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Zwischen Erdöl und Uran

22. Mai 2002

DU-Munition der USA belastet Südirak – Bevölkerung über Generationen geschädigt

Im Süden des Irak liegen Reichtum und Elend des Landes dicht beieinander. Vor Basra stehen die großen Anlagen der Petrochemie. Stichflammen abgefackelter Gase illuminieren den nächtlichen Himmel, Erdölgeruch liegt schwer in der Luft. Wenige Kilometer links und rechts vom mächtigen Schatt al-Arab, dem Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, beginnt die Wüstenlandschaft. Irak hat mit zunehmender Versalzung der Böden zu kämpfen. Immer mehr fruchtbare Gebiete verwandelten sich in den letzten Jahren zu kristallweiß schimmerndem Ödland.
Außerhalb der Metropole Basra, mit 2,3 Millionen Einwohnern nach Bagdad die zweitgrößte Stadt im Irak, liegt der neue, hochmoderne internationale Flughafen. Er ist praktisch verwaist, dient Schulklassen als Ausflugsziel in der Wüste. Wegen der von den USA und Großbritannien erzwungenen Flugverbotszone wird der überdimensionierte Airport mit seinen zwei Dutzend Gangways nicht angeflogen. Einzige Ausnahme ist der tägliche Flug der Iraqi Airways von Bagdad in den Süden des Landes am frühen Morgen. Der Bruch des Flugverbots kostet den Reisenden keine 17 Dollar, Rückflug in die irakische Hauptstadt mit eingeschlossen. Die Maschinen mit ihren knapp 200 Plätzen sind ausgebucht und werden überwiegend von Geschäftsreisenden genutzt, die sich die beschwerliche, stundenlange Fahrt über die 500 Kilometer lange Autobahn in den Süden sparen wollen und den Flug leisten können. Ein Arzt etwa verdient mit 30000 Dinar im Monat gerade einmal soviel, wie für das Ticket zu bezahlen ist.
Der Weg in das Zentrum von Basra zeugt von vergangenen Kriegen. Teile einer 1991 bei US-Angriffen zerstörten Brücke liegen zerrissen an der Böschung, 20 Meter daneben wurde eine neue Verbindung über den Saddam-Kanal errichtet. Das meiste an bombardierter ziviler Infrastruktur sei wieder aufgebaut oder repariert worden, erklärt mir ein Begleiter. Dazu gehört offensichtlich nicht die große Pepsi-Fabrik. Die Abfüllanlage steht noch immer beschädigt und verlassen am Straßenrand. An der Promenade des Schatt al-Arab weisen 99 Bronzestatuen klagend mit ausgestrecktem Arm auf das Ostufer in Richtung Khorramschahr. Die überlebensgroßen Standbilder erinnern an hohe irakische Offiziere, die im Krieg mit Iran in den 80er Jahren gefallen sind. Die Grenze zum alten Feind ist nur 40 Kilometer entfernt.
Am Westufer reihen sich direkt daneben rostende Schiffe aneinander, bisweilen liegt ein Lastkahn halb versunken im Fluss, weitaus mehr hat allerdings das Wasser ganz verschluckt. Zerschossen vor elf Jahren machen sie eine Passage für große Transporter unmöglich, doch befahren diese die Lebensader zum Persischen Golf ohnehin längst nicht mehr. Das Embargo zeigt auch hier seine Folgen. An der Werft werden die alten Schiffe ausgeschlachtet. Aus den Stahlplatten werden neue, kleinere Schiffe für den Inlandverkehr geschweißt. Übrig bleiben die großen Skelette als Schrottparade. Dazwischen baden Kinder im Fluss, traditionelle schmale Boote kreuzen über das Wasser, Fischer versuchen, mit ihren Netzen einen Fang zu machen, im Hintergrund reihen sich die Ruinen zerstörter Häuser aneinander. Die iranische Artillerie reichte seinerzeit bis an die den Rand von Basra.
Hasim Abu Jalil und sein Kollege Hamasan Abdul Hasan klagen über das Embargo. Die beiden arbeiten bei den Wasserwerken der Stadt und kämpfen täglich mit dem Mangel. Es fehlt an Ersatzteilen und damit an Wasser für die Bevölkerung. Das Sanktionskomitee verzögere immer wieder notwendige Lieferungen, jede neue Sicherung brauche Monate, bis sie bei ihnen ankommt. „Wir haben zu wenig Strom, um alle acht Wasserbehälter betreiben zu können“, erklärt Jalil. Die Elektrizität wird stundenweise in verschiedenen Teilen der Stadt heruntergefahren. Damit fallen auch die Anlagen aus, die das Wasser vom fernen Saddam-Kanal zur Aufbereitung ins Wasserwerk und danach weiter in die Haushalte pumpen. Noch immer sind die alten Stromkapazitäten aus der Zeit vor dem US-Krieg nicht erreicht. Damals hatten amerikanische Raketen die Strom- und Wasserversorgung im Irak ins Visier genommen. Bei einem neuerlichen Krieg dürfte auch das kleine Wasserwerk von Jalil und Hasan als Ziel auf der Liste stehen.
In der Geburts- und Kinderklinik von Basra sind die schrecklichen Folgen der DU-Munition zu sehen. Die Amerikaner hatten die mit abgereichertem Uran (Depleted Uranium – DU) versehenen Geschosse tonnenweise gegen die Truppen Saddam Husseins eingesetzt, getroffen wurde die einfache Bevölkerung. Der Süden des Irak ist für Generationen verseucht worden. Die Langzeitbombe tickt und tötet leise. „Wir haben heute sechs- bis siebenmal mehr Missbildungen und Fehlgeburten als vor der US-Aggression“, sagt Direktor des modernen Krankenhauses, Dr. Amer al-Jaberi. Doch nicht nur die Zahl habe zugenommen, auch die Schwere der Fälle. Außerdem gebe es neue, bis dato unbekannte genetische Fehlbildungen. Dasselbe gelte für Krebs. Die Fälle häuften sich, seien schwerer, die Tumore aggressiver. „Das ist eine direkte Folge des Einsatzes von DU-Munition gegen mein Land“, ist sich Dr. al-Jaberi sicher. Auf dem Tisch vor sich breitet der Kinderarzt Fotos eines wahren Horrorkabinetts menschlicher Missbildungen aus, Föten ohne Kopf, mit zwei Köpfen, der Nase über den Augen oder Neugeborene mit offenem Rücken. „Ich bin seit 20 Jahren Arzt und hatte vorher nie so oft mit so schweren Fällen zu tun wie jetzt.“
Beim Gang durch die Klinik verweist Oberarzt Asad Assa Ashou auf die Folgen der UN-Sanktionen: Wie in Bagdad und den anderen Krankenhäusern des Landes fehlt es auch in Basra an notwendigen Medikamenten für erfolgversprechende Chemotherapien, an Laboreinrichtungen und so vielem mehr. Die Menschen hier sind doppelt gestraft durch radioaktiven Müll und inhumane Blockade. „Wir können das ganze Uran hier nicht wegschaffen. Niemand kann das“, gibt mir Dr. Ashou mit auf den Weg zurück. „Aber wir müssten doch wenigstens die Möglichkeit erhalten, Arzneimittel zu kaufen.“

Rüdiger Göbel, junge Welt, 11. April 2002

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