Bericht von der Internationalen Solidaritätsdelegation (ISM) gegen die US-Militärintervention auf den Philippinen
Vom 24. bis 31. Juli 2002) fand auf Einladung der philippinischen Partei Bayan Mina, der Neuen Patriotischen Allianz Bayan, der Menschenrechtsgruppe Karapatan, der Moro Christian Peoples Alliance (MCPA) und der Out Now-Koalition eine internationale Solidaritätsreise auf der südphilippinischen Inselgruppe Mindanao statt. Die Antiimperialistische Koordination beteiligte sich mit einer Delegation daran. Mindanao war über sechs Monate Schauplatz eines gemeinsamen Trainingsprogramms zur Terrorbekämpfung (Balikatan 02-1) der philippinischen Streitkräfte und von 650 US-Kampftruppen sowie noch einmal so vieler logistischer Einheiten. Denn auch auf den Philippinen habe sich die Al Qaida niedergelassen und gefährde in Form der Abu Sayyaf-Gruppe die US-Sicherheitsinteressen.
Balikatan als Rückkehroption
Die Philippinen waren in der Geschichte des 20. Jahrhunderts die wichtigste Militärbasis der US-Armee im Südpazifik und gemeinsam mit der, nach dem 2. Weltkrieg errichteten Truppenpräsenz in Japan und Südkorea die Operationsbasis zur strategischen Kontrolle Asiens. Mehrere 10.000 US-Truppen waren seit dem VietnamKrieg auf den Militärbasen Subic Naval Base und Clark Air Field auf der Hauptinsel Luzà³n stationiert. Erst 1992, unter der Regierung von Fidel Ramos, wurden die US-Truppen gezwungen, sich von der Insel zurückzuziehen. In Voraussicht strategischer politisch-militärischer Unsicherheiten in der Region sicherten sich die USA mit dem Visiting Forces Agreement (VFA) 1998 eine ständige Rückkehroption. Nach dem 11. September und den in Folge des Krieges gegen Afghanistan in ihrer antiimperialistischen Dynamik zugespitzten Konflikten in Indonesien sowie auf den Philippinen selbst, scheinen die USA nun neuerlich eine ständige Truppenstationierung anzustreben. Die gemeinsame Truppenübung Balikatan 02-1 zur Verbesserung der Schlagkraft der philippinischen Armee gegen den Terrorismus hat das Tor für diesen Schritt geöffnet. Balikatan 02-2 ist bereits für Oktober dieses Jahres angekündigt und Colin Powell unterzeichnete bei seinem Besuch auf den Philippinen Ende Juli das Abkommen zur gegenseitigen logistischen Unterstützung (Mutual Logistics Support Agreement, MLSA). Die künftige US-Truppenstationierung wird so auch ohne aufwendige eigene Infrastruktur möglich sein, indem die adaptierten Installationen der lokalen Armeekräfte übernommen werden.
ASEAN – Terrorbekämpfung und keine Souveränität
Am 21. Juli, wenige Tage vor Beginn der ISM, tagten in Brunei die zehn Außenminister der Staaten des ASEAN Paktes, eines US-abhängigen Bündnisses der südostasiatischen Staaten, dessen Gründungsanlass die Stabilisierung einer prowestlichen Staatengemeinschaft Asiens gegen den Kommunismus war. Gegenstand dieser Tagung der Paktstaaten war die Bekämpfung des Terrorismus in Form eines US-ASEAN Abkommens, das die Staaten zur Unterstützung des US-Krieges verpflichtet („Joint Declaration for Cooperation to Combat International Terrorism“). Die USA forderten alle Paktstaaten auf, ein entsprechendes nationales Gesetz zu verabschieden und am internationalen Kampf gegen den Terror zu beteiligen. Die Forderung Indonesiens und Vietnams, die Achtung der nationalen Souveränität in das Abschlussdokument aufzunehmen und die Rolle der UNO zu betonen, wurde von den USA blockiert und durch eine unverbindliche Formulierung ersetzt, die jede Form der Intervention von US-Truppen offen lässt.
Prompte Anwendung: Gloria Macapagal-Arroyos starke Republik
Am 22. Juli hielt die philippinische Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo ihre Rede zur Lage der Nation. Kommentatoren sagten, die Rede sei weniger an die Nation gerichtet gewesen, als an die USA, um ihnen Loyalität in ihren Forderungen an den ASEAN-Gipfel zu versichern. Zentrales Element der Rede war die „starke Republik“, womit eine autoritäre Republik gemeint ist. Den USA versicherte sie die Dankbarkeit der Philippinen im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus. Die Vorlage eines Antiterrorgesetzes solle in Kürze durch das Parlament gehen. Diese Gesetz sieht, über die entsprechenden US- und europäischen Vorlagen hinausgehend, eine umfassende Kriminalisierung der Opposition durch die explizite Fassung des Meinungsdeliktes als Terrorismus vor. Terrorismus sei auch die gezielte Verbreitung von Meinungen, die die Regierung gefährden und systematisch in Misskredit bringen können. „Gesinnungsterrorismus“ wird so zur juristisch relevanten Kategorie für den Weg zum Staatsterrorismus gegen die Meinungsfreiheit. Letztlich kündigte die Präsidentin das Ende der „maximum tolerance“ gegenüber Demonstrationen an, um die Demonstranten zum „maximum respect“ der staatlichen Regeln aufzufordern. Erinnert sei daran, dass Gloria Macapagal-Arroyo durch den Sturz von Präsident Estrada nach Massendemonstrationen gegen sein korruptes und klientelistisches Regime an die Macht kam. Ein weiterer Fall einer „People Power-Präsidentin“ wie einst Corazà³n Aquino. Dass diese Kategorie zur bloßen Legitimation eines Regimes neoliberaler Kontinuität geworden ist, drückte die Pressemeldung zur Präsentation des UNDEP-Berichtes auf den Philippinen aus: Die Philippinen seien als Modellland für diese Form der Demokratie ausgewählt worden, um den Bericht zum Stand der „menschlichen Entwicklung“ zu präsentieren. Doch, so Sakiko Fukada-Parr, Autorin des UN-Berichtes, „zu starke Abhängigkeit von den Massen könne auch gefährlich sein. …‚Überbeanspruchung der People Power kann auch negativ sein und die demokratischen Institutionen unterminieren. Man braucht starke Institutionen.´“ (Philippine Daily Inquirer, 25. Juli, A4)
Die Regierung Arroyo repräsentiert ein technokratisch-oligarchisches Regime, das im Gegensatz zu ihrem populistischen Vorgänger Estrada, nach dem Scheitern der Antrittsversprechen (Friedensgespräche mit der Nationaldemokratischen Front NDF und den islamischen Befreiungsbewegungen MNLF und MILF, soziale Reformen und Maßnahmen gegen die Korruption) einen schnellen Verlust an Stabilität erleidet und damit einen deutlichen Hang zu Autoritarismus und US-Abhängigkeit zeigt.
Exzessive und zu bekämpfende People Power war offenbar die Demonstration am Tag der Präsidentenrede, an der auch Teile der internationalen Delegationen der ISM bereits teilnahmen (wohlwissend dass die Teilnahme von Ausländern an Demonstrationen auf den Philippinen verboten ist). Mit Schlagstöcken und Wasserwerfern drängte die Polizei die etwa 30.000 Demonstranten – mehrheitlich von Bayan und Bayan Muna, neben einem Kontingent der Revolutionären Arbeiterpartei PMP (1999 von einer früheren Spaltung der Kommunistischen Partei der Philippinen gegründet) und der Volksbasis des Populisten Estrada aus den Armenvierteln von Manila – vom Kongressgebäude ab. Starke Republik und Volkssouveränität in Zeiten des Kampfes gegen den Terrorismus konnten nicht klarer dargestellt werden, als durch ein Volk, das vor seinem Parlament niedergeknüppelt wird, während die Präsidentin eine Rede an die USA hält.
Zamboanga City: ein schwieriger Beginn
Die erste Station der ISM war die Hauptstadt von Mindanao, Zamboanga City im Westen der Insel, Standort des Südkommandos der philippinischen Armee und des gemeinsamen Führungsstabes der sechsmonatigen US-philippinischen Militärmission. Zamboanga ist ein Stadt, in der die allgemeine These der maoistisch beeinflussten philippinischen revolutionären Bewegung sich zu bestätigen schien, dass die Städte nicht nur militärisch, sondern auch politisch der Ort der Hegemonie der reaktionären Kräfte seien und daher von der revolutionären Bewegung vom Lande langsam eingekreist werden müssen. Bereits am Flughafen wurde die ISM von einer Hundertschaft an Demonstranten mit Schildern wie „Abu Sayyaf-Kommunisten raus“, „CommunISM, SatanISM out“ und „Wir heißen die US Truppen willkommen – ISM raus!“ empfangen. Die Demonstranten waren zum einen Teil Angehörige des städtischen Gewerbes, die von der US-Präsenz ökonomisch profitierten, andererseits vom Südkommando und dem Bürgermeisterclan bezahlte Angehörige der Unterschichten.
Zamboanga war während der spanischen Kolonialzeit als küstennaher Ort von den Spaniern besetzt, während sie die Herrschaft über das moslemische Sultanat in Mindanao nie erreichten. Während das Hinterland immer noch stärker moslemisch geprägt ist, ist Zamboanga und sein Bürgermeister von den christlichen Oligarchienfamilien geprägt. Hier scheint ein kurzer Einschub zur Geschichte Mindanaos und des Moro-Konflikts notwendig.
Abrisse aus der Geschichte Mindanaos und der Moro-Bewegung
In der vorspanischen Zeit war das Sultanat von Mindanao das politisch-kulturelle Zentrum der Philippinen. Die Eroberer konnten sich gegen die hoch entwickelte islamische Gesellschaft Mindanaos nie durchsetzten, ihre Herrschaft blieb auf die nördlichen Inselgruppen von Luzà³n und Visayas beschränkt. Erst die USA schafften es durch Teilung der aus verschiedensten Ethnien zusammengesetzten Morobevölkerung und Einbindung der Herrscherfamilien Mindanaos in die Institutionen der postkoloniale philippinische Nation – eine US-Kolonie bis nach dem 2. Weltkrieg – Mindanao anzugliedern. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm, unter dem Eindruck der Kolonisierung des Landes durch christliche Siedler aus den nördlichen Inseln – eine Methode der US-abhängigen Oligarchie die Landfrage auf den Philippinen zu „lösen“ – und sicher auch der Befreiungskriege der unterdrückten Nationen (Tamilen, Osttimor), eine junge Generation von Moro-Intellektuellen den Befreiungskampf in Form des Guerillakrieges wieder auf. Nur Misuari gründete 1972 die Nationale Moro Befreiungsfront (MNLF), deren Ziel ein unabhängiges Mindanao war, ohne dabei die islamische Form des unabhängigen Staates zu präjudizieren. Die MNLF wurde in Folge des 1987 abgeschlossenen Jeddah- Abkommens mit Präsidentin Aquino in die staatlichen Strukturen der Autonomen Regionen Moslemisch-Mindanaos (ARMM), in den mehrheitlich islamischen Gebieten der Insel, eingebunden. Dagegen konnte sich die 1977, in Folge des ersten Versuches der MNLF ein Abkommen mit der damaligen Marcos Regierung zu schließen (Tripolis Abkommen), von dieser abgespaltene Islamische Morobefreiungsfront (MILF) unter Hashim Salamat stärken, die die islamische Form des zu erkämpfenden Staates stärker betont. Unter Arroyo ist durch die Militarisierung der ARMM, insbesondere Basilan und Sulu, vermehrte Provokationen der Armee gegen MNLF-Kämpfer und die Verhaftung von Misuari das Abkommen mit der MNLF gebrochen worden und die MNLF befindet sich an zahlreichen Fronten wieder im bewaffneten Widerstand. Schwerpunktgebiet der MILF ist das Zentralgebiet von Mindanao (Catabato), einerseits aufgrund ihrer mehrheitlichen Zusammensetzung aus der Gruppe der Maguindanaoans, andererseits konnte sie dort eine Art befreites Gebiet bilden, das städtischen und ländlichen Vertriebenen Unterschlupf bot und ihr einen rasch wachsenden Einfluss erlaubten. Das Zentrum der MNLF, ihrerseits mehrheitlich der Gruppe der Tausug zugehörig, liegt auf den Inseln Basilan und Sulu, wo sie eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung hinter sich weiß.
Die Abu Sayyaf Gruppe entstand aus einer ursprünglich konservativ-apolitischen Islamisierungsbewegung, deren Mitglieder, nach militärischer Feuertaufe im Afghanistankrieg, von der Regierung als islamisch-paramilitärischer Verband und politische Opposition gegen die MNLF und MILF eingesetzt wurden. Die banditistische Degeneration der Abu Sayyaf brachte jedoch eine offensichtliche erste Entfremdung. Die Entführung der westlichen Touristen auf Jolo und schließlich der Antiterrorkrieg nach dem 11. September, der in den Abu Sayyaf einen Teil der Al Qaida sieht, setzte dieser Zusammenarbeit ein Ende. Die Abu Sayyaf, die aus verschiedenen ethnischen Gruppen Basilans und Sulus zusammengesetzt ist (Tausug, Samal, Badjao und Yakan) und auch politisch keine einheitliche Gruppierung mit einem zentralen Kommando ist, scheint heute drei unterschiedliche Dynamiken widerzuspiegeln. In bestimmten Fällen findet sich immer noch eine temporäre Kooperation mit den Streitkräften – vor allem aus der Motivation korrupter Armeeangehöriger an den kriminellen Operationen der Abu Sayyaf mit zu verdienen. Dem sollte aber keine übertriebene politische Bedeutung im Sinne der „Verwendung“ der Abu Sayyaf zugeschrieben werden. Dominant scheint derzeit die Tendenz zum Banditentum, wobei hier ein soziales Element der extrem Marginalisierten, mitspielt. Auch von Elementen islamischer Wohlfahrtspolitik der Abu Sayyaf wurde berichtet, etwa im Ankauf der Agrarprodukte der Landbevölkerung zu höheren Preisen. Der unterschiedslose Terror gegen die gesamte islamische Moro-Bevölkerung und die Dämonisierung der Abu Sayyaf als Hauptfeind, sowie auch die Anerkennung einiger lokaler Kommandeure durch die arme Bevölkerung, schließt sicher eine „Repolitisierung“ der ASG nicht aus. Jedoch stellt zweifellos die historische Anwesenheit der Moro-Befreiungsbewegungen MNLF und MILF eine Faktor dar, der den Weg der Abu Sayyaf zu einer eigenständigen nationalen Befreiungsbewegung jenseits dieser traditionellen und tief verankerten Organisationen unwahrscheinlicher macht (sofern sich MNLF und MILF nicht durch die Regierung einbinden lassen, was aber in der politischen Konjunktur des Antiterrorkrieges heute äußerst unwahrscheinlich ist, wie das Scheitern aller Friedensgespräche mit den moro-islamischen Gruppen zeigte.).
Erste Zeugnisse von Gewalt und Militarisierung
In Zamboanga City konnte die ISM erste Zeugnisse der im Zuge des Antiterrorkampfes vollzogenen Militarisierung hören. Der Eindruck einer generellen Kriminalisierung der islamischen Bevölkerung sollte sich in den weiteren Besuchen bestätigen. Selbst ein Dorf-Polizist aus der Umgebung Zamboangas fiel dem immer gleichen Schema zum Opfer. Einheiten der philippinischen Armee – die im allgemeinen nicht nur ortsfremd sind, sondern zumeist aus den nördlichen Inseln kommen – führen während des Durchkämmens der Gegend willkürliche Verhaftungen durch, unterwerfen die Festgenommenen im Südkommando der Folter, um sie zum Bekenntnis der Abu-Sayyaf Mitgliedschaft zu zwingen und entscheiden schließlich willkürlich, ob der Betroffene wieder freigelassen wird oder in Haft bleibt. Der spätere Besuch in einem Gefängnis sollte zeigen, dass die Verhafteten oft Monate und jahrelang, ohne je einem Richter vorgeführt worden zu sein, einsitzen. Andere werden nach wenigen Tagen wieder freigelassen. Mindanao ist durch ein Klima der Einschüchterung, Willkür und Straflosigkeit für die Armee beherrscht, das für diesen Krieg niedriger Intensität typisch ist. Die Verhaftungen sind gleichzeitig auch die Beweise für die „Erfolge“ der Armee gegen die Abu Sayyaf gegenüber dem antiterroristisch besessenen Westen. Kein Wunder, wenn einem jungen Mann schließlich auf die Frage seiner Perspektiven verzweifelt über die Lippen kam, dass dann eben nichts übrig bleibe, als sich den Abu Sayyaf anzuschließen. Ob nun ein politisch-ideologisch überlegter Schritt oder Wut und Verzweiflung, es ist in jedem Fall eine klarer Ausdruck dieser Situation totaler Unterdrückung und Polarisierung.
Basilan: Protest vor den Panzern
Höhepunkt der ISM war der Besuch der Insel Basilan, um direkt in den betroffenen Gemeinden die Zeugnisse der Menschen zu hören. Basilan gilt als Operationsgebiet der Bangasmoro Armee der MNLF und der Abu Sayyaf. Die Balikatan-Militärmission der USA fand auf dieser Insel statt. Was in Zamboanga noch hinter der gekauften Sympathiedemonstration für die USA und gegen die ISM versteckt war, kam auf Basilan ungeschminkt zum Ausdruck. Die gemeinsame Demonstration der ISM-Teilnehmer und der Basilan-Sektion der MCPA nach Ankunft in Isabela City wurde von Panzern und Soldaten mit Maschinengewehren begleitet. Das Quartier der ISM-Delegierten in einer kirchlichen Gaststätte war Tag und Nacht von schwer bewaffneten Militärs in einer Stärke von etwa 30 Mann umstellt – zur „Sicherheit der ISM-Teilnehmer vor den Abu Sayyaf-Terroristen“.
Die Zeugnisse in der Kirche bestätigten die Erfahrungen von Militarisierung, Diskriminierung und Not, die bereits in den Aussagen der Menschen in Zamboanga City zum Ausdruck kamen. Basilan kann jedoch durchaus bereits als richtiggehendes Kriegsgebiet bezeichnet werden, in dem die Bürger- und Menschenrecht sowie die zivile Justiz der militärischen Willkür unterliegen. Eine der Zeuginnen, die 27 Jährige Juraida Hasalal Isnijal, berichtete von der nur einen Tag zurücklegenden Verwundung und Verhaftung ihres Gatten während einer Operation, an der zahlreiche Indizien für eine direkte Beteiligung eines US-Soldaten sprachen. Die ISM beschloss daher, sich am nächsten Tag in ihrer Fact-Finding Mission in drei Gruppen zu teilen. Eine sollte das Dorf Lantawan besuchen, wo die Armee zwischen Juni 2001 und März 2002 mehrfach unter dem Vorwand der Verfolgung der Abu Sayyaf Verhaftungen, Exekutionen und Bombardierungen durchgeführt hatte. Eine andere Gruppe fuhr nach Lamitan, um einer dort berichteten Verwicklung von Abu Sayyaf und Armee nachzugehen und eine dritte Gruppe versuchte in Tuburan die Aussage der jungen Frau zu klären, die von der US-Beteiligung an einer Operation gegen ihren Gatten berichtet hatte. Dies hätte weitreichende Konsequenzen, da die Balikatan-Richtlinien eine solche Beteiligung untersagen und die US-Truppenpräsenz ausschließlich auf Trainingsmanöver und sogenannte zivile Operationen beschränken.
Vor diesem Lokalaugenschein besuchte die ISM jedoch noch das Gefängnis von Isabela City, um mit den jugendlichen Gefangenen zu sprechen, die unter dem Vorwurf der Abu Sayyaf-Mitgliedschaft einsitzen. Die Bayan-Muna Parlamentarier Satour Ocampo und Liza Maza, die die ISM begleiteten, konnten nach längeren Verhandlungen mit dem Provinzgouverneur die Gefängnistore öffnen. Die Überbelegung der Zellen, das völlige Fehlen von hygienischen Minimalstandards und die mangelhafte Ernährung und medizinische Versorgung war beinahe zu erwarten gewesen. Die Gespräche mit den – in Handschellen aneinandergeketteten – Gefangenen, die das erste Mal seit Monaten aus den Zellen ins Freie gelassen wurden, waren dennoch erschreckend. Zum ersten waren es durchwegs junge Burschen zwischen 14 und 25 Jahren, mehrheitlich Handwerker oder Fischer. Keiner war bisher in einem Prozess legal verurteilt worden, obwohl viele schon bis zu einem Jahr in Haft waren. Viele wiesen Folterspurchen aus den im allgemeinen mehreren Tagen andauernden Verhören auf, denen sie mit verbundenen Augen unterworfen waren.
Der nicht angekündigte kollektive Protest von ISM und den Gefangenen im Gefängnishof mit Reden gegen die Militarisierung Basilans, gegen die US-Präsenz und für die Freiheit der politischen Gefangenen sowie patriotischen Liedern wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Gefängnisdirektion künftige Besuche dieser Art zweimal überdenken lassen.
Das Massaker von Lantawan
Die Zufahrtsstrasse zu der kleinen Gemeinde Lantawan war etwa alle 500 Meter von einem Armeeposten gesäumt. Die Gemeinde wurde nach Ankunft der ISM-Abordnung vom Militärs umstellt, das sich auch unter die Bevölkerung zu mischen versuchte, um deren Zeugnisse mit anzuhören. Der Ortskern bestand aus einer kleinen Moschee, einem Gemeindegebäude, dem Haus des Bürgermeisters und einigen kleineren Hütten. Die Menschen leben mehrheitlich von Kokosnussplantagen, Bananen und Fischerei. Die Militarisierung führte jedoch zu einer drastischen Verelendung. Einerseits mussten Gemeinden wie Lantawan Vertriebene aus entlegeneren Dörfern auffangen. Andererseits können die Bewohner selbst nicht zu ihren Pflanzungen, da sie dabei bereits mehrfach vom Militär angegriffen und der Abu Sayyaf-Tätigkeit beschuldigt wurden. Einzig der Fischfang blieb, dieser wird jedoch durch kommerziellen Küstenfischerei zunehmend prekär. Zahlreiche Gemeindevorsteher dieser Gegend waren vor einem Jahr unter dem Verdacht der Abu Sayyaf Sympathie abgesetzt und durch dem Militär loyale Politiker ersetzt worden. Lantawan wurde im März dieses Jahres Opfer eines Massakers durch das Militär. Während Vertriebene versuchten zu ihren Häusern zurückzukehren, wurden neun Männer von der Armee niedergemetzelt. Beinahe jede Familie hat jedoch einen Fall von Verhaftung oder Verschleppung. Meist werden die Männer nach Folter und kurzer Gefangenschaft wieder freigelassen, manchmal gezwungen Militäroperationen zu begleiten, um Abu Sayyaf-Mitglieder zu identifizieren. Tun sie das nicht, werden sie selbst als solche eingesperrt. In Lantawan hatten die US-Truppen eine Woche vor dem ISM-Besuch eine zivile Operation durchgeführt. Sie boten der Bevölkerung kostenlose Zahnbehandlung an. In der Situation absoluten Elends ist es nicht verwunderlich, dass viele in den US-Truppen nicht den erstrangigen Gegner sehen, sondern vor allem vor den philippinischen Truppen Furcht haben. Nur einigen Aussagen konnte man Ablehnung gegen die US-Präsenz entnehmen.
Lamitan: Ausnahme oder Regel
Die Gemeinde Lamitan ist das Paradigma der Zusammenarbeit zwischen philippinischer Armee und Abu Sayyaf geworden. Für uns, die die Zeugnisse in Lantawan und im Gefängnis von Isabela City gehört hatte, schien dieser Fall beinahe unglaubwürdig. Zwar sind die Augenzeugenberichte eindeutig, sie können aber sicher die politische Interpretation noch nicht lösen. Kronzeuge ist Pater Nacorda, der in seiner persönlichen Geschichte ein nicht zu leugnendes Naheverhältnis zur Armee hatte und daher ein Ziel der Abu Sayyaf war. Als am 2. Juni 2001 die Abu Sayyaf mit 21 Geiseln in Lamitan eintrafen, wurden sie von der Armee im örtlichen Spital und der Kirche umstellt. Obwohl Präsidentin Arroyo bereits ihre Gefangennahme angekündigt hatte, gelang es der Gruppe ohne Verluste die Einkreisung der Armee zu durchbrechen und zu entkommen.
Die Komplizenschaft der Armee liegt nahe. Dennoch bleibt die Frage, ob es sich um die erwähnte lokale Verquickung krimineller Interessen handelt oder ob daraus auf eine politische Verbundenheit der Abu Sayyaf Gruppe mit den höchsten Spitzen der Militärführung zu schließen ist. Die Meinungen innerhalb der ISM waren hier verschieden.
Tuburan: ISM deckt die Verwicklung eines US-Militärs in eine Kampfoperation auf
Hatte die ISM in der Lokalpresse seit Anbeginn Medienpräsenz, so führte der Fall von Buyong-Buyong Isnijal zu einer direkten medialen Konfrontation mit der Präsidentin. Nach Bezeugung des Tathergangs durch seine Frau Juraida, der Aussage des behandelnden Arztes, dass ein US-Soldat den Verwundeten begleitet hatte sowie einigen am Ort des Geschehnisses gefundenen Beweisstücken, die die Erstversorgung des Verwundeten durch US-Soldaten bewiesen, ging die ISM mit der Meldung der illegalen Verwicklung eines US-Soldaten in eine Operation, bei der ein Einheimischer verwundet wurde (dem wie zu erwarten Abu Sayyaf Mitgliedschaft vorgeworfen wird), an die Öffentlichkeit und die Presse. Die Reaktionen und Erklärungen des Militärkommandos und schließlich von Präsidentin Macapagal-Arroyo selbst war nicht sonderlich überzeugend und widersprüchlich. Der US Soldat Lane sei erst später hinzugekommen, die Operation sei von der Armee alleine ausgeführt worden. Das ganze sei eine Schmutzkampagne der Kommunisten. Im Vorfeld der Abschiedszeremonie für die US-Militärmission und des Besuches von Colin Powell waren diese mehrtägigen Schlagzeilen für die Präsidentin ein sichtbares politisches Problem und daher ein konkreter Beitrag der ISM, die patriotischen und antiimperialistischen Kräfte zu stärken, denen ein Anwachsen der antiamerikanischen Stimmung in der Bevölkerung entgegenkommt.
General Santos: die Vorbereitungen laufen
Eine andere Abordnung der ISM war von Manila direkt nach Zentralmindanao geflogen, um die Bauarbeiten an einem überdimensionalen Flugfeld in der Stadt General Santos zu begutachten. Die strategisch günstige Lage der Bucht und die nicht begründbare Größe des Flugfeldes, legen durchaus die Vermutung von Vorbereitungen für eine US-Truppenstationierung nahe. Nicht zuletzt auch, als General Santos als Operationsbasis gegen die Guerillaeinheiten der MILF strategische Bedeutung hat. Die Gruppe aus General Santos berichtete auch von den Morden an lokalen Führern und Aktivisten der Linken, darunter der Sekretär von Karapatan Südmindanao Benjaline Hernandez, der am 26. April mit drei seiner Begleiter durch armeegestützte Paramilitärs umgebracht worden war, sowie von den Vertreibungen der Armen aus den Vierteln, die den militärischen Infrastrukturprojekt zum Opfer fallen.
Die Rache für die den Fall Isnijal: Verbotenen Anschlussdemonstration
In der Nacht des 29. August sollten die über tausend Teilnehmer der philippinischen Volkskaravane gegen die US-Militärpräsenz auf den Philippinen nach mehr als einer Woche Reise von Luzà³n bis Mindanao in Zamboanga City eintreffen. Über Stunden verzögerten Militär, Polizei und paramilitärische Pro-Balikatan-Gruppen die Ankunft der Karavane. Am nächsten Tag war ein gemeinsamer Demonstrationszug von ISM und Volkskaravane vor das Südkommando der Armee in Zamboanga geplant. Nach der vollständigen Militarisierung der Stadt und der Mobilisierung der Pro-Balikatan-Schlägertrupps standen die Chancen jedoch schlecht. Nach einer politischen und kulturellen Veranstaltung in einem Sportstadium versuchte die Demonstration loszuziehen. Doch der Eingang war durch Polizei, Einheiten der Marines und vor den Toren Wasserwerfer und Panzer verstellt. Ein Durchkommen und eine Konfrontation waren aussichtslos. Die Demonstration musste im Stadium bleiben. Doch die Medien waren wiederum voll und berichteten von der durch Militär und Polizei verhinderten Demonstration. Eine Lehre an Disziplin und politischer Intelligenz einer Bewegung, deren Bereitschaft zur Militanz allen europäischen Autonomen weit überlegen ist. Eine politische, taktisch und strategisch überlegte, Militanz jedoch und nicht aus Spaß und als Event. Die Kombination aus Disziplin, Kampfbereitschaft und politischer Denunziation in den Medien und im Parlament durch die Abgeordneten von Bayan Muna brachte eine ausreichende politische Wirkung bis über die Landesgrenzen hinaus.
Schlussfolgerungen
Eine neuerliche US-Truppenstationierung in Mindanao über längere Zeit im Rahmen des MLSA-Abkommens scheint wahrscheinlich. Die Operationen im Rahmen der Mission Balikatan 02-2 in Sulu könnten bereits zu einer stärkeren direkten Verwicklung der US-Armee in Kampfhandlunge führen. Sulu gilt Zentrum einer äußerst militanten Morobewegung um die MNLF, die angesichts der Militarisierung nichts zu verlieren hat, als ihr Leben. Auch die kommunistische Neue Volksarmee hat die US-Interventionstruppen als militärisches Ziel definiert.
Die Entwicklungen in Mindanao sind eine Kernelement für einen revolutionären Umbruch auf den Philippinen. Die ausgedehnten sozialen Mobilisierungen, geführt von der legalen und klandestinen revolutionären Linken, könnten auch das technokratische Regime von Macapagal-Arroyo zu Fall bringen. Doch hat die jüngere philippinische Geschichte bereits öfters derartige Ereignisse gezeigt, ohne eine wirkliche Macht des Volkes konsolidieren zu können. Der Fortgang des moro-islamischen Unabhängigkeitskampfes in Mindanao dagegen kann eine politische Sprengkraft regionaler Bedeutung gewinnen, bedenkt man den Kontext der nationalen Krise Indonesiens und die internationale Polarisierung zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Dieses wichtige Element einer revolutionären Krise der philippinischen Nation anerkennend, liegt eine der Stärken der philippinischen kommunistischen Bewegung in ihrer Verteidigung des Rechtes auf Selbstbestimmung der Moros.
Die Dynamik der Abu Sayyaf muss wie die der gesamten islamischen Bewegung nach dem 11. September genau beobachtet werden, ohne deren Ursprünge als CIA und regierungsnahe Gruppe als ewige Antwort auf die Frage nach ihren politisch-sozialen Charakter zu wiederholen. Ansprechpartner antiimperialistischen Solidarität mit Mindanao sind aber sicher MNLF und MILF sowie die revolutionäre Linke, sowohl Bayan und Bayan Muna als auch die Kommunistische Partei der Philippinen und die Neue Volksarmee, die trotz politischer Fehler im Laufe ihrer langen Geschichte nicht geschlagen wurde und die wesentliche Kraft einer antiimperialistischen und sozialrevolutionären Umgestaltung der Philippinen bleibt.
Gernot Zeiler, Wien, 30. August 2002