Interview mit Dr. Azmi Bschara
Im Folgenden veröffentlichen wir ein Interview mit Dr. Azmi Bishara, einem palästinensischen Abgeordneten zur Knesset. Das Interview wurde im Herbst 2001 in der linken ägyptischen Zeitung Al-Arabi veröffentlicht. Bishara wurde kürzlich die parlamentarische Immunität entzogen.
Al-Arabi: Herr Bishara, wenn man von einem Frieden zwischen Israel und den Palästinensern spricht, was sind die unabdingbaren Mindestmaßnahmen, die gemacht werden müssen, um einen historischen Ausgleich am Verhandlungstisch zu erreichen?
A.B.: Zwei Sachen müssen gemacht werden: Einerseits muss Israel das Recht des palästinensischen Volkes anerkennen, über sein eigenes Schicksal zu entscheiden, wie auch die Tatsache akzeptieren, dass der palästinensische Staat Teil des historischen palästinensischen Bodens ist.
Andererseits muss Israel die Ungerechtigkeit eingestehen, die den palästinensischen Flüchtlingen zugefügt wurde. Israel muss akzeptieren, dass das Problem der palästinensischen Flüchtlinge gelöst werden muß, indem es die Verbundenheit der Flüchtlinge mit ihren Dörfern anerkennt.
Die zweite Sache ist, dass die Palästinenser die jüdische Vergangenheit als Vertriebene in Europa anerkennen und somit die Besonderheit ihres kolonialistischen Imperialismus einräumen sollten.
Die Palästinenser müssen auch eine gewisse israelisch-jüdische Nationalität anerkennen, die ebenfalls ein Selbstbestimmungsrecht hat.
Al-Arabi: Meinen Sie, dass das Problem „der Rückkehr“ wichtiger als die Frage des „Selbstbestimmungsrechts“ ist?
A.B.: Von den Einwohnern Palästinas und von einem Teil der PLO könnte diese Meinung sehr negativ aufgefasst werden. Aber für die Palästinenser, die in Flüchtlingslagern außerhalb Palästinas leben, hat das Problem der Rückkehr mehr Priorität als das Selbstbestimmungsrecht. Außerdem ist letztendlich die palästinensische Volksbewegung als Bewegung für die Flüchtlinge und ihr Recht auf Rückkehr entstanden. Das war ihr Hauptziel.
Israel neigt dazu, das Problem der Flüchtlinge als beendet zu sehen, obwohl es in der Realität nicht so ist. Denn die Frage der Flüchtlinge ist historisch eine viel ältere Frage als die des palästinensischen Staates und dies hat auch die internationale Gemeinschaft und der Westen im Jahr 1948 zugegeben. Und wenn wir eine gleichberechtigte Lösung suchen, dann muss sie im Rahmen eines binationalen Staates entstehen, der es den Juden ermöglicht, auch im Westjordanland und Gaza-Streifen zu leben, genauso wie den palästinensischen Flüchtlingen hinter die „Grüne Linie“, also in die 1948 besetzen Gebiete, zurückkehren können.
Al-Arabi: Bedeutet das, dass es einen Staat geben soll, der aus einem aus zwei Nationalitäten bestehenden Volk in einem Gebiet bewohnt wird, das sich vom Jordan-Fluss bis zum Mittelmeer erstreckt?
A.B.: Ja. Ich lehne eine provisorische Lösung nicht ab, zwei Staaten für zwei Völker, solange aber diese Lösung provisorisch bleibt. Diese Übergangszeit soll dazu dienen, dass die Siedler langsam begreifen, dass sie nicht in den besetzten Gebieten bleiben können.
Ich glaube, dass am Ende des Weges ein binationales Volk entstehen wird. Die geographische Frage wird im Rahmen einer einheitlichen Existenz keine Probleme verursachen. In diesem Rahmen wird es einem Teil der Flüchtlinge möglich sein, zurückzukehren. Es gibt hierzu auch viele Lösungsmodelle. Es könnte beispielsweise das belgische Modell praktiziert werden, indem das binationale Prinzip auf allen Ebenen verwirklicht wird. Es würden also zwei getrennte nationale Parlamente mit einem übergeordneten Parlament entstehen. Und so entstehen zwei demokratische politische Entitäten, die zueinander nicht wie zwei getrennte Staaten stehen, sondern eine sehr enge Beziehung auf der Ebene der Außengrenzen, des wechselseitigen Handels und der Aufenthaltserlaubnisse unterhalten.
Im Endeffekt muss dieses Land als ganzes Palästina für die Palästinenser sein, und Israel für die Israelis.
Al-Arabi: Besteht die Möglichkeit eines zionistischen Friedens? Eines Friedens mit dem zionistischen Staat? Eines Friedens, der nicht auf der Befreiung Israels vom Zionismus beruht?
A.B.: Hier muss zwischen der „historischen Kompromisslösung“ und dem „Ausgleich“ unterschieden werden.
Einen Ausgleich kann man ohne eine historischen Kompromisslösung erreichen. Aber der Ausgleich ist durch einen zeitlichen Rahmen eingeschränkt, der eine ethische und historische Ebene hat.
Ein Ausgleich beruht auf Machtbalance. Dies war, was Rabin erzielt hatte, wobei er – meiner Meinung nach – das Recht nicht auf seiner Seite hatte.
Ein Ausgleich bedeutet, die Tatsache zu akzeptieren, dass es einen Besetzer und einen Besetzten gibt. Ein Ausgleich ist eine Art gegenseitigen Respektierens zwischen dem Besetzer und dem Besetzten, was Peres immer wieder betonte.
Beide, Peres und Rabin, haben immer nur von Ausgleich gesprochen. Das ist schon gut, aber man kann nicht einen Ausgleich schließen und einen Frieden in der ganzen arabischen Welt erwarten, vor allem in der gegenwärtigen historischen Phase.
Das ist eine alte Debatte zwischen mir und der zionistischen Linken, da sie diesen Sachverhalt nicht versteht. Denn sie redet immer nur über das Problem vom Jahr 1967, als ob das Problem vom Jahr 1948 nicht existierte (und wenn es existiert, dann nur in der Wissenschaft und nicht in der Politik). Das ist ein großer Fehler. Und wenn Sie mich fragen, ob es einen zionistischen Frieden geben kann, dann antworte ich, dass es einen Ausgleich geben kann, aber nie einen umfassenden, endgültigen Frieden.
Al-Arabi: Wenn Sie davon ausgehen, dass der Zionismus eine kolonialistische und imperialistische Bewegung ist, und wenn wir annehmen, wie wir wissen, dass die Lösung der imperialistischen Konflikte in der arabischen Welt auf der Befreiung vom Imperialismus beruht, ist dann die Lösung des arabisch-israelischen Konflikts auch die Befreiung vom Zionismus?
A.B.: Wenn die Rede von einem Konflikt zwischen zwei Völkern ist, dann besteht die unmittelbare Lösung in der Befreiung der besetzten Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen.
Wenn wir von der politischen/theoretischen Ebene des Konfliktes sprechen, dann besteht die Lösung langfristig in der Befreiung Israels vom Zionismus. Das bedeutet, dass der Staat damit aufhören muss, sich als die Vertretung der zionistischen Bewegung zu präsentieren. Denn er ist keine Bewegung mehr, sondern er ist ein Staat, der sich als demokratisch bezeichnet. Das bedeutet, dass die Fundamente dieses Staates auf staatsrechtlichen Grundsätzen beruhen sollten und nicht auf nationalistischen. Ebenso sollte die besondere Stellung der jüdischen Frage, die besondere Stellung des „jüdischen Nationalfonds“ und das israelische „Rückkehrgesetz“, dass jedem Juden das Recht auf Einwanderung und sofortige Einbürgerung gibt, die Nichtjuden aber ausschließt, aufgehoben werden. Das bedeutet: die Führung des israelischen Staates muss in eine Verwaltung des Landes durch das Volk umgewandelt werden.
Al-Arabi: Betrachten Sie die Idee des jüdischen Staates als eine brutale? Sind Sie heute bereit, das Existenzrecht Israels als Staat der Juden anzuerkennen?
A.B.: Gewiss ist diese Idee brutal. Denn der Zionismus war grundsätzlich nie eine Volkbefreiungsbewegung, sondern er war eine Bewegung, die sich das Ziel gesetzt hatte, einen Staat mit jüdischer Bevölkerungsmehrheit zu gründen, in einem Land, das mehrheitlich von arabischer Bevölkerung besiedelt war. Der Zionismus war eine Bewegung, der die Juden zu einer Nation machen wollte, indem er ihnen einen jüdischen Staat gründete. Und so verließ sich die zionistische Bewegung auf die kolonialistischen Praktiken und war somit Teil des kolonialistischen Projekts des Imperialismus im Nahen Osten.
Der zionistische Imperialismus war durchaus anders als der britische, der französische oder der deutsche, aber trotzdem waren die zionistischen Praktiken imperialistisch geprägt, da sich die zionistische Bewegung auch als imperialistisches Projekt betrachtete.
Es ist klar zu sagen, dass, wenn du ein Land besiedelst, das nicht dein ist, und deine politischen Ziele auf Kosten eines anderen Volkes durchsetzen willst, du dann Gewalt benutzen musst. Daher wird diese Gewalt Teil deines Projektes. Und daraus entspringt der gewalttätige Widerstand der ursprünglichen arabischen Bewohner.
Al-Arabi: Bedeutet dies, dass Sie die Existenz eines jüdischen Volkes anerkennen, das das Recht auf einen eigenen Staat hat?
A.B.: Wenn Sie die Frage über die Existenz eines jüdischen Volkes stellen, dann ist meine Antwort: Nein, ich erkenne nicht die Existenz eines einzigen jüdischen Volkes auf der Welt an. Ich glaube auch, dass das Judentum eine Religion ist und kein Nationalstaat. Die Menschen jüdischen Glaubens sind auf der ganzen Welt verstreut und haben daher keine einheitliche nationale Identität. Daher bin ich der Ansicht, dass die weltweite jüdische Gemeinschaft kein nationales Selbstbestimmungsrecht im eigentlichen Sinne besitzt.
Ich glaube auch, dass es vor der Entstehung des Zionismus kein nationalistisches Judentum in Europa gab. Denn das Judentum des damaligen Europa bestand aus religiösen Gruppen, die der Zionismus versuchte zu einem Volk und zu einem eigenen Staat umzuorganisieren.
Al-Arabi: Sind sie bereit zu akzeptieren, dass jüdisch-israelische Kinder und arabisch-palästinensische Kinder die gleichen Rechte auf dieses Land haben und dass es um einen Konflikt zwischen zwei Arten von Gerechtigkeit, zwischen zwei Arten von Recht geht?
A.B.: Es gibt keine Ähnlichkeit zwischen beiden Seiten. Es kann keine zwei Rechte auf einen Boden geben. Da stimme ich mit der zionistischen Linken nicht überein, weil der Konflikt in einem imperialistischen Rahmen stattfand und stattfindet.
Es haben sich in diesem Land Gruppierungen aus verschiedenen Ländern angesiedelt und den Boden, der einem anderen Volk gehörte, besetzt. Auch wenn es heute tatsächlich ein gewisses jüdisch-israelisches Volkstum gibt, hat dieses jedoch keinerlei Ähnlichkeit mit der arabischen Nation z.B. und die Behauptung, eine jüdische Nation würde existieren, ist falsch.
Es gibt überhaupt keine Ähnlichkeit in den Rechten von vor mehr als 50 Jahren von ihrem Boden vertriebenen Palästinensern und einer illusionären Gruppe, die vor 2000 Jahren aus Lodda vertrieben wurde. Somit gibt es keine Ähnlichkeit zwischen zwei unterschiedlichen Rechten.
Die Rechte der Palästinenser sind viel schwerwiegender und wir sind in dieser Phase verpflichtet, dies mit aller Deutlichkeit auszudrücken, da die rechten Zionisten behaupten, dass nur Israel Zugeständnisse machen würde, während die Palästinenser überhaupt nicht nachgeben würden.
Aber in der Realität müssen wir die Behauptung umkehren und den Israelis die Fragen stellen: Wo gebt ihr denn nach? Auf was verzichtet ihr? Auf unser eigenes Land! Was ihr eigentlich tut, ist, dass ihr uns einen kleinen Teil von unseres eigenen Boden zurückgebt. Ihr gebt heute einen kleinen Teil eines Bodens zurück, den ihr einmal gestohlen habt.
Al-Arabi: Sie sagen, dass sie das Recht der Juden auf Selbstbestimmung akzeptieren. Praktisch schlagen sie einen Staat für die Einwohner in den Grenzen von 1967, die Rückkehr der Flüchtlinge, sowie einen palästinensischen Staat im Westjordanland und im Gazastreifen innerhalb eines arabischen Gebiets vor. Was Sie also theoretisch anerkennen, ist unmöglich zu schaffen. Denn unter solchen Umständen wird es für die Juden nie ein Recht auf Selbstbestimmung und auf einen Nationalstaat geben?
A.B.: Das Selbstbestimmungsrecht war nie eine absolutes Recht. Ich war bereit, das Selbstbestimmungsrecht in Bosnien und Jugoslawien anzuerkennen, was zu vielen Ungerechtigkeiten führte. Deswegen glaube ich nicht, dass die Juden im Jahr 1948 in Palästina ein Selbstbestimmungsrecht hatten und wenn es so ein Recht jemals gab, dann hat es schlussendlich zu Ungerechtigkeiten geführt, die ich nicht akzeptieren würde.
Abgesehen davon reden wir heute über einen Staat, der real existiert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ich in der Vergangenheit gegen die Entstehung eines solchen Staates war. Was wir heute anstreben, ist die Wiederherstellung einer gewissen Gerechtigkeit zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Volk. Abgesehen davon gibt es heute eine jüdische Mehrheit, die der Staat vertritt, und im Falle der Entstehung eines binationalen Staates in Zukunft, wäre es möglich, dass ein Recht auf Selbstbestimmung existiert.
Al-Arabi: Besteht die Möglichkeit einer palästinensischen Anerkennung des Zionismus oder ist es dumm, überhaupt auf diese Idee zu kommen?
A.B.: An diese Idee zu denken ist dumm. Ich glaube sogar, dass die Zeit für die Juden gereift ist, sich von dieser komischen Geschichte des Zionismus zu befreien.
Ich sage das nicht, weil der Zionismus sich auf Kosten der Araber und der Palästinenser gebildet hat und ausgedehnt hat, ich sage das, weil der Zionismus auch bevor er nach Palästina kam, keine feste Grundlage hatte, denn er besteht aus einer Mischung von Religion und Volkstum bzw. Nationalität, die es nirgendwo auf der Welt gibt, weil das eine verrückte, unmögliche Idee ist.
Und so stellt sich heraus, dass trotz der gut entwickelten staatlichen Basis und der modernen Technologie die politische Kultur immer rückständiger wird, immer mehr nach rechts und extrem rechts tendiert, immer rassistischer und religiös fundamentalistischer wird. Somit entsteht das Gegenteil von dem, was Herzel vor hundert Jahren erzielen wollte, es entsteht ein religiöses „Veto“.
Al-Arabi: Trotz all dem, wenn sie eine Position in dieser staatlichen Organisation innehaben, nehmen Sie doch am zionistischen Projekt teil?
A.B.: Richtig. Das ist das Paradoxon der Araber, die in Israel leben. Das ist das Paradoxon Azmi Bischaras im israelischen Staat. Denn es ist unmöglich zu sagen: „Ich bin stolzer Araber und ein treuer Israeli zur selben Zeit“, das ist Unsinn. Dieses Paradoxon ist kein Paradoxon der Vernunft, sondern das Paradoxon, das die Realität erzwingt.
Al-Arabi: Fühlen Sie persönlich dieses Paradoxon in ihrem Alltag in der Knesset?
A.B.: Ich fühle diesen Konflikt täglich. Auf der einen Seite würdige ich die Knesset, auf der anderen Seite fühle ich eine gigantische Fremdheit, weil alles hier in einer jüdischen Symbolik versinkt, die mich verstößt, die Thora-Verse, die Reden über Jerusalem und das Bild von Herzel. Manchmal, in den Feierlichkeiten muss ich mich an meinem Tisch festhalten, um nicht zu explodieren, um nicht die Feierlichkeit zu verderben. Und so verbleibt nur noch ein bitterer Geschmack, der nichts an den Tatsachen ändert. Es ist sehr schwer für mich …
Al-Arabi: Hat ihr „Loyalitätsversprechen“ ihre vorhin beschriebenen Schwierigkeiten hervorgerufen?
A.B.: Ich war wochenlang unentschieden, ob ich zu der Schwurzeremonie gehen soll, aber am Ende habe ich mich entschieden, es nicht zu verdrängen und doch hinzugehen.
Ich habe mich damit abgefunden, dass dies die Konsequenz davon ist, was ich erreichen wollte: Ich wollte Eingliederung und Gleichberechtigung, ich wollte eine Demokratie, die mich miteinbezieht, ich wollte kämpfen für die Existenz eines Staates und für die Bewohner, und ich wollte die Anerkennung einer palästinensischen Minderheit. Deswegen muss ich die Konsequenz des Schwures verkraften und akzeptieren. Aber ich war sehr nervös an dem Tag, so nervös, dass ich den Schwursatz vergessen habe, und es ist besser so. Die Formulierung beinhaltete, dass „ich Israel und seinen Gesetzen treu bin …“, ich habe kein Problem mit Israels Gesetzen, weil ich als Knesset-Mitglied Gesetzesänderungen einfordern kann. Mein Problem besteht in der Treue zum Staat Israel. Bedeutet dies die Treue zum Staat Israel, oder bedeutet es die Treue zu den grundsätzlichen Werten, auf denen der Staat entstanden ist, oder bedeutet es die Treue zur Judaisierung Palästinas…
Al-Arabi: Das Bild von Jamal Abdel-Nasser hängt bei Ihnen im Büro in der Knesset und im Büro in Al-Nassrah [Nazareth; die Red.].
A.B.: Als ich Anfang der sechziger Jahre in Al-Nassrah aufgewachsen bin, waren wir besiegte, verachtete Menschen. Viele von uns waren Flüchtlinge im eigenen Land, waren isoliert von der arabischen Welt und von unserem normalen kulturellen Umfeld.
Wir lebten in einer Belagerung innerhalb jener Reste, die die palästinensische Gesellschaft nach der Vertreibung im Jahr 1948 hinterlassen hatte.
Auf einmal hörten wir eine starke, selbstbewusste Stimme in unseren Radios, die sagte: „Wir sind ein Teil einer starken Nation, die vom Ozean bis zum Golf existiert“. Plötzlich fühlten wir uns nicht mehr schwach und alleingelassen. Wir fühlten, dass wir uns auf jemanden verlassen konnten, vor dem Israel große Angst hatte, wir hatten wieder Hoffnung. Und so wurde Nasser mein Vorbild. Wann immer Abdel-Nasser eine Rede hielt, war unser Haus wie ein Kino, weil wir die einzigen waren, die einen Fernseher hatten.
Vielleicht war Nasser für uns eine Art Saladin. Ich habe an mehrere Helden in meinem Leben geglaubt: Saladin, Nasser und Lenin.
Und so hatte ich manchmal sogar die Vorstellung, dass die Rote Armee uns befreien wird, vor allem vor dem Jahr 1967.
Ich habe damals nicht davon geträumt, dass Israel nicht mehr existieren soll oder dass die Juden verschwinden sollen, sondern ich wollte, dass die Araber den Krieg gegen Israel gewinnen und dass das arabische Volk Israel besiegt, um das Unrecht abzuschaffen.
Deswegen war der Schock sehr groß bei der Niederlage im Jahr 1967 und nach dem Tod von Abdel-Nasser erreichte der arabische Pessimismus seinen Höhepunkt. Denn plötzlich wurde klar, dass Israel nie verschwinden wird, es wurde uns klar, dass Israel kein einfaches imperialistisches Phänomen (wie in Algerien oder Vietnam) ist und dass es in den rückständigen Verhältnissen der arabischen Welt nicht zu besiegen ist.
Al-Arabi: Wie definieren Sie sich? Als arabischer Nationalist mit der Tendenz zur arabischen Einheit? Als Nasserist?
A.B.: Vor allem bin ich Humanist. Ich bin Demokrat und liberal. Ich glaube, dass die nationale Identität und die Zugehörigkeit zu dieser Identität wichtige Bedingungen sind, um die Erneuerung der Gesellschaft zu fördern. Und ich finde keinen Widerspruch zwischen diesen Eigenschaften und meiner Liberalität und somit definiere ich mich als arabischer Nationalist. Wenn ich in den arabischen Schulen vortrage, sage ich den Schülern, dass sie sich nicht für ihr „Arabisch Sein“ schämen sollen und dass sie nicht denken sollen, dass „Erneuerung“ israelisch ist, es gibt eine arabische Erneuerung, auf die man stolz sein soll. Und deswegen sehe ich mich als neuen Nasserist, unabhängig von der Kritik, die ich an ihn habe.
Abgesehen davon sehe ich ihn als den einzigen politischen Helden des arabischen Volkes im 20. Jahrhundert. Das nasseristische Projekt war grundsätzlich ein reformatorisches. Denn es versuchte, die Fundamente der Gesellschaft zu entwickeln und staatliche Institutionen zu schaffen, es versuchte, eine neue Industrie zu gründen, wie auch ein neues Militär und eine neue Verwaltung, die mit ihren Gesetzen die Würde des Volkes wieder herstellen sollte.
Ich sehe das Projekt Nassers als das einzige arabische Projekt des Jahrhunderts. Und deswegen müssen wir nicht heute von Null anfangen, Nassers Projekt wurde in der Mitte seines Weges unterbrochen und wir müssen heute diesen Weg auf eine demokratische kritischen Art weitergehen. Wir müssen die Idee Nassers im Sinne einer demokratisch erneuerten Idee wieder beleben. Ich glaube, dass dies schon anfängt, nachdem der politische Islam langsam in die Krise gerät.