Totale Rechtlosigkeit und systematische Diskriminierung
Die Lage der palästinensischen Gefangenen in den israelischen Gefängnissen spiegelt das Leiden des palästinensischen Volkes unter der Besatzung wider. Tausende palästinensische Gefangene sitzen zur Zeit in zwanzig israelischen Gefängnissen und militärischen Inhaftierungslagern. Manche von ihnen sind seit mehr als 26 Jahren inhaftiert, andere wurden als Schüler vor langen Jahren verhaftet und sitzen heute noch hinter Gittern. Die Geschichte jedes palästinensischen Gefangenen ist die Geschichte einer kaputtgemachten Familie. Man kann sich das Ausmaß dieses Leidens vorstellen, wenn man weiß, dass mehr als vierhunderttausend Palästinenser seit 1967 mindestens einmal verhaftet worden sind.
Seit dem Ausbruch der neuen Intifada im September 2000 sind 15 000 Palästinenser verhaftet worden. In den israelischen Gefängnissen befinden sich zur Zeit sechstausend Gefangene. Unter ihnen sind 1050 Gefangene in Administrativhaft. Das bedeutet, dass sie ohne Anklage in Haft sitzen, wobei ihre Haft alle sechs Monate verlängert werden kann und bis zu acht Jahren andauern kann, ohne dass sie irgendetwas über ihre Haftdauer erfahren können. Die Grunde für die Haft und die Beweise für die Anschuldigungen können geheim gehalten werden, so dass der Inhaftierte, seine Familie und sein Anwalt diese nicht erfahren dürfen. Die Zahl der gefangenen Kinder beträgt 350. Sie sind zwischen 12 und 18 Jahre alt .Einige von ihnen sind in den selben Gefängnissen wie israelische jugendliche Kriminelle. Dort werden sie systematisch diskriminiert. Im Gegensatz zu den israelischen Jugendlichen dürfen sie ihre Ausbildung nicht weiterführen. Kinder zwischen 15 und 18 Jahren werden für Erwachsene gehalten und werden mit älteren israelischen Gefangenen und Kriminellen zusammengehalten, was eine große Gefahr für sie darstellt. Die meisten Kinder befinden sich im Gefängnis Telmond mit jugendlichen und erwachsenen Israelis zusammen .
47 palästinensische Frauen und Mädchen befinden sich im Gefängnis Neve Tritze. Sie werden dort mit israelischen kriminellen Frauen gehalten. Sie sind Folter und sexuellen Belästigungen ausgesetzt, vor allem durch die häufigen Körperdurchsuchung, die fast täglich stattfinden.
Diskriminierung ist eine Praxis, die in Israel kaum in Frage gestellt wird. Beispielsweise darf ein Israeli nur 48 Stunden ohne Beweisführung in Haft bleiben. Ein Palästinenser darf per Gesetz für dreißig Tage ohne Beweisführung in Haft bleiben. Diese Frist kann auch bis zu sechs Monaten verlängert werden .
Gesetzlich kann ein Treffen zwischen einem Anwalt und seinem israelischen Mandanten höchstens 15 Tage verhindert werden. Im Falle eines palästinensischen Gefangenen beträgt diese Frist drei Monate. Nach der Entlassung eines palästinensischen Gefangenen besteht die Gefahr, dass er weit von seiner Familie in einen anderen Ort oder ins Ausland abgeschoben wird.
Die Gefangene sind auf zwanzig Gefängnisse verteilt, die sich zum großen Teil außerhalb der besetzten Gebiete befinden. Israel hat die meisten Gefangenen aus der Westbank und aus Gaza in weit abgelegene Anstalten verlegt. Dies stellt einen Verstoß gegen internationale Abkommen und die Genfer Konvention dar. Diese Verlegung hat die Besuche von Familienangehörigen fast unmöglich gemacht, da die Bewohner der besetzten Gebiete eine Erlaubnis brauchen um nach Israel fahren zu können. Ein solche Erlaubnis wurde nur einmal in den letzten zwei Jahren gegeben. Rechtsanwälte können ihre Mandanten nur sehr selten kontaktieren. Die Gefangenen sind von der Außenwelt fast vollständig isoliert. Bücher, Fernseher oder Radio sind verboten.
Folter ist eine alltägliche Praxis, vor allem während der Vernehmung, die in der Regel mehrere Monate andauert. Das höchste israelische Gericht hat im November 1996 zwei Beschlüsse erlassen, wonach es dem israelischen Geheimdienst erlaubt wird, körperlichen Druck anzuwenden. Vor allem wurde die Methode des extremen Schüttelns während der Vernehmung erlaubt, was oft zu Gehirnerschütterungen führt. So ist Israel der einzige Staat in der Welt, der Folter als offizielle Politik und mit gesetzlicher Deckung betreibt. Die Lebens- und Haftbedingungen der Gefangenen sind katastrophal.
Oft haben die Gefangen nicht die Möglichkeit Kleider zu bekommen um sich umziehen zu können. Manche sitzen seit Monaten mit Blutflecken auf ihren Kleidern in Haft, da viele bei der Verhaftung verletzt werden. Die Besatzungsmacht geht immer mit harten Angriffen gegen die Gefangenen vor, besonders wenn diese protestieren, um ihre Haftbedingungen zu verbessern.
Die meisten Gefängnisse sind ohne Heizung, obwohl manche in der Wüste liegen, wo es im Winter sehr kalt ist, wie zum Beispiel in den Gefängnissen Ashkalon, Nafhar und Majiddo. Die Menschenrechtsorganisationen haben für diese Gefängnisse Heizungen gefordert, aber Israel hat das mit der zynischen Begründung abgelehnt, dass die Heizung ein Sicherheitsrisiko darstellt, da die Gefangenen die Heizkörper als Mittel zur gegenseitigen Folterung oder zum Selbstmord benutzen könnten.
Das Essen ist quantitativ und qualitativ sehr schlecht. Die medizinische Situation ist katastrophal. Die Gefangenen müssen drei Monate warten, bis sie einem Arzt vorgeführt werden. Es gibt keine Medikamente und man bekommt höchstens Schmerzmittel. Die Familien dürfen keine Medikamente schicken. Es gibt viele Gefangene, die verletzt sind oder unter chronischen Krankheiten leiden.
Die palästinensischen Gefangenen werden nur militärischen Gerichten vorgeführt, wo israelische Soldaten die Richter sind. Die Strafgesetze dieser Gerichte stammen von den englischen Kolonialgesetzen, die in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts angewendet wurden. Die Verordnung der Gefängnisse besteht aus 114 Klauseln, die keinen einzigen Satz über die Rechte der Gefangenen enthalten. Viele Gefängnisse stammen auch aus der englischen Kolonialzeit.
In den meisten Haftanstalten werden in jedem kleinen Raum aus zwanzig Quadratmetern und einer offenen Toilette bis zu zwanzig Gefangene gehalten. Einige Gefängnisse bestehen aus normalen Gebäuden und andere aus Zeltlagern auf militärischen Stützpunkten.
Israel bezeichnet die Gefangenen als Terroristen und Kriminelle. Die palästinensischen Gefangenen erheben dagegen die gerechte Forderung, als Kriegsgefangene anerkennt und freigelassen werden, da sie Freiheitskämpfer und keine Kriminelle sind.
Das palästinensische Volk erhebt die gerechte Forderung und hat das legitime Bedürfnis, frei von Besatzung, imperialistischer Unterdrückung und Ausbeutung zu leben.
20.11.2002
Quelle: Addameer – Vereinigung für der Unterstützung palästinensischer Gefangenen