intifada vor Erreichen ihrer Ziele nicht aufhören darf.

Uneinigkeiten bestehen in der Frage der Beteiligung der linken Kräfte an der momentan existierenden palästinensischen Autonomie Behörde.

PFLP und DFLP sind gegen eine solche Beteiligung. Uneinigkeit gibt es auch in Bezug auf die Anwendung der verschiedenen Kampfformen gegen die Besatzung. Manche sagen z.B., es sei besser, die Gewalt zu vermeiden.

Welche unmittelbaren und strategischen Ziele verfolgt die PFLP in der Frage Palästinas (auch in Bezug auf aktuelle Bündnisse der Zusammenarbeit ..etc)

Im Mittelpunkt der unmittelbaren Ziele der PFLP steht das Ziel der Verwirklichung des nationalen Befreiungsprojekts. Die Ziele dieses Projekts sind: Selbstbestimmung, palästinensischer Staat mit Jerusalem als Hauptstadt, Rückkehrrecht der Flüchtlinge.

Das langfristige Ziel in Bezug auf Palästina ist das Erreichen einer gerechten Friedenslösung in der Region. Diese strategische Lösung wird langfristig nur durch die Errichtung eines demokratischen säkularen Staates für alle Menschen in der Region – unabhängig von Hautfarbe, Religion und Herkunft. Diese Lösung würde der Region die Leiden ersparen, die durch die rassistische zionistische Ideologie verursacht werden. Außerdem wird diese Lösung die strategische Alternative für einen jüdischen (also religiösen) und einen palästinensischen religiösen Staat sein.

Aktuell befinden wir uns in Bündnissen mit allen nationalen Kräften, die für ein Ende der israelischen Besatzung kämpfen. Wir glauben, daß hier der Hauptwiderspruch in dieser Phase der nationalen Befreiung liegt. Angesichts der Übermacht und Brutalität der Besatzer sind diese Bündnisse eine Notwendigkeit, welche eine nationale Befreiung möglich und realistisch machen.

Dabei ignorieren wir die anderen Widersprüche mit anderen palästinensischen Kräften keinesfalls. Auch die sozialen Widersprüche werden von uns nicht heruntergespielt. Zur Zeit haben alle Kräfte des palästinensischen Volkes ein Interesse am Kampf gegen die Besatzung. Die Widersprüche zwischen den verschiedenen Schichten der palästinensischen Gesellschaft werden erst nach dem Erreichen der Unabhängigkeit in den Vordergrund treten.

Januar 2001

PFLP : Volkfront zur Befreiung Palästinas
DFLP: Demokratische Front zur Befreiung Palästinas

 

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