Erklärung von Kairo, Dezember 2002
Das von der Ägyptischen Volkskampagne gegen die US-Aggression organisierte internationale Treffen am 18. und 19. Dezember 2002 in Kairo fand statt, um eine Internationale Kampagne einzuleiten.
Wir, die Teilnehmer, bekräftigen unsere Solidarität mit den Völkern von Irak und Palästina und stellen fest, dass die Aggression gegen diese Völker Teil des US-Projekts zur globalen Kontrolle und Unterwerfung ist. Die Solidarität mit dem Irak und Palästina ist daher integraler Bestandteil des internationalistischen Kampfes gegen die neoliberale Globalisierung. Das Treffen von Kairo war kein einmaliges Ereignis, sondern Teil des anhaltenden internationalen Kampfes gegen den Imperialismus, von Seattle und Genua über Lissabon und Florenz bis nach Cordoba und Kairo.
Die völkermörderischen Verbrechen zionistischer Täter gegen das palästinensische Volk werden von den USA uneingeschränkt unterstützt und sogar gerechtfertigt. Die Leiden der Menschen im Irak, die seit über zehn Jahren durch das Regime der völkermörderischen Sanktionen verursacht werden, und der aggressive Militarismus, dem sie heute ausgesetzt sind, ergeben sich aus der Logik der Strukturen des in der heutigen Weltordnung bestehenden Ungleichgewichts der Macht:
– Die USA verfügen im Rahmen der kapitalistischen Globalisierung über ein politisches, wirtschaftliches und militärisches Machtmonopol zu Lasten der Lebensbedingungen der Mehrheit der Weltbevölkerung
– Die USA setzen im Interesse der Herrschenden des eigenen Landes ihre Kontrolle mittels offener Aggression und militaristischer Globalisierung durch, wobei sie sogar die für den klassischen Kolonialismus typische Form der direkten Besetzung wieder zur Anwendung bringen.
– Die Globalstrategie der USA, die vor dem 11. September 2001 formuliert wurde, verfolgt das Ziel, die bestehende unipolare Weltordnung beizubehalten und das Aufkommen von Kräften zu verhindern, welche die Machtverhältnisse zugunsten von Multipolarität verschieben würden. Die US-Regierung benutzte die tragischen Ereignisse des 11. September, um die bereits bestehende Strategie unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus durchzusetzen.
Die Beachtung dieser globalen Zusammenhänge erleichtert das Verständnis der aktuellen Weltentwicklung:
Erstens: Kapitalistische Globalisierung und Hegemonie der USA
– Durchsetzung des Vorrangs der Interessen monopolkapitalistischer Kreise gegenüber den Interessen der Menschen, auch der Menschen in Europa und USA
– Eingliederung der Volkswirtschaften verschiedener Länder in ein einziges globales kapitalistisches Wirtschaftssystem unter Bedingungen, welche die soziale Entwicklung untergraben und schädliche Auswirkungen auf die Lage der Frauen, die Gesundheit von Kindern, das Erziehungswesen und soziale Dienstleistungen für ältere Menschen haben, wobei außerdem Arbeitslosigkeit und Armut weiter zunehmen.
– Verallgemeinerung der Kultur des Konsumentenverhaltens und des Individualismus zu Lasten von Gemeinsinn und sozialer Verantwortung, sei es gegenüber den Tausenden von Kindern und Kleinkindern, die im Irak sterben infolge von verschmutztem Wasser, Unterernährung und Ausbleiben von medizinischen Lieferungen, sei es gegenüber den Opfern von Aids, Unterernährung und Hungersnot weltweit. Für Millionen von Menschen haben sich die Lebensbedingungen verschlechtert, wobei Arbeitslosigkeit und Armut immer weiter um sich gegriffen haben. Die Globalisierung hat zur Marginalisierung ganzer Völker geführt, die sich die zum Erhalt des Lebens erforderliche Grundversorgung nicht länger beschaffen könnten.
Zweitens: Das Fehlen von Demokratie und die weitverbreitete Korruption und Unterdrückung, die das Streben der arabischen Völker nach wirtschaftlichem, sozialen und geistigen Fortschritt stark behindern, werden in ihren schädlichen Auswirkungen im Rahmen der bestehenden Weltordnung der neoliberalen Globalisierung noch verschärft.
– Das Eingeständnis von Beschränkungen der demokratischen Entwicklung im Irak stellt in keiner Weise eine Billigung der Versuche der USA dar, die Fortsetzung der Sanktionen und die laufenden Kriegsvorbereitungen zu rechtfertigen. Ohne Außerachtlassung der Beschränkungen der demokratischen Entwicklung, die in der irakischen Gesellschaft seit langem wie übrigens in allen arabischen Gesellschaften bestehenden, ist festzustellen, dass die von den USA verhängten Sanktionen eine verheerende Wirkung auf die Entwicklung des Irak gehabt haben. Während sich der Irak früher, gemessen an Indikatoren der Entwicklung der allgemeinen Lebensverhältnisse, eines relativ positiven Profils erfreute, hat seine Bevölkerung nun unter dem Sanktionsregime schwer zu leiden. Irak erlebte einen erheblichen Anstieg der Kindersterblichkeit und der Verbreitung verschiedener Krankheiten, eine Einschränkung der Bildungsmöglichkeiten sowie eine drastische Verschlechterung des Lebensstandards. Das menschliche Leiden nimmt zu und schafft eine Atmosphäre des Defätismus.
– Das palästinensische Volk leidet unter dem Verlust seines Landes und fortgesetzter zionistischer Aggression, die von den USA militärisch, wirtschaftlich und politisch unterstützt wird, wodurch die palästinensische Verwaltung praktisch zum Komplizen der Verbrechen gegen das eigene Volk gemacht wird. Die USA nehmen Israel gegen Verurteilungen in internationalen Gremien unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus in Schutz und bestehen darüber hinaus auf falschen Behauptungen, wenn sie den legitimen Kampf des palästinensischen Volkes gegen die Besatzung und für die Befreiung des Landes und die Rückkehr in die Heimat auf der einen Seite mit dem von uns allen verabscheuten Terrorismus auf der anderen Seite gleichsetzen.
– Die Politik der strukturellen Anpassung in Verbindung mit der neoliberalen Globalisierung hat eine globale Krise heraufbeschworen, die in einem größer werdenden Wohlstandsgefälle, in der Zunahme von Armut und Arbeitslosigkeit und in einer allgemeinen Verschlechterung der Lebensverhältnisse zum Ausdruck kommt.
– Die Militärpräsenz der USA in der arabischen Region und ihre den Regierungen der souveränen Nationen der Region aufgezwungenen Diktate haben die Leiden der arabischen Völker erschwert. Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieser Nationen gehen heute bis zu Forderungen nach Bildungsreformen und dem Bestehen auf „Demokratie“. Und dies ironischer Weise zu einer Zeit, da in den USA die bürgerlichen Freiheiten abgebaut werden, insbesondere für arabische oder muslimische US-Bürger. Die US-Administration verstößt mit ihrer unmenschlichen Behandlung von Kriegsgefangenen in Guantanamo auch gegen internationales Recht. Ferner ist in den USA ein Wohlstandsgefälle festzustellen, das größer als in allen übrigen Industrienationen ist.
– In aller Offenheit verfolgen die USA ihre Absicht, arabische Länder in kleinere Einheiten auf ethnischer oder religiöser Basis aufzuteilen. Dies würde Israel ermöglichen, im Rahmen des Mittelost-Projektes die beherrschende regionale Macht zu werden zum Schaden eines arabischen Projekts gerechter Entwicklung und regionaler Einheit.
Das Leiden des arabischen Volkes und die hartnäckige US-amerikanische Unterstützung des dem palästinensischen Volk aufgezwungenen Apartheid-Systems verschärfen zweifellos das Konfliktpotential und führen zu einer Eskalation der Gewalt in einer der empfindlichsten Regionen der Welt. Ein derartiges Gefahrenpotential kann leicht auf die Nachbarregionen Europa, Asien und Afrika übergreifen. Die anhaltende Vorbereitung eines Krieges gegen den Irak, trotz irakischer Annahme der UN-Resolution zur Durchführung aggressiver Inspektionen seiner Bewaffnung und seiner zivilen Industrie, signalisiert die vorgefasste Absicht, die arabische Region, ihre Ölvorkommen und tatsächlich die gesamte Weltölversorgung zu kontrollieren
Drittens: Aus all diesen Gründen erklären wir unsere totale Opposition gegen den Krieg gegen Irak sowie unsere Entschlossenheit, den Kampf gegen die Politik der Weltherrschaft der USA fortzusetzen. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Mobilisierung gegen diese Politik dringend geboten ist. Alle demokratischen Kräfte der Welt, die für echten Frieden und Gerechtigkeit eintreten, müssen im Rahmen einer internationalen Kampagne gegen die neoliberale, US-gesteuerte Globalisierung zusammen gehen und sich für eine ganz andere Art von Globalismus auf der Grundlage von gleichem Recht und Gerechtigkeit einsetzen. Dies hieße auch bessere Nutzung der Ressourcen der Welt und Schutz der Umwelt. Zusammen sind die Völker der Welt durchaus fähig, gegen Aggression und alle Formen der Ungerechtigkeit, des Vorurteils und des Rassismus zu kämpfen und eine bessere Welt möglich zu machen.
Mit der Kairo-Konferenz gegen den Krieg gegen Irak und für die Solidarität mit Palästina soll eine internationale Volksbewegung eingeleitet werden, welche Mechanismen schafft, um der Politik der Aggression wirksam entgegen zu treten. Die Beteiligung von internationalen Aktivisten, die wegen ihres Kampfes für Menschenwürde, Recht und Gerechtigkeit eine prominente Rolle spielen, sowie von Intellektuellen, Schriftstellern, Gewerkschaftern, Menschenrechtsarbeitern, Journalisten und Künstlern – aus Ägypten und der übrigen arabischen Welt wie aus Afrika, Asien, Lateinamerika, Europa und den Vereinigten Staaten – wird diesem noblen Unternehmen zweifellos zu einer rascheren Entwicklung verhelfen, trotz der zahllosen Hindernisse, die wir zu bewältigen haben.
Viertens: Es ist wichtig, dass die internationale Volksinitiative der Solidarität mit Irak und Palästina nach einem Aktionsplan mit klar definierten Prioritäten vorgeht:
1. Verurteilung der US-Militärpräsenz auf arabischem Boden und Druck auf arabische Regierungen, die US-Militärbasen auf ihrem Territorium dulden, diese zu schließen und keinerlei Möglichkeiten für Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft zur Verfügung zu stellen.
2. Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Volksorganisationen des Südens, um die Solidarität im Widerstand gegen die Politik und die Praktiken der neoliberalen Globalisierung und der US-Hegemonie zu stärken.
3. Zusammenarbeit mit der internationalen Anti-Globalisierungsbewegung im Norden und Süden, und Teilnahme an Aktivitäten und Treffen dieser Bewegung.
4. Förderung der Einheit der demokratischen Kräfte und Volksorganisationen in verschiedenen Teilen der Welt sowie Bildung von Solidaritätskomitees, welche sich dem Krieg gegen den Irak und den völkermörderischen Verbrechen gegen die Palästinenser widersetzen und ihr Recht auf Widerstand und ihren Befreiungskampf unterstützen.
5. Unter dem Banner „Zusammen gegen Globalisierung und US-Hegemonie“: Aufnahme der Themen Irak und Palästina in die Agenda fortschrittlicher internationaler Treffen, insbesondere des nächsten Sozialforums in Porto Allegre.
6. Aufforderung arabischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen, die humanitären Bedingungen im Irak zu untersuchen und ihre Ermittlungen weltweit zu verbreiten.
7. Entsendung menschlicher Schutzschilde in den Irak
8. Einführung von Boykottmaßnahmen gegen US-amerikanische und israelische Waren im Rahmen von Solidaritätskampagnen zur Unterstützung von Irak und Palästina unter Betonung des Rückkehrrechts der Palästinenser.
9. Wahl einer Steuerungsgruppe, die die Umsetzung der Erklärung von Kairo verfolgt, die Koordination der ihre Prinzipien anerkennenden Organisationen übernimmt und zur Vorbereitung von Plakataktionen, Protestkundgebungen und Demonstrationen in Solidarität mit Irak und Palästina beiträgt.
Übersetzung: Klaus von Raussendorff