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Die italienische Zivilgesellschaft in Palästina

16. März 2002

Mariagrazia Ardizione

In Italien existiert eine breite Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Volk, die teilweise selbst von den Institutionen ausgeht. So sind die Behörden auf regionaler, kommunaler oder Provinzebene zahlreich – die meisten von ihnen sind dem Mitte-Links-Bündnis zuzurechnen (Christlichsoziale und Linksdemokraten, in einigen Fällen auch Rifondazione Comunista, die Partei der Kommunistischen Neugründung), die vor allem seit dem Ende der ersten Intifada Aktivitäten zur palästinensischen Frage entwickelt haben. Dazu zählen die Entsendung von Delegation, die Organisation von Repräsentantentreffen beider Seiten, die Bereitstellung von Geldern für humanitäre Projekte, um die Lebensbedingungen der Palästinenser, unter ihnen vor allem die der Flüchtlinge, zu verbessern, die Unterstützung verschiedenster pazifistischen Vereine und Organisationen, die zu dieser Frage aktiv sind, sowie die Verabschiedung von Resolutionen, die den Respekt der UNO-Resolutionen, der Menschenrechte und des Rechts auf Selbstbestimmung der Palästinenser einfordern.
Bei all diesen Aktivitäten stößt man jedoch sehr bald an ihre politischen Grenzen, nämlich die Position der absoluten Äquidistanz. Auch wenn dies teilweise in der Natur von Institutionen liegen mag, so fällt doch das Fehlen jeglicher klarer Verurteilung der israelischen Besetzung auf. In Zeiten der Intifada wird da etwa ein „Waffenstillstand“ auf beiden Seiten beschworen. Israel wird als vermeintlich demokratischer Staat zum Respekt der Menschenrechte der Palästinenser aufgefordert und dazu, die notwendigen Schritte zum Aufbau eines demokratischen palästinensischen Staates zu setzen, der mit seinem Nachbarn friedlich zusammenleben soll. Die Palästinenser werden wiederum dazu aufgefordert, die Waffen abzulegen und die „Terroristen“ zu isolieren, um der Wiederaufnahme der Verhandlungen nichts in den Weg zu legen. Dabei wird allerdings geflissentlich verschwiegen, dass bei den bisherigen Verhandlungen niemals von einer Gleichstellung der beiden Seiten die Rede sein konnte. Es kommt jedoch noch schlimmer: Beide Seiten werden dazu aufgefordert, gegenseitig Zugeständnisse zu machen, mit der Perspektive der Losung „zwei Völker, zwei Staaten“, während in Wirklichkeit die Palästinenser nichts zuzugestehen haben. Die vier Punkte, die unseres Erachtens für einen gerechten Frieden unabdingbar sind, werden niemals als Forderungen genannt. Der Grund des Konflikts wird im Elend geortet, das mittels Hilfslieferungen oder Investitionen in den „Gebieten“ gelindert werden soll (es wird nie von „besetzten Gebieten“ gesprochen) und dank derer sich die Situation bald verbessern würde. Es wird ebenso wenig darüber gesprochen, dass das Elend, in dem der Großteil des palästinensischen Volkes zu leben hat, nicht vom zynischen Schicksal verursacht wurde, sondern von der Besetzung, die jegliche Entwicklungsmöglichkeiten im Keim erstickt.
In Italien haben verschiedene Gemeinden und Provinzen das Coordinamento Enti Locali per la Pace (Koordination der Lokalen Behörden für den Frieden) ins Leben gerufen, dessen Vorsitz die Provinz Perugia inne hat. Die Koordination spiegelt ebenfalls die „weder-noch“-Position der Behörden, aus denen sie sich zusammensetzt, wider. Auch hier war nie die Spur von einer Analyse der Unterdrückungssituation der Palästinenser als Ausdruck und Parallele der imperialistischen Unterdrückung der Mehrheit der Menschheit zu bemerken.
Oft finden sich auch Strukturen der Palästina-Solidarität in den beiden wichtigsten Linksparteien, den Linksdemokraten und Rifondazione Comunista (die Erben der historischen PCI), sowie in zahllosen Solidaritätskomitees und -vereinen mit pazifistischer, kultureller, gewerkschaftlicher, religiöser sowie Menschenrechtsausrichtung. Viele von diesen Strukturen wurden spezifisch zur Palästinafrage gegründet, bezeichnen sich selbst oft als überparteilich, doch letztendlich haben sie immer Verbindungen zu den beiden oben genannten Parteien sowie zu der ihnen nahe stehenden Gewerkschaft CGIL. Die wichtigsten sind auch Mitglieder der Tavola della pace (Friedenstisch), der, da er sich mit Krieg und Frieden beschäftigt, zwangsläufig auch das Thema Palästina behandeln muss. Der Friedenstisch wird vom äquidistanten Pazifismus beherrscht, der sich darauf beschränkt, beide Seiten dazu aufzufordern, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren und einander entgegenzukommen. Erst ein Jahr nach Beginn der zweiten Intifada und nachdem sie zahlreiche Delegationen entsandt haben, beginnen einige dieser Organismen sich gewisse Fragen zu stellen und ihr äquidistantes Verhalten ein wenig zu modifizieren, auch wenn der Konflikt Israel-Palästina nicht im Kontext des permanenten Krieges gesehen wird, den der Imperialismus zu führen gezwungen ist, um 4/5 der Menschheit im Stadium der Unterdrückung zu halten. So sprechen viele dem Befreiungskampf der Palästinenser und somit der Intifada ihre Unterstützung aus, unterscheiden diese aber genau vom „Terrorismus“, vor allem dem islamischen, der nicht als Teil dieses Kampfes betrachtet wird.
Das größte Verdienst dieser Organisatioen und ihrer Aktivitäten ist es vor allem mittels der humanitären Solidarität dazu beigetragen zu haben in den Palästinensern die Überzeugung und den Willen zu stärken trotz allem weiterhin in ihrem Land leben zu wollen. Auch die Entsendung der zahlreichen Solidaritätsdelegationen hat dazu beigetragen einen Großteil der italienischen Gesellschaft zur Palästina-Frage zu sensibilisieren und korrektere Informationen als die in den Medien erhältlichen zur Verfügung zu stellen. Die große politische Schwachstelle liegt in der Tatsache, dass die humanitäre Solidarität nicht in umfassendes politisches Bewusstsein umgewandelt werden konnte. Tatsächlich gehen die offiziellen Positionen dieser Organisationen nicht über die Äquidistanz von beiden Seiten, sowie über die Gleichsetzung der gewalttätigen Aktionen der Palästinenser – meistens als Terrorismus bezeichnet – mit der Gewalt der Besatzer hinaus, die in den meisten Fällen nur als militärisches Instrument verstanden wird, während ihr territorialer und politischer Aspekt kaum Beachtung findet.
Die Folgen dieser Herangehensweise sind 1. die vollkommen undifferenzierte Fixierung auf den Osloer-Prozess, der von allen Seiten stürmisch begrüßt wurde, ohne dass bemerkt wurde, dass er nur die Vorbereitung auf die heutige Situation der „Bantustans“ in den palästinensischen Gebieten war und dass die Besetzung tatsächlich nie aufgehört hat; 2. ein fast blindes Vertrauen in die israelische Linke, ohne zu sehen, dass gerade sie es war, die jedwede Möglichkeit einer tatsächlichen palästinensischen Souveränität zumindest in Gasa und im Westjordanland sabotiert hat und damit der Rechten und Scharon den Weg ebnete, dem jetzt die gesamte Verantwortung für die derzeitige Situation zugeschrieben wird; 3. ein ständiges Anrufen der UNO und der Europäischen Union um die Entsendung einer internationalen Schutztruppe zu erreichen, ohne genaues Mandat und ohne zeitliche Beschränkungen und daher mit dem Risiko, dass eine solche Kraft nur den Waffenstillstand überwachen und die Menschenrechtsverletzungen in Schranken halten kann und daher letztlich zur „Normalisierung der Besetzung“ beitragen würde.
In den letzten Monaten war eine leichte Veränderung der Positionen dieser Organisationen zu bemerken, die wohl mit der Verschärfung des Klimas unter der israelischen Rechtsregierung in Zusammenhang steht, andererseits jedoch auch mit der Tatsache, dass die Linksdemokraten nicht mehr in der italienischen Regierung vertreten sind und daher viele ihnen nahe stehende Organisationen nicht mehr fürchten müssen, ihre Partei vor der internationalen Gemeinschaft zu brüskieren.
Viele Komitees oder Vereine, die sich im Laufe ihrer Existenz auch mit Palästina beschäftigt haben, sind während der Protesttage in Genua im Genoa Social Forum zusammengeflossen. Die Hauptkomponente des Genoa Social Forum, also die Tute Bianche (Weiße Overalls) und die Centri sociali (Sozialen Zentren) Norditaliens, haben jedoch bis Ende des Vorjahres die Position vertreten, dass es anachronistisch wäre, weiterhin von einem unabhängigen und souveränen Staat Palästina zu sprechen, da heute das Problem des Staates bereits überholt sei. Sie haben auch folgerichtig nie an den verschiedenen Initiativen und Demonstrationen in Solidarität mit dem palästinensischen Volk teilgenommen, seien diese lokal oder national. Doch seit Jahresbeginn haben auch diese politischen Kräfte begonnen, an Delegationen teilzunehmen und so eine größere Sensibilität für das Problem zu zeigen.

Mariagrazia Ardizione (Mitglied der Antiimperialistischen Koordination Italien)

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