In den letzten Monaten sind mehrere Verletzte der palästinensischen Intifada in Wien eingetroffen. Es handelt sich hier um Palästinenser unterschiedlichen Alters, die unter verschiedenen Umständen von der Besatzungsarmee und deren Siedlern verletzt wurden und in Palästina wegen der mangelnden Infrastruktur nicht behandelt werden können. Bei den meisten handelt es um Nerventransplantationen und physikalische Therapie, Augenoperationen und Entfernung von Projektilen aus dem Kopf- und Wirbelsäulebereich. Die meisten Fälle sind durch die Benutzung von Explosivpatronen seitens der Besatzungsarmee erschwert und viele werden lebenslang behindert bleiben. Die israelischen Scharfschützen machen sehr präzise Verletzungen an Augen, Gelenken und Wirbelsäulen.
Wir trafen mit einigen der Verletzten zusammen und stellen hierbei dem solidarischen Leser die Interviews kommentarlos vor.
Abdul-Nasser Azeb, 35 Jahre alt – Flüchtlingslager Jenin (stammt aus Umm El Fahem, das 1948 besetzt wurde).
„Meine Verletzung stammt aus der ersten Intifada. Ich wurde am 11. Juni 1988 während einer Demonstration im Flüchtlingslager an der linken Seite des Kiefers getroffen. Eine Gruppe Soldaten umzingelte die Demo und schoss von hinten auf uns. Neben dem Verlust von 9 Zähnen sind 6 cm Kieferknochen zertrümmert und einige Zungennerven zerstört. Ich verbrachte damals 18 Monate im Spital unter künstlicher Ernährung, dann wurde ich nach Moskau geschickt, wo mir Knochen transplantiert wurden. Ich fing in Moskau ein Elektronikstudium an, aber als ich nach einem Jahr die Heimat besuchte, erteilten mir die Besatzungsbehörden ein Ausreiseverbot und somit wurde mein Studium unterbrochen. Ich arbeitete danach bei einem Stand als Verkäufer. Ich nahm an allen politischen Ereignissen teil und wurde mehrmals verhaftet.“
Die Verletzung bei der jetzigen Intifada:
„Im November 2000 haben in meinem Flüchtlingslager täglich Demos stattgefunden. Tag und Nacht haben wir uns mit den Soldaten Straßenschlachten geliefert. Eines Abends verfolgten uns die Soldaten durch einen Olivengarten, wo ich in der Dunkelheit gegen einen Baum lief und mit dem Gesicht einschlug. Ich habe fünf Tage an Schmerzen gelitten, bis ich einen Arzt besucht habe. Er sagte, mein Kiefer ist wieder gebrochen. Einige Knochentrümmer bewegen sich und sinken im Hals runter. Ich wartete acht Monate, bis ich nach Österreich kommen konnte. Hier sagen die Ärzte, ich muss noch ein paar Monate warten. Ich habe Probleme beim Essen, Schmerzen und Lahmgefühl, besonders beim Aufwachen am Morgen. Ich fliege morgen nach Hause zurück und komme nach 6 Monaten wieder“.
Nasser erinnert sich an die erste Intifada: „Ich bin im Jahr 1988 politisiert worden. Ich nahm an allen Demos teil und viele meiner Freunde sind gefallen“. Enttäuscht kommentiert er das Oslo-Abkommen: „Das Abkommen von Oslo war ein Hochverrat. Alle unsere Opfer waren umsonst. Wir haben uns dagegen gestellt, weil dies keinen Sinn hatte. Eigentlich war das Abkommen keine Überraschung für uns, weil es zur Natur der PLO und zum Weg, den sie einschlug, passt“.
Die gleiche Angst hat er bei der jetzigen Intifada, denn an der Natur der Führung hat sich nichts geändert: „Ich hoffe, unsere Opfer bei dieser Intifada werden nicht umsonst sein. Die palästinensischen und arabischen Führungen machen Geschäfte mit unserem Blut. Wir wollen nicht, dass jeder Märtyrer ein neues Auto für einen Oberoffizier bedeutet, aber ich zweifle daran, dass die Intifada eine große Änderung in der Mentalität der bürgerlichen Führung bewirken wird“. Optimistisch aber stellt er fest: „Der Fortgang der Intifada hängt nicht von der Autonomiebehörde und von den Abkommen ab. Vielmehr hängt er von unserem Durchhaltevermögen und wirtschaftlichen Überleben ab. Die zionistische Politik der Blockade und des Hungers ist ein wesentliches Druckmittel, das die Menschen dazu treiben wird, auch gegen die Autonomieführung zu rebellieren. Ein Bürgerkrieg und der Fall der PNA wären aber zu unserem Gunsten, denn Israel würde es dann schwerer haben. Die Mehrheit ist heute gegen die Behörde und das Volk kann sie stürzen“.
Auf eine Lösung der Palästina-Frage angesprochen, begnügt er sich mit der Feststellung, dass „was mit Gewalt weggenommen wurde, nur mit Gewalt zurückzukriegen ist“. Konkreter sagt er: „Eine Unterstützung soll nicht nur mit Worten gegeben werden, sondern auch mit Geld und Waffen. Wir wollen unser Recht auf Palästina. Die Siedler müssen weg, aber prinzipiell können Juden hier als gleichberechtigten Bürger leben“.