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Laila Khaled: Kein Verzicht auf den bewaffneten Kampf

8. Februar 2002

Interview der ägyptischen nasseristischen Zeitung Al-Arabi

Die Intifada ist nun ein Jahr alt. Wie beurteilen Sie den Ablauf des letzten Jahres und wie schaut es heute aus?
Die erste Errungenschaft der Intifada war die Wiedervereinigung der palästinensischen Massen und der palästinensischen politischen Kräfte, die nach dem Oslo-Abkommen auseinander geraten waren. Zweitens hat die Intifada einen wesentlichen Teil der Araber vom 1948 besetzten Teil Palästinas mitgezogen, die 13 Gefallene eingebüßt haben. Das wichtigste ist, dass die Intifada die arabischen Massen überall beeinflussen konnte. Diese Entwicklung muss durch die Schaffung von Solidaritätskomitees vertieft werden. Weiters hat die Intifada die arabischen Regierungen gezwungen, wieder jährlich ein Gipfeltreffen zu veranstalten, um „ihre Solidarität mit den Palästinensern“ auszudrücken, abgesehen von den realen Beschlüssen dieser Gipfeltreffen. International wird das wahre Gesicht Israels und des Zionismus entlarvt. Die Intifada entlarvte auch alle Abkommen, die unsere Rechte auf Land und Rückkehr nicht berücksichtigen. Sie zeigte, dass sich die Option, mit dem Feind zu verhandeln, als eine miserable Option erwiesen hat, die uns nicht einmal ein Minimum unserer Rechte zurückbringen konnte. Auf der israelischen Seite gibt es auch schwere Verluste in den Bereichen Tourismus, Handel und Landwirtschaft. Es gibt auch eine Krise unter den Zionisten selbst, die sich Fragen über den Nutzen dieser Aggression gegen die Palästinenser stellen mussten.
Aber natürlich bleibt diese interne Debatte der Zionisten im Rahmen der rassistischen zionistischen Ideologie und drückt keine geistige Entwicklung der zionistischen Führung aus.
Natürlich, aber die Entwicklung der Intifada verursachte eine Spaltung in der israelischen Gesellschaft und führte die „israelischen“ Araber durch die Solidarität mit den Palästinensern von Westjordanland und Gaza auf die palästinensische Seite zurück. Dies sollte uns helfen, die Kampfmethoden der Intifada weiterzuentwickeln und die „israelischen“ Araber miteinzu-schließen. Die Intifada muss ein Programm der totalen Konfrontation entwickeln. Wir dürfen nicht mit einer Regierung der extremen Rechten verhandeln und sollten uns von deren leeren Versprechen nicht betrügen lassen. Das palästinensische Lager muss auch neu geordnet werden und wir müssen alle palästinensischen Institutionen wiederherstellen und neu gestalten. Wir müssen den anderen klar zu verstehen geben, dass die Palästina-Frage eine politische Frage ist und keine Frage der Sicherheit, die durch Treffen der Vertreter der Sicherheitskräfte beider Seiten und die Verhaftung der Kämpfer zu lösen ist. Wir brauchen auch die arabische Unterstützung, besonders wenn die Regierungen nur von Unterstützung reden, aber bisher nichts unternommen haben. Die Palästinenser haben das Recht zu wissen, ob sie mit ihren arabischen Schwestern und Brüdern rechnen können.
Sie sind also der Ansicht, dass die arabische Öffentlichkeit nicht genug getan hat?
Die arabischen Massen haben zu Beginn der Intifada sechzig Tage lang ihre Solidarität demonstriert. Nachher ist dies zurückgegangen. Das ist nicht der Schuld der Massen, sondern der arabischen Parteien und politischen Kräfte, die dieser Epoche nicht gewachsen sind und sich durch Kleinigkeiten von der Hauptfrage ablenken lassen. Wenn die arabischen Oppositionsparteien den Regierungen nicht gewachsen sind, dann heißt das, dass sie dabei versagt haben, die arabische Öffentlichkeit für eine umfassende Solidarität mit der Intifada zu mobilisieren. Ohne die Ader der Massenunterstützung könnte die Intifada eine Niederlage erleiden. Intern kann diese Niederlage zu Stande kommen, wenn das eigene Haus nicht neugeordnet wird, das heißt wenn nicht alle Teile der PLO wieder an den politischen Entscheidungen teilnehmen, denn bis jetzt beschränkt sich dies auf die Feldarbeit. Ohne dem Feind große Verluste zuzufügen, werden wir ihn nicht dazu bringen, unsere Rechte anzuerkennen. Der Anfang seines Ende war im Südlibanon, wo der Feind durch die Schläge des Widerstands vertrieben wurde. Der Feind muss begreifen, dass die Besatzung ihn viel kostet und ich meine hier auch menschliche Verluste. Die Geschichte kennt keine Besatzung, die ohne Kampf beendet wurde. Israel steht nicht über der Geschichte.
Wenn wir über Kampf reden, dürfen wir Sie über die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes seitens der PFLP befragen? War diese mit dem Mord an Abu Ali Mustafa verbunden oder hat die Vorbereitung dieser Wiederaufnahme vor seinem Tod stattgefunden?
Das Oslo-Abkommen lähmte unsere Aktivitäten, aber der Umzug der PFLP-Führung nach Palästina und die Beschlüsse des sechsten PFLP-Kongresses wirkten sich positiv auf die Organisation der PFLP im Land aus. Somit gewann die PFLP ihre Kraft teilweise zurück. Zwar ist der Tod von Abu Ali Mustafa ein großer Verlust, denn historische Führungen werden nicht täglich geboren, aber wir haben einen neuen Vorsitzenden gewählt und wir hoffen stark, dass das Programm der Intifada-Führung weitergeführt wird.
Der Tod von Abu Ali war ein Verlust für uns alle. Können Sie uns über Abu Ali, der als Palästinenser und Araber den Weg des Widerstandes nahm, mehr erzählen?
Ich lernte Abu Ali Mustafa im Jahr 1969 kennen. Er war damals ein Militärführer der PFLP. Ich sah ihn zum ersten Mal in einem Trainingslager in Jordanien. Da kannte ich noch nicht sein Gesicht. Eine Gruppe von Genossinnen war gerade bei einer Kriechübung, als das Auto von Abu Ali heranfuhr. Ich hielt das Auto an und sagte, er solle warten, bis die Mädchen vorübergekrochen wären. Er wunderte sich über dieses Mädchen, das das Auto des Militärführers anhielt. Man sagte ihm, das ist Laila Khaled, eine neue Kämpferin in der Truppe, und so haben wir uns kennen gelernt. Wir trennten uns, als ich für die Flugzeugentführungen rekrutiert wurde. Wir trafen uns wieder nach meiner Freilassung aus der Haft in England.
Weil Abu Ali ein Vorsitzender war, hatten viele von ihm den Eindruck, er sei ein trockener Mensch. Ich selbst kam ihm am Anfang persönlich nicht näher und beschränkte mich auf das militärische. Mit der Zeit und durch den gemeinsamen Kampf lernte ich seine menschliche Seite kennen und unterhielt gute Beziehungen zu seiner Familie. Er war eine lebensfreudige und freundliche Person, was ich, zugegeben, am Anfang nicht glauben konnte. Er lebte im Gegensatz zu vielen anderen Führern einfach und sein Haus war klein und bescheiden, wie das eines palästinensischen Kämpfers. Er besuchte seine Genossen bei allen freudigen und traurigen Anlässen und unterstützte sie in ihrem Kampf für ihre Rechte, was ich bei ihm besonders schätzte und was uns einander näher gebracht hat.
Wie war seine Haltung gegenüber dem Feind?
Seine verborgene Zärtlichkeit war die Kehrseite seines harten Standpunktes gegenüber dem Feind. Als ihn die Journalisten bei der Brücke am Jordan fragten, warum er in die Autonomiegebiete zurückkehre, antwortete er: „Ich kam, um das Banner des Widerstands und des bewaffneten Kampfes dorthin zu tragen“. Das heißt, er kehrte nach Palästina zurück, aber er war mit dem Oslo-Abkommen nicht einverstanden.
Hat dieser Standpunkt seine Beziehung zur Behörde Arafats beeinträchtigt?
Letztendlich hat dies ihm das Leben gekostet… Im Rahmen der Intifada vereinigten sich die Palästinenser und sein Verhältnis war grundlegend von der Konfrontation mit Israel bestimmt.
Wie war die Beziehung zwischen Abu Ali Mustafa und George Habash?
Natürlich war dies eine feste Beziehung zwischen Kampfgenossen. Abu Ali lernte von Habash die Organisationskunst. Abu Ali studierte an keiner Universität und musste sich alles selber beibringen. Er war ein einfacher Bauer, der sich in der PFLP und durch die Beziehung mit George Habash sowohl auf der theoretischen Ebene als auch in der Praxis entwickelte. Er las viel und beschäftigte sich intensiv damit, sein Wissen zu erweitern, was ihn zu einer großen Person machte. Alle haben erwartet, dass er Habash folgen würde, was auch tatsächlich geschah.
Abu Ali ist nun zu einem Teil der ruhmreichen Geschichte der PFLP geworden. Was ist mit der Gegenwart? Was halten Sie von Ahmad Saadat, dem neuen Vorsitzenden der PFLP?
Genosse Saadat verbrachte sein ganzes Leben in Palästina. Er wurde sieben Mal verhaftet und hat eine lange Kampfgeschichte hinter sich. Er ist zwar in den Medien nicht sehr bekannt, jedoch beruht dies darauf, dass er immer im Untergrund gearbeitet hat. Er könnte vielleicht jetzt Schwierigkeiten dabei haben, von der geheimen zur öffentlichen Arbeit zu übergehen. Er wird vielleicht beide Ebenen kombinieren, was heute für die PFLP und die Intifada von Nutzen sein kann. Er wird am Anfang sicher einige Schwierigkeiten haben, aber ich kenne ihn gut und glaube, dass er bald alles in den Griff bekommen wird. Außerdem ist er nicht allein. Da ist auch das Politbüro, das ihn nicht alleine lassen wird. Was nicht über Saadat veröffentlicht wurde ist, dass er eine sehr bescheidene Person ist. Er zieht es vor im Schatten zu bleiben und ist sehr einfach und korrekt im Umgang mit den anderen. Er ist sehr schweigsam, aber man merkt, dass er große Erfahrung hat, mit der er nicht prahlt. Seine Wahl ist ein Zeichen, dass die PFLP keine Zugeständnisse im Kampf gegen Israel macht, und dass sie trotz des Rücktritts von Habash und des Mordes an Abu Ali Mustafa weiter existiert. Wir gehen unseren Weg weiter und haben 40 Tage nach dem Tod unseres Vorsitzenden einen neuen Vorsitzenden sowie dessen Stellvertreter gewählt.
Einige Jugendliche der PFLP sagen, dass die Wahl von Abdulrahim Mulawah als Stellvertreter des Vorsitzenden ein Kompromiss zwischen der harten Position Saadats und der pragmatischer Position Mulawahs gegenüber der PNA sei. Was sagen Sie dazu?
Die PFLP hat ihre Geschichte und Ahmad Saadat ist eine wirkliche Persönlichkeit, der einen eigenen Charakter und eine eigene Rolle hat. Trotzdem ist es nicht nur der Vorsitzende, der die Politik der PFLP bestimmt. Es gibt ein Zentralkomitee und ein Politbüro, die eine wesentliche Rolle spielen. Das Zentralkomitee ist das Haupt der Organisation. Es gibt auch einen Generalkongress der PFLP, der mit dem Oslo-Abkommen nicht einverstanden ist. Es gibt zwar Personen in der PFLP, die andere Meinungen haben, aber sie vertreten diese nur im Rahmen des Generalkongresses, der insgesamt keine derartige Versöhnung mit dem Feind akzeptiert. Dies sagten wir schon im Jahr 1993, das heißt vor der Intifada. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter müssen nach den Beschlüssen des Generalkongresses handeln. Auch wenn wir annehmen, dass die Wahl von den beiden ein Kompromiss zwischen zwei Strömungen wäre, was ist schlimm daran? Wir würden uns dann freuen, dass wir eine Form finden, die alle vereinigt.
Würde so eine Kompromisslösung nicht die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes beeinträchtigen?
Wir haben den bewaffneten Kampf nie aufgegeben, um ihn wieder aufzunehmen. Diese Unterbrechung war auf schwere interne Umstände zurückzuführen, die wir heute hinter uns haben. Heute kämpfen wir wieder und wir werden weiter kämpfen. Aber dies benötigt auch Unterstützung. Wir können einfach über bewaffneten Kampf reden, aber wenn wir ihn tatsächlich führen wollen, brauchen wir auch Waffen in ausreichenden Mengen. Eine Kontinuität kann nur durch die Zusammenarbeit aller Organisationen garantiert werden.
Die Polizei Arafats schoss auf die Demonstranten der Islamischen Universität in Gaza, die für Bin Laden demonstriert haben. Wie erklären Sie diese überwältigende Popularität Bin Ladens in der palästinensischen Öffentlichkeit?
Natürlich sind wir gegen die USA, die Israel gegen das palästinensische Volk unterstützen. Die Rede Bin Ladens in Al-Jazeera entflammte die Gefühle der Araber und der Palästinenser. Aber wir dürfen ihm nicht übertrieben zujubeln. Wir müssen begreifen, dass er nie etwas mit Palästina zu tun hatte. Er war immer in Afghanistan und kämpfte nur gegen die Sowjets. Die Leute demonstrieren gegen die USA aber nicht für die Taliban oder für Bin Laden. Natürlich sind wir gegen die USA, wenn sie ein wehrloses Volk angreifen. Was die Zwischenfälle in Gaza betrifft, so hoffe ich, dass die Untersuchungen über die Verantwortlichen für die Tötung der Demonstranten bald Ergebnisse aufzeigen, die allen Organisationen glaubwürdig erscheinen, sodass die nationale Einheit erhalten bleibt und die Intifada weiter bis zum Sieg geführt werden kann.

Ein Interview der ägyptischen nasseristischen Zeitung Al-Arabi

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