zu der Palästina/Israel-Diskussion in der Linken
Nachfolgender Artikel wurde ursprünglich für das Diskussionsforum der Volksstimme zu Israel und Palästina geschrieben, von dieser jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass er sich erstens auf die Kritik an Teilen der westlichen Linken und deren Position zu Palästina konzentriere, und zweitens zu polemisch sei.
Wie die Aufforderung über die „Rezeption der israelischen und palästinensischen Politik in der österreichischen Linken“ zu diskutieren, wie es bei der Eröffnung des Diskussionsforums in der Volksstimme ausdrücklich hieß, denn anders zu verstehen sei, als im Rahmen der eigenen Position (kritisch) zu den Positionen anderer Teile der Linken Stellung zu nehmen, bleibt die Antwort der Volksstimme jedoch schuldig. Des weiteren weisen wir darauf hin, dass die in den letzten Wochen in der VS erschienen Artikel, allen voran jene von Thomas Schmidinger und die entsprechenden Entgegnungen, klar ausgedrückt, nichts anderes als journalistische Polemiken sind.
Es ist folglich offensichtlich, dass die VS unseren Beitrag nicht abgelehnt hat, weil er zu polemisch ist, sondern vielmehr deswegen, weil unser Beitrag mit der politischen Blattlinie der VS nicht ausreichend konform geht. Ein Armutszeugnis für diese Zeitung, zumal es sich außerdem um einen Beitrag für ein Diskussionsforum handelt.
Um Übrigen sollte die VS, falls sie auf ihrem „friedenspolitischen Mittelweg“ im Nahostkonflikt glaubwürdig erscheinen möchte, endlich eine palästinensische Stimme in Ihrem Forum zu Wort kommen lassen.
Auf der Seite der Unterdrückten, bedingungslos!
Der Konflikt zwischen dem israelischen Staat und den Palästinenserinnen und Palästinensern wird allgemein, und zwar unabhängig vom jeweiligen politischen Standpunkt, als einer der bedeutendsten für die internationale Politik bezeichnet. Darüber hinaus gibt es in der Linken kaum einheitliche Interpretationen. Das ist umso verblüffender, da selten Tatsachen so eindeutig und für sich selbst sprechend sind, wie in diesem Konflikt.
Gibt es eine andere Bezeichnung für die Vertreibung von Millionen von Palästinensern, die praktisch entschädigungslose Expropriation von Land und Eigentum, die seit Jahrzehnten andauernde militärische Besatzung, die kontinuierliche Landnahme, die völkerrechtswidrigen Ermordungen und Folterungen, die systematische Zerstörung jeglicher wirtschaftlicher Lebensgrundlage, die Existenz von Millionen Flüchtlingen, denen die Rückkehr in ihr Land untersagt ist, die Verweigerung politischer Souveränität und demokratischer Grundrechte, die systematische Diskriminierung der Palästinenser mit israelischem Pass, Elend auf der einen, Reichtum auf der anderen Seite, kurz gibt es eine andere Bezeichnung für diese Situation als „koloniale Unterdrückung“?
Wie soll die Tatsache, dass der israelische Staat der weltweite größte Empfänger von finanzieller und militärischer Unterstützung von Seiten der USA sowie einer ihrer wichtigsten politischen Verbündeten ist, anders interpretiert werden, als dass es sich hier um einen imperialistischen Konflikt handelt, in dem auf der einen Seite der Imperialismus – der Ausdruck sei uns verziehen, es gibt keinen treffenderen – steht, auf der anderen ein unterdrücktes Volk?
Diese Tatsachen sollten, so scheint es, genügen, um eine Positionsbestimmung der Linken zu erlauben. In einem kolonialen und imperialistischen Konflikt sollte es, möchte man glauben, für Linke keinen Zweifel daran geben, auf welcher Seite sie zu stehen haben, nämlich auf jener der Unterdrückten. Allein, in der Palästina-Frage sind die Dinge anders. Während der palästinensische Widerstand in der westlichen Linken bis Anfang der 90er Jahre weitgehend als antikolonialer Befreiungskampf betrachtet und daher unterstützt wurde, hat sich heute die Linke mehrheitlich dem Urteil des Imperialismus angeschlossen und spricht von einem terroristischen Kampf gegen das israelische Volk. Folgerichtig gehen viele, die Wert darauf legen als Linke bezeichnet zu werden, so weit, die Solidarität mit Israel einzufordern.
Andere, die von der Notwendigkeit einer politischen Lösung sprechen, verspüren insbesondere nach den Anschlägen des 11. September 2001 das Bedürfnis, sich vom „Terrorismus“ abzugrenzen und beeilen sich, die palästinensischen Selbstmordattentate als terroristisch zu verurteilen. Man mag zu dieser Art von bewaffnetem Kampf stehen wie man will, doch die politische Unterstützung für die Befreiungsbestrebungen eines unterdrückten Volkes davon abhängig zu machen, ist im Grunde nichts anderes als eine rein kolonialistische Einstellung. Frantz Fanon, der große Denker des antikolonialen Befreiungskampfes, klagte die französische Linke während des algerischen Befreiungskrieges an: „Zehn französische Zivilisten werden bei einem Hinterhalt ermordet und die ganze französische Linke schreit wie aus einem Mund: wir folgen euch nicht mehr. (…) [Sie] überreicht dem algerischen Volk ihre Bedingungen: verurteilt die Bomben und wir werden euch weiter unterstützen.“
In der Geschichte der Menschheit hat Unterdrückung immer die Tendenz aufgewiesen, Widerstand hervorzurufen. Das ist im Nahostkonflikt nicht anders. Welche Formen dieser Widerstand annimmt, hängt vor allem von den Formen und der Intensität der Unterdrückung ab. Insofern trägt die Hauptverantwortung für den Tod von israelischen Zivilisten der israelische Staat selbst.
Das weiß auch die westliche Linke. Der Hinweis auf die „menschenverachtenden Selbstmordattentate“ ist daher nur ein Vorwand, um den Palästinensern jegliche Solidarität zu verweigern. Der wahre Grund für diese Haltung liegt vielmehr darin begründet, dass sich seit Anfang der 90er Jahre der Linksliberalismus in der westlichen Linken politisch durchgesetzt hat. Sein übersteigerter Ausdruck wird allgemein als „Antinationalismus“ bezeichnet.
Unter dem Druck der imperialistischen Propaganda vom „menschenverachtenden Nationalismus“, die im Jugoslawienkrieg mit einer in Österreich klassischen Serbenhatz ihren Anfang nahm, hat der linksliberale Mainstream begonnen, Befreiungs- und Widerstandskämpfen mit nationalem Ausdruck jedweden emanzipatorischen Aspekt absprechen. Großes Interesse hegen die Linksliberalen und insbesondere die Antinationalen hingegen für den Antisemitismus, den sie als Hauptübel nicht nur der deutschen und österreichischen jüngeren Geschichte, sondern auch der internationalen weltpolitischen Gegenwart betrachten. Es ist jedoch historisch nicht nur falsch und gefährlich, den Nationalsozialismus ausschließlich oder vorrangig mit dem Antisemitismus zu erklären, es bedeutet auch, die aktuelle Form der offiziellen Vergangenheitsbewältigung des deutschen und österreichischen Staates zu akzeptieren, die mit einem um fünfzig Jahre zu spät kommenden Schuldbekenntnis für die Ermordung von Millionen Juden von ihrer tatsächlichen antikommunistischen Kontinuität mit dem faschistischen Staat abzulenken suchen.
Hinter dem vermeintlichen Kampf der Linksliberalen gegen Antisemitismus, der als rassistisch-diskrimintorische Ideologie mit dem Kolonialkonflikt in Palästina nichts zu tun hat, sondern ein europäisches Problem ist, verbirgt sich allerdings ein latenter, im Falle der Antinationalen unverhohlener, anti-arabischer und anti-islamischer Rassismus. Ein Mal mehr stehen die Linksliberalen und Antinationalen damit auf einer Linie mit dem Imperialismus, womit eigentlich klar sein sollte, dass diese Strömungen, bar jedes gesellschaftlichen Antagonismus zu den herrschenden Machtverhältnissen, sich vielmehr zu deren Erfüllungsgehilfen mit linker Rhetorik transformiert haben.
Nachdenklich stimmt angesichts dieser Entwicklung die Tatsache, dass die Volksstimme dem linksliberalen Mainstream so viel Raum gibt. Ist damit der Positionswandel der KPÖ von einer einstigen Verteidigerin des palästinensischen Befreiungskampfes hin zu einer pro-zionistischen Unterstützerin Israels abgeschlossen?
Margarethe Gal
Für die Antiimperialistische Koordination