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Augenzeugenbericht von der antiimperialistischen Mobilisierung in Genua

21. Juli 2001

Entsetzen und Wut über den Mord an Carlo Giuliani

Die Innenstadt von Genua ist völlig surrealistisch, kein Mensch ist zu sehen, keine Autos sind auf der Strasse. Die Stadt ist ein künstliches Schlachtfeld. Es gibt fünf Aufmarschpunkte, die meisten Demonstrationen beginnen um 14 Uhr, die der Tute Bianche und der Autonomen schon vorher. Die Antiimperialisten demonstrieren gemeinsam mit den Basisgewerkschaften um 14 Uhr auf der einzigen genehmigte Route, die dann auch zum weitaus größten Zug wird.

Größte Kraft in diesem Zug sind die Basisgewerkschaften, die Antiimperialisten sind die zweite Kraft. Insgesamt vielleicht 10.000, wohlorganisiert und diszipliniert. Das Haupttransparent trägt den Schriftzug: „Gemeinsamer Kampf von Arbeitern und unterdrückten Völkern“. Durchwegs antiimperialistische Sprechchöre: „Freiheit für Slobodan Milosevic, Nieder mit dem Haager Tribunal, Nato raus aus Jugoslawien und Italien, Schluss mit dem Massaker in Palästina, Es lebe Kampf des kolumbianischen Volkes.“ Hallen durch die Straßen.

Die Linie der antiimperialistischen Demonstration ist es aufgrund des Kräftverhältnisses keine Konfrontation mit der Polizei zu suchen, In diesem Sinne geht der Marsch bis zur roten Zone, dann wird umgedreht und wieder zurück, bevor es kracht.

Plötzlich platzt Meldung vom kaltblütigen Mord an einem Demonstranten herein. Zuerst versucht die Polizei es noch zu vertuschen, aber schnell wird klar, dass er durch Schüsse in den Kopf aus nächster Nähe getötet wurde. Die Sprechchöre: „Assasini, Assasini – Mörder, Mörder!“ Ohnmächtige Wut und Hass verwandelt sich erst im Laufe des Abends in das Bewusstsein, dass mit dem ersten Toten der Antiglobalisierungsbewegung eine neue Stufe der staatlichen Rrepression erreicht wurde.

Der „Schwarzer Block“ wird von den Medien und der Polizei schlicht als Vorwand für ungeheuerliche, brutale, in keinem Verhältnis stehende Repression benutzt. Es gibt zahlreiche Gerüchte über polizeiliche Agents provocateurs, die in Italien eine besondere Tradition haben. Tatsächlich versuchen Autonome zuerst, den Polizeigürtel zu durchbrechen, dann verteilen sie sich in Kleingruppen-„Guerilla“ in der ganzen Stadt. Die Bilanz der Schlacht: Ein Toter und über 100 Verletzte.

Unter dem Eindruck der Todesschüsse war die Stimmung sehr aufgeheizt und die antiimperialistische Schlusskundgebung würde in großer Eile und unter starkem Polizeidruck durchgeführt. Das Campo Antimperialista (das italienische Pendant zur Antiimperialistischen Koordination) moderierte und eröffnete die Kundgebung. Dann sprachen: Neue Linke Strömung (NAR, Griechenland), Sardigna Natzione (Sardinien Nation), Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC, Türkei), Demokratische Linke des Volkes (IDP, Mexiko), Zastava-Gewerkschaft „Arbeiter“, Kragujevac, Jugoslawien, Internationale Leninistische Strömung (ILS).

Mit dem Mord an Carlo Giuliani hat die Anti-Globalisierungsbewegung ihren ersten Toten zu beklagen. Genua markiert in dieser Hinsicht einen Wendepunkt. Der Imperialismus hat sein wahres Gesicht gezeigt, er hat gezeigt, dass er auch im Westen mordet. Repression und Gewalt von Seiten des Staates haben ein Ausmaß erreicht, dass es in Europa schon Jahrzehnte lang nicht mehr gegeben hat. Vor diesem Hintergrund wird eine politische Bilanz noch zu ziehen sein.

Ein Teilnehmer der Mobilisierung der Antiimperialisten
Genua, 21. Juli 2001, 2 Uhr früh

Der Mord an Carlo Giuliani



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