Brief vom 11. Februar 2002
Ein Brief Nelson Mandelas vom 11. Februar 2002 an den amerikanischen Journalisten Thomas L. Friedman (Kolumnist der New York Times)
(Übersetzung A. Brinkmann / H. Drewes)
Lieber Thomas,
ich weiß, dass wir beide uns nach Frieden im Nahen Osten sehnen. Aber bevor du fortfährst, über notwendige Bedingungen aus einer Perspektive Israels zu sprechen, solltest du wissen, was meine Meinung ist.
Wo beginnen? Wie steht…‘s mit 1964! Lass mich zitieren, was ich während meines Prozesses gesagt habe. Es ist heute so wahr wie damals: „Ich habe gegen weiße Vorherrschaft gekämpft und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich habe am Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft festgehalten, in der alle Personen in Harmonie und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben. Es ist ein Ideal, für das ich zu leben und das ich zu erreichen hoffe. Aber wenn es sein muss, ist es ein Ideal, für das ich zu sterben bereit bin.“
Heute erkennt die Welt, schwarz und weiß, dass Apartheid keine Zukunft hat. In Südafrika ist sie entscheidend durch unsere eigenen Massenaktionen für den Aufbau von Frieden und Sicherheit beendet worden. Diese trotzige Massenkampagne und die anderen Aktionen konnten nur in der Errichtung der Demokratie gipfeln.
Vielleicht erscheint es Dir seltsam, die Situation in Palästina oder genauer die Struktur der politischen und kulturellen Verhältnisse zwischen Palästinensern und Israelis als ein Apartheidsystem zu betrachten. Das ist so, weil du fälschlicherweise denkst, dass das Problem mit Palästina 1967 begann. Das wurde in deinem jüngsten Artikel „Bush…‘s First Memo“ in der „New York Times“ vom 27. März 2001 deutlich. Du scheinst überrascht zu sein zu hören, dass dort noch Probleme von 1948 zu lösen sind, von denen der wichtigste Teil das Recht auf Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge ist.
Der palästinensisch-israelische Konflikt ist nicht nur eine Frage der militärischen Besetzung, und Israel ist nicht ein Land, das „normal“ errichtet wurde und 1967 zufällig ein anderes Land besetzt hat. Palästinenser kämpfen nicht für einen „Staat“, sondern für Freiheit, Befreiung und Gleichheit, gerade so wie wir in Südafrika für Freiheit gekämpft haben.
In den letzten Jahren und besonders während der Regierung der Arbeiterpartei zeigte Israel, dass es nicht einmal willens ist, das zurückzugeben, was es 1967 besetzt hat, dass Siedlungen bleiben, Jerusalem sich ausschließlich unter israelischer Souveränität befinden würde, und die Palästinenser keinen unabhängigen Staat haben, sondern sich unter israelischer wirtschaftlicher
Herrschaft mit israelischer Kontrolle der Grenzen, des Landes, der Luft, des Wassers und des Meeres befinden würden.
Israel dachte nicht an einen „Staat“, sondern an „Trennung“. Der Wert der Trennung wird am Maßstab der Fähigkeit Israels gemessen, den jüdischen Staat jüdisch zu erhalten und keine palästinensische Minderheit zu haben, die irgendwann in der Zukunft zu einer Mehrheit werden könnte. Wenn dies geschähe, würde Israel notgedrungen entweder ein säkularer demokratischer oder ein bi-nationaler Staat werden oder sich in einen Apartheidstaat verwandeln, nicht nur de facto, sondern auch de jure.
Wenn du, Thomas, die Wahlen Israels in den letzten 30 oder 40 Jahren verfolgst, findest du eindeutig einen vulgären Rassismus bei einem Drittel der Bevölkerung, das sich selbst offen als rassistisch bezeichnet. Dieser Rassismus ist von der Art wie „Ich hasse Araber“ und „Ich wünsche Arabern den Tod“. Wenn du außerdem das Rechtssystem in Israel beobachtest, wirst du sehen, dass es dort eine Diskriminierung gegen Palästinenser gibt. Und wenn du weiter die 1967 besetzten Gebiete betrachtest, wirst du finden, dass dort bereits zwei Rechtssysteme bestehen, die zwei unterschiedliche Einstellungen gegenüber dem menschlichen Leben repräsentieren: eines für palästinensisches Leben und das andere für jüdisches Leben.Außerdem gibt es dort zwei verschiedene Einstellungen zu Besitz und zu Land. Palästinensischer Besitz ist nicht als Privatbesitz anerkannt, weil er beschlagnahmt werden kann.
Was die israelische Besatzung der West Bank und von Gaza betrifft, findet sich dort ein weiterer Umstand. Die sogenannten „palästinensischen Autonomiegebiete“ sind Bantustans. Sie sind eingeschränkte Rechtssubjekte innerhalb der Gewaltstruktur des israelischen Apartheidsystems.
Der palästinensische Staat kann nicht das Nebenprodukt des jüdischen Staates sein, nur um die jüdische Reinheit von Israel zu erhalten. Israels rassische Diskriminierung ist das tägliche Leben der meisten Palästinenser. Da Israel ein jüdischer Staat ist, kommen israelischen Juden besondere Rechte zu, die Nichtjuden nicht haben. Palästinensische Araber haben keinen Platz in einem …‚jüdischen“ Staat.
Apartheid ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Israel hat Millionen von Palästinensern ihrer Freiheit und ihres Besitzes beraubt. Es erhält ein System von grober rassischer Diskriminierung und Ungleichheit aufrecht. Es hat systematisch Tausende von Palästinensern eingekerkert und gefoltert, entgegen den Regeln des internationalen Rechts. Es hat insbesondere einen Krieg gegen eine zivile Bevölkerung, besonders gegen Kinder geführt.
Die Reaktionen Südafrikas auf die Menschenrechtsverletzungen, die sich aus der Vertreibungs- …bzw. Apartheidpolitik ergaben, werfen ein Licht auf das, was die israelische Gesellschaft unbedingt hinter sich bringen muss, ehe von einem gerechten und dauernden Frieden im Nahen Osten und einem Ende seiner Apartheidpolitik gesprochen werden kann.
Thomas, ich gebe die Nahostdiplomatie nicht auf. Aber ich werde keine Nachsicht mit dir üben wie es deine Anhänger tun. Wenn du Frieden und Demokratie willst, unterstütze ich dich. Wenn du formelle Apartheid willst, werden wir dich nicht unterstützen.
Wenn du rassische Diskriminierung und ethnische Säuberung unterstützt, werden wir dich bekämpfen. Ruf mich an, wenn du herausgefunden hast, was du tun willst.
Nelson Mandela