Ein Gespräch mit Vertretern von Abna al-Balad („Kinder der Erde“) aus Haifa
Im Folgenden geben wir ein Gespräch wider, das die Antiimperialistische Solidaritätsdelegation in Bethlehem mit Joav Bar und Salih Mahamid führte. Beide sind Mitglieder von Abna al-Balad (Kinder der Erde) und leben in Haifa. Joav Bar ist Mitglied des Politischen Büros seiner Organisation.
Wie ist eure Organisation entstanden und was sind ihre Grundlagen?
Man kann nicht über eine politische Bewegung sprechen ohne den historischen und gesellschaftlichen Hintergrund zu beleuchten. Palästina war ein Teil des Ottomanischen Reichs, wurde während dem Ersten Weltkrieg vom britischen Imperialismus besetzt. Gleichzeitig begann Ende des 19. Jahrhunderts die politische Bewegung des Zionismus – eine Siedlerbewegung, die Juden aus Europa nach Palästina brachte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Briten gezwungen, sich sukzessive aus ihren Kolonien zurückzuziehen. Sie trachteten aber danach, abhängige Staaten, Klientenstaaten in der Region zu erhalten. In Palästina gaben sie aus diesem Grund den Zionisten die Möglichkeit, große Teile des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Jahr 1948 kam es zu den Ereignissen, die nach unserem Verständnis al-Nakba, die Katastrophe, genannt werden: 1948 vertrieben die Zionisten den Großteil der Einheimischen aus ihrer Heimat. Eine geplante und systematische ethnische Säuberung fand statt. Die Zionisten verübten in vielen Städten und Dörfern um die Bevölkerung zu vertreiben, mehr als 500 Städte und Dörfer wurden vollkommen zerstört. Aus Haifa und Jaffa, den großen Küstenstädten, wurde der Großteil der Bevölkerung vertrieben. Diese Ereignisse sind die Wurzeln des palästinensischen Problems, das bis heute nicht gelöst ist. Dies ist auch der Grund, warum das Recht auf Rückkehr für die palästinensischen Flüchtlinge ein zentrales Element für die Lösung des Konflikts ist.
Unsere Politik bezieht sich vor allem auf das, was nach 1948 innerhalb der „Grünen Linie“ geschieht, d.h. in den Gebieten, die Israel 1948 besetzt hatte. Nach den großen Vertreibungen von 1948 blieb nur eine relativ kleine Minderheit arabischer Bevölkerung zurück. Bis 1966 lebte diese Minderheit unter direkter Militärherrschaft. Selbst nach dem Ende des „offiziellen“ Militärregimes leben die Palästinenser als Bürger zweiter Klasse, da sich Israel als „jüdischer Staat“ definiert – die Araber sind eine unerwünschte Minderheit. Der Jüdische Staat setzt bis heute die Politik der systematischen Enteignungen und der Vertreibung fort – unter allen Regierungen, unter „rechten“ ebenso wie „linken“, und zwar nicht nur im Westjordanland und im Gasastreifen, sondern auch innerhalb der „Grünen Linie“.
Wir sind eine Bewegung v.a. innerhalb der „Grünen Linie“, d. h. innerhalb der 1948 besetzten Gebiete. Im Staat Israel gibt es neben der informellen Diskriminierung durch den täglichen Rassismus auch eine offizielle Politik der Diskriminierung auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen: im Erziehungswesen, bei der Stadtverwaltung und -planung, etc. Andererseits leben wir in der absurden Situation, dass nach dem israelischen sogenannten „Antirassismus-Gesetzen“ eine Partei, die den rein jüdischen Charakter des Staates Israel in Frage stellt, nicht an Wahlen teilnehmen darf. Die arabische Bevölkerung innerhalb der „Grünen Linie“ zählt 2,5 Millionen Menschen.
Nach dem Schock der Nakba, der massenweisen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung, begann sich nur langsam wieder ein Bewusstsein zu entwickeln, eine Verteidigung und ein Kampf für demokratische Rechte.
Abna al-Balad wurde 1969 in Umm al-Fahm gegründet, als lokaler Klub für nationales Selbstbewusstsein und zur Verteidigung der Rechte der arabischen Bevölkerung. Ähnliche Organisationen sind zu der Zeit in vielen Städten innerhalb der „Grünen Linie“ entstanden. Ab 1970 wurden an allen Universitäten arabische Studentenvereinigungen gegründet. 1976 fand der erste Generalstreik der arabischen Bevölkerung innerhalb der „Grünen Linie“ statt, für das Recht auf Selbstbestimmung. Er war Teil einer großen palästinensischen Bewegung auch im Westjordanland, im Gasastreifen und unter der palästinensischen Bevölkerung im Libanon und in Jordanien. Die israelische Regierung hat einen scharfen Angriff gegen diese Bewegung gefahren und hat die Armee eingesetzt. Sechs Menschen wurden erschossen und Hunderte verletzt. Diese Bewegung war der Ausgangspunkt für den Kampf in zwei Richtungen, auf zwei Ebenen: einerseits um lokale Rechte und andererseits um nationale Rechte.
Abna al-Balad wurde gegründet um diese lokalen Initiativen zu koordinieren. Außerdem gab sich Abna al-Balad eine sozialistische Orientierung auf Grund der Erkenntnis, dass Israel nicht isoliert zu betrachten ist sondern als Teil des imperialistischen Systems – als Instrument des Imperialismus um die Bevölkerung des gesamten Nahen Ostens zu unterdrücken und auszubeuten.
Unsere zentrale Losung ist die Schaffung eines demokratischen Palästinas auf dem gesamten Territorium – das ist die einzige Lösung des Problems. Israel ist ein Apartheid-Regime, da sich das Verhältnis seiner Einwohner nicht durch die Staatsbürgerschaft geregelt ist, sondern auf der Grundlage von Rasse, Religion und Herkunft.
Der Hauptslogan der israelischen Linken ist die „Trennung“ (hafrada) – das ist das hebräische Wort, das dem Begriff „Apartheid“ exakt entspricht –, während die Rechte für direkte militärische Besetzung oder vollständige ethnische Säuberung eintritt. Die Schaffung von Gebieten mit jüdischen Mehrheiten in vielen Teilen des Landes durch ethnische Säuberungen – das wäre die konkrete Umsetzung des Vorschlags der „Trennung“, der Losung der israelischen „Linken“ – macht den Staat aber nicht demokratischer, sondern im Gegenteil.
Es ist ein großes Problem, dass die Weltöffentlichkeit die Apartheid in Südafrika abgelehnt hat, die Apartheid in Israel aber akzeptiert. Die Antirassismus-Konferenz in Durban (Südafrika) war eine bedeutsame Ausnahme. Der Grund dafür, dass dort unsere Position – Zionismus ist Rassismus – angenommen wurde, ist dass dort vor allem Organisationen aus der Dritten Welt vertreten waren. Der Rest der Welt, die westlichen Industriestaaten, teilen diese Position nicht, sondern stellt sich auf die Seite des Imperialismus.
Das zionistische Regime mag verschiedene Gesichter haben, „links“ und „rechts“, Likud-Block und Arbeiterpartei, aber beide verfolgen das gleiche Ziel: die Kontrolle über Palästina aufrecht zu erhalten. Die israelische Regierung sucht palästinensische „Partner“ nur in dem Sinn, wie die südafrikanische Regierung die Herrscher über die Bantustans als Partner gebraucht hat – als Partner zur weiteren und vielleicht zur effektiveren Kontrolle über die Palästinenser, um den Palästinensern weiterhin die Gleichberechtigung zu vorzuenthalten, um ihnen vor allem die Rechte auf Grund und Boden zu verweigern und eine wirtschaftliche Entwicklung zu unterbinden.
Abna al-Balad lehnt es ab, sich an dem Possenspiel der „israelischen Demokratie“ zu beteiligen. Alle Parteien, die in der Knesset vertreten sind, legitimieren die „israelische Demokratie“. Es gibt keine Möglichkeit, den Rahmen der Knesset zu überschreiten, selbst im Kampf um ganz alltägliche Rechte, Menschenrechte.
Ein kleines Beispiel ist die Geschichte von zwei kleinen Dörfern in Galiläa, Biram und Iqrit. Die Bevölkerung aus diesen Dörfern wurde nicht 1948, sondern erst 1951 vertrieben. Es gab einen langen Rechtsstreit und schließlich einen Entscheid des Höchstgerichts, dass den Leuten ihr Land zurück gegeben werden muss. Es war stets so, dass die israelische Partei in der Opposition jeweils das Recht der Bewohner von Biram und Iqrit unterstützt hat und die Partei, die an der Regierung war, alles getan hat um die Rückkehr der Leute in die beiden Dörfer zu verhindern.
Seit der Staatsgründung, seit 1948, herrscht in Israel de facto der Ausnahmezustand. Notstandsgesetze, die noch immer in Kraft sind, geben dem Militär freie Hand. Mehrere unserer Zeitungen wurden durch Anordnungen des Militärs geschlossen. Mit Verfügungen auf Grundlage der Militärgesetzgebung können Menschen ohne Anklage festgenommen und inhaftiert werden – Gefängnis ohne Gerichtsverhandlung. Das nennt sich hier „Verwaltungshaft“, und von dieser Methode wird auch ausgiebig Gebrauch gemacht.
Jedem Widerstand wird mit großer Brutalität und großer Willkür begegnet. Letzte Woche, als Scharon nach Haifa kam, organisierten wir eine Kundgebung. Die Kundgebung war völlig friedlich und wurde von der Polizei angegriffen. Joav wurde festgenommen, geschlagen und für drei Tage ins Gefängnis gesteckt. Es waren natürlich noch viele andere Menschen auf der Kundgebung, Joav wurde herausgepickt, weil er als Mitglied von Abna al-Balad bekannt ist und die Regierung mit unseren Positionen am wenigsten leben kann.
Wir haben nicht einfach eine engstirnige nationalistische Position, wir sind Sozialisten, und das bedeutet, wir stellen Forderungen nach einer Alternative nicht entweder nur für die Araber oder nur für die Juden, sondern für alle Menschen, die hier leben. Das ist der Grund, warum wir von der Regierung so gezielt angegriffen werden, wie Joav bei der Demonstration unlängst: weil er ein jüdischer Israeli ist, der sich für solche Forderungen einsetzt.
Die israelische Regierung versucht, den Widerstand in der Propaganda wegzureden und die Besetzung als etwas Normales darzustellen. Der gemeinsame Kampf von Juden und Arabern ist für das zionistische Establishment eine Katastrophe, was sie versuchen ist die Fiktion aufrecht zu erhalten, dass die Araber alle Juden aus Israel vertreiben wollten. Hinter dieser Propaganda steht das Bestreben, die Opfer zu kriminalisieren, denn schließlich haben die Israelis die Palästinenser vertrieben und nicht umgekehrt. Die israelische Regierung versucht auch, die Mitarbeit von Juden in Organisationen wie Abna al-Balad zu verhindern.
Dieser Staat ist nicht ein Staat wie jeder andere, es ist ein kolonialistischer Staat, hinter dem der Imperialismus steht. Der Zionismus hat keine Lösung für die Juden geboten, der Zionismus hat versagt. Wir – als Sozialisten – haben eine Lösung anzubieten. In den letzten zwanzig Jahren haben die Zionisten versucht, den Staat als normalen Staat darzustellen, und dass die Lebensbedingungen für die Araber in Israel besser wären als in anderen Ländern.
In Wirklichkeit sind die Palästinenser innerhalb der „Grünen Linie“, innerhalb des sogenannten Staats Israel mit der gleichen Unterdrückung und Besetzung konfrontiert wie die Palästinenser im Westjordanland und im Gasastreifen, nur nimmt diese Unterdrückung andere Formen an, die Rahmenbedingungen sind anders. Auch innerhalb der „Grünen Linie“ sind die Palästinenser rassistischer Diskriminierung, der Zerstörung ihres kulturellen Erbes, Enteignung ihres Landes usw. ausgesetzt. Seit dem Beginn der zweiten Intifada hat sich das besonders klar gezeigt. Die Palästinenser innerhalb der „Grünen Linie“ wurden genauso zum Ziel der israelischen Unterdrückung.
Ein weiterer Indikator für den rassistischen Charakter des Staats ist der Diskurs über die „demografische Gefahr“. Das Bevölkerungswachstum der Palästinenser innerhalb Israels wird als Herausforderung und als Gefahr für den jüdischen Charakter des Staats gesehen. Die Vorstellung, um jeden Preis eine jüdische Mehrheit aufrecht erhalten zu müssen ist der Grund, warum Israel die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge nicht akzeptieren kann. Selbst heute spricht die israelische Regierung zum Teil noch von „Transfer“ von palästinensischer Bevölkerung aus Israel, d.h. von Deportation, von ethnischer Säuberung. Das zeigt, dass sich der Charakter Israels und der zionistischen Bewegung seit ihren Anfängen über die Staatsgründung bis heute nicht geändert hat. Wenn man die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen Israels betrachtet, sieht man, dass es sich nicht um normale, demokratische Institutionen handelt und wir können sie nicht anerkennen. Ein Führer der Zionisten hat einmal gesagt, dass die Anwesenheit von Arabern in Israel nur geduldet werden kann, wenn sie wie Sklaven leben, alle anderen müssen umgebracht werden. Wir sind gegen diesen Staat nicht wegen seines jüdischen Charakters, den er vorgeblich hat, sondern auf Grund der Rolle, die dieser Staat in der Region spielt: als Hindernis der arabischen Einheit, zur Unterdrückung der arabischen Welt und zur Ausbeutung der Ressourcen hier. Die Entscheidung, vor die uns die Zionisten stellen, ist entweder zu sterben, oder in Palästina als Sklaven zu leben. Es bleibt uns nichts übrig als Widerstand zu leisten. Das macht die Einzigartigkeit unserer Bewegung aus. Die Religion oder die Herkunft der Menschen spielen in unserer Bewegung keine Rolle, was zählt ist die politische Überzeugung, dadurch können wir gemeinsam kämpfen, Juden und Palästinenser.
Wir sind überzeugt, dass es keinen grundlegenden Unterschied zwischen euren Überzeugungen und unseren gibt. Wir hier in Palästina, andere in Lateinamerika, in Afghanistan, wo auch immer – sind die Ziele der imperialistischen Angriffe, es geht nicht nur um unseren Kampf in Palästina: Es ist ein internationaler Kampf. Der Kampf gegen den Imperialismus muss gemeinsam geführt werden. Deshalb sind wir sehr froh, dass ihr zu uns gekommen seid, wir heißen euch in unserem Land willkommen, und wir sind sicher, dass weitgehende politische Übereinstimmung gibt und eine starke Grundlage für den gemeinsamen Kampf.
Wo liegen die Schwerpunkte eurer Arbeit? Was bedeutet es, im Staat Israel politisch aktiv zu sein?
Wir sind eine Volksbewegung, die zur Verteidigung unserer Rechte auftritt. Wir haben gute Beziehungen zu allen Parteien, zur Kommunistischen Partei, zu BALAD (Demokratische Nationalversammlung), und auch zu den islamischen Organisationen, das liegt auch daran, dass wir für sie keine Konkurrenz im Kampf um Sitze in der Knesset darstellen. Wir sind für die Einheit im Kampf.
Innerhalb der „Grünen Linie“ gibt es eine relativ starke, spontane Bewegung, die für Autonomie eintritt. Alle israelischen Institutionen sind rassistisch, und es gibt deshalb Versuche, Alternativen aufzubauen: medizinische Institutionen, Erziehungseinrichtungen, Rechtshilfe und juristische Beratung.
Was ist euer Verhältnis zu den arabischen Parteien in der Knesset und zu linken Organisationen in Israel wie der Organisation for Democratic Action? Uns scheint, dass letztere euch politisch sehr nahe stehen.
Die Israelis werfen den Arabern vor, dem Staat gegenüber feindlich gesinnt zu sein, aber in Wirklichkeit ist der Staat den Arabern gegenüber feindlich eingestellt. Die arabische Bevölkerung muss sich also verteidigen, und um sich zu verteidigen, muss man auch das Alltagsleben organisieren. Daher gibt es diese starke Bewegung auf lokaler Ebene, Institutionen aufzubauen um sich zu verteidigen und das Alltagsleben selbst in die Hand zu nehmen. Alle Parteien haben bis zu einem gewissen Grad Tendenzen in diese Richtung, aber alle Parteien sehen das als zweitrangig an, sie sehen ihre Hauptaufgabe in der Teilnahme am politischen System Israels, an den Wahlen, in der Knesset. Wir hingegen sagen, dass das israelische System nicht reformierbar ist, nicht verbesserbar ist, wir müssen eigene Institutionen, Organe der Massen schaffen um etwas für die Zukunft aufzubauen.
Nun einige Worte zu Democratic Action. Das Hauptproblem mit ihnen sind nicht politische Differenzen, sondern die Tatsache, dass sie sich nicht an der Massenbewegung beteiligen. Sie bauen ihre eigenen kleinen Organe auf, aber sie arbeiten nicht in der Bewegung und mit anderen Parteien zusammen, daher gibt es mit ihnen kaum Zusammenarbeit.
Der wichtigste Unterschied zwischen unserer Organisation und den Parteien in der Knesset ist, dass die Knesset-Parteien um sich am politischen System beteiligen zu können, politische Zugeständnisse machen müssen. Diese Zugeständnisse sind nicht nur Gerede oder irgendwelche oberflächlichen Veränderungen, sondern es handelt sich um tiefgreifende Fragen, welche direkte Auswirkungen auf die praktische Arbeit dieser Parteien haben.
Als zum Beispiel Asmi Bischara angegriffen wurde wegen seiner Kontakte in Syrien, schrieb er einen Brief an den Knesset-Vorsitzenden, dass er das Recht Israels, als jüdischer Staat zu existieren, anerkenne. Das untergräbt natürlich den Kampf für Demokratie. Zu unserer Bestürzung ist seine Partei, BALAD, auch keine linke Partei. BALAD hat sich auf die Seite der syrischen Regierung, gegen die demokratische Opposition in Syrien gestellt.
Unsere grundsätzliche Position als Organisation innerhalb der „Grünen Linie“ richtet sich gegen den israelischen Rassismus, gegen die Besetzung, wir sind Stolz, ein Teil der demokratischen Bewegung, der Befreiungsbewegung im Nahen Osten zu sein.
Wie ist das Verhältnis von Abna al-Balad zu den palästinensischen Organisationen in den 1967 besetzten Gebieten, zur PFLP, DFLP und anderen Parteien?
Alle Parteien in den besetzten Gebieten sind illegal gemäß den israelischen Gesetzen. Jeder, der Widerstand gegen die Besatzung leistet, wird als Terrorist bezeichnet. Wir sind Teil des Befreiungskampfes, und wir würden es begrüßen, wenn es eine Partei oder Organisation gäbe, die sowohl in den besetzten Gebieten als auch innerhalb der „Grünen Linie“ aktiv ist – wir würden uns sofort an einer solchen Organisation beteiligen. Auf Grund der israelischen Gesetze ist es nicht möglich, legal einer Organisation anzugehören, die vor allem in den besetzten Gebieten operiert. Das hindert uns natürlich nicht daran, mit den Palästinensern auch in den besetzten Gebieten verbunden zu sein und an den Diskussionen dort teilzunehmen. Es ist auch kein Geheimnis, dass unsere Positionen denen der Volksfront zur Befreiung Palästinas sehr nahe stehen. Auch die PFLP tritt für ein vereintes, demokratisches Palästina auf, für eine fortschrittliche, sozialistische Perspektive für Palästina. Aber leider ist eine sehr enge Zusammenarbeit auf Grund der israelischen Gesetze nicht möglich.
Wir sehen uns auch als Teil der fortschrittlichen Bewegung in anderen arabischen Ländern, die ebenfalls unterdrückt ist. Es gibt 300 Millionen Araber, und nirgendwo haben sie das Recht, sich demokratisch und frei auszudrücken. Die sogenannte Kampagne „gegen den Terror“, die nun (nach den Ereignissen am 11. September 2001) über uns hereingebrochen ist, bedeutet weitere Unterdrückung. Jeder Widerstand gegen die israelische Besetzung wird als „terroristisch“ bezeichnet. Auf Syrien und Libanon wird gewaltiger Druck ausgeübt, die Vertretungen palästinensischer Organisationen zu schließen.
Eine Frage an Joav: Wie ist es, sich als Jude für Palästina einzusetzen, und wie wird das in der israelischen Gesellschaft einerseits und von den Palästinensern andererseits aufgenommen? Ist es nicht auch ganz besonders deine Aufgabe, sich für ein neues Bewusstsein innerhalb der jüdisch-israelischen Gesellschaft einzusetzen, und auch innerhalb der israelischen Linken zu wirken?
Als Mensch, der genau an der Grenze zwischen Erster und Dritter Welt lebt, an der Grenze zwischen Israel und Palästina, habe ich natürlich einige interessante Beobachtungen gemacht. Es gibt keine Symmetrie zwischen Unterdrücker und Unterdrückten. Die arabische Gesellschaft ist den Juden gegenüber nicht rassistisch, während die jüdische Gesellschaft durch und durch rassistisch gegenüber den Arabern eingestellt ist, ganz egal, was deren Position ist. Meine Kinder gehen in eine arabische Schule. Der Grund, warum ich sie an einer arabischen Schule angemeldet habe, ist dass ich andere jüdische Aktivisten kenne, deren Kinder an jüdischen Schulen lernen und dort große Schwierigkeiten haben. Meine Kinder wurden in der Schule nie angegriffen, beschimpft oder diskriminiert.
Beim Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon zog sich auch eine große Zahl israelischer Agenten (Kollaborateure), die Südlibanesische Armee (SLA), zurück und kam nach Israel. Die meisten von ihnen – es handelte sich, wohlgemerkt, um Christen und Soldaten im Dienste Israels – zogen es vor, wieder in die Teile des Libanon zurückzukehren, die heute von der Hisbullah kontrolliert werden, obwohl sie von Gefängnisstrafen bedroht sind. Im Libanon können sie schließlich geachtete Mitglieder der Gesellschaft sein, und das ist besser, als Araber unter israelischer Herrschaft zu leben! Es gibt eine extreme anti-arabische und anti-islamische Propaganda hier. Die Hisbullah, die gegen Israel gekämpft hat, wird als terroristisch, fanatisch und hasserfüllt dargestellt – und dennoch ziehen die libanesischen Verräter vor, in einem Gefängnis der Hisbullah zu leben als „in Freiheit“ in Israel: Das ist doch bezeichnend.
Ich bin überzeugt, dass die Krise der israelischen Linken ihren Kern in der rassistischen Trennung zwischen Juden und Arabern hat – diese Trennung besteht sogar innerhalb der „israelischen Linken“. Die jüdischen Mitglieder der Kommunistischen Partei Israels werden ermutigt, Wehrdienst zu leisten, da die Kommunistische Partei die israelische Armee als legitimes Instrument zur Verteidigung des legitimen israelischen Staats betrachtet – nur „Exzesse“ der Armee werden verurteilt. Kleinere linke Gruppen, wie Mazpen („Kompass“), blieben in der israelischen Gesellschaft völlig isoliert, sie führen ein Ghetto-Dasein. Es gelang ihnen dennoch nicht, die Barriere zwischen ihnen selbst und den arabischen Massen zu durchbrechen.
Es gibt keine israelischen Revolutionäre und es kann keine „israelische Linke“ geben, denn Israel ist per definitionem ein Kolonialstaat. Links zu sein bedeutet, für die Befreiung von der Kolonialherrschaft zu kämpfen – daher gibt es eine palästinensische Linke. Juden, die für die anti-koloniale Befreiung auftreten, müssen sich der Bewegung des unterdrückten Volks anschließen. Nur die Einheit im Kampf kann die Einheit einer Lösung herbeiführen. Wenn es keine Einheit im Kampf gibt, können wir auch keine glaubwürdige Perspektive für alle Menschen, die hier leben, anbieten.
Wir sind Linke, und das bedeutet, dass die Herkunft der Menschen für uns keine Rolle spielt. Salih sieht mich nicht als Jude, und ich sehe ihn nicht als Nicht-Jude. Wir streben schließlich eine klassenlose Gesellschaft an, in der nationale Unterschiede ebenfalls keine Rolle spielen. Abgesehen davon sind wir auch deshalb gegen den Zionismus, weil die Zionisten das Judentum als Nation betrachten – das Judentum ist eine Religion. In den arabischen Ländern gab es schon immer Menschen jüdischen Glaubens, und es gab nie einen nationalen Konflikt zwischen Arabern und Juden – bis zum Auftreten des Zionismus. Ich möchte Prof. Moshe Zuckermann von der Universität Tel-Aviv zitieren. Er hat gesagt, dass die Juden niemals eine eigene, eigenständige Kultur hatten, die jüdische Kultur war immer eine Widerspiegelung der Kultur der Länder, in denen die Juden lebten. In den arabischen Ländern waren die Juden Araber, was ihre Kultur, Sprache usw. betrifft, so wie sie in den europäischen Ländern Europäer sind. In Israel gibt es sefardische Juden, d.h. Juden aus arabischen Ländern, und aschkenasische Juden, Europäer. Die Juden waren in den arabischen Ländern niemals Menschen zweiter Klasse. Ich möchte den Oberrabbiner des Irak, Chaduri Sasson, zitieren. Er hat gesagt, dass sich die Juden niemals als Fremdkörper gefühlt haben. Sie waren Iraker und Araber wie alle anderen auch.
Wie ist die Lage der Beduinen, und der vom Staat nicht anerkannten Dörfer in Israel?
In der Wüste, im Naqab (Negev), gibt es Beduinen, die unter widrigsten Bedingungen leben. Sie haben kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine Schulen, und sie dürfen keine Häuser bauen. Sie leben in der Wüste in Zelten oder kleinen Hütten. Sie werden immer wieder von der israelischen Polizei und Armee überfallen, die ihre Felder, ihre Zelte zerstört, ihr Eigentum beschlagnahmt und versucht, sie zu vertreiben. Es ist unglaublich, dass man andererseits, zwischen den armseligen Baracken der Beduinen, mitten in der Wüste, grüne Kibbuzim sieht, kleine Paradiese mit Schwimmbecken, grünem Rasen und Blumenbeeten. Das einzige Wasser, das die Beduinen zur Verfügung haben, sind die Abwässer aus den Kibbuzim. Soviel zur zionistischen Propaganda, sie würden die Wüste zum Blühen bringen.
Weiters gibt es im Norden und in der Mitte des Landes Dutzende nicht anerkannte Dörfer, in denen alle Häuser von der Zerstörung durch israelische Bulldozer bedroht sind und auch immer wieder zerstört werden. Diese Dörfer haben ebenfalls keine Wasser- und Stromleitungen, keinerlei Infrastruktur.
Wie äußert sich der Rassismus in Israel konkret für die Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft?
Es gibt eine inoffizielle, aber auch eine offizielle Apartheid in allen Lebensbereichen. Die nationalen und lokalen Budgets für alle Aufwendungen des Staates sind getrennt nach Juden und Nicht-Juden. Alle besseren Arbeitsplätze sind für Araber nicht zugänglich. Ein Beispiel: Die israelische Elektrizitätsgesellschaft, die Strom für alle Bewohner des Landes produziert, beschäftigt insgesamt nur sechs arabische Arbeiter. Als im Oktober 2000 die Demonstrationen begannen und Leitungen beschädigt wurden, boykottierte die Elektrizitätsgesellschaft die arabische Bevölkerung und weigerte sich, die Schäden in arabischen Gebieten zu reparieren.
Ich bin an sich dafür, alle israelischen Güter im Ausland zu boykottieren. Es wäre aber vielleicht schon hilfreich, in Europa darzustellen, wie die Apartheid-Politik selbst kommerzieller Unternehmungen in Israel aussieht, dass viele israelische Firmen keine Araber beschäftigen, jedenfalls nicht als qualifizierte Arbeitskräfte.
Die Diskriminierung im Erziehungswesen ist ebenfalls eklatant. Als die Forderung gestellt wurde, eine arabischsprachige Universität zu errichten, antwortete das Israelische Komitee für Hochschulbildung, dass derzeit keine neuen Universitäten benötigt werden, dass Israel genug Universitäten hätte. Der Anteil arabischer Studenten an akademischen Institutionen in Israel ist unproportional niedrig. Es ist auch nicht leicht für sie, denn sie müssen in einer fremden Sprache und in einer feindlichen Umgebung studieren, es ist sehr schwierig für arabische Studenten, ein Zimmer in der Nähe der Universitäten zu finden, da die rassistischen jüdischen Hausbesitzer nicht an Araber vermieten. Die Studentenheime ziehen Armee-Angehörige vor, das bedeutet, dass sie für arabische Studierende nicht zugänglich sind. Hervorragende arabische Hochschulabsolventen finden in Israel keine qualifizierten Arbeitsplätze und müssen ins Ausland gehen.
Was ist euer Verhältnis zu den islamischen Organisationen?
Unter den gegenwärtigen Bedingungen der Besetzung und Unterdrückung muss man zunächst festhalten, dass der bewaffnete Kampf und Widerstand legitim und rechtmäßig ist. Wir sehen es als unsere Hauptaufgabe an, die Massen zu organisieren. Wenn wir uns am bewaffneten Kampf beteiligten, könnten wir keine Organisation in den Massen aufbauen, und wir halten die Massenbewegung für letztendlich entscheidend. Das bedeutet auch, dass wir uns den israelischen Gesetzen anpassen müssen.
Es findet eine gewaltige Dämonisierung des Islam und der Araber im Allgemeinen statt. Es gibt verschiedenste islamische Bewegungen. Die Taliban waren ursprünglich eine Schöpfung der USA, des CIA und des pakistanischen Geheimdienst, und ihre Herrschaft war ein unterdrückerisches System. Es haben aber keineswegs alle islamischen Bewegungen haben eine solche gesellschaftliche Basis und dermaßen anti-demokratische Tendenzen.
Das andere Extrem ist die Hisbullah im Libanon, die relativ fortschrittlich ist. Sie fordern nicht die Errichtung eines islamischen Staats im Libanon, sie sagen dass es unter den multikulturellen Bedingungen des Libanons nicht möglich ist, eine Verfassung auf der Grundlage der Schari´a zu erlassen. Sie unterstützen u.a. die Zivilehe (die in Israel hingegen nicht existiert), und als Marcel Chalid wegen „Beleidigung des Islam“ von der Regierung vor Gericht gestellt wurde, verlangte die Hisbullah seine Freilassung. Wir haben natürlich nicht eine „fortschrittlich-islamische“ Ausrichtung, sondern eine sekuläre, sozialistische Perspektive, aber wir verurteilen die Dämonisierung des Islam und der islamischen Bewegungen. Die islamische Kultur ist Teil der Kultur aller Völker in dieser Region, selbst der Menschen, die nicht Muslime sind. Die Tatsache, dass die islamischen Bewegungen heute so stark sind, ist vor allem auf das Versagen der nationalistischen und sozialistischen Bewegungen – die für lange Zeit den Befreiungskampf dominiert hatten – zurückzuführen.
Die Unterdrückung ist so groß, und die Verzweiflung der Menschen ist so groß, dass sie alles tun würden, um sich zu befreien; wenn das bedeutet, fünf Mal täglich zu beten, werden sie es tun, und wenn es bedeutet, ganz strenge Kommunisten zu sein, dann werden sie sich dafür entscheiden.
Wie schätzt ihr die internationale Situation ein, die Rolle der USA und der EU?
Auf der ganzen Welt sind die Vereinigten Staaten die stärkste Macht, und im Nahen Osten ist ihre Macht besonders groß. In den strategischen Plänen der USA spielt der Nahe Osten eine ganz besondere Rolle. Die größte Gefahr sehen die USA darin, dass eine Bewegung entstehen und an die Macht kommen könnte, welche die Kontrolle über die Ressourcen beanspruchen könnte, um den Nahen Osten selbst zu entwickeln. Das ist der Grund, warum sich die USA so auf Israel stützen: Alle lokalen Regierungen – selbst vom Imperialismus abhängige Regimes – können niemals so zuverlässige Agenten der USA in der Region darstellen wie Israel.
Israel ist militärisch und ökonomisch von den USA abhängig. Im Abkommen zwischen den USA und Israel wird festgehalten, dass nicht nur gegenüber den Palästinensern, sondern gegenüber allen Staaten der Region eine israelische militärische Überlegenheit aufrecht erhalten werden soll. Es gibt heute keine politische Kraft auf internationaler Ebene, die eine Alternative darstellen könnte.
Die Europäische Union stellt manchmal taktische Differenzen in den Vordergrund, um Sympathien in der arabischen Welt zu erheischen, aber in Wirklichkeit möchte die EU die gegenwärtige Lage nur kosmetisch verbessern. Der Hauptwiderspruch besteht zwischen den arabischen Massen und dem US-amerikanischen Imperialismus, und die arabischen Massen sind sich dieses Widerspruchs auch bewusst.
Für uns ist jede Antikriegsbewegung, jede Bewegung, die den Imperialismus daran hindert oder es ihm schwerer macht den Nahen Osten anzugreifen, von großer Bedeutung. Wir begrüßen auch die Initiativen Scharon vor Gericht zu stellen. All dies zeigt Israel, dass es nicht für immer in einer überlegenen Position sein wird.
Gregor Kneussel