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Sardinien – ein Urlaubsparadies?

3. August 2001

Ein Bericht über Unterdrückung und Ausbeutung von sardischen Genossen am Sommerlager 2001

Jeder kennt die Urlaubsinsel Sardinien nahe Italien. Weiße Strände, Sonne und „Inselleben“. Doch von paradiesischen Zuständen fehlt bei genauem Hinsehen jede Spur. Die Unterwerfung und Unterdrückung der Bevölkerung ist symbolisiert in der Nationalfahne auf der 4 Köpfe mit verbundenen Augen abgebildet sind. Diese Augenbinden symbolisieren die Unterwerfung der Araber/Mauren durch die Spanier. Den Gefangenen wurden die Augen verbunden. Es gibt allerdings auch eine andere „nationale“ Fahne Sardiniens, die der Unabhängigkeitsbewegung. Die Augenbinden wurden zu Stirnbändern, und den Menschen die Augen geöffnet.

Um die indipendistische Mentalität Sardiniens zu verstehen, ist seine Geschichte heranzuziehen und in der Folge kurz zu umreißen: Vor schätzungsweise 5000 Jahren besiedelt, wurde Sardinien seither immer von äußeren Kräften beherrscht und kontrolliert. Ein Beispiel ist die indoeuropäische Invasion bis Spanien, die alles andere verdrängte, die nuralgische Zivilisation errichtet wurde, auf die ca. 8000 Hinkelsteine hinweisen (jeder Hinkelstein soll jeweils eine Bevölkerungsgruppe repräsentieren). Der beginnende Handel 1000 – 1500 v. Chr. mit den Phöniziern in der südlichen Zone stieß seitens der Sardinier auf wenig Widerstand. In den punischen Kriegen wurde die Hälfte Sardiniens von den Karthagern besetzt, dann kontrollierten die Römer Ebenen im Westen und die Häfen im Süden und Norden. Romanien wurde nach ca. 500 Jahren durch andere Kräfte besetzt, es folgte das oströmische Reich. In der darauffolgenden Phase (ca. 500 Jahre) verwaltete sich das feudalistische Sardinien selbst, in einem System von Stadtstaaten. Danach war es 300 Jahre lang eine spanische Kolonie, bis Sardinien nach dem 30jährigen Krieg an Österreich abgegeben wurde. Seit dem 17. Jh. besteht die piemontesische, italienische Dominanz. In der Gegenwart stellt Sardinien wohl eines der besten Beispiele eines Modells des modernen Imperialismus dar, was in der Folge anhand konkreter Auswirkungen auf die Wirtschaft, Ökologie und Lebensbedingungen der Bevölkerung erklärt werden soll.

Der Tourismus
Insgesamt besuchen ca. 15 Millionen Touristen jährlich Sardinien, 30% den Süden und die Mitte, 70% den Norden. Bei einer Bevölkerung von 1,5 Millionen kommt also ein/e Sarde/in auf 10 Touristen. Um diese Touristenhorden unterbringen zu können, ist der Norden des Landes völlig zugebaut, die meiste Zeit des Jahres jedoch ungenutzt – Kapazitäten die von der sardischen Wirtschaft das ganze Jahr über zu tragen sind. Diese Hotelanlagen wirtschaften allerdings vollkommen an der lokalen Bevölkerung vorbei. Selbst die benötigten Lebensmittel werden von internationalen Hotels und Tourismusketten importiert. Die Gewinne durch den Handel bleiben in den Händen „externe“ Firmen. Was diese Industrie allerdings in rauhen Mengen verschlingt sind Wasser und Arbeitskräfte. Diese Arbeitskräfte werden allerdings nur in der Saison gebraucht. Während dieser Zeit sind die Arbeitsverhältnisse durchwegs prekär. Mittlerweile hat eine Million Einwohner die Insel verlassen. Statt Feldern werden Golfplätze und Swimming-pools versorgt.
Die Investitionen die getätigt werden, sind ausschließlich für die touristische Infrastruktur bestimmt. Zum Beispiel gibt es im Landesinneren nur eine Bahnlinie, die zweimal pro Tag befahren wird. Damit wird es unmöglich, sich abseits der Küsten auf der Insel zu bewegen. Weiters schließen immer mehr Schulen. Auch die medizinische Nahversorgung (Ärzte, Apotheken…) wird nicht nur nicht ausgebaut, sondern das Geld fließt den Touristenorten zu.

Ein Flugzeugträger
Durch die besondere geografische Lage wurde die Insel in den letzten Jahren zur Festung der NATO und der USA ausgebaut. Es gibt ausgedehnte Gebiete, die vollkommen entvölkert und zur Sperrzone gemacht wurden. In diesen Gebieten gibt es Raketentests und großangelegte Truppenübungen. Als der Balkan bombardiert wurde, starteten NATO-Flugzeuge nicht nur vom italienischen Festland, sondern auch von Sardinien. Weiters hat Italien auf Sardinien seine einzige Nuklearbasis eingerichtet. Ganz nebenbei ist diese in einem Naturschutzgebiet angesiedelt. Es gibt einen Geheimvertrag zwischen Italien und den USA, der nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ausgehandelt wurde und den USA weitgehende Möglichkeiten einräumt, Stützpunkte zu errichten. Dieser Belagerungszustand wird von der Bevölkerung als Besatzung empfunden, und so kommt es, dass US-Soldaten die Stützpunkte nicht einzeln verlassen wollen, weil sie Gefahr laufen, von aufgebrachten Bauern verprügelt zu werden.

Die Müllkippe Italiens
Die letzten Jahre regierten in Italien die Grünen mit und haben ihre Handschrift unübersehbar hinterlassen. Es wurden Pläne geschmiedet die große Insel als Endlager für giftigen Müll zu erschließen. Unter anderem wird auf Sardinien petrochemischer Müll entsorgt. Es gibt auch fixe Pläne radioaktive Brennstäbe in den Bergen zu versenken. Für die Müllentsorgung wurde unter grüner Führung nicht nur Sardinien auserkoren – auch Umbrien, eine kleine Region in Mittelitalien, soll Standort für über 30 Müllverbrennungsanlagen werden. Der Zentralstaat verfolgt eine „Aus den Augen, aus dem Sinn“ Politik auf dem Rücken schwacher Regionen. In Umbrien haben sich bereits Volkskomitees gegründet um gegen diesen Skandal anzukämpfen. Dies könnte eine Möglichkeit für die Sarden sein, gemeinsame Aktionen gegen die rücksichtlose Politik des italienischen Staates zu starten.
Auf Sardinien wird nicht nur Müll abgelagert, sondern in gewohnter Weise werden von großen Firmen auch die Mineral-Rohstoffe geraubt. Dies erfolgt mittels Konzessionen, die eigentlich für Probebohrungen für eine Dauer von 30 Jahren vergeben worden sind. Diese Probebohrungen sind allerdings schon lange keine mehr. Es wird schlicht und einfach abgebaut, solange der Vorrat reicht. Hierbei wird auf die Umwelt wenig Rücksicht genommen. Große Teile der Insel sind bereits im wahrsten Sinne des Wortes „verwüstet“. Beim Goldabbau, der an einem Berg stattfindet, werden große Mengen an Quecksilber freigesetzt. Ökologisch ist diese Zone nicht mehr zu retten, kaputt und vergiftet. Die Antwort der Umweltschützer ist es, einen neuen Berg aus taubem Gestein aufzuschütten.

Alles Käse
Die Situation der Landwirtschaft ist das Produkt aus feudalistischen Strukturen und bürokratischen EU–Richtlinien. Die Großgrundbesitze wurden nie durch eine Landreform aufgeteilt. Vorwiegend wird auf Sardinien Milch produziert. Fünf Millionen Vieh stellen die Käseproduktion sicher, die zu 100% in die USA exportiert wird. Dies ist durch die ungeheure große Menge an Milch möglich, die zu einem massiven Verfall des Milchpreises geführt hat. Der Käse, der auf Sardinien konsumiert wird, stammt vom Festland. Ein zunehmendes Problem stellt, wie schon oben erwähnt, der enorme Wasserverbrauch der Touristenburgen an den Küsten dar. Der Verfall der Landwirtschaft setzte eine Migration vom Landesinneren an die Küsten in Gang. Das Landesinnere wird zunehmend entvölkert.

Neokoloniales Laboratorium
Wenn man sich all diese Details verdeutlicht und in Kontext setzt, ist klar zu erkennen, dass auf Sardinien die Sarden schon lange nichts mehr zu sagen haben. Bevölkerung, Umwelt und Wirtschaft werden nach den Bedürfnissen von Handelsfirmen und Tourismuskonzernen „gestaltet“ und entstellen die Strukturen der Insel vollkommen. Doch auch der Widerstand dagegen ist am Leben.

An der Veranstaltung am Antiimperialistischen Sommerlager zu Sardinien nahmen zwei sardische Organisationen teil, die jeweils ihre politische Arbeit umrissen und Informationen zu Sardinien darboten: Die Konföderation der sardischen Kommunisten und eine neue politische Bewegung, die seit diesem Jahr existiert, das Kollektiv Kommunitarismus und Unabhängigkeit. Einigkeit besteht über den Charakter der Abhängigkeit Sardiniens. Es wird klar von imperialistischer Ausbeutung gesprochen. Neben dem Kampf gegen die Bürokratie in Rom und Brüssel wird versucht, lokale Komitees, die sich um verschiedene praktische Fragen gebildet haben, zu verbinden und den Kampf gegen die Besatzung auf „nationale“ Ebene zu bringen. Dies wird auch über die „Auswanderer“, die noch eine starke Bindung an Sardinien haben, versucht. Die Gruppe der Kommunitaristen setzt den Schwerpunkt vor allem auf die Analyse des innereuopäischen Imperialismus.

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