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Das Jubelgeschrei ist verfrüht

28. November 2001

Vorläufige Thesen zum Krieg gegen Afghanistan


1) Überwältigende militärische Übermacht

Von Anfang an war klar, dass die Verteidigung des gesamten Territorium Afghanistans und insbesondere seiner Städte gegen die gewaltige imperialistische Überlegenheit nicht möglich sein würde. Selbst gut gerüstete reguläre Armeen wie jene des Irak oder Jugoslawiens waren ohne die unabdingbare ausländische Unterstützung dazu nicht fähig.

Zwar machte die pakistanische Unterstützung für die Taliban ihren Aufstieg und vor allem ihre fast flächendeckende Kontrolle des Landes erst möglich, doch musste diese angesichts des amerikanischen Drucks schließlich stark zurückgenommen werden.

Dass die Taliban rund ein Monat durchhielten kann – so wie die 78 Tage jugoslwischer Widerstand – bereits als gewisser Erfolg angesehen werden, ebenso wie die Tatsache, dass sie ihre Kerntruppen zumindest zum Teil evakuieren konnten.


2) Taliban wurden nicht zerschlagen

Die Taliban konnten einen guten Teil ihrer im wesentlichen aus leichter Infanterie bestehenden Truppen zurückziehen und für den Guerillakrieg, zu dem sie am besten geeignet sind, dislozieren. Zwar sind Stammeskommandanten abgefallen und dürften sich Truppenteile aufgelöst haben. Doch zeigt die mehr als einwöchige hoffnungslose Verteidigung Kunduz´ sowie der nach wie vor andauernde Kampf um Kandahar, dass ein gewisses Maß an Disziplin und Moral erhalten werden konnte. Der Kern der Taliban-Truppen konnte jedenfalls nicht zerschlagen wurden.

In den Regionen mit mehrheitlich nicht paschtunischer Bevölkerung und ebenso in den meisten größeren Städten, in denen ihre radikale Auslegung des Islam kaum der Kultur der Mehrheit entsprach, wurden die Taliban als Okkupanten verstanden. Ohne besonderen Rückhalt in der Bevölkerung mussten sie unter dem imperialistischen Druck abziehen.

Unter gewissen Umständen könnten sie aber die Unterstützung durch die Bevölkerung in ihren Kernregionen im Osten und Südosten erhalten oder in Ermangelung einer politischen Alternative wieder zurückgewinnen.

In der strategisch wichtigen Stadt Jalalabad, deren Bevölkerung überwiegend paschtunisch ist, überließen sie die Macht nicht den Kräften der Nordallianz, sondern ehemaligen paschtunischen Mujaheddin-Kommandanten, die die Nordallianz als Hauptfeind betrachten. Bereits seit Beginn der Bombardements hatte sich abgezeichnet, dass die Taliban zur Verbreiterung ihrer Machtbasis den lokalen Stammesführern und Honoratioren mehr Befugnisse einräumten. Um in Kandahar die Machtübertragung auf Taliban-nahe Kräfte zu verhindert, scheinen die USA nach zwei Wochen erfolgloser Angriffe entgegen anderslautenden Behauptungen mit eigenen Truppen einzugreifen.

Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass dich diverse paschtunische Kräfte gegen die Nordallianz und eventuell auch gegen die westliche Soldateska mit den verbliebenen Kräften der Taliban ins Einvernehmen setzen.


3) Nordallianz kann keine stabile Regierung bilden

Der einzige Zusammenhalt der Nordallianz war ihr gemeinsames Interesse gegen die Taliban. Nachdem diese sich nun von der staatlichen Macht zurückgezogen haben und die Nordallianz sich anschickt eine neue staatliche Macht zu errichten, läuft sie Gefahr von den selben Interessengegensätzen über die Aufteilung der Territorien und Ressourcen, die zwischen 1992 und 1996 den Bürgerkrieg antrieben, zerrissen zu werden.

In ihren jeweiligen Ursprungsgebieten mögen die verschiedenen Milizen der Nordallianz eine feste Verankerung in der Bevölkerung haben. Doch keine der Gruppierungen repräsentiert gesamtnationale Interessen, die ihnen Unterstützung in anderen nationalen und religiösen Gemeinschaften des Landes sichern würden.

Insbesondere der städtischen und der paschtunischen Bevölkerung sind die Massaker der Warlords der verschiedenen nun in der Nordallianz zusammengeschlossenen ehemals verfeindeten Milizen noch in lebendiger Erinnerung. Viele Paschtunen sehen in der Ermordung von Tausenden als Taliban Verdächtigten in Mazar-e Scharif und Kabul nach dem Einmarsch der Truppen der Nordallianz eine Fortsetzung dieser Politik.

Überhaupt war die Fähigkeit der Taliban, dem Bürgerkrieg Einhalt zu gebieten, die marodierenden Milizen zu entwaffnen und die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, einer der wesentlichsten Gründe für die Unterstützung aus der Bevölkerung.

Vieles deutet also darauf hin, dass die paschtunische Mehrheitsbevölkerung eine unter Kontrolle der Nordallianz gebildete Regierung nicht akzeptieren wird.


4) Proimperialistische Einbindung der Paschtunen möglich?

Zahir Schah, der greise ehemalige König, gilt als favorisierte Lösung dieses Zentralproblems zur Etablierung eines stabilen proimperialistischen Regimes. Dabei ist aber zu bemerken, dass er über keinen festen Einfluss, geschweige denn eine Hausmacht verfügt. Zwar rühmt er sich seiner paschtunischen Abstammung, doch ist des Paschtos nicht mächtig und muss sich des Persischen, der traditionellen Bildungs- und Verwaltungssprache Afghanistans, bedienen.

Zahir Schah will als Konstituante eine Loya Jirga, die Große Ratsversammlung der Stammesrepräsentanten, abhalten und sich über diese die Schirmherrschaft über die Regierung sichern. Obwohl die Loya Jirga von der Bevölkerung allgemein als einzig demokratische Lösung angesehen wird, so ist doch offensichtlich, dass die durch das westliche Eingreifen geschaffenen Realitäten am Schlachtfeld die Kräfte der Nordallianz begünstigt. Viele Paschtunen trauen dieser Operation daher nicht und sehen im König eine Marionette der Nordallianz und des Imperialismus.

Fürderhin muss klar sein, dass Stammesrepräsentanten durch ihre begrenzten lokalen Interessen leicht zur Flankendeckung eines um die Nordallianz gruppierten Regimes werden.

Die einzig moderne, über Stammesinteressen hinausgehende politisch-militärische Kraft der Paschtunen könnten also die Taliban bleiben. Ihr kampfloser Rückzug und der Zusammenbruch ihres politischen Regimes mag in den ersten Tagen viele mit ihnen verbündete Stammesführer zum Abfall veranlasst haben. Doch in dem Maße in dem sie sich als einzige Alternative zum antipaschtunischen Regime der Nordallianz etablieren können, wird den Stammesführern nur die Wahl zwischen der höchst unpopulären Kollaboration mit der Nordallianz oder den Taliban bleiben. Die neuen Machthaber von Jalalabad und vielleicht bald auch Kandahar fallen wohl in die zweite Kategorie.


5) Verlierer Pakistan, Sieger Russland und Iran

Derzeit scheint der große Verlierer der noch offenen Partie am Hindukusch Pakistan zu sein. Dessen allmächtige Militärs hatten mit dem Plazet der Vereinigten Staaten Mitte der 90er-Jahre alles auf das Pferd Taliban gesetzt. Der Erfolg schien ihnen Recht zu geben. Doch Schritt für Schritt wurde den USA ihr ins Kraut schießender Antiamerikanismus zu bunt. Ebenso wenig konnte das geplante Pipeline-Projekt von Zentralasien über Afghanistan ans arabische Meer verwirklicht werden. Vergeblich versuchten die US-Administration über Pakistan einen moderaten prowestlichen Flügel an die Macht zu bringen – vergeblich. Mit dem Krieg gegen die Taliban und der erst wenige Monate alten Unterstützung der Nordallianz, dem dezidiertem Feind Pakistans, versetzten die USA Pakistan einen schweren strategischen Schlag.

Unter diesem Druck musste Pakistan die Unterstützung für die Taliban massiv einschränken. Doch es verfügt über keinerlei gangbare Alternative. Der König ist keine verlässliche Kraft, der pakistanische Interessen vertreten könnte, genauso wenig wie einzelne Stammesführer, wiewohl sie diese zu formieren versuchen. Hinzu kommt die Gefahr des paschtunischen Nationalismus, der die territoriale Integrität Pakistans selbst bedroht, auf dessen Territorium vermutlich bereits die Mehrheit der Paschtunen lebt. Die Taliban konnten diesem Nationalismus noch über den Panislamismus Ausdruck verleihen, der Pakistan nicht gefährdete. Jede weniger stark islamisch gefärbte politische Kraft der Paschtunen, die sich am ehesten auf der Traditionslinie der Khalqis etablieren könnte, schriebe sich Paschtunistan mehr oder weniger offen auf die Fahnen.

Die Gewinner sind die Feinde Pakistans und auch der USA. Russland und Iran – und indirekt auch Indien – üben auf die verschiedenen Kräfte der Nordallianz entscheidenden Einfluss aus. Die USA konnten zweitere nur mit ersteren Zustimmung instrumentalisieren, die aber die Rücknahme der Aggression gegen diese Staaten notwendig macht. Da die Versorgung der Truppen und im weiteren Sinn auch die wirtschaftliche Entwicklung eines von der Nordallianz geführten Regimes vom Wohlwollen dieser zwei Staaten abhängt, zeichnet sich auch keine Änderung dieses Umstandes ab. Im Gegenteil, die vorprogrammierten Konflikte der Nordallianz mit den USA könnten erste noch weiter in die Arme Russlands treiben.

Sollte es zu einer De-facto-Teilung des Landes kommen, die keineswegs im Interesse der USA ist, so würde diese Abhängigkeit von Russland und Iran nur noch weiter akzentuiert.


6) Imperialistische Truppen

Die genannten Interessensgegensätze sowohl zwischen den Akteuren in Afghanistans selbst als auch den involvierten regionalen Mächten wird es dem Imperialismus schwer machen, ein ihm dienliches stabiles Regime einzusetzen.

Die Nordallianz wird sich nicht so ohne weiteres von den errungenen Machtpositionen trennen. Denn sie wird von Eigeninteressen angetrieben. Und es ist letztendlich die Nordallianz, die über die militärische Macht vor Ort verfüht. Die Episode um die von den USA nicht gewünschte Einnahme Kabuls ist ein Vorbote kommender Schwierigkeiten. Die Paschtunen und Pakistan werden aber nicht bereit sein die Herrschaft der Nordallianz, selbst wenn sie eine paschtunische Tarnung finden sollte, anzuerkennen.

Daher scheint der Einsatz und selbst die Stationierung imperialistischer Truppen unerlässlich. Doch dem Westen ist klar, welche Probleme eine massive Truppenpräsenz bringen könnte. Man wird also versuchen über die UNO Truppen aus islamischen Ländern, insbesondere des Nato-Staates Türkei, ins Land zu bringen und die eigene direkte Präsenz so gering als möglich zu halten.

Insbesondere eine Fortsetzung des Krieges gegen die Taliban würde aber eine immer stärkere direkte Involvierung imperialistischer Truppen bedeuten, was wiederum den Volkswiderstand anfachen könnte.


7) Fortsetzung des Krieges

Vieles spricht also dafür, dass der Krieg sich in anderer Form fortsetzt. Gehen die Taliban zum Guerillakrieg über – und dazu scheinen sie zumindest für eine gewissen Zeit fähig –, dann könnte sich die paschtunische Mehrheit in Ermangelung einer politischen Alternative auf ihre Seite stellen, insbesondere in ihren Kernregionen.

Der Guerillakrieg kann lange geführt werden, erfolgreich im Sinne des Sturzes des Regime und der Vertreibung der imperialistischen Truppen kann er aber nur mit massiver militärischer Hilfe von außen, so wie es gegen die Sowjetunion der Fall war, sein und die ist nicht abzusehen. Pakistan kann zwar ein Auge zudrücken, aber solange die USA die Taliban als Feind betrachten, kann Pakistan ihnen keine substantielle Hilfe gewähren.

Gelingt es den USA bin Laden zu ergreifen und die Taliban-Führung zu vernichten, so könnte Pakistan eine Nachfolgebewegung der Taliban wieder unterstützen. Dies würde einer De-facto-Teilung des Landes nur noch weiter Vorschub leisten.


8) Und die Kriegsziele der USA?

Die gleichgeschalteten imperialistischen Medien sind ob des strategischen Rückzugs der Taliban gleich in Siegesgeschrei ausgebrochen. Das war nicht anders zu erwarten. Der Erfolg eines Krieges ist jedoch am Ziel zu messen.

Und da beginnt bereits das Problem der Weltmacht USA. Sie konnten sich das Ziel nicht sorgfältig auswählen, sondern sie wurden durch die Angriffe vom 11. September zur schnellen Reaktion gezwungen.

Zu aller erst wurde der Krieg notwendig um Vergeltung zu üben und die überwältigende militärische Überlegenheit der USA zu beweisen. Dies ist mit der Vertreibung der Taliban von der Macht und mit der entsprechenden Medienorchestrierung gelungen, auch wenn man dem „leibhaftigen Bösen“ in Gestalt von Osama bin Laden bisher nicht habhaft werden konnte.

Zweites Ziel ist konsequenterweise die Errichtung eines proimperialistischen Regimes, das möglichst auf eigenen Füssen steht. Davon sind die vermeintlichen Weltenlenker in Washington weit entfernt. Im Gegenteil, dessen Erreichung bleibt unwahrscheinlich. Vielmehr ist eine längerfristige militärische Verstrickung möglich, die sich politisch für die USA sehr nachteilig auswirken könnte.

Drittes Ziel ist die Stärkung des regionalen Einflusses. In dieser Hinsicht kann mit Fug und Recht von einem Misserfolg der USA gesprochen werden. Ihr Hauptverbündeter Pakistan ist nicht nur politisch destabilisiert, sondern hat jeden Einfluss zugunsten Russland, Irans und des Erzfeindes Indien verloren. Die Vereinigten Staates mögen dafür die Präsenz ihrer Truppen in einigen zentralasiatischen Republiken, insbesondere Usbekistan, erreicht haben. Doch bleiben diese grundlegend von Russland abhängig, das mittels der Nordallianz dem amerikanischen (Rohstoff-)Zugriff auf Zentralasien einen Sperrriegel vorschieben konnte. Insgesamt ist man der Beherrschung Zentralasiens nicht näher gekommen.

Viertens haben die USA den Konflikt mit dem politischen Islam nun verallgemeinert und treiben den ehemaligen Verbündeten nun in eine zunehmend antiimperialistische Richtung. Zwar musste die Bin-Laden-Strömung in Afghanistan zweifellos eine Teilniederlage einstecken, denn der Aufstand der zum Dschihad aufgerufenen muslimischen Massen kam nicht. Doch zeigt das vor allem die politische Schwäche und Unzulänglichkeit des sozialkonservativen Islamismus ägyptisch-saudischer Prägung, der nicht in der Lage ist die Massen mit ihren sozialen, politischen und kulturellen Forderungen anzusprechen. Der zunehmenden Sympathie der verarmten Volksmassen für einen islamisch gefärbten Antiimperialismus tut das jedoch keinen Abbruch. Dies gilt für den arabischen Zentralraum über den indischen Subkontinent bis hin nach Indonesien. In Zentralasien, wo bis zuletzt islamische Bewegungen von Tschetschenien bis Sinkiang gegen die Feinde der USA über Afghanistan instrumentalisiert wurden, wird man die Unterstützung massiv zurückfahren. (Das bedeutet aber weder, dass alle islamische Bewegungen antiimperialistisch wären, noch dass die USA die eine oder andere Kraft nicht mehr instrumentalisieren würde. Die Konstatierung einer allgemeinen Tendenz enthebt uns nicht der Notwendigkeit einer konkreten Analyse der in einem spezifischen Land wirkenden Kräfte.) Dennoch, ganz unabhängig vom Schicksal bin Ladens, handelt es sich um einen amerikanischen Einflussverlust.

Insgesamt konnten die USA mit dem Krieg die unipolare Weltordnung zumindest dem Anschein nach verteidigen. Indes haben sowohl die Anschläge, als auch die in Afghanistan und in der Region aufgerissenen Widersprüche ebenso wie die für den Krieg notwendige versöhnlichere Haltung gegenüber Russland und China die Brüchigkeit der Neuen Weltordnung gezeigt. Eher früher als später wird sie einer multipolaren Ordnung weichen müssen. Der aktuelle Krieg ist nur ein weiterer Schritt dazu.


9) Nein zur UNO

Zuallererst müssen wir für ein Ende der militärischen Aggression des Imperialismus und gegen die Stationierung seiner Truppen in Afghanistan und in der Region kämpfen.

Genauso lehnen wir „Friedenstruppen“ der UNO ab, auch wenn sie aus islamischen Ländern der „Dritten Welt“ stammen sollten. Ihre Mission wäre dennoch nur die Absicherung der imperialistischen Interessen.

Jede äußere Einmischung, sei sie militärisch oder zivil, muss von den Antiimperialisten zurückgewiesen werden, auch wenn sie unter der Fahne der UNO, in der letztlich der Westen kommandiert, durchgeführt wird. Dazu zählt das Projekt einer breiten Übergangsregierung, das nun mit den Verhandlungen in Bonn in Angriff genommen werden soll.

Unter den heutigen Umständen lehnen wir auch die Loya Jirga, die von vielen als einziger Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts gesehen wird, ab, denn in ihr kommen im wesentlichen die Interessen der Stammeselite zum Ausdruck, die unter Wahrung ihrer Autonomie und einer formalen nationalen Unabhängigkeit für eine proimperialistische Lösung zu instrumentalisieren sein werden.

Die konsequente Anwendung des Selbstbestimmungsrechts in einem demokratisch und antiimperialistischen Sinn bedeutet die Unterstützung all jene Kräfte, die gegen den Imperialismus und sein Projekt eines Marionettenregimes kämpfen. Das könnten die Reste der Taliban sein, das könnten in Zukunft aber auch Teile der Nordallianz sein, die mit den USA in Konflikt geraten.


10) Paschtunistan

Der britische Imperialismus hinterließ am indischen Subkontinent und im angrenzenden Raum eine Grenzziehung, die dem Erhalt seiner Machtinteressen am besten zu dienen schien und den Völkern bis heute das Selbstbestimmungsrecht verweigert.

Am schärfsten drückt sich das in der Schaffung Pakistans aus, dass der Schwächung des mit einer gewaltigen antiimperialistischen Bewegung der Volksmassen schwangeren Indiens dienen sollte. Zurück blieb ein Völkerkäfig, denn keine der vier großen Nationalitäten Pakistans hat entsprechende nationale Rechte. Die Paschtunen sind eine unterdrückte Nationalität, gegen deren Unabhängigkeitsbestrebungen unter anderen Pakistan geschaffen und die Grenzziehung mit Afghanistan beibehalten wurde.

Seit Beginn des indischen Befreiungskampfes forderten die Paschtunen oder zumindest ihre Intelligenzija die nationale Selbstbestimmung. Die britischen und in der Folge die pakistanischen Interessen waren diesen Bestrebungen immer diametral entgegengesetzt.

Im Krieg gegen die Sowjetunion kam der paschtunische Nationalismus nur vermittelt über den Islamismus zum Ausdruck. Einerseits war ein säkularer, linker Nationalismus mit der sowjetischen Invasion gescheitert und die Massen wandten sich islamistischen Strömungen zu. Andererseits förderte Pakistan ganz bewusst die islamistischen Kräfte, um ja keine panpaschtunischen Ideen aufkommen zu lassen.

Doch die nationalen Selbständigkeitsbestrebungen sind bis heute latent vorhanden und können bei Ausschluss der Paschtunen von der Macht explosiven Charakter annehmen. Die Bürgerkriegsparteien entwickelten sich im Verlauf des Konflikts entlang der verschiedenen nationalen Identitäten und schufen diese zum Teil erst. (Denn in der bisher vorherrschenden Stammesgesellschaft spielte diese nur eine untergeordnete Rolle.) Mit der Machtübernahme der nichtpaschtunischen Nordallianz wird der nationale Charakter des Konflikt noch verstärkt, denn falls die Taliban weiterhin Widerstand leisten und zwar ohne die Unterstützung Pakistans und selbst gegen dessen Willen, dann könnten sie oder ihre Nachfolgebewegung nicht mehr allein und so sehr die Avantgarde des islamistischen, sondern auch des paschtunischen Widerstand werden – und das auch auf pakistanischem Boden.

Unter den heutigen Bedingungen ist die Forderung nach einem Paschtunistan durchaus antiimperialistisch, weil sie sich sowohl gegen das in seiner gesamten staatlichen Konzeption reaktionäre und proimperialistische Pakistan richtet als auch das Selbstbestimmungsrecht gegen ein vom Westen gesteuertes vermeintlich breites Regime in Afghanistan betont.


11) Permanenter Krieg?

Mehrfach hat der amerikanische Imperialismus angekündigt, dass es sich um einen langen Krieg handeln würde. In den letzten Tagen haben sich die Drohungen gegen den Irak derartig verschärft, dass man sie kaum anders denn als Vorbereitung für eine neuerliche massive militärische Aggression interpretieren kann.

Nach innen hin kann dies als Versuch der USA verstanden werden, der strukturellen kapitalistischen Krise, die durch die aktuelle Rezession besonders spürbar wird, mittels eines stark gesteigerten Rüstungsprogramm entgegenzuwirken. Der permanente Krieg dient dann zu dessen permanenter Rechtfertigung.

Auf internationaler Ebene kommt darin die Tatsache zum Ausdruck, dass die Neue Weltordnung nur mehr mittels permanentem Krieg aufrechtzuerhalten ist. Doch mit jeder Intervention reißt der US-Imperialismus mehr Widersprüche auf als er löst – gegenüber den Staaten, die er zu beherrschen versucht, aber vor allem auch gegenüber den Milliarden Verdammten dieser Erde, deren Hass auf all das, was für den westlichen Wohlstandbürger als Inkarnation des Guten gilt, sich unweigerlich vertieft. Ob eine militärische Fortsetzung des Genozids am irakischen Volk zur Opposition Russlands und anderer Staaten führen oder ob es eine Rebellion unter den arabischen Massen auslösen wird, ist nicht vorauszusehen. Doch sie bringt uns dem Zusammenbruch der US-Hegemonie einen weiteren Schritt näher.

Wir müssen ausnahmslos alle Kräfte unterstützen die in diese Richtung wirken, dabei jedoch unsere politische Unabhängigkeit wahren und unsere eigenen Kräfte stärken. Denn ist die monopolare Ordnung einmal von einer multipolaren, deswegen aber immer noch kapitalistischen Ordnung – oder besser Unordnung –, abgelöst, denn eröffnet sich wieder die Möglichkeit für siegreiche soziale Revolutionen.

Antiimperialistische Koordination
Wien, 28. November 2001

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