Site-Logo
Site Navigation

Die Verteidigung Chávez` als erster Schritt

21. April 2002

Resolution der AIK zu Venezuela

1. Der 11. September hat eine neue Phase des Imperialismus eröffnet. Sie wird sich durch Rebellionen und Interventionen, durch harte und offene Konfrontationen, selbst neue Kriege zwischen den unterdrückten Völkern und dem Imperialismus auszeichnen. Man kann von einer imperialistischen „Normalisierung“ sprechen, insofern seine neokoloniale Essenz wieder offen hervortritt. Jene, die heute noch von der Globalisierung als etwas vom Imperialismus verschiedenes sprechen, hoffen verzweifelt jene kurzfristige und überkommene Strategie imperialistischer Befriedungspolitik weiterführen zu können, die vor dem wachsendem sozialen und antiimperialistischen Kampf weitgehend unbrauchbar geworden ist.
Als Bush seine Parole „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“ ausrief, hat er auch all jenen Versuchen einer unabhängigen nationalen Entwicklung wie dem der Regierung von Hugo Chávez den Krieg erklärt. Chávez drückte seine Opposition gegen die US-Politik mit den Worten „auf den Terrorismus kann man nicht mit Terrorismus antworten“ aus. Im Kontext der kriegerischen Eskalation brachte ihn diese „dritte Position“ endgültig in das Schussfeld des Imperialismus, der Venezuela prompt zu einem Teil der lateinamerikanischen „Achse des Bösen“ mit Kuba und der kolumbianischen Guerilla erklärte. Der vom US-Imperialismus unterstützte Putschversuch in Venezuela zeigt, dass in einer monopolaren Welt mit dem Imperialismus als einzigen, geeinten Block eine Neuauflage einer „blockfreien“ Position außerhalb der Protagonisten des internationalen Konfliktes illusorisch ist.

2. Die Entwicklung des Volkskrieges in Kolumbien ist der entscheidende Faktor für neue Möglichkeiten antiimperialistischer und sozialer Revolutionen in Lateinamerika und beeinflusst daher unmittelbar die politischen Ereignisse sowie die US-Politik am Kontinent. Die Stellung der lateinamerikanischen Regierungen zu diesem Konflikt sind ein wesentliches Kriterium für ihren politischen Charakter – auch aus der Sicht des Imperialismus. Der Bruch des Friedensprozesses durch die kolumbianischen Oligarchie und den Imperialismus angesichts ihres Scheiterns, den FARC einen Frieden ohne soziale Veränderungen aufzuzwingen, verschärft die Konfrontation in der gesamten Region. Die venezolanische Regierung unterstützte mit einigen anderen Regierungen im Rahmen der „Gruppe befreundeter Staaten“ eine Verhandlungslösung des kolumbianischen Konfliktes. Im Unterschied zu anderen hat sie sich jedoch nicht der Lüge angeschlossen, die Guerilla sei schuld am Scheitern des Friedensprozesses und verteidigt weiterhin den Weg der Verhandlungen. Unter den neuen Umständen kann diese Linie jedoch durch den Imperialismus nicht anders interpretiert werden, als „gegen uns zu sein.“

3. Die Regierung Chávez versucht ein Programm nationaler Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Eigenständigkeit im engen Korsett der kapitalistischen Globalisierung umzusetzen. Als viertgrößter Erdölproduzent der Welt (dessen Erlöse 75% des Staatsbudgets speisen) und Erbe einer vom Ölpreis abhängigen Wirtschaft, strengte Chávez eine Strategie der Belebung der OPEC an, um durch feste Förderquoten den Preis hoch zu halten und so finanzielle Ressourcen für die nationale Entwicklung und soziale Reformen zu mobilisieren. Angesichts der US-hörigen Golfstaaten zögerte Chávez nicht, eine Annäherung an den Irak, Libyen und Russland zu suchen (sowie an Kuba im Sinne eines „Blockes der Dritten Welt“). Auch wenn dain nur der legitimer Wille zur nationalen Entwicklung äußert, so sieht der Imperialismus dahinter die potentielle Bedrohung durch die „Waffe des Öls“.
Auf innenpolitischer Ebene erforderte der Kampf ums Öl als Quelle nationaler Entwicklung die Konfrontation mit der parasitären Bürokratie der staatlichen Erdölindustrie PDVSA und der mit ihr verbündeten Gewerkschaft CTV von Carlos Ortega, beides Erben der alten korrupten Regierungen von COPEI (Christliche Soziale Partei) und AD (Demokratische Aktion), die vom Ausverkauf des nationalen Reichtums lebten. Der angekündigte Versuch von Chávez die PDVSA zu säubern wurde daher sowohl für den Imperialismus als auch für die korrupte nationale Oberschicht zum Signal des Gegenangriffes.

4. Die sozialen und patriotischen Reformen der Chávez Regierung führten notwendigerweise zu einer Polarisierung zwischen der Ober- und Unterschicht des Landes. Trotz der „bolivarianischen“ Änderungen der Verfassung und der staatlichen Institutionen konnten die reaktionären Kräfte (Landoligarchie, Unternehmertum, Reste des alten bürokratischen Apparates, CTV als Gewerkschaft der Arbeiteraristokratie, Massenmedien, Militär- und Kirchenhierarchie) ihre politischen und sozialen Machtstrukturen erhalten. Der Versuch den Staatsapparats und die Zivilgesellschaft durch sukzessive Säuberung zu erneuern, wie es das Projekt von Chávez bolivarianischer „Revolution“ ist, konnte die erforderliche revolutionäre Zerstörung dieser Instanzen nicht ersetzen. Die reaktionären Kräfte, die kurzzeitig durch die Wahlerfolge von Chávez zurückgedrängt waren, reorganisierten sich und sammelten Kräfte um unterstützt vom Imperialismus zum Gegenangriff über zu gehen. Spätestens seit Februar begannen konkrete Vorbereitungen für einen Staatsstreich.

5. Die Strategie der reaktionären Kräfte war die Schaffung einer politischen Situation, in der der Putsch als Rettung der demokratischen Institutionen und der Zivilgesellschaft gerechtfertigt werden könne. Der historischen Erfahrung von Chile 1973 folgend, verband man den „sozialen Protest“ eines Unternehmer-Streiks mit der institutionellen Opposition im Parlament, der massiven Medienpropaganda und den Aufrufen der Kirche, um schließlich mit einem Putsch der Armee den Präsidentenpalast einzunehmen. Der entscheidende Moment in dieser infamen Strategie war die Provokation gewaltsamer Zusammenstösse mit Schusswechseln (die nach Zeugenaussagen von Scharfschützen der Putschisten selbst ausgingen), um die Regierung anzuklagen, gegen eine friedliche Zivilgesellschaft vorzugehen. Der Putsch sollte schließlich mit einem populistischen Bezug auf Chávez Ursprung 1989 untermauert werden, als sich dieser weigerte auf das eigene Volk zu schießen (während die Putschisten schon damals gegen die Armen vorgegangen waren, die sich gegen die Hungerpolitik des IWF im „Caracazo“ erhoben hatten, um auch während ihrer kurzen Herrschaft wieder auf die Armen zu schießen, die für Chávez auf die Straße gingen). Diese Konstruktion sollte sie als Retter der Demokratie, Zivilgesellschaft und selbst der Errungenschaft der Regierung Chávez legitimieren. (Vor allem unter den ehemaligen Weggefährten von Chávez in den Streitkräften, die mit ihm brachen um sich der reaktionären Opposition anzuschließen, war der populistische Diskurs des „Verrats“ von Chávez seit längerem verbreitet, um Wahlunterstützung für die Opposition zu mobilisieren.)

6. Pedro Camora, Präsident des Unternehmerverbandes Fedecámaras, repräsentiert die reaktionärsten Teile des Landes, die die Wiedererrichtung des alten, korrupten und diskreditierten Zweiparteien-Regimes von COPEI und AD ersehnen. Er stellte sich mit einer von Pinochet inspirierten Linie an die Spitze des Putsches. Kaum hatte der den Präsidentenpalast eingenommen, war sein erster Akt zur Rettung der Demokratie und der staatlichen Institutionen deren Auflösung (Parlament, Oberstes Gericht), um ein diktatorisches Regime über Präsidialdekrete einzuführen. Seine Politik zugunsten der Zivilgesellschaft war das Verbot aller Chávez nahestehenden Organisationen und ein Polizei – und Militäreinsatz unterstützt durch den Bürgermeister von Caracas und dessen Einheiten – gegen die Armen, die von den Hügeln um die Hauptstadt auf die Straße gingen, um sich dem Putsch entgegen zu stellen. Camora konnte auf die Unterstützung der USA und der reaktionärsten lateinamerikanischen Regierung, darunter Kolumbien, zählen.

7. Die Putschisten merkten bald, dass die massive Reaktion des Volkes die Gefahr eines offenen Bürgerkrieges mit unsicherem Ausgang bedeutete. Die proletarischen und armen Massen gemeinsam mit einem Teil der Streitkräfte (in erster Linie der Fallschirmjäger der Kaserne von Maracay und mehrerer F16-Staffeln) gingen mit von den Putschisten offensichtlich unerwarteter Entschlossenheit gegen den Staatsstreich vor. Ein Bürgerkrieg hätte wahrscheinlich rasch eine unkontrollierbare und potentiell revolutionäre Dynamik entfaltet, die den gesamten bürgerlichen Staatsapparat bedroht hätte. In jedem Fall jedoch hätte ein offener Bürgerkrieg in einem an Kolumbien grenzenden Land eine Gefahr für die US-Kontrolle der Region mit sich gebracht – angesichts einer von Teilen des Heeres unterstützt Volksbewegung – und ihre prekäre politische Hegemonie am Kontinent irreparabel geschädigt.

8. Angesichts dieser Situation schwankten die Putschisten offenbar und erlitten eine Spaltung nach der sich die reaktionäre Gewerkschaft von Ortega und der wichtigste Putschgeneral, Efraà­n Vásquez, von Camora distanzierten. Die Volkskräfte und die Militärs, die Chávez die Treue hielten, konnten rasch die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten ändern und die Kontrolle wieder gewinnen. Vizepräsident Diosdado Caballo übernahm interimistisch die Präsidentschaft bis Chávez, als demokratisch gewählter Präsident, seinen Posten wieder einnehmen konnte.

9. Der gescheiterte Putsch bedeutet sicher eine Niederlage für die pro-imperialistischen und reaktionären Kräfte des Landes sowie eine verübergehende Konsolidierung der patriotischen Kräfte um Hugo Chávez. In dieser Situation kann die Regierung Chávez ihre Politik der Säuberung der staatlichen Institutionen und des Militärs mit neuer Legitimität fortsetzen. Doch wieder wird alles nur im Rahmen der Institutionen selbst bleiben, ohne sie zu überwinden, die reaktionären Kräfte werden zwar zurückgedrängt, nicht jedoch eliminiert, sie können sich zurückziehen um sich neu zu formieren. Die Aufrufe von Hugo Chávez zur „Versöhnung und Selbstkritik“ von seiner momentanen Position der Stärke können den reaktionären Kräften einen einstweiligen Waffenstillstand aufzwingen und den Schein der nationalen Einheit verlängern. Doch der Putsch hat klar gezeigt, dass hinter der nationalen Einheit die Konfrontation zwischen den Klassen immer schärfer ausbricht. Die Armen, die gegen den Putsch auf die Straße gingen, waren die ersten schüchternen Zeichen einer revolutionären Dynamik. Anstatt diese Tendenz zu stärken um die reaktionären Kräfte zu besiegen, ruft Hugo Chávez zur Versöhnung mit jenen auf, die ihn stürzen wollten, um die Einheit des Heeres und die „demokratische Institutionalität“ des bürgerlichen Staates zu bewahren. Für die antiimperialistischen Revolutionäre war der Putsch ein Warnung, um von Seiten der Armen die unvermeidbare Konfrontation vorzubereiten. Denn das Volk wird in dieser nur dann siegreich bestehen, wenn es vorbereitet, organisiert und selbst bewaffnet ist, wenn es die Initiative ergreift und die bürgerlichen Kräfte, deren Staats- und zivilen Apparat, zerschlägt.

10. Die national-populistische Regierung von Hugo Chávez, die versucht Reformen umzusetzen, die gegen die Interessen des Imperialismus und der Kompradorenbourgeoisie verstoßen, ist nicht Produkt einer siegreichen Revolution. Hugo Chávez – Ergebnis einer besonderen Tradition der venezolanischen Streitkräfte, der verlängerten nationalen und internationalen Erniedrigung eines an sich reichen Landes durch die Unterentwicklung und die Korruption seiner bürgerlichen Klasse – ist vielmehr Ausdruck eines ersten, schüchternen Schrittes auf einem langen und harten Weg, in dem sich die neuen Paria und Arbeiter des Landes zu einem revolutionären Subjekt und Protagonist einer wirklichen Volksrevolution entwickeln. Die (immer prekärere) Möglichkeit der nationalen Einheit um eine patriotische Regierung, die einstweilen noch eine Mehrheit der Armee hinter sich weiß (im Unterschied zu Chile 1973), spiegelt diese Situation wieder, in der eine unabhängige und sozialistische Volkskraft erst in einem embryonalen Stadium existiert. Doch der Putsch war stürmischer Ausdruck der unvermeidbaren und wachsenden Polarisierung. Hugo Chávez hat die Hoffnungen der Armen bewegt. Wir wissen nicht wie weit er an der Seite einer aufkommenden revolutionären Dynamik zu gehen bereit ist, die auf ihrem Weg die nationale Einheit von Seiten der Armen durchbrechen wird. Wir wissen nicht, ob er in einem solchen Moment bereit sein wird, sich unterzuordnen und einem Volk zu folgen, das nicht mehr nur eine „vierte moralische Kraft“ in der Verfassung verankert haben will, sondern eine neue Volksmacht erstrebt.

Solidarität mit der Regierung von Hugo Chávez gegen den Imperialismus und die reaktionären Kräfte!
Unterstützung der bolivarianischen Volkskräfte, die auf die Straße gingen und den Putsch niederschlugen!
Für die Bewaffnung der Armen, um die Reaktion zu besiegen!
Bestrafung der Putschisten statt Versöhnung!
Von Reformen zur Revolution – das organisierte Volk an die Macht!

Thema
Archiv