„Aus der südafrikanischen Perspektive heraus kann man die Augen nicht davor verschließen, dass es zwischen der Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Israel und der Unterdrückung im Apartheidsystem Südafrikas Parallelen gibt.“ So heißt es in der „Deklaration des Gewissens“, die am 8. Dezember 2001 unter der Überschrift „Nicht in Meinem Namen“ in einer südafrikanischen Tageszeitung veröffentlicht wurde.
Die Verfasser der Deklaration sind Ronnie Kasrils und Max Ozinsky, zwei langjährige jüdische Kämpfer gegen das ehemalige Apartheidsystem in Südafrika.Unterzeichnet wurde sie von 220 jüdischen Bürgern Südafrikas. Weitere zentrale Aussagen des Dokuments sind, dass als Ursache des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern die Weigerung Israels, die Rechte des palästinensischen Volkes anzuerkennen, zu sehen ist, und dass die Besetzung palästinensischen Landes der Grund für die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten ist.
Die „Deklaration des Gewissens“ hat unter den 80.000 Juden in Südafrika eine ungeahnt heftige Debatte ausgelöst. Die eindeutige Stellungnahme, dass Israel der Aggressor ist und dass die Unterdrückung der Palästinenser mit der Unterdrückung der afrikanischen Bevölkerung im ehemaligen Apartheidsystem verglichen wird, wird von anderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft als Verrat am jüdischen Volk gesehen.
Eine Kluft, die unter den Juden Südafrikas schon das letzte Jahrhundert vorhanden war, ist neu aufgebrochen und spiegelt in ihrer Heftigkeit die historische Situation der Juden Südafrikas wieder. Prägendes Erlebnis für alle, viele von ihnen Nachfahren litauischer Juden, die Ende des 19.Jahrhunderts ins Land flüchteten, war der Holocaust in Europa und so wurde die Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 begrüßt. Im selben Jahr wurde in Südafrika unter der Führung der Nationalpartei das Apartheidsystem, also die Trennung der Rassen, legalisiert. Die weiße Minderheit hatte sich per Verfassung das Recht zur Unterdrückung und Ausbeutung der schwarzen Mehrheit gegeben. Der Antisemitismus spielte in diesem System eine untergeordnete Rolle, denn die Juden Südafrikas wurden als Weiße klassifiziert und damit Teil der herrschenden Rasse. Während es so in einer Zeit, wo die Erinnerung an die Grauenhaftigkeiten des Holocaust noch so frisch waren, gelang, einen Teil der Juden zu Komplizen oder zumindest Duldern des verbrecherischen Apartheidregimes zu machen, konnten andere gerade wegen der frischen Wunden des Holocaust angesichts der Verbrechen an der schwarzen Bevölkerung nicht stillhalten. Sie gaben ihr privilegiertes Leben auf und schlossen sich dem Kampf der afrikanischen Bevölkerung an. Ronnie Kasrils, der heute Minister in der südafrikanischen Regierung ist, war beispielsweise ein Kommandeur des bewaffneten Flügels des ANC (Afrikanischer Nationalkongress), zwei jüdische ANC Mitglieder wurden 1963 gemeinsam mit Nelson Mandela verhaftet und von den sieben Weißen, die 1990 ins Exekutivkomitee des ANC gewählt wurden, waren fünf Juden.
An der Seite der Unterdrückten kämpfend, musste schon in Hinblick auf den eigenen Kampf der Staat Israel als Feind gesehen werden. Als sogar die westlichen Staaten nicht umhin konnten, das Apartheidregime zu verurteilen und zumindest verbal wirtschaftliche Sanktionen zu verhängen, war Israel offen auf der Seite Südafrikas. Israel unterstützte die Sanktionen und Resolutionen gegen Südafrika nicht, denn in den UNO-Resolutionen gegen Rassismus wurden beide Länder genannt. Die südafrikanischen Juden mussten entweder schmerzlich sehen, dass die Waffen, die die Zivilisten und Kinder in Soweto und anderen Townships niederstreckten, israelische Erzeugnisse waren, oder sie verschlossen die Augen, wie so viele.
Es ist ermutigend, dass Juden, die im Schmerz über das Unrecht, das ihrer Gemeinschaft widerfahren ist, auch das Unrecht, das an anderen verübt wird, empfanden und empfinden. Es ist zu wünschen, dass die Auseinandersetzung in der südafrikanischen jüdischen Gemeinschaft internationale Dimensionen annimmt und dass sie dazu beiträgt, verkleisterte Augen und verpanzerte Gehirne zu öffnen. Vielleicht werden südafrikanische Juden, die selbst aktiv im Kampf gegen ein Unterdrückerregime standen, gehört, wenn sie das palästinensische Volk unterstützen und Israel als den Aggressor anprangern. Ihnen wird doch wohl niemand Antisemitismus unterstellen wollen oder sich anmaßend herausnehmen, sie als Rechte zu beschimpfen.
Elisabeth Lindner-Riegler
Aktivistin der Antiimperialistischen Koordination in Wien