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Ausgangsbasis für Offensivpläne

23. Mai 2002


Der israelisch-palästinensische Konflikt eskaliert. Wie weiter im Rahmen der von Washington angestrebten Neuen Weltordnung? Nahost erweckt nicht zuletzt in diesem Zusammenhang besondere Sorgen. Zwar ist das den USA verbundene Israel noch territorial klein, jedoch liegt es an einem archimedisch-dynamischen Welthebel. Europa, Asien und Afrika treffen in seinem Umkreis aufeinander. Finanziell von den Vereinigten Staaten auffallend stark gefördert, auch von der BRD, hat der zionistische Staat eine hocheffiziente Elektronikindustrie aus dem Boden gestampft und eine maximal schlagkräftige Armee geschaffen. Damit steht dort für Offensivpläne der neuen Superweltmacht in Richtung Nordwest, Fernost und auch Süd eine unverzichtbare, rückendeckende Ausgangsbasis bereit.
Bei Gründung Israels vor mehr als einem halben Jahrhundert sind schon zum Auftakt Hunderttausende Einheimische vertrieben worden. Versuche, die Invasoren mit unterlegenem arabischen Militär zu stoppen, scheiterten. Schritt für Schritt ging Israel nun zu weiterer Aneignung fremder Gebiete über, wobei verbliebene alteingesessene Muslims ausgegrenzt werden. Das alles unter Bruch von UN-Beschlüssen. Die entsprechenden Territorien wurden von einer Vielzahl untereinander durch Straßen vernetzter Wehrsiedlungen verbunden. Dadurch ist das Land der Palästinenser zerstückelt und von Strangulation bedroht.
Jetzt dringen israelische Panzereinheiten luftgestützt tief in arabisches Restland vor. Auf Fernsehschirmen kann weltweit beobachtet werden, wie schwerbewaffnete Verbände der Armee Israels gegen vornehmlich junge Steine werfende Zivilisten schießend einschreiten. Blutiger diktatorischer Kolonialismus nach außen, während zugleich im Innern des zionistischen Staates als Demokratie bezeichneter großbürgerlicher Parlamentarismus die Regel ist. Wohnhäuser werden gesprengt, Olivenhaine abgeholzt, Ortschaften von Hubschraubern aus bombardiert, vorgebliche Gegner gezielt exekutiert. Als Jude empfinde ich darob tiefe Scham.
In ihrer machtlosen Verzweiflung begehen einzelne Palästinenser im Unterdrückerstaat inmitten von Menschenansammlungen Selbstmordattentate. USA-Präsident Bush hat die darauf folgenden rechtswidrigen Rachebombardements dichtbesiedelter palästinensischer Viertel ausdrücklich gutgeheißen. Dieser sich christlich Gebende betrachtet ebenso wie frömmelnde Juden das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten!“ als einen Fetzen Papier. Also weitermorden! Das Töten geschieht in Wellen. Zwischengeschaltet werden zur Ablenkung der Weltöffentlichkeit Illusionen erweckende Lösungsvorschläge, aus denen nichts wird, oder die bei scheinbarem Einverständnis nicht eingehalten werden. Angesichts solcher Vernebelungstaktik kommt es darauf an, sich nicht durch Lawinen kaum durchschaubarer Zweckmeldungen in die Irre führen zu lassen. Es gilt sich an überprüfbare Grundtatsachen zu halten. Dazu gerafft folgendes:
Erstens: Man sollte nie vergessen, dass Israels zionistische Staatsdoktrin großbürgerlicher jüdischer Nationalismus in Reinkultur ist. Kernaussage: auf fremdem Boden einen eigenen Staat errichten. Dazu wurde das seit Jahrtausenden von Arabern besiedelte große Gebiet zwischen Ägypten und Mesopotamien erwählt. Ziel war und bleibt die allmähliche Einnahme des gesamten betreffenden Territoriums, das als Erez Jisrael bezeichnet wird. Der israelische Historiker Prof. Mosche Zimmermann präzisiert: „Letztlich ist die Stimmung im Lande mehr rechts. Rechts bedeutet in Israel, dass man gegenüber Palästinensern nicht nachgiebig ist. Dass man das, was man ganz Israel nennt, für eine Selbstverständlichkeit hält.“ Als kleinere Ausgangsposition dazu liegt in der Mitte von Erez, wie es im zionistischen „Philo-Lexikon“ heißt, „Palästina eingeengt“. Die unverzichtbare Expansion von dort aus ist logischerweise nur durch Verdrängung weiterer moslemischer Ureinwohner zu erreichen.
Zweitens: Die Ausarbeitung der zionistischen Doktrin, Ende des 19. Jahrhunderts, fiel in die Zeit des Beginns der imperialistischen Ära des Kapitalismus. Diese wurde befördert durch extreme Zunahme der Produktivkräfte, Finanzentwicklung und Machtkonzentrationen. Es folgten zwei Weltkriege. Gegen Ende des ersten kam es zur sozialistischen Oktoberrevolution. Nach jahrzehntelangem imperialen Kampf gegen die Arbeitermacht kostete der menschheitsrettende Sieg über den Nazifaschismus die UdSSR 26 Millionen Menschenleben. Sie blieb anfangs tief erschöpft zurück und erlag nach einem ermutigendem Aufschwung später Zersetzungs- und Stagnationsprozessen sowie verräterischen Machenschaften. Die USA konnten nun als alleinverbleibende Supermacht die Weltherrschaft anpeilen. Erste Schritte waren entsprechende Vorstöße gen Osten (u. a. Irak, Jugoslawien, Afghanistan).
Auf längere Sicht werden Washington ungeachtet heutiger Freundschaftsbeteuerungen die Atommächte Russland und Volkschina als Haupthindernisse auf dem Weg zu weltweiter Vorherrschaft ins Visier geraten. Der „Spiegel“ fragte kürzlich den USA-Strategieplaner Zbigniew Brzezinski: „Wer wird der nächste Feind …?“ Dieser antwortete: … „Eine neue schrecklicherere Bedrohung“ als der 11. September. „Sie sprechen von Massenvernichtungswaffen …?“ Darauf Brzezinski: „Richtig“. Just zu diesem Zeitpunkt hatte USA-Präsident Bush einseitig den ABM-Vertrag gekündigt, der – Weltkonflikten vorbeugend – Sternenkriegsvorbereitungen ausgeschlossen hatte. Der „Spiegel“ schlussfolgerte nach dem „Sieg in Afghanistan“ in seiner Jahresendnummer: „Washington träumt von einem neuen Empire.“ Dazu also weltweite Militärpräsenz von Europa über Israel bis Fernost. Eine neoimperiale Weltordnung wird angestrebt, ein USA-Weltreich, die absolute Vormacht der Vereinigten Staaten. Noch einmal der „Spiegel“: „Eine auf Dauer konfliktreiche Welt.“
An einvernehmliche Lösungen in Nahost kann also nicht gedacht werden. Die palästinensischen Befreiungskämpfer werden Täler des Leidens durchschreiten müssen. Doch längerfristig bleibt nichts wie es ist. Wo auch immer, wir oder ähnlich gesinnte Nachfahren werden weltweit prinzipielle Veränderungen erkämpfen müssen. Erfolg wird letztlich nicht ausbleiben. Vorerst aber muss leider dem Konzernorgan „FAZ“ recht gegeben werden, das am Weihnachtsvorabend unter der Schlagzeile „Keine Entwarnung“ schrieb: „Auch das Jahr 2002 wird ein Kriegsjahr sein.“ Auf entgegengesetzter Seite urteilte der Veteran des linken Flügels der britischen Labour Party Tony Benn im ND: „Dies ist der gefährlichste Augenblick für die Menschheit, den ich je erlebt habe.“

Fritz Teppich

Fritz Teppich ist Mitglied im „Arbeitskreis Nahost Berlin“, einem von unterschiedlichst orientierten Juden, Arabern und Deutschen gebildeten Gesprächs- und Aktionskreis. Stammt aus einer liberalen jüdischen Altberliner Bürgerfamilie. Kämpfer gegen den Faschismus. Dank der Flucht vor einem Auschwitz-Transport überlebte er den Holocaust.

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