Ergebnisse der Antiimperialistischen Solidaritätsdelegation in den Irak
In der letzten Märzwoche besuchte eine internationale Solidaritätsdelegation bestehend aus Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Österreich, Italien, Frankreich, Deutschland und dem Iran den Irak. Ziel der Mission war es sowohl die politische und soziale Situation des belagerten Landes kennenzulernen als auch unsere Solidarität gegen das Embargo und die neuen Kriegsdrohungen zum Ausdruck zu bringen.
Unsere Reise führte uns nicht nur nach Bagdad, sondern auch zu den schiitischen Heiligtümern in Kufa, Najaf und Kerbela sowie zu den Ausgrabungen in Babylon. Unter Missachtung der von den USA unilateral ausgerufenen Flugverbotszone begaben wir uns mittels Inlandsflug nach Basra, jener Millionenstadt, die unter den Zerstörungen und Kontaminationen des Krieges der „Heiligen Allianz“ 1991 am meisten zu leiden hat. Wir besichtigten Schulen und Spitäler und hatten Gelegenheit mit Vertretern der verschiedenen religiösen Gemeinschaften wie Schiiten, Christen und selbst mit der kleinen Gemeinschaft der Juden zusammen zu treffen. Wir sahen sowohl Orte der amerikanischen Bombardements von 1991 als auch Orte, die erst in den letzten Monaten bombardiert worden waren. Durch Gespräche auf der Straße gewannen wir auch Einblick in die Stimmungslage im Volk.
Trotz der Tatsache, dass sich das Land de facto im Kriegszustand befindet, konnten wir uns verhältnismäßig frei bewegen. Wir wurden vom Vizepremier Tariq Aziz und anderen hohen Repräsentanten der Regierung empfangen, denen gegenüber wir unsere Solidarität mit dem irakischen Volk aussprachen. Nichtsdestotrotz fanden wir Gelegenheit unsere historische Kritik hinsichtlich des reaktionären brudermörderischen Kriegs mit dem persischen Nachbarn sowie der Massaker an den Kurden auszudrücken. Insgesamt kamen wir zu folgenden Schlussfolgerungen:
1
Es existiert eine breite antiimperialistische Stimmung sowohl in den Volksmassen als auch unter den Intellektuellen und der Regierungshierarchie. Nicht nur Vertreter des Regimes, sondern auch auf den unvermeidlichen Tod ihrer Kinder wartende Mütter (geschuldet dem Sanktionsregime der UNO, das viele Medikamente blockiert) insistierten uns gegenüber: „Der Irak ist ein reiches Land. Wir brauchen keine Almosen. Wir können für uns selbst sorgen. Hebt die Sanktionen auf und macht Schluss mit den Kriegsdrohungen.“ Jedermann artikuliert die Hauptverantwortung des Westens für die soziale Misere breiter Teile der Bevölkerung, obwohl auch auf Kriegsgewinnler hingewiesen wird, die durch Schmuggel und ähnliche Geschäfte großen Reichtum anhäufen konnten.
2
Möglich wird die antiimperialistische Widerstandsstimmung auch durch die relative soziale Stabilität, die die Tatsache widerspiegelt, dass die Wirtschaft des Landes nicht völlig zum Erliegen gebracht werden konnte. Die grundlegende Infrastruktur wurde wiederaufgebaut, der Verkehr fließt, man sieht allerorts öffentliche und private Bautätigkeit. Dank einer allen zur Verfügung stehenden Ration an Grundnahrungsmitteln ist das Überleben möglich, auch wenn es oft zu Mangelernährung kommt, von der besonders Kinder betroffen sind. Obwohl in ihrem Ausmaß sehr eingeschränkt, ist die grundlegende Gesundheitsversorgung und der Schulbesuch gratis.
3
Im gesamten Land ist das Bildnis Saddam Husseins omnipräsent. Selbst in den Heiligtümern erhebt er sich betend über die Massen der Gläubigen. Angesichts des islamischen Bilderverbots kann das nur die religiösen Gefühle der Muslime verletzen. All das zeigt, dass der Irak gemessen an bürgerlich-demokratischen Kriterien keine Demokratie ist. Der Präsident und die Armee halten die Zügel der Macht fest in Händen. Dennoch ist es weder wahr, dass die verschiedenen Konfessionen unterdrückt (der deutlich spürbare säkulare Charakter des Staates garantiert das), noch dass die nationalen Minderheiten als solche diskriminiert würden. Religiöse und nationale Minderheitenrechte werden solange anerkannt, solange sie den ausschließlichen Machtanspruch des Baath-Regimes nicht in Frage stellen. In der Türkei, die vom Westen als den „demokratischen Standards“ entsprechend betrachtet wird, verfügen weder die Kurden noch die Alawiten, noch andere nationale und religiöse Minderheiten, keine auch nur ansatzweise ähnlich gearteten Rechte.
4
Der Baathismus ist ein widersprüchliches Phänomen. Er vernichtete die stärkste kommunistische Bewegung der arabischen Welt, nur um im wesentlichen ihr antiimperialistisches Reformprogramm der vollständigen Nationalisierung der Ölindustrie, der nationalen Unabhängigkeit auf Basis einer eigenständigen Industrialisierung und einer starken Armee im großen und ganzen durchzuführen. Seine Interessen am Golf beschneidend forderte der Baathismus den Imperialismus heraus. Doch bald verwandelte er sich in ein Werkzeug des Imperialismus gegen die islamische Republik im Iran, um so den Weg für die bis heute von den USA angewandte Strategie der „doppelten Eindämmung“ zu ebnen. Sobald der reaktionäre Krieg vorüber war, wendete sich Saddam mit dem Angriff auf die Kompradoren in Kuweit gegen US-Interessen. Dafür wurde das Land in Form des bekannten Genozids schwer bestraft. Gegen den Irak wurde nicht nur zum Erhalt der imperialistischen Ölexklave am Schatt-el-Arab Krieg geführt, sondern auch um die potentiell gegen die US-israelische Vorherrschaft gerichtete stärkste arabische Armee zu vernichten. In über einem Jahrzehnt bewies der Baathismus seine Fähigkeit gegen die westliche Aggression zu widerstehen. Es handelt sich um eine byzantinische Form des Antiimperialismus, der sich in einem gewissen Sinn auf das antiimperialistische und panarabische Moment in den Massen und in der Intelligenz stützt, jegliche unabhängige Bewegung derselben aber sofort unterbindet. Angesichts der Tatsache, dass der Baathismus eben ein antiimperialistisches Moment erhalten konnte, ist es kein Zufall, dass die gesamte Opposition inklusive der Kommunistischen Partei zu Instrumenten der USA degenerierten (vielleicht mit Ausnahme der proiranischen schiitischen Gruppen).
5
In dem Maße, in dem der Baathismus sich gegen die US-Aggression verteidigt und sich der amerikanischen Hegemonie im Nahen Osten entgehen stellt müssen wir ihn unterstützen. Gleichzeitig müssen wir die Regungen des Proletariats und der Volksmassen nach Demokratie und sozialer Gleichheit unterstützen, gegen dessen Unterdrückung stellen und so den Weg für den Aufbau einer neuen antiimperialistischen und kommunistischen Volksbewegung im Irak ebnen helfen.
Es mag sein, dass Rückschläge und Niederlagen für die USA in erster Instanz eine Stärkung des baathistischen Griffes auf die Massen bewirken könnte. Dennoch, jeder Schlag gegen die Vereinigten Staates hätte gewaltigen Einfluss auf die arabischen Massen in der gesamten Region und würde sie im Kampf gegen die amerikanischen Marionettenregime vorwärts treiben.
Sobald die amerikanisch-israelische Hegemonie in der Region einmal in Frage gestellt ist, geraten alle arabischen Regime ins Wanken. Zu aller erst jene den USA dienlichen aber in der Folge natürlich auch jene sich den USA widersetzenden aber dennoch die Volksbewegungen unterdrückende Regime wie jenes des Irak.
In jedem Fall führt der Kampf für einen antiimperialistischen und demokratischen Nahen Osten über die Verteidigung des Irak gegen den Imperialismus, denn ein wesentlichen Aspekt der Demokratie ist das nationale Selbstbestimmungsrecht einschließlich des Rechts der freien Verfügung über die natürlichen Ressourcen.
6
Die neue israelische Aggression gegen das palästinensische Volk und die dadurch in der arabischen Straße hervorgerufenen Unruhen machen einen baldigen Angriff auf den Irak schwierig. Es erwies sich für die Amerikaner als fast unmöglich die für einen größeren Krieg notwendige Unterstützung ihrer arabischen Marionetten zu erhalten. Daher sahen sich die Kriegstreiber in Washington gezwungen ihre Aggressionspläne vorerst zu verschieben. Aufrecht bleiben sie dennoch.
Obwohl die überwältigende militärische Überlegenheit der USA in der Luft es ihr erlaubt in kurzer Zeit dem Irak schwere Schläge zuzufügen, erscheinen die Möglichkeiten ein US-höriges Regime zu installieren durchaus beschränkt. Wie man in Afghanistan sah, zieht die Fähigkeit ein Regime aus der Luft zerstören zu können noch lange nicht automatisch die volle politisch-militärische Kontrolle am Boden nach sich.
Die USA wird alles auf die Karte der vernichtenden Wirkung massiver Bombenangriffe mit der Hoffnung setzen dadurch nach kurzer Zeit einen Staatsstreich zu ermöglichen. Sollte dieser Versuch misslingen, so könnte eine fortgesetzte Aggression die gesamte Region destabilisieren und den Irak an den Rande des Zerfalls bringen – ein den amerikanischen Interessen widerstrebendes Szenario, da dies im Süden pro-iranische Kräfte an die Macht bringen und im Norden den kurdischen Bestrebungen nach nationaler Einheit weiteren Auftrieb geben könnte und in der Folge die Türkei, einem der wichtigsten US-Verbündeten in der Region, schwächen könnte. Damit würden alle regionalen Grenzen und somit auch das fragile Gleichgewicht der amerikanischen Herrschaftsarchitektur erschüttert. Ein anderes mögliches Szenario ist das Überleben den Baathismus. Auch das bedeutete für die USA einen veritablen Rückschlag.
Nach dem 11. September und dem Krieg gegen Afghanistan durchlebt das US-Regime ein Delirium erschütteter Allmacht. Um jeden Preis soll der Eindruck der Omnipotenz aufrecht erhalten werden. Je mehr die Herrschenden bereit sind mit hohem Einsatz hohem Risiko zu operieren, desto mehr wächst auch die Gefahr der Niederlage. Ob dies schon in der bevorstehenden Aggression gegen den Irak der Falls ein wird, kann nicht vorausgesagt werden. Vier Fünftel der Weltbevölkerung warten sehnlichst darauf.
In diesem Sinn verpflichtete sich die Delegation im Falle einer abermaligen Aggression der USA und ihrer Alliierten gegen den Irak und sein Volk eine neue internationale Solidaritätsdelegation nach Bagdad zu schicken.
Antiimperialistische Koordination
Rom-Wien, 7. April 2002