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„Unser Kampf richtet sich nicht gegen die Juden, sondern gegen die Besatzung“

16. März 2002

Abdalla al-Schami – Sprecher des Islamischen Dschihad

Zunächst einmal möchten wir euch alle herzlich hier in Palästina willkommen heißen und euch für eure Anstrengungen danken, das palästinensische Volk zu unterstützen. Auch begrüßen wir eure Aktivität gegen den Zionismus und Imperialismus. Für uns ist es wichtig mit allen antiimperialistischen und antizionistischen Kräften der Welt zu kooperieren. Wir müssen sehen, wer für diesen Konflikt verantwortlich ist. Wir sind verbittert darüber, dass Europa noch immer hinter Israel steht – und das obwohl es bereits 1944, 1948, 1967, 1973 und während der Intifada gegen uns kämpfte. In Europa behaupteten sie: „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, aber ihr könnt sehen, dass tatsächlich dieses Land niemals ohne Volk war.
Wir hoffen, dass eure Anstrengungen und jene der Gläubigen auf dieser Welt, der Menschen die den Frieden lieben, diese falsche Herangehensweise korrigieren können und dass klar dargelegt werden kann, dass wir keine Terroristen sondern Freiheitskämpfer sind, genauso wie jedes andere Volk, jeder andere Mensch auf dieser Welt, der für Frieden kämpft. Wir brauchen eure Hilfe um diese falsche Sichtweise zu ändern, wir brauchen Veränderungen in Europa, Amerika und vielleicht durch Freunde von euch in Israel.
Diesen Kampf führen wir um unser Recht auf ein Leben in Frieden. Genauso wie die Deutschen, die Italiener oder die Franzosen, wie jedes menschliche Wesen, wollen auch wir in Frieden und Sicherheit leben. Das ist der Grund, weshalb wir heute kämpfen und auch morgen unseren Kampf fortsetzen werden.
Wir kämpfen innerhalb Palästinas, wir haben nie irgendeine Aktion außerhalb durchgeführt, weder in Europa noch in Amerika, denn unser Ziel ist die Befreiung unseres Landes und nicht der Kampf gegen irgendjemanden außerhalb Palästinas. Schließlich sehen wir uns selbst als Freiheitskämpfer und auch die Schritte, die wir im Kampf hier in Palästina unternehmen dienen dem Kampf für unsere Rechte. Und dennoch werden wir von der westlichen Welt gehasst. Alles was wir fordern und brauchen sind unsere Rechte, nicht mehr und nicht weniger.
Wir sind auch traurig darüber und weisen es zurück, dass Europa uns auf die Liste der terroristischen Organisation gesetzt hat, obwohl, wie ihr wisst, unsere Kämpfer nur gegen den Zionismus in Palästina vorgehen, gegen die Besatzung und die Verbrechen der Israelis gegen unser Volk, unsere Kinder, unsere Frauen. Wir kämpfen auch gegen die Siedlungen, die sie direkt in unser Herz gepflanzt haben, in Gasa und dem Westjordanland.
Und all diese Vergehen bringen Europa nicht dazu, Israels Vorgehen zu verurteilen, sondern sie verurteilen uns. Wir blicken auf Europa, damit es uns hilft, aber das was Europa heute wirklich macht, ist gegen unsere Befreiung, ist gegen das palästinensische Volk gerichtet. Wir hoffen, dass ihr diese falsche Sicht der Dinge ein wenig korrigieren könnt.
Eine andere Sache, auf die ich noch zu sprechen kommen möchte, sind die Menschenrechte, denn wir respektieren die Menschenrechte, wir verteidigen sie mit unserem eigenen Blut und verteidigen sie auch für andere. Aber der israelische Staat, die zionistische Armee verletzen die Menschenrechte, wie man jeden Tag im Fernsehen sehen kann. Sie vergehen sich gegen das Recht der Menschen zu leben, zu lernen und zu lehren. Deshalb haben wir keine andere Wahl, wir haben alle möglichen Wege seit 1992 ausprobiert um Frieden mit den Israelis zu schließen. Die PNA schloss einen Frieden ohne Resultat, deshalb ist der einzige und richtige Weg für die Erringung unserer Rechte der Kampf und der Widerstand gegen Zionismus und gegen die israelische Besatzung in unserem Land.
Jene, die sich selbst in die Luft sprengen, um dem Feind zu schaden, nennen wir Istischhadi (von Schahid, Märtyrer) Die Leute in Europa halten das für brutal und reagieren negativ auf unsere Bewegung und sogar auf unsere Ziele. Aber ihr müsst wissen, dass der Istischhadi, wenn er geht, sehr gut weiß, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Denn die Israelis haben F-16, Schnellfeuerwaffen, Raketen, Panzer, Apache-Kampfhubschrauber und andere hochentwickelte Waffen. Mit denen greifen sie Zivilisten an, Menschen, die vielleicht gerade mal ein Gewehr oder auch nur einen Stein haben. Deshalb haben wir keine andere Möglichkeit uns zu verteidigen und zurückzuschlagen. Die Menschen in Europa sollten das fühlen, was wir fühlen, wenn sie unsere Familien und unsere Kinder umbringen.
Wenn Europa uns Panzer und Flugzeuge gäbe, würden wir mit diesen Operationen aufhören, aber ihr wisst selbst, dass Europa und Amerika hinter Israel stehen und von uns das Ende dieser Operationen einfordern.
Wenn Europa Israel auffordern würde die Verbrechen gegen unser Volk zu beenden, wenn Europa uns helfen würde, wären wir sehr dankbar. Aber wir sollten nicht vergessen, dass Europa der Grund für unsere Lage ist, denn es war Europa, das der israelischen Besatzung den Weg geebnet hat, es war eine europäische Entscheidung.
Unser Dschihad, unser Kampf ist nicht gegen die Juden als solche gerichtet, das ist ein wichtiger Punkt, den ihr verstehen solltet, unser Kampf richtet sich nicht gegen die jüdische Religion, wir kämpfen gegen die Besatzung und wenn die Besatzung von Großbritannien, dem Irak oder Italien ausgehen würde, es wäre egal, wir würden gegen jede Art der Besatzung kämpfen. Wir kämpfen hier nicht, weil hier Juden sind. Wir haben gute Beziehungen zu Juden in Amerika, Brasilien, Italien und England, denn sie okkupieren uns nicht. Dies hier ist ein Kampf gegen die Besatzung, egal von wem sie ausgeht. Als Islamischer Dschihad respektieren wir alle Menschen, unabhängig von ihrer Religion, seien es Juden, Christen oder was auch immer, wir respektieren ihre Religion, wir kämpfen nicht gegen niemanden aufgrund seiner Religion.
Wie ist euer Verhältnis zu anderen politischen Organisationen wie PFLP, Hamas oder PNA?
Zunächst glauben wir alle, als Palästinenser, von allen Parteien, dass wir das gleiche Schicksal unter der israelischen Besatzung und Aggression gegen uns und unser Volk teilen. Deshalb stimmen wir alle darin überein, den Israelis keine Chance zu geben, Konflikte in unsere nationale Einheit der Verteidigung unsers Volkes gegen die Besatzung zu säen.
Unsere Beziehungen zu allen politischen Bewegungen, wie Fatah, Hamas, PFLP oder DFLP sind gut, wir haben eine gelebte Einheit in unserer Aktivität. Natürlich haben wir Differenzen betreffend einiger Vorstellungen, Ideen oder Positionen, aber im Grunde sind wir alle vereint, unsere Differenzen sind Differenzen, keine Probleme. Selbst mit der PNA haben wir gute Beziehungen, wir respektieren die Autonomiebehörde, obwohl sie uns in gewisser Weise angreifen, aber wir glauben, dass wir alle gegen die israelische Besatzung kämpfen und nicht gegen die Autonomiebehörde.
Was ist eure Vision einer befreiten Gesellschaft? Wie sieht der Staat aus, den ihr aufbauen wollt, wie sieht eure Idee einer islamischen Gesellschaft aus? Wie seht ihr den Zusammenhang zwischen dem Kampf für die Befreiung der 1967 besetzten Gebiete und dem Kampf zur Befreiung ganz Palästinas?
Wir möchten klarstellen, dass es vor 50 Jahren noch nichts gab, was Israel hieß, es gab nur das Land Palästina, das Land in dem wir als Palästinenser seit Tausenden von Jahren gelebt haben. Wir hatten eine jüdische Minderheit, aber die lebte in Palästina.
Wir kämpfen um unsere Freiheit, wir kämpfen darum jeden Zentimeter Palästinas zu befreien, um unseren Staat darauf zu errichten, um dann ganz Palästina befreien zu können.
Was den ersten Teil der Frage angeht: Wir respektieren und glauben an das Recht des Volkes sich zu entscheiden und wir werden dem Willen des Volkes zustimmen, was immer es sich für ein System oder Regime wählt. Wir haben gewisse Ideen und Vorstellungen und wir werden versuchen innerhalb der Gesellschaft Leute für uns zu gewinnen, solange bis wir die Mehrheit stellen und die Leute dem zustimmen, was wir uns vorstellen, dann können wir das Regime ändern.
Viele Leute in Europa lehnen Euch wegen eurer Positionen zu den Rechten der Frau ab. Wie ist eure Stellung dazu?
Frauen sind die andere Hälfte von mir, meine Mutter, meine Schwester, meine Frau. Die Frau hat die gleichen Rechte. Ich glaube daran, dass Frauen zu schützen sind und in ihren Rechten zu unterstützen sind, denn sie sind ein Teil von uns.
Aber das heißt auch, dass ich mich dagegen verwehre, dass Frauen verkauft und gekauft werden, wie ein Produkt, denn so erscheint es in den Medien, in der Werbung. Das ist eine Beleidigung für die Frau und ihre menschliche Würde.
Meine Position gegenüber den Frauen kommt von meinem Verständnis des Islam, der Islam gibt der Frau einen hohen Rang in der Religion, es gibt zwei Suren im Koran, eine heißt „Maria“ und die andere „Die Frauen“. Das zeigt, dass der Islam, der Koran die Frau respektiert und Gott sie schützt und ihr Rechte gibt.
Wie ist eure Meinung zur panarabischen Bewegung? Unterstützt ihr die panarabische Idee oder steht euch die panislamische Einheit näher?
Wir unterstützen alle Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt. Es schaut dieser Tage danach aus, als ob die Welt dazu hin tendiere, vereinigte Organisationen, vereinigte Körperschaften zu gründen, wie die Europäische Union zum Beispiel. Aber was wir hier in unserem Gebiet erfahren, ist ein systematischen Plan Europas und Amerikas unser Gebiet weiter zu unterteilen. In der arabischen Welt sprechen wir dieselbe Sprache, leben dieselbe Kultur, blicken auf dieselbe Geschichte zurück, wir bewohnen dasselbe Land, wir sind dasselbe Volk. Und wir haben die notwendigen Voraussetzungen zur Vereinigung, aber der Westen will uns nicht vereint sehen. Vor dem 20. Jahrhundert war die arabische Welt geeint, es war ein Land, eine geographische und politische Einheit. Aber nach dem kolonialistischen Sykes-Picot-Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien wurde unsere Welt aufgeteilt und diejenigen, die dieses Abkommen geschlossen haben, haben immer noch Interesse an diesem Status quo.
Was denkt ihr über Bin Laden und was denkt ihr über den Iran? Im Iran haben wir die Erfahrung gemacht, dass Linke, Kommunisten und Islamisten zusammengearbeitet haben, aber nachdem die Islamisten an die Macht gekommen waren, unterdrückten sie die Linke.
Es gibt unterschiedliche Visionen von unterschiedlichen islamischen Bewegungen oder Parteien. Wir können also durchaus zu bestimmten Fragen anderer Meinung sein, in Bezug auf unsere Interpretation des Islam.
Zu Bin Laden: Nun, wir mögen mit ihm bei der Idee übereinstimmen für den Islam zu arbeiten, aber wir stimmen seinen Mitteln um das Ziel zu erreichen nicht zu. Wir akzeptieren Bin Laden, was seinen Kampf gegen den Imperialismus betrifft, denn er spricht auch über unsere Angelegenheiten, unsere Ziele, aber möglicherweise haben wir mit ihm zu anderen Fragen Differenzen.
Zum Iran: Als die iranische Revolution passierte, hatte das iranische Volk die Chance sein Regime zu wählen, ein demokratisches, ein islamisches oder was auch immer. Das Volk wählte, wie wir wissen, das islamische Regime. Das war nicht unser Wille, sondern jener des iranischen Volkes. Wir respektieren den Willen des iranischen Volkes, sowohl wenn es sich für den Islam entscheidet, als auch für irgendein anderes Regime. Es ist seine Entscheidung, seine Meinung. Wir haben schon zu Beginn unseres Treffens gesagt, dass, wenn wir hier in Palästina, so Gott es will, in Freiheit leben, und das Volk irgendein Regime möchte, so können wir es nicht dazu zwingen für ein islamisches Regime zu sein. Wenn es ein islamisches Regime will, dann können wir es nicht zu irgendeinem anderen zwingen. Es ist also der Wille des Volkes, das Volk entscheidet und wählt, möge Gott uns helfen.

Gasa, Januar 2002

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