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21. Juni 2001

Plattform des Antiimperialistischen Lagers (International)

1.
Anders als es die Erwartungen nach der Oktoberrevolution verlauten
ließen, ist der Kapitalismus nicht nur nicht unter der Last seiner
Widersprüche zusammengebrochen, sondern es ist ihm auch gelungen, die
bewegteste Periode seiner Geschichte hinter sich zu lassen, wenn auch
mit sichtbaren Wunden. Das war aus drei Gründen möglich: a) weil die
dominanten Klassen die verschiedenen Emanzipations- und
Befreiungsversuche gnadenlos unterdrückt haben; b) weil der Großteil
der westlichen Arbeiterbewegung sowie der Eliten, welche die nationalen
Befreiungsprozesse in den halbkolonialen Ländern geführt hatten, die
revolutionären Traditionen aufgegeben und ihnen eine Politik der
Kollaboration mit dem Imperialismus vorgezogen haben; c) letztlich hat
der Kapitalismus eine mächtigen Entwicklung seiner Produktivkräfte
erlebt, während die Länder, die den Weg des Sozialismus gewählt hatten,
nach einer ersten Periode des Aufschwungs in die Stagnation verfallen
sind, die sie zum Zusammenbruch geführt hat. Die ökonomistische und
mechanische These, derzufolge die imperialistische Phase die Phase der
Verfaulung und Todesagonie des Kapitalismus sei, hat sich als
trügerisch und falsch herausgestellt.

2.
Die sogenannte „Globalisierung“ (von der der Neoliberalismus nur eines
ihrer vielen Gesichter ist) bezeichnet zweifellos eine neue Etappe der
weltweiten Hegemonie des Kapitalismus, auch wenn sie nicht als neue
historische Phase der bürgerlichen Gesellschaft betrachtet werden kann.
Doch es ist nicht wahr, dass der Kapitalismus mit der „Globalisierung“
zu den Zeiten der „freien“ Konkurrenz und der „freien“ Marktgesetze
zurückgekehrt ist, dass er eine neue historische Entwicklungsphase
erleben würde. In den letzten zehn Jahren haben sich die gegenteiligen
Tendenzen verstärkt: sehr starke und unausgewogene weltweite
Kapitalkonzentration zu Gunsten des spekulativen Finanzkapitals und der
parasitären Renditen-Wirtschaft; Verschärfung des Gefälles zwischen
hoch- und unterentwickelten Ländern mit gleichzeitiger Verschärfung des
neokolonialistischen Charakters des imperialistischen Systems; Stärkung
der nordamerikanischen Dominanz, wachsende weltweite Militarisierung.
Die verwüstenden Zusammenbrüche einiger kapitalistischer Länder (Mexiko
1995, Thailand 1997, Russland und Indonesien 1999, Argentinien 2001)
zeigen auf, dass der Kapitalismus trotz aller Bemühungen ein
antagonistisches und instabiles System ist, das es dem Großteil der
Völker nicht erlaubt, ihre chronische Unterentwicklung zu überwinden.
Der Kapitalismus ist unempfindlich gegen jedwede Politik der
strategischen Programmierung, verweigert von Natur aus die Unterordnung
der Wirtschaft unter gesellschaftliche Ziele. Dem entspricht auf der
Ebene der internationalen Politik eine Verschärfung der Widersprüche
und der Konflikte, auf die der Westen mit der Intensivierung seiner
Kommandoherrschaft und der Anwendung von Gewalt als permanentem Faktor
antwortet, mit der Strategie des „Kriegs niedriger Intensität“ in den
zerrütteten Peripherien, mit dem präventiven Angriff auf jedes als
Feind betrachtete Land oder Kraft und schließlich mit der autoritären
Degeneration der „opulenten Demokratien“ mit dem Ziel jeder inneren
antagonistischen Bewegung zuvorzukommen. Den Nationalstaaten steht in
diesem widersprüchlichen Prozess ein asymmetrisches Schicksal bevor:
diejenigen, deren kapitalistisches System schwach und abhängig ist,
werden geschwächt und instabil werden, die imperialistischen (siehe die
USA) werden sich stärken. Die Europäische Union (vorausgesetzt, der
Vereinheitlichungsprozess wird nicht unterbrochen) drückt die Krise der
alten bürgerlichen Nationalstaaten aus, doch nicht in Richtung einer
unbestimmten und nicht-staatlichen Realität, sondern bestenfalls in
Richtung eines imperialistischen, den USA untergeordneten
Meta-Nationalstaates.

3.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten in
Zentral- und Osteuropa, die kapitalistische Orientierung Chinas und die
Aufsplitterung Jugoslawiens stellen in verschiedener Hinsicht eine
entscheidende Wende in der modernen Geschichte dar. Diese Ereignissen
haben zerstörerische Auswirkungen auf den weltweiten Klassenkampf
gehabt. Sie haben die antikapitalistischen und antiimperialistischen
Bewegungen, die sich bereits in der Krise befanden, tödlich verwundet
und eine radikale Verschiebung der Kräfteverhältnisse zu Gunsten der
imperialen Front bewirkt, deren Entscheidungs- und Machtzentrum mehr
denn je die USA darstellen. Die nordamerikanische Supermacht, dank auch
der strategischen Allianz mit den anderen Mächten (Kanada, Europa,
Australien und Japan) und der Unterstützung zahlreicher Satrapen (unter
denen die Länder einer entscheidenden Region wie Israel, Türkei und
viele arabische Länder hervorstechen) versucht mit allen Mitteln die
Herausbildung einer „multipolaren“ Weltordnung zu verhindern und
scheint bereit zu sein, jedwedes Mittel einzusetzen um die globale
Vorherrschaft zu erhalten. Enduring Freedom, das Theorem der Achse des
Bösen, der Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus weisen darauf hin,
dass das Weiße Haus einen ununterbrochenen Präventivkrieg begonnen hat,
mit dem Ziel, jede feindliche Kraft in Bereichen, die es als
strategisch betrachtet – also fast alle Regionen der Erde – zu
zerbrechen. Die imperiale Supermacht bemüht sich, mit allen Mitteln die
Möglichkeit zu verhindern, dass in irgendeinem Land von mittlerer
Bedeutung aufs Neue eine revolutionäre Macht entstehen könnte, dass
sich eine befreiende Welle antiimperialistischer Bewegungen entfesseln
könnte. Diese Politik kann nur zu einer weiteren internationalen
Destabilisierung führen, dazu dass sich die latenten Widersprüche
vergrößern, die Konflikte verschärfen. Neue Kriege und neue
Revolutionen werden unvermeidlich sein und diese könnten auch die Frage
der Machteroberung von Seiten der Unterdrückten wieder auf die
Tagesordnung setzen, wenn auch in bisher ungekannter und
unvorhersehbarer Form. Diese Siege werden dem imperialistischen
Gegenangriff nicht standhalten können, wenn sie sich nicht auf
internationaler Ebene ausdehnen und wenn sie zögern werden, die
Reaktion zu zerschlagen. Der Konflikt ist zunehmend von weltweiter
Dimension.

4.
Die revolutionären und antiimperialistischen Kräfte leben in einer
verlängerten Phase des strategischen Rückzugs. Der Imperialismus greift
an allen Fronten an, sowohl im Zentrum als auch in der Peripherie. Doch
es ist in der Peripherie, wo das imperialistische System den breiten
Massen weder wirtschaftliches Wachstum noch die elementarsten Rechte
garantieren kann, wo es sich in seiner rohen Barbarei manifestiert, wo
sich die unmittelbaren und explosiven Widersprüche konzentrieren. Dort
kann die sogenannte neue Weltordnung, d.h. die monopolare Ordnung am
leichtesten ins Wanken gebracht werden. Tatsächlich ist in den
halbkolonialen Ländern der antiimperialistische Widerstandskampf, wenn
auch in unterschiedlichster Form, nicht für einen Augenblick
stillgestanden. Dort drängt die Politik der Ausbeutung nicht nur die
Ärmsten zum Widerstand, sondern auch wichtige Sektoren der Intelligenz,
der Armee und der nationalen Bourgeoisie, die um nicht unterzugehen,
sich manchmal auf die Seite der Masse der Verdammten stellen müssen,
fast immer unter patriotischen, nationalistischen oder panislamischen
Fahnen. Dieser Widerspruch zwischen dem Imperialismus und den
unterdrückten Nationen kann die Funktion eines Wegbereiters für echte
revolutionäre Prozesse der nationalen und sozialen Befreiung annehmen.
Neben Widerstandsnestern, die nach wie vor von genuin
antiimperialistischen Kräften geführt werden (Palästina und Kolumbien
etwa) mobilisieren sich die verarmten Massen auch unter populistischen,
caudillistischen, panislamischen, „ethnischen“ und häufig offen
reaktionären und halbfeudalen Vorzeichen. Es ist unsere Pflicht, unter
Beibehaltung einer kritischen Einstellung und ohne unserer
internationalistischen und revolutionären Grundlagen verlustig zu
gehen, nicht nur die von antiimperialistischen Kräften geführten
nationalen Befreiungskämpfe zu unterstützen, sondern alle Aufstände
jener Völker, Nationen und Bewegungen, die ungeachtet ihrer
reaktionären Führungen dem imperialen kapitalistischen System Risse
zufügen.

5.
Unser Antiimperialismus gründet sich auf antikapitalistische
Prinzipien, unsere Perspektive ist letztendlich der internationale
Sozialismus. Unser Antiimperialismus unterscheidet sich daher von
jenen, die sich auf rein nationalistisch-bürgerliche, religiöse,
ethnisch-kulturelle oder populistische Kriterien stützen. In diesen
Fällen ist unsere Unterstützung immer krisch und bedingt. Anders ist
jedoch der Fall all jener Widerstandsbewegungen der unterdrückten
Völker mit revolutionär-demokratischem Charakter, die nicht zufällig
fast immer von Kräften kommunistischen Ursprungs geführt werden. In
diesem Fall muss unsere aktive Unterstützung weitergehen, bis hin zu
einem stabilen Bündnis, und nach Möglichkeit bis hin zu einer
Koordinierung der Initiativen mit der Perspektive einer internationalen
Einheitsfront. Das bedeutet nicht, mit dieser oder jener Partei und
ihrer jeweiligen Politik akritisch Verbindungen einzugehen. Wenn wir
auch mit den Befreiungsbewegungen vollkommen solidarisch waren, so
haben wir unserer Missbilligung Ausdruck gegeben, als diese den Kampf
den Verhandlungen mit dem Feind untergeordnet und „Friedensabkommen“
geschlossen haben, die sich als fatale Misserfolge herausgestellt
haben. Was die Länder betrifft, die das imperialistische Joch
abgeschüttelt haben, so ist unsere Verteidigung bedingungslos. Das
hindert uns allerdings nicht daran, unsere Bedenken auszusprechen, wenn
ihre Politik schädlich für den internationalen oder lokalen
antiimperialistischen Kampf ist.

6.
Besondere Bedeutung und eine neue Physiognomie nehmen die Fragen der
Selbstbestimmung der Nationen, sowie von Frieden und Krieg ein.
Nicht
alle Kämpfe für nationale Selbstbestimmung sind progressiv und
unterstützenswert. Der Imperialismus hat die Lektion gelernt und
unterstützt und bewaffnet oft sezessionistische Kämpfe, um seine
eigenen geostrategischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen
zu verteidigen (siehe die NATO-Politik auf dem Balkan). Im Allgemeinen
können wir sagen, dass wir nur jene nationalen Befreiungskämpfe
unterstützen, die tatsächlich antiimperialistisch sind.
Die
Tatsache, dass es keinen dritten Weltkrieg gegeben hat, bedeutet
keineswegs, dass die Welt befriedet wurde. Wenn früher zwischen einem
Krieg und dem nächsten viel Zeit verstreichen konnte, so befinden wir
uns heute in einem permanenten und globalen Kriegszustand, den der
Imperialismus noch, doch mit rückläufiger Tendenz, von seinem
Territorium fernzuhalten im Stande ist. Es reicht aus, Europa und den
Mittelmeerraum zu betrachten. Seit 1991 befindet sich der Balkan im
Krieg. Krieg ist in Algerien und auf dem Gebiet des saharouischen
Volkes. Krieg ist in Palästina, im Irak und im Mittleren Osten. Krieg
ist in der Türkei. Etwas weiter im Osten, sehen wir Krieg in
Afghanistan und einen latenten Krieg zwischen Pakistan und Indien.
Wenig weiter südlich, in Afrika, befindet sich alles in einem
Kriegszustand zwischen „Nationen“, Staaten und sogenannten Ethnien. In
Lateinamerika erlebt Kolumbien den längsten Bürgerkrieg seit Vietnam,
während die Reaktion mit allen Mitteln versucht die Regierung Chavez zu
stürzen und die aufständischen argentinischen Massen bedroht.
Diese
Fragmentierung erlaubt es nicht, eine einheitliche Position
einzunehmen. Für gewöhnlich müssen wir in inter-bourgeoisen Kriegen und
Konflikten eine defätistische Position einnehmen, jedoch immer bereit
sein, Seite zu beziehen, falls eine konkrete Analyse einer konkreten
Situation uns darauf verweist, auf welcher Seite der Imperialismus,
unser Hauptfeind, steht, und wie seine Handlanger sich verhalten. Was
die Konflikte zwischen imperialistischen Mächten um die Aufteilung der
Welt betrifft (interimperialistische Kriege), so sind wir für den
revolutionären Defätismus! Das kleinere Übel ist die Niederlage des
eigenen Imperialismus. Keine Unterstützung dem patriotischen
Imperialismus, welcher Rasse er auch immer sei! Transformation des
imperialistischen Kriegs in sozialen Befreiungskrieg!

7.
Im Warten darauf, dass der Klassenkampf im Westen einen Neuaufschwung
und neue Kontinuität erfährt, dass eine neue proletarische Bewegung im
Herzen des bürgerlichen Europas wieder ersteht und zur treibenden Kraft
eines neuen antikapitalistischen Blocks wird, bleiben die
antiimperialistische Solidarität und die internationalistische
Mobilisierung (wie es zwanzig Jahre des Kampfes für Nikaragua, Irak,
Mexiko, Kurdistan, Jugoslawien, Afghanistan und Palästina beweisen),
von entscheidender Relevanz.
Die in Seattle entstandene Bewegung
gegen die Globalisierung, auch wenn sie in pazifistischen und
philantrophischen Ideen gefangen sein mag, ist ein unzweideutiger
Hinweis auf ein Wiederaufflammen des Konfliktes in Europa. Wir
beteiligen uns nicht nur aktiv an dieser Bewegung, wir können und
müssen eine positive Rolle in ihr spielen, damit sie ihren
zivilistischen Minimalismus überwindet und zu einer tatsächlichen
antiimperialistischen Bewegung wird. Das setzt eine geeignete Politik
voraus, die sich auf einerseits auf die Kritik und andererseits auf die
Einheit stützt. Kritik ihrer humanitaristischen Ideen, ihrer
klassenübergreifenden und auf die (neuen) Medien ausgerichteten
Politik, ihrer Führungsgruppen, die sich immer mehr der
Sozialdemokratie annähern. Wir kritisieren auch jene, die aus der
Guerilla einen Fetisch machen, die die bewaffneten Kämpfe in vielen
unterdrückten Ländern nachahmen wollen und so den Weg wieder aufnehmen
wollen, der sich schon in den 60er und 70er Jahren als falsch erwiesen
hat. Konflikt und Konsens müssen hand in hand gehen. Wenn die
kämpferischsten Sektoren sich isoliert auf eine Offensive einlassen
würden, würde das nur ihre Vernichtung begünstigen.

Die
strategischen Zentren der wirtschaftlichen, politischen, militärischen
und finanziellen Macht des imperialistischen Systems befinden sich im
Westen. Die Aufgabe der Antiimperialisten und der Internationalisten
ist es nicht nur, die Solidarität mit den antiimperialistischen Kämpfen
der Peripherie des Imperiums herzustellen, sondern diese aktiv durch
die Rolle einer verbindenden Brücke zu unterstützen, damit diese Kämpfe
einen Weg ins Herz des imperialen Systems finden. Dies kann nicht
losgelöst von der Notwendigkeit, dem gegen die Proletarier wütenden
Liberalismus und der autoritären Panzerung des Westens
entgegenzutreten, geschehen, wo unter dem Vorwand des „Kampfes gegen
den Terrorismus“ die errungenen demokratischen Grundrechte mit Füßen
getreten werden, chauvinistische, rassistische und militaristische
Tendenzen erstarken. Dieser reaktionäre Kurs wäre schließlich nicht
möglich, wenn das, was Lenin Sozialimperialismus nannte, nicht
existieren würde, nämlich die Tendenz der westlichen Arbeiterbewegung
als komplementäre Kraft der imperialistischen Politik ins System
integriert zu werden. Die epochalen Migrationsströme von Süden und
Osten in die imperialistischen Länder könnten mittel- bzw. langfristig
ein höchst positives Element für die antikapitalistischen Kräfte
darstellen. Ein neues multinationales Proletariat ist langsam im
Entstehen und dieses könnte, freilich nicht automatisch, nicht nur zu
einem der Hauptwerkzeuge für die Gegenoffensive der Klasse werden,
sondern auch zu einem Kohäsionselement für einen neuen antagonistischen
sozialen Block und schließlich zur sauerstoffspendenden Flamme, die es
erlaubt, die Klassenkämpfe der Peripherie mit jenen der
imperialistischen Zentren zusammenzuschweißen.

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