Interview mit Abu Mujahed (al-Aqsa-Brigaden)
Ich treffe mich mit „Abu Mujahed“ in einem Gebäude in Al-Bireh (Ramallah). Er trägt eine dunkelgrüne Uniform und eine traditionelle Kufiyeh, die seinen ganzen Kopf verhüllt und nur die Augen freiläßt. Es wird von zwei Personen begleitet, die ihr Gesicht bedeckt halten. Sie haben schwarze Uniformen an und sind mit M-16-Schnellfeuergewehren sowie Pistolen bewaffnet. „Abu Mujahed“ ist nicht bewaffnet, er hält in Händen bloß ein Kommuniquà© seiner Gruppe al-Aqsa-Märtyrerbrigaden. Diese Organisation ist verantwortlich für den Großteil der Angriffe, die die Palästinenser in den letzten zwei Monaten gegen die israelische Besatzung, die Soldaten und Siedler-Kolonisten geführt haben, aber auch für einige massive Angriffe in Israel selbst.
„Abu Mujahed“ ist der Kampfname unseres Gesprächspartners. Sein eigentlicher Name wird uns nicht mitgeteilt. Die Kämpfer der Märtyererbrigaden von al-Aksa operieren unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen. Sie geben ihre Identität in der Öffentlichkeit nicht preis, bei Treffen mit der in- oder ausländischen Presse treten sie stets mit verhülltem Gesicht auf.
„Es gibt dauernd (palästinensische, Anm. manifesto) Verräter, die bereit sind, uns an Israel zu verkaufen, wir wollen daher kein Risiko eingehen“, sagt uns Abu Mujahed leise. Er soll eine Art Sprecher des Bezirks Ramallah sein. Der einzige bekannte lokale Kommandant ist Mohammed Titi, der Verantwortliche für das Gebiet um Nablus. Er steht auf der Fahndungsliste der Israelis.
Erst jetzt ist einiges über diese Gruppe bekanntgeworden, über den bewaffneten Arm der Fatah, der weltweit für seine tödlichen Überfälle bekannt geworden ist.
Für Israel sind es „Terroristen“, in ihrem Eigenverständnis sind die Militanten dieser Organisation Kämpfer, die ihr Leben einsetzen wollen, die bereit sind zu sterben, mit dem Ziel, die Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens zu beenden.
„Wir tragen den Namen der Märtyrer, die am Haram al-Sharif (dem „Erhabenen Heiligtum“) in Jerusalem gefallen sind, der von Sharon entweiht wurde.“
Zu Beginn der Intifada, September 200, war es spürbar, dass die Kämpfer, die alle ganz jung waren, wenig Erfahrung im Umgang mit Schusswaffen und Sprengstoff hatten. Einige der Kommandanten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, ein Teil von ihnen war früher bei den Schwarzen Pantern und den Falken der Fatah, zwei bewaffneten Organisationen der Ersten Intifada, die von 1987 bis 1993 dauerte.
„Unser Wissen und unsere Vertrautheit mit den Waffen haben im Laufe der Monate zugenommen, und heute sind wir in der Lage, dem Gegner Schläge zuzufügen. Viele von uns kennen Israel gut und sprechen hebräisch. Wir bereiten eine jede Aktion bis ins Detail vor. Unsere Jungs wissen stets, wie sie in jeder Situation reagieren müssen. Denn sie haben keine Angst und sind stets auf das Ärgste gefasst“ berichtet uns Abu Mujahed. Über die Herkunft von Waffen und Sprengstoff will er uns lieber nichts sagen. „Wir haben verschiedene Kanäle, über die wir uns Waffen beschaffen, auch aus Israel“ sagt er.
Die Märtyrerbrigaden von al-Aqsa haben keine zentrale Kommandostelle, sondern sind in Dutzenden (nach anderen Quellen Hunderten) kleinen Einheiten organisiert, die oft unabhängig voneinander und ohne Koordination mit anderen Kämpfern operieren. Das erschwerte es den israelischen Geheimdiensten, effizient gegen die Organisation vorzugehen. Die al-Aqsa-Brigaden haben in den letzten Monaten einen Großteil der bewaffneten Kämpfer der Tanzim, der Basis-Organisation von al-Fatah, an sich gezogen.
An aktiven Kämpfern dürfte es nicht mehr als 200 geben, die Organisation wird aber von Tausenden Jugendlichen unterstützt, die beitreten wollen.
Nicht immer herrschen gute Beziehungen zwischen den Märtyrerbrigaden der al-Aqsa und der seit ihrer Gründung von Yassir Arafat geführten Al-Fatah.
„Wir respektierten Abu Ammar (Arafat), den er ist der Vater unseres künftigen Landes, aber wir respektieren nicht die Männer, die um ihn herum sind“, betont Abu Mujahed. „Einige von ihnen sind nichts als Opportunisten, die früher mit den zionistischen Feinden … gute Geschäfte gemacht haben, und heute wollen sie einen Waffenstillstand, wollen ein Ende des Kampfes. Da machen wir nicht mit. Der Kampf wird erst dann zu Ende gehen, wenn die Besatzer unser Land verlassen.“
Von Leuten der Fatah war uns berichtet worden, dass die Märtyrer in den letzten Wochen die Aufforderung der PNA-Führung, den bewaffneten Kampf innerhalb Israels einzustellen, ablehnten. Das bestätigt uns auch Abu Mujahed.
Und er stellt fest: „Unser Hauptziel sind die Besatzungskräfte, die Soldaten und Siedler“, erklärt er, „aber angesichts der israelischen Angriffe gegen unsere Zivilbevölkerung, des Massakers an unseren Kindern, werden wir dazu übergehen, dem Feind Gleiches mit Gleichem zu vergelten.“
Ein Frauenbataillon der al-Aqsa-Brigaden gebe es zwar nicht, berichtet uns deren „Sprecher“, aber es ist daran gedacht, in Bälde weibliche Kampfkommandos aufzustellen.
„Das Beispiel der Märtyrerin Wafa´ Idris (die am 27. Jänner in Westjerusalem bei einem Attentat starb, bei dem auch ein alter Israeli das Leben verlor, Anm. manifesto) hat viele Mädchen dazu bewogen, sich für den bewaffneten Kampf zu entscheiden und ihr Leben dafür einzusetzen. Der Befreiungskampf kennt keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen.“ Im vergangenen Monat haben ein 15-jähriges Mädchen und eine Studentin aus Balata (1) Selbstmordanschläge gegen eine militärische Absperrung in Tulkarem und in der Nähe von Modiin, das an der …‚Grünen Linie´ zwischen Israel und dem Westjordanland liegt, durchgeführt.
Von der islamischen Hamas aber werden Frauen weiterhin vom bewaffneten Kampf abgehalten.
Der Hamas-Sprecher für das Westjordanland, Hassan Yusef, hat zwar festgelegt, dass der Jihad Pflicht eines jeden Mannes und einer jeden Frau sei; Scheich Ahmed Yassin, der Gründer und geistige Führer der Hamas, forderte jedoch, die Frau müsse ihre herkömmliche Rolle als „Ehegattin und Mutter“ beibehalten. Und er erklärte: „Wir haben eine genügende Anzahl männlicher Kämpfer, er ist daher nicht notwendig, dass auch Frauen eingesetzt werden.“
Abu Mujahed sagt uns, dass er sich vor dem Tod nicht fürchtet: „Alle unsere Kämpfer wissen, womit sie rechnen müssen, und wir sind auch bereit zu sterben um des einen Ziels willen, nämlich die Israelis aus unserem Land zu verjagen. Und ihr könnt Gift darauf nehmen: Es wird niemandem gelingen, uns dabei aufzuhalten.“
Michele Giorgio
manifesto, 9. März 2002
(Übersetzung: Aug und Ohr)
(1) Das größte Flüchtlingslager im Westjordanland, an Nablus angrenzend, 20.000 Einwohner, Anm. d. Ü.