von: Bewegung für soziale Befreiung
Abend- oder Morgenrot?
Bemerkungen zur Antiglobalisierungsbewegung ein Jahr nach Genua, ein Jahr nach dem 11. September und kurz vor dem WEF-Gipfel in Salzburg
Die Busse sind schon organisiert, Chumbawamba kommt, das Salzburger Sozialforum erwartet 20.000 Demonstrantinnen und Demonstranten, die gegen die Politik des WEF protestieren. Ein Mega-Event ist geplant, man wird sehen, ob es in dieser Weise auch stattfindet. Wir erlauben uns eine Prognose (eine gefährliche Sache in der Politik): Aus dem Mega-Event wird voraussichtlich nichts werden – 2.000 erscheint realistischer als 20.000. Wir erlauben uns eine Einschätzung (weniger gefährlich): Auch wenn zahlreiche Teilnehmer erscheinen, die Antiglobalisierungsbewegung steckt in einer Krise, die zu einigen Richtungsentscheidungen führen muss.
Genua und der 11. September
Genua kennzeichnete den Punkt höchster Einheit. Im Genua Social Forum waren Gruppen aus fast allen politischen Traditionen der italienischen Linken vertreten. Zwei Tage Straßenschlacht und eine gigantische Orgie der Polizeigewalt deckte die unterschiedlichen Zugänge dieser Gruppen auf, die Einheit zerbrach das erste Mal. Was war die politische Grundlage der teilnehmenden Gruppen? In der Mehrheit ein reichlich abstrakter Antikapitalismus, von ausgesprochen radikal (direkte militante Aktion autonomer Tradition), bis recht gemäßigt, in der Minderheit ein neuer Reformismus, die Vertreter einer sozialen Globalisierung (etwa ATTAC in seiner Hauptströmung). Die Grundlage der Einheit war der Verzicht auf jede konkrete Forderung, eine relative Leere des Inhalts. So haben sich dann auch die Hauptdiskussionen über die Form des Widerstandes abgespielt: Ziviler Ungehorsam, Militanz, Pazifismus, die Frage ob man in die rote Zone eindringen solle – nicht über dessen Inhalt.
Seit Genua ist der antikapitalistische Flügel der Bewegung merklich in die Defensive geraten: Das Sozialforum in Porto Allegre fand unter Führung der französischen Intellektuellen von Le Monde diplomatique statt und erlebte den Ausschluss wichtiger Widerstandsbewegungen der radikalen Linken (etwa die baskische Nationalbewegung, oder die kolumbianische Guerilla). Die Gründung des Europäischen Sozialforums steht gerade im zentralen Land Italien unter dem Zeichen einer versuchten Öffnung zur Sozialdemokratie. Die Grundlage dieser Entwicklung ist einfach, der gemäßigte Flügel der Bewegung verfügt über eine strategische Orientierung, nämlich den globalen Kampf um Reformen, eine menschliche Globalisierung, eine Art Neoreformismus, der in naher Zukunft der politischen Regeneration der europäischen Sozialdemokratie dienen wird. Der antikapitalistische Flügel verfügt über gar keine Orientierung.
Der 11. September hat diese Entwicklung verschärft. Man hatte sich als wesentlichste Opposition zum globalen Kapitalismus verstanden. Man war politisch-korrekt, gegen Nationalismus, gegen Autorität. Mit dem 11. September musste man feststellen, dass der globale Kapitalismus noch andere Feinde hatte, die an den internationalen Schaltstellen der Macht auch wesentlich ernster genommen wurden. Mit dem folgenden Terrorkrieg des Westens – dem sich ein Teil der Antiglobalisierungsbewegung entgegenstellte, den ein anderer Teil aber durchaus unterstützte oder zumindest abseits stand – hat die Frage der Tobinsteuer einiges an ihrer Brisanz verloren (sollte sie diese jemals gehabt haben.)
Stunde der Entscheidung
In der nächsten Zeit muss eine Entscheidung getroffen werden. Man kann der Mehrheit von ATTAC in eine erneuerte europäische Sozialdemokratie folgen – die „andere Welt“ wird man dabei aber nicht erreichen, denn die soziale Globalisierung ist eine Illusion. Man kann einen konsequenten Widerstand gegen das kapitalistische Weltsystem beginnen, dieser funktioniert nur gemeinsam mit den „Verdammten der Erde“, den Palästinenserinnen und Palästinensern, den Ausgeschlossenen von Porto Allegre, allen die sich gegen die imperiale Ausbeutung erheben, auch wenn das nicht in einer politisch korrekten westlichen Form abläuft. Letztendlich kann man auch noch eine zeitlang weiter Phrasen dreschen, wirkliche Perspektive bietet das keine – die jetzige Form der Antiglobalisierungsbewegung ist politisch am Ende.
Salzburg
Es ist zu befürchten, dass die Mobilisierung in Salzburg eine Mischung aus Neoreformismus und perspektivlosen Träumen wird. Der Aufruf des Sozialforums enthält ein fatales Bekenntnis zur sozialen Globalisierung, ansonsten wird den wesentlichen Fragen ausgewichen, kaum konkrete Forderungen gestellt. Keine Rede ist vom bevorstehenden Krieg gegen den Irak, kein Wort über den anhaltenden Krieg in Afghanistan. Kein Wort über die neue „Antiterrorgesetzgebung“, neue Überwachungsmaßnahmen und die schwarze Liste angeblicher „Terrororganisationen“, kein Wort zur Unterstützung des palästinensischen Widerstands, nichts über Euro-Fighter und Euro-Armee. Angesichts dessen diskutiert die Linke nur über Gewalt. Keine unwichtige Frage, aber nicht in der Lage die Frage der strategischen Orientierung zu ersetzen. „Eine andere Welt ist möglich“: Das ist hübsch, aber nicht genug. Die Antiglobalisierungsbewegung ist in der Krise, aber jede Krise ist auch eine Chance. Der Widerstand gegen die Globalisierung muss endlich konkret werden, nicht nur in Salzburg, auch auf den Demonstrationen am 28. September, wo es darum geht am zweiten Jahrestag der Intifada gleichzeitig Solidarität mit dem palästinensischen Kampf zu zeigen und die „Terrorgesetzgebung“ zurückzuweisen, die alle demokratischen Grundrechte mit Füssen tritt.
Bewegung für soziale Befreiung