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Der Frieden, eine strategische Wahl?

10. Juli 2001

von Dr. Abdel Wahab al Misirie

Dr. al Misirie ist Professor der englischen Literatur an der Ayn-Shams-Universität in Kairo. Er ist eine Kapazität in Fragen des arabisch-israelischen Konfliktes und veröffentlichte zahlreiche diesbezügliche Publikationen. Bekannt wurde er durch seine Enzyklopädie über Judentum und Zionismus.

Ich freue mich hier zu sein um mit Euch über meine Gedanken und Meinungen in Fragen des Zionismus, Judentum und schließlich über das, was ich die „israelische Frage“ nenne, zu diskutieren. Um die jetzigen Ereignisse in Palästina und im arabischen Welt zu begreifen, glaube ich, dass es wichtig ist, die Wurzel des Zionismus zu studieren:
Das Ziel ist es ein Problem zu lösen, nämlich das der „Klassifikation“. Ich glaube wir haben in der arabischen und islamischen Welt diese wichtige Frage vernachlässigt, gemeint ist die Klassifikation des Zionismus. Wir haben ihn als eine jüdische, alttestamentarische Erscheinung verstanden. Das arabische Bewusstsein war dann mit dem jüdischen Inhalt des Zionismus beschäftigt. Dies führte zu einem Zustand, den ich „textuelle Krankheit“ nenne, also die Suche nach Erklärungen des zionistischen Verhaltens in Texten des alten Testaments. Diese führte weiter zur Bindung des Zionismus an die heiligen Bücher des Judentums. Das war eine fehlerhafte Klassifikation. Deshalb neige ich dazu, am Beginn einer Diskussion, diese Frage als erste zu behandeln:
Der Zionismus ist keine jüdische Erscheinung, er begann im 16. Jahrhunderts in christlich-protestantisch, kolonialistischen Kreisen in England. Manche würden fragen: Was ist mit den jüdischen Rückkehrambitionen? Dazu sage ich, dass es bis zum 19. Jahrhundert verboten war, dass die Juden nach Palästina zurückkehrten. Es gab sogar zahlreiche Rabbiner, die es nach der Gründung des Zionismus abgelehnt hatten, Palästina zu besuchen, damit dies nicht fälschlich als Unterstützung für den Zionismus interpretiert würde. In der jüdischen Lehre heißt das, „das Ende beschleunigen“ zu wollen. Dies wird abgelehnt, da erst dann, wenn der Messias erscheine, die Juden nach Palästina zurückkehren dürften. Die zionistische Bewegung wurde deshalb von vielen Rabbinern als eine teuflische Bewegung, die Gott ersetzen wolle, bezeichnet und abgelehnt. Der Zionismus wurde im 19. Jahrhundert von säkularen imperialistischen Kräften übernommen und unterstützt, weil sie im zionistischen Gedankengut die Lösung der jüdischen Frage gefunden geglaubt hatten.
Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass sich der zentrale Inhalt des europäischen Denkens vor und nach Darwin geändert hat: Während Gott und die göttliche Macht die Motoren des Christentums waren, standen die Evolutionstheorie, die Entwicklungen der Geschichte, die Machtverhältnisse und das Gesetz des Stärkeren im Zentrum der imperialistischen Theorie. In meiner Enzyklopädie behandelte ich die europäischen Entwicklungen seit der Industrierevolution und bezeichne sie als „europäische Frage“. Signifikant für dieser Epoche war das Exportieren von Problemen: Kriminelle wurden nach Australien, Asoziale nach Indien, die christlichen Rebellen nach Amerika exportiert. Als die „jüdische Frage“ auftauchte, war die Lösung auch das Exportieren der Juden außerhalb Europas. Und das ist genau die zionistische Lösung. Das Ziel war also einfach Juden aus Europa wegzuschaffen. Deshalb suchte man irgend ein Land: Madagaskar, Argentinien, Ägypten. Es kommt noch dazu, dass die Franzosen in Algerien französische Siedlungen unterhielten, wohin sie die Asozialen exportierten, ähnliches hatten die Engländer in Südafrika. Die zionistische Idee war also kein Novum des 19. Jahrhunderts, sondern Teil eines Systems, das das europäische Denken damals prägte und das Europa von den Juden „befreien“ wollte.
Es ist auch kein Zufall, dass ein führender Denker des Zionismus, Herzl, ein gebürtiger Wiener war, denn Wien war signifikant für die europäischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Ein Blick auf die demographische Lage Wiens Anfang des 19. Jahrhunderts zeigt, dass es in Wien nicht mehr als 5000 in die Gesellschaft voll integrierte Juden gab.
Mit dem Auftauchen der „Judenfrage“ in Osteuropa begann man die dortigen Juden zu „exportieren“. Vor allem nach Amerika und Australien. Es stieg die Zahl der Ostjuden in Wien auf ca. 115.000. Die neuen Einwanderer sprachen jiddisch, verfügten kaum über Qualifikationen, welche die Integration in eine moderne Gesellschaft ermöglichen würden und waren mit dem Stigma des Betrugs im Handel und der Kriminalität behaftet. Die österreichischen Juden fühlten sich in ihren wirtschaftlichen, sozialen und politische Interessen bedroht und fingen an sich Gedanken zu machen, wie sie „ihr Juden“ loswerden könnten.
Das wurde die Aufgabe des Zionismus – Juden einfach aus Österreich und Deutschland zu exportieren. Die Ostjuden waren ein Problem für Westeuropa. Aus verschiedenen Gründen stieg deren Zahl von 2 Millionen Anfang des 19. Jahrhunderts auf ca. 15 Millionen am Ende desselben.
Herzl war sich der Lage bewusst, dass die Juden auf sich allein gestellt das zionistische Programm nicht durchführen konnten. Er wusste, dass es im 19. Jahrhundert nur einen „Mechanismus“ gab, der in der Lage war, soziale und politische Entwicklungen zu steuern – der Kolonialismus. Deshalb suchte er nicht nach der Hilfe der Rabbiner und der jüdischen Organisationen wie es damals üblich war, sondern er wendete sich direkt zuerst an die deutsche Regierung und dann an die britische. Großbritannien sollte das zionistische Programm schließlich unterstützen und durchführen. Herzl meinte damals, dass die alleinigen Bemühungen der jüdischen Organisationen den Zionismus zu verwirklichen nur mit dem Ansinnen „das Meer mit einem Kübel entleeren zu wollen“ vergleichbar wären. Deshalb brauchte er den Kolonialismus. Das ist die Wurzel des Zionismus, die Lösung des jüdischen „Überschusses“ in Europa. Deshalb wurde in der Literatur von damals oft von „Jewish surplus“ und „human surplus“ gesprochen.
Aber welche Rolle hat das Judentum in diesem Zusammenhang? Das Judentum wurde als Vorwand und Turban benützt, um das zionistische Programm zu verwirklichen. Genau so, als würde ich jetzt islamische Einstellungen simulieren, nur um euch näher zu kommen. Der Islam würde hier als „Turban“ benutzt werden. Ähnliches haben die Zionisten mit den Juden gemacht. Die haben sich jüdisch „gegeben“, um Juden für den Zionismus zu gewinnen. Ein Beweis dafür ist es, dass die zionistischen Pioniere Atheisten und daher prinzipiell antijüdisch waren. Die Pioniere des Zionismus sahen in ihm den Beginn des Hebräertums und das Ende des Judentums. Sie glaubten weiter, dass das Buch Herzls “ Der Judenstaat“ das alte Testament ersetzen würde.
Der Staat Israel war bis vor Kurzem ein säkularer Staat. Der zunehmende Einfluss der orthodoxen Juden in den letzten Jahren darf die Tatsache nicht verschleiern, dass die Arbeiterorganisationen den Staat aufbauten. Ein führendes Mitglied der zionistischen Bewegung, Arnold Robenstein, hat damals gesagt, dass der Staat Israel der „aufgeschlossenste Staat der Welt“ sei. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Zionismus ein koloniales, säkulares Experiment ist.
Leider haben wir als Muslime die Eigendefinition des Zionismus akzeptiert. Dann haben wir den Zionismus als jüdisch erklärt. Das war falsch. Richtig ist es, wenn wir den Zionismus in seinem säkularen Rahmen verstehen, also im darwinistischen, imperialistischen Zusammenhang.
Der Zionismus hatte nicht nur einen „Mantel“ sondern mehrere. Einer war das Judentum. Es gab aber auch den Liberalismus, den Marxismus und den Sozialismus. Der Farbenreichtum hatte den Zweck soviele Juden wie möglich für den Zionismus zu gewinnen – für ein Ziel: den Transfer der Juden aus Europa in den Orient. Jeder dieser Mäntel hatte seine eigene Zukunftsvorstellung vom Zionismus. Die Liberalen wollten einen demokratischen Staat und eine Insel der Demokratie im Nahen Osten aufbauen. Die Marxisten einen Arbeiter- und Bauernstaat. Die Kapitalisten sahen dort die Möglichkeit zu Investitionen. Die Orthodoxen wollten die Rückkehr des auserwählten Volkes ins Gelobte Land verwirklichen. Der Inhalt blieb derselbe, der Export der Juden aus Europa.
Der Zionismus ist kolonialistisch weil das Land besetzt wird. Er ist auf Besiedelung ausgerichtet, weil Gruppen von Zivilisten und keine Soldaten die kolonialistischen Operationen durchführten. Und er ist ersetzend, weil die ursprünglichen Einwohner nicht im Lande bleiben dürfen und im Dienste des Kolonialismus arbeiten müssen, sondern durch die Siedler ersetzt werden. Die Palästinenser mussten einfach weggetrieben werden, weil der zionistische Staat nur jüdisch sein kann.
Der rassistische Inhalt des Zionismus taucht auch in der Rechtssprechung und im sogenannten „Rückkehrgesetz“ auf. Nach diesem Gesetz darf ein Jude, dessen vermeintliche Vorfahren vor 3000 Jahren das Land verlassen haben, zurückkehren und die israelische Staatsbürgerschaft sofort erhalten. Das selbe Gesetz verweigert aber den Palästinensern das Recht auf Rückkehr. So kann ein Palästinenser, der vor drei Monaten das Land verlassen hat, nicht mehr zurück. Das ist der wirkliche Inhalt des Zionismus. Eine rassistische, Unrecht ausübende Bewegung. Das Rückkehrgesetz sollte die zionistische Botschaft vermitteln: dem Lande ohne Volk das Volk ohne Land. Der ideologische Inhalt des Zionismus ist auf diesem Satz aufgebaut: „Die Juden sind ein Volk, sie haben kein Land, das Land ist Palästina und dort existiert kein Volk.“ Deshalb mussten die Palästinenser weg. Die Art wie die Palästinenser weggetrieben wurden, zeigt ein anderes Merkmal des Zionismus auf, nämlich seinen vernichtenden, völkermörderischen Zug. Diese Frage müssen wir in den Vordergrund stellen, wenn wir den Frieden als eine strategische Wahl behandeln.
Der erste Teil des Slogans Juden seien „ein Volk ohne Land“ ist schnell falsifiziert: Die meisten Juden, die nach Palästina kamen, stammen aus den arabischen Ländern. Die Motivationen waren verschiedene, soziale und wirtschaftliche, haben aber mehr mit der Explosionen in den arabischen Gesellschaften zu tun als mit dem Zionismus.
Die Wellen der Emigration der 50er-Jahren waren eher „gewinnorientiert“. Man suchte Arbeit und bessere Lebensbedingungen. Ähnlich wie die Welle aus der ehemaligen Sowjetunion: Hunderttausende wollten ein besseres Leben führen und hatten mit dem Zionismus kaum zu tun. Die Hälfte davon waren keine Juden.
Ein palästinensischer Freund erzählte mir, dass er in der Nähe der „Alburaq“-Mauer (Klagemauer) stand, wo eine Gruppe Sowjetjuden beteten. Als der Imam der Al-Aqsa-Moschee zum Gebet ausrief, gingen aus der Gruppe vier Personen in die Moschee hinein. Nach dem Gebet begaben sie sich wieder zu ihrer Gruppe. Dies zeigt, dass zahlreiche „Nichtjuden“ die Emigrationsgelegenheit günstig fanden und unter folgendem Motto daran teilnahmen: „Du gehst einfach dort hin und kriegst sofort 10.000 US$“.
Ähnliches bei den Falascha, unter denen zahlreiche Muslime waren. In Afrika ist die Situation komplex. Lokale Religionen mischten sich im Laufe der Geschichte mit Islam und Judentum. Sie bleiben aber lokale Religionen, die islamische oder jüdische Spuren haben. Deshalb kamen mit den Falascha auch zahlreiche Nichtjuden ins Land. Ein Teil davon sind in Palästina Muslime geworden.
Die Mehrheit der Juden lebt nach wie vor außerhalb Palästinas. Das heißt sie sind keine Nation. Wir dürfen deshalb die Juden in der Welt nicht als eine Einheit betrachten. Die Juden sind religiöse Gruppen, die in vielen Ländern der Erde vorhanden sind. Juden in Österreich, in Deutschland, in Ungarn etc.
Hier möchte ich folgendes erwähnen: Es ist in unserem Interesse als Muslime und Araber, die zivilen und religiösen Rechte der Juden in ihren Ländern zu verteidigen. Denn der Jude, der aus Österreich vertrieben wird, wird in Palästina zum jüdischen Siedler, der uns bekämpft. In diesem Zusammenhang glaube ich, dass die arabischen Regierungen die Forderung nach Schadensersatz für die ehemaligen Zwangsarbeiter NS-Deutschlands unbedingt unterstützen sollen. Dann sollten wir auch Schadensersatzforderungen stellen. Großbritannien blieb 70 Jahren in Ägypten und es ist historisch dokumentiert, dass es systematisch Zwangsarbeit betrieb. Aus Afrika wurden 10 Millionen Menschen als Sklaven nach Amerika gebracht. Es ist historisch auch dokumentiert, dass für jeden gefangenen Sklaven neun den Tod fanden. Wir haben es also mit dem Mord an 100 Millionen Menschen zu tun. Das ist das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Die Afrikaner sollten auch Schadensersatzforderung stellen.
Der zweite und wichtigste Teil des zionistischen Slogans, nämlich „das Land ohne Volk“, prägte die zionistische Politik für lange Zeit. Die Zionisten beharrten darauf, dass Palästina ein Land ohne Volk sei. Das erklärt die Vertreibung, die Massaker und die Terroraktionen den Palästinenser gegenüber. Im „Wahrnehmungsmuster“ des Zionismus existiert kein palästinensisches Volk. Der Mensch begreift die Realität rund um ihn nicht unmittelbar, sondern durch ein „Wahrnehmungsmuster“. Die Zionisten und die Israelis haben Palästina als ein Land ohne Volk „wahrgenommen“. Was passierte, war für sie überraschend: der Widerstand der Palästinenser hat im Laufe der Zeit zugenommen.
Der Höhepunkt des Widerstandes wurde in der ersten Intifada 1987 erreicht. Die Intifada hat das zionistische „Wahrnehmungsmuster“ stark erschüttert. Ich glaube, dass das zionistische Wahrnehmungsmuster drei Ebenen hat:
1) Der Araber existiert nicht, vollkommene Abwesenheit.
2) Er existiert, aber nur am Rande, schwache Abwesenheit.
3) Er existiert und kann wahrgenommen werden, er ist aber unterentwickelt.
In der ersten Intifada wurde die erste Ebene zerstört. Das Osloabkommen, trotz aller meiner Vorbehalte, hat die zweite Ebene zerstört. Die jetzigen Intifada hat gezeigt, dass Palästinenser der dritten Ebene mit diesem Zustand auch nicht einverstanden sind. Also keine Unterentwickelten, die bereit sind einen Ministaat mit einer Fahne, einem Präsidenten und Aufgaben wie Müllabfuhr und Straßenverkehrsregelung zu akzeptieren. Diese Intifada hat die dritte Ebene im Wahrnehmungsmuster der Israelis ebenfalls zerstört.
Ich war in Deutschland als die Intifada ausbrach. Ich war überrascht von den Entwicklungen und wollte sie genau studieren. Ich habe festgestellt, dass das Wahrnehmungsmuster des Zionismus total zerstört wurde. Das schlimmste, was einem Menschen passieren kann, ist es, wenn sein Wahrnehmungsmuster zerstört wird. Die Psychologie nennt das „cognitive dissonance“ also die Erkenntnis, dass alles worauf man aufgebaut hat, falsch war. Die Reaktion ist sehr gefährlich. Der Mensch verwandelt sich in ein wildes Tier. Das ist die Erklärung für die übermäßige Anwendung von Gewalt. Die Israelis spüren jetzt, dass sie dem Ende näher gekommen sind.
Als ich vor kurzem in Budapest war, wollte ich das jüdische Museum besuchen. Ich traf dort eine Gruppe von Israelis und wollte mit ihnen reden, um zu sehen wie sie dachten. Ich sprach mit einer Dame aus der Gruppe, die mir erzählte, sie sei aus der Schweiz und lebe in Palästina seit 1951. Ich habe dann gemeint, sie hatte die ganze Geschichte Israel miterlebt. Sie sagte, ja aber sie sei schon zu Ende. Sie sagte weiter, sie habe geglaubt, nach Oslo gäbe es endlich Frieden. Das wäre ein Irrtum. Sie könne ihre Kinder nicht sehen, die seien immer im Krieg. Ihr Bruder wollte aus Budapest nach Palästina auswandern, er habe aber jetzt seiner Meinung geändert.
Diese Geschichte ist signifikant für die Entwicklungen in der zionistischen Gesellschaft. Das schlimme dabei ist es, dass die Israelis in der Lage sind „sich selbst in die Tasche zu Lügen“, also sich selbst zu täuschen. Deshalb reden sie davon, dass Arafat für diese Entwicklung verantwortlich sei und er müsse die Intifada stoppen. Dieses Verhalten ist nicht neu. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts und seit es Widerstand in Palästina gab, haben die Zionisten immer eine andere Seite, eine außenstehende gesucht, um sie für den Widerstand verantwortlich zu machen.
So war es zuerst der russische Konsul. Dann waren es die Christen, die gegen die Juden seien, die Muslime wären ja Freunde, nur die Christen nicht. Dann waren wiederum die Muslime. Die Zionisten wollen einfach nicht sehen, dass es in diesem Land ein Volk gibt und dass dieses Volk Widerstand leisten kann. Sie wollen den palästinensischen Menschen nicht sehen und wahrnehmen. Sie glauben wirklich, dass Arafat der Verantwortliche sei und dass er die Intifada stoppen könne.
Es ist keine bewusste Selbsttäuschung, es ist ein Teil des „Wahrnehmungsmusters“, das Arafat als Schuldigen hinstellt. Es kann keine andere Erklärung akzeptiert werden. Die andere Erklärung wäre tödlich: Man müsste dann wahrnehmen, dass es das palästinensische Volk gibt und, dass dieses Volk Widerstand leistet.
Eine weitere Erklärung dafür liegt in der Tatsache, dass die Zionisten genau wissen, was das historische Schicksal aller Kolonialbewegungen war. Die haben die Kreuzzüge genau studiert, sie haben das französische Experiment in Algerien genau studiert und wissen, dass alle Kolonialbewegungen, die die Ureinwohner am Leben ließen, scheiterten – in Algerien und in Südafrika. Die Kolonialbewegungen allerdings, die die Ureinwohner vernichteten oder weggetrieben haben, waren erfolgreich: Amerika, Australien und Neuseeland. Das wissen die Zionisten ganz genau und wollen diese Wahrnehmung solange wie möglich verschieben. Die palästinensische Realität wahrzunehmen bedeutet die psychische Niederlage. Wer psychisch verloren hat, hat dann wirklich verloren.
Wie Ihr seht, glaube ich, dass das zionistische Experiment gescheitert ist. Der zionistische Konsens ist nicht mehr vorhanden. An seiner Stelle gibt es den Siedlerkonsens. Das heißt sie haben eingesehen, dass Palästina kein „Land ohne Volk“ ist, sondern es gibt in Palästina wohl ein Volk. Der Siedlerkonsens geht davon aus, dass es zwar Palästinenser gibt, aber sie so zu behandeln seien, wie der Siedlerkolonialismus die Ureinwohner behandelt hat, nämlich auf Sharons Art.
Die Frage stellt sich jetzt: Ist der Frieden eine strategische Wahl? Ich bin für den Frieden. Aber welchen Frieden meinen wir? Wir wollen einen Frieden mit Gerechtigkeit. Ein Frieden mit Unrecht ist kein Frieden. Ich glaube, die Zionisten haben noch nicht aufgegeben. Die wollen einen Frieden mit zionistischen Bedingungen.
Ich glaube, dass Frieden mit Gerechtigkeit nur dann verwirklicht werden kann, wenn Israel alle rassistischen Gesetze abschafft. Sie sagen, sie wollen hier leben, dann haben sie das Rückkehrgesetz abzuschaffen und den palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr nach Palästina zu ermöglichen. Das ist nicht sanderes als das Völkerrecht in diesem Konflikt gelten zu lassen. Das sagen auch die Resolutionen der Vereinten Nationen, die nach wie vor gültig sind.
Die Gegner behaupten, wenn Israel die Rückkehr der Palästinenser erlaubt, dann sei es vorbei mit dem Judenstaat. Ich stimme zu. Ich bin aber gleichzeitig Gegner eines rassistischen Staats, genau wie ich gegen das rassistische System in Südafrika und in Algerien, sowie gegen das NS-Regime in Deutschland war. Ich bin als Muslim gegen den Rassismus. Wenn Rassismus die einzige Form ist um Israel aufrechtzuerhalten, dann weg mit diesem Israel.
Das heißt nicht, dass wir die Israelis vernichten wollen. Wir wollen das rassistische System abbauen. Wir wollen eine südafrikanische Lösung. Alle Gesetze, die irgend eine Form des Rassismus enthalten, sollen abgeschafft werden. Ein Gebilde, wie das zionistische Gebilde, das Juden aus New York das Recht gibt nach Palästina zu kommen und gleichzeitig dem Palästinenser aus dem Libanon, der den Schlüssel seines Hauses in Haifa noch bei sich hat, das Recht auf Rückkehr verweigert, hat keinen Platz in dieser Region.
Es gibt noch eine Frage, die zu beantworten ist: Was hat der Islam mit diesem Konflikt zu tun? Wenn der Zionismus eine säkulare Bewegung ist, dann haben nur arabische säkulare Kräfte ihn zu bekämpfen? Als die Engländer in Ägypten waren – und sie waren säkular – haben sie Muslime bekämpft. Von ihrer Seite waren sie säkular, von unserer Seite sind wir Muslime.
Der Zionismus wird vom darwinistischen Imperialismus unterstützt. Ich bin ein Muslim und gegen das Unrecht. Wenn die Muslime in Palästina Unrecht ausüben, was werden wir dann tun? Wir werden es bekämpfen. Weil wir gegen das Unrecht sind. Der höchste Wert im Islam ist die Gerechtigkeit. Wir sind nicht gegen andere Religionen, oder andere Völker. Wir sind nicht gegen die Juden, wir sind gegen das Unrecht.

Referat gehalten in Wien, Albert-Schweizer-Haus am 2. Juni 2001

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