Rotwein-Angriff auf Che-Mörder
Che Guevaras Schatten verfolgt den bolivianischen Guerilla-Jäger und jetzigen Botschafter in Mexiko
(aus: junge Welt 6.8. 2001)
Der Kunstkritiker Alberto Hàjar überlegte nicht lange, als er nach einer Buchvorstellung unter den Gästen den Mann im Rollstuhl wiedererkannte. „Auf die Gesundheit des Che- Mörders“ schleuderte er ihm ins Gesicht – samt eines vollen Glases Rotwein. „Ich bin Militär und erfülle Befehle“, soll der Geschmähte geantwortet haben. Das war vor einer guten Woche. Seitdem wird der bolivianische General Gary Prado, seit März dieses Jahres Botschafter in Mexiko, von der Vergangenheit eingeholt. Und die mexikanische Regierung muß sich unangenehme Fragen stellen lassen.
Prado war als Captain der Armee für das Kommando verantwortlich, daß am 8. Oktober 1967 den berühmten argentinisch-kubanischen Guerillero Ernsto „Che“ Guevara in Bolivien nahe des Ortes La Higuera stellte und ihn gefangen nahm. Der Militär identifizierte „Che“ und gab die Erfolgsmeldung an die Generäle weiter. Auf „Befehl von oben“ wurde der wehrlose Verwundete wenig später erschossen, besser gesagt, illegal hingerichtet. Gary Prado war zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend, doch für viele gilt er aufgrund seiner Rolle bei der Festnahme von Guevara als einer der Mörder des neben Fidel Castro bekanntesten Helden der kubanischen Revolution.
Die Vergangenheit des bis zum Divisionsgeneral aufgestiegenen Militärs war der mexikanischen Regierung durchaus bekannt, als ihr das Akkreditierungsgesuch vorlag. Auf vereinzelte Kritik – darunter die von Alberto Hàjar und von einigen Senatoren – reagierte Mexiko vor Prados Einreise nicht. Präsident Vicente Fox empfing am 19. März in seiner Residenz das Beglaubigungsschreiben des Botschafters. Die Öffentlichkeit nahm damals kaum von dem Vorgang Notiz. Das hat sich nun geändert. In Leserbriefen an die Zeitungen äußern sich viele Menschen zu der Aktion von Hàjar, die meisten zustimmend.
Menschenrechtsorganisationen und Oppositionspolitiker fordern bereits, daß die bolivianische Regierung ihren Botschafter zurückzieht. Möglicherweise kommt im Parlament eine Mehrheit für eine Erklärung zustande, in der der mexikanische Außenminister Jorge Castañeda gedrängt wird, den „Verbleib“ des Botschafters zu überprüfen.
Castañeda schließt bisher kategorisch ein solches Vorgehen seiner Regierung aus. Der Minister, selbst Autor einer umstrittenen Che-Biografie und vom Verehrer der kubanischen Revolution zu einem ihrer scharfen Kritiker geworden, steht ebenfalls in der Kritik. War es nur fehlende Sensibilität oder gezielte Absicht, im Vorfeld keine Bedenken gegen die Ernennung des Botschafters geäußert zu haben? Mehrfach hat Castañeda die traditionell guten Beziehungen zum sozialistischen Kuba in den vergangenen Monaten mit kleineren und größeren Nadelstichen strapaziert. Daß in dem Land, von dem aus einst Fidel Castro und Che Guevara die Revolution vorbereiteten, heute einer der Henker des „Che“ als Diplomat agiert, kann von dem Karibikstaat durchaus als Affront aufgefaßt werden.
Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt