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Steht den Palästinensern eine neue Vertreibung bevor?

12. Januar 2003

Der Krieg gegen den Krebs

Die Anschläge in New York City und Washington am 11. September 2001 haben die Agenda in den internationalen Beziehungen von Grund auf verändert. Seither steht die Bekämpfung des „internationalen Terrorismus“ in all seinen Schattierungen an erster Stelle der internationalen Politik. Sollte aber nicht mit Blick auf das Verbrechen, die Ursachen des Terrorismus beseitigt werden? Aspekte sozialer Gerechtigkeit, der Freiheit von Unterdrückung und Ausbeutung sowie des Rechtes auf Selbstbestimmung sind nicht nur in Verruf geraten, sondern werden als Terrorismus gebrandmarkt, wie im Nahostkonflikt und in Tschechenien zu beobachten ist. Die Terrorbekämpfung droht in eine Serie einseitig von Washington beschlossener Militäraktionen zu münden; die sogenannte Antiterrorallianz mutiert darin zum bloßen Feigenblatt, sie wird zum Instrument US-amerikanischen Hegemonialstrebens. Die Ziele dieser Allianz wurden verändert und erweitert. Die USA fordern von ihren Verbündeten blinde Gefolgschaft. Der Herausgeber von Le Monde diplomatique, Ignaci Ramonet, schrieb am 11. Oktober 2002 zur Souveränität der europäischen Staaten folgendes: „Ein Imperium hat keine Verbündeten, es hat Vasallen. Diese historische Wahrheit haben die meisten Mitgliedstaaten der EU offenbar vergessen. Obwohl sie im Prinzip souverän sind, lassen sie sich durch den Druck aus Washington in die Kriegsvorbereitungen gegen den Irak hineinziehen, mithin auf den traurigen Stand von Satelliten reduzieren. (…) Viele führende Politiker Europas legen gegenüber den USA geradezu pudelhafte Reflexe an den Tag, eine Art vorauseilenden Gehorsam, wie er sich für treu ergebene Vasallen geziemt. Dass sie gleichzeitig von nationaler Unabhängigkeit, Souveränität und Demokratie faseln, mag daher rühren, dass sie sich des Strukturwandels, der gerade auf der internationalen Bühne abläuft, nicht unbedingt bewusst sind. Doch haben sie in ihrem Denken schon die Grenze überschritten, die den Verbündeten vom Hörigen, den Partner von der Marionette unterscheidet. Als solche betteln sie darum, nach einem amerikanischen Sieg doch bitteschön ein paar Tropfen vom irakischen Öl abzukriegen.“
Einer der ersten Staaten, die sich der von den USA ins Leben gerufenen „Antiterrorallianz“ geradezu begeistert anschließen wollten, war Israel. Endlich, so schien es, verstanden die anderen Staaten das Anliegen Israels: den Widerstandskampf eines von militärischer Okkupation strangulierten Volkes als „Terrorismus“ zu sehen. Yassir Arafat mutierte zu Sharons bin Laden. Der israelische Ministerpräsident stellte eine Analogie zwischen den besetzten Gebieten und Afghanistan her (sprich mit der Autonomiebehörde und al-Qaida) und schlug eine Lösung für das „palästinensische Terrorproblem“ à  la Afghanistan vor. Die Enttäuschung unter der herrschenden Klasse in Israel war groß, als die USA die Mitgliedschaft des Landes in dieser Antiterrorallianz nicht wünschten. Dies bedeutete jedoch nicht, dass George W. Bush Sharon nicht freie Hand in der fortgesetzten Unterdrückung der Palästinenser gewährt hätte. Bush war nicht bereit und hatte keinerlei Interesse, Sharon bei dessen eigener Variante der „Terrorbekämpfung“ entgegenzutreten. Darüber hinaus schweigt die US-Führung über den Vandalismus und die Greueltaten des israelischen Militärs, die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die an Kriegsverbrechen erinnern, und den permanenten Völkerrechtsverstößen Israels. Seit diesem Zeitpunkt verhält sich Israel wie eine wildgewordene Kolonialmacht, deren Politik und „Ansprüche“ auf die besetzten Gebiete immer weniger verstanden werden. Eine regionale Supermacht führt einen Krieg gegen ein Dritte-Welt-Volk, das um seine Selbstbestimmung und Freiheit kämpft. Israel ist es gelungen, der internationalen Staatengemeinschaft weiß zu machen, dies sei „Terrorismus“ und das der palästinensische Widerstand in eine Reihe mit den Feinden des Westens gehöre. Wie verzerrt Sharons Sicht der Dinge ist, zeigt seine Einschätzung in der israelischen Tageszeitung Haaretz vom 5. März 2002: „Die Palästinensische Autonomiebehörde steht hinter dem Terror. Das ist alles Terror. Arafat steht hinter dem Terror. Unser Druck hat zum Ziel, den Terror zu beenden. Erwarten Sie nicht von Arafat, dass er etwas gegen den Terror unternimmt. Wir müssen ihnen viel Schaden zufügen, dann werden sie wissen, dass sie nicht weiterhin Terror anwenden können um politische Ziele zu erreichen.“ (1) Konkret: Noch mehr Zerstörung und Tote wird zur Kapitulation Arafats und des palästinensischen Volkes führen. Wie man diese Kapitulation erreichen will, zeigt die Analyse des Generalstabschefs Moshe Yaálon in Haaretz vom 30. August 2002, in der er die Palästinenser als ein „Krebsgeschwür“ bezeichnet hat, und Israel nur mit „Chemotherapie“ dagegen vorgehe. „Es gibt alle möglichen Lösungen für krebsartige Erscheinungen. Einige werden sagen, es ist notwendig, Organe zu amputieren. Aber im Augenblick betreibe ich Chemotherapie, ja.“ Dieser Krieg gegen den Krebs wird insbesondere von Verteidigungsminister Shaul Mofaz und Yaálon geführt. Eine solche Terminologie liegt voll im Trend eines angeblich sauberen Krieges, in dem es auch nur noch chirurgische und präzise Eingriffe gibt. Tote tauchen da keine mehr auf.
Wie sich die Stimmung in den internationalen Beziehungen geändert hat, zeigt die Tatsache, dass Israel seit 1967 sein kolonialistische Siedlungsabenteuer in den besetzten Gebieten mit brutalen Waffengewalt wider jedes Völkerrecht durchsetzen kann und die internationale Staatengemeinschaft dazu schweigt. Der sogenannte „Krieg gegen den Terrorismus“ hat auch die berechtigten Anliegen des palästinensischen Volkes völlig in den Hintergrund treten lassen. Im Angesicht der Brutalität des israelischen Besatzungsregimes und der systematischen Zerstörung der Existenzgrundlagen des palästinensischen Volkes stellt sich zwangsläufig die Frage des Widerstandes gegen militärische Besatzung. Gibt es ein legitimes Widerstandsrecht gegen eine langanhaltende brutale Militärbesatzung? Baruch Kimmerling, Professor für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem, begründete das palästinensische Widerstandsrecht am 27. März 2001 in der Haaretz wie folgt: „Seit 1967 leben Millionen von Palästinensern unter militärischer Besatzung, ohne jegliche Bürgerrechte und zumeist auch ohne die grundlegendsten Menschenrechte. Die andauernden Umstände der Besatzung und Unterdrückung geben ihnen das Recht dieser Besatzung unter Anwendung jedweder Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, Widerstand zu leisten und unter Gewaltanwendung gegen die Besatzung aufzustehen. Das ist ein moralisches Recht, das sowohl dem Naturrecht als auch dem Völkerrecht inhärent ist.“ (2) Dieses Widerstandsrecht werde noch durch die Vierte Genfer Konvention bestärkt, die einen Bevölkerungstransfer des Besatzers in besetzte Gebiete untersagt.
Selbstmordattentate, die unschuldige Bürger treffen, müssen unmissverständlich verurteilt werden. Sie sind unmoralisch und die Täter gehören hinter Gitter. Aber es ist ebenfalls nicht hinreichend, nur über palästinensischen Terrorismus zu sprechen und die Besatzung zu ignorieren. Beide sind keine Zwillingsbrüder, sondern Terrorismus ist der illegitime Abkömmling der Besatzung. Das heißt, die Ursache des palästinensischen Terrorismus ist nicht die Gewalt und der Terror der Palästinenser, sondern die brutale israelische Okkupation. Über deren Beendigung muss primär verhandelt werden, weil dann die Grundlage für die palästinensische Gegenwehr entfallen würde. Es gibt nach Völkerrecht eine Grundlage für Besatzung, aber für eine kurze, begrenzte Zeit und nicht für 35 Jahre; ebenfalls gibt es das Widerstandsrecht – und darum handelt es sich beim „palästinensischen Terrorismus“, aber nicht gegen unschuldige Personen. Beide Sachverhalte sind mörderisch: Unschuldige Israelis werden Opfer des Terrors; unschuldige Palästinenser werden zu Opfern der Besatzung.
Eines der lächerlichsten Argumente, das von Teilen der israelischen politischen Klasse vorgetragen wird, lautet, dass die Okkupation den Israelis gegen ihren Willen aufgezwungen worden sei. Eigentlich seien die Israelis die Opfer der Besatzung. Diese Groteske wurde von Ariel Sharon in seiner Rede an das israelische Volk vom 21. Februar 2002 wieder vorgetragen. Mit der gleichen „Logik“ hatte der ehemalige Ministerpräsident Ehud Barak nach der Zurückweisung seines „großzügigsten Angebots“ in Camp David an die Palästinenser argumentiert, man könne die Besatzung nicht beenden. Die einfache Tatsache lautet aber, dass Israel die palästinensischen Gebiete besetzt hält, weil es sie besetzt halten will. Israel will sich nicht zurückziehen, weil es das Land für sein kolonialistisches Siedlungsprojekt, für die Ausbeutung des Wassers, als billiges Arbeitskräftereservoir und Absatzmarkt für israelische Waren sowie aus strategischen Gründen benötigt. Israel will das Gebiet nicht annektieren, weil es den drei Millionen Palästinensern keine Staatsbürgerrechte geben will, d. h., Israel will das Land, aber möglichst ohne dessen Bewohner. Die Besatzung ist der einzige Weg, beide Ziele zu erreichen. Dabei kann Israel Yassir Arafat sowohl die direkte als auch die indirekte Besatzung anbieten: Entweder akzeptiert Arafat die Besatzung oder er wird durch einen anderen „Politiker“ ersetzt, der diese Bedingungen als palästinensisches „Ziel“ akzeptiert. Moshe Dayan und Abba Eban hatten noch von einer „wohlwollenden oder aufgeklärten Besatzung“ gesprochen. Jahrhunderte kolonialer Herrschaft haben aber gezeigt, dass es keine „aufgeklärte Besatzung“ geben kann. Man kann kein Volk zum Wohle eines anderen unterdrücken, ohne Greueltaten zu begehen.
Völlig zu Recht fragt Lev Grinberg, Direktor des Humphrey Instituts für Sozialarbeit an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva, wer Sharon verhaften wird, wenn er auch als Terrorist bezeichnet wird, der direkt für die Tötungsbefehle an Palästinensern verantwortlich ist? Zu Recht hat die internationale Presse gefragt, ob Arafat unfähig oder unwillig ist, den Terror zu stoppen. Seit 22 Monaten ist nun Sharon Ministerpräsident Israels. Er hat alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel genutzt, um palästinensischen Terror zu bekämpften, ohne moralische oder rechtliche Skrupel. Trotzdem geht das Töten und der Terror weiter. Die Frage drängt sich geradezu auf, ob Sharon entweder unfähig oder unwillig ist, den Terror zu stoppen? Einige Beispiele mögen zeigen, dass Sharon kein wirkliches Interesse an einem Ausgleich oder an einem Ende der Gewalt hat. Die israelische Tageszeitung Yedioth Achronot veröffentlichte am 24. Juli 2002 eine Einigung zwischen den Führern der Tanzim, Hamas und islamischem Dschihad, nachdem Muhammad Dahlan mit Scheich Ahmad Yassin übereingekommen war, Selbstmordattentate in Israel zu stoppen. Eineinhalb Stunden nachdem die Einigung erzielt war, so der Bericht, liquidierte Israel Salah Shehadeh in Gaza-Stadt. Mitten in der Nacht wurde eine Bombe auf ein Wohnviertel abgeschossen 14 Zivilisten wurden dabei getötet, darunter neun Kinder, über hundert Menschen wurden verletzt. Im November 2001 wurde der Hamas-Aktivist Mahmud Abu Hanoud ermordet, obwohl Hamas seit zwei Monaten keine Anschläge in Israel ausgeführt hatte. Bis heute hat die Sharon-Regierung über achtzig „palästinensische Terroristen“ ermorden lassen. Sie wurden regelrecht liquidiert, aus Apache-Kampfhubschraubern heraus wurden Autos beschossen. Ali Mustafa, der Parteichef der PFLP wurde aus seinem Schreibtischstuhl geradezu herausgebombt. Diese staatlich angeordneten Morde gehören vor den Internationalen Strafgerichtshof, da die israelische Regierung unwillig ist, die Täter zu bestrafen.
Wie doppelbödig die US-amerikanische Regierung handelt, zeigt sich anhand der Kommentierung israelischer Anschläge und palästinensischer Terrorattacken. Wie die US-Regierung das Gaza-Bombardement kommentierte, zeigt die Doppelmoral der USA und ihre Einseitigkeit: Der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, erklärte: „Diese ungeschickte Aktion trägt nichts zum Frieden bei …, obgleich man gewusst habe, dass Unschuldige als Konsequenz ihr Leben lassen würden.“ Der folgende Terroranschlag an der Hebräischen Universität wurde dagegen von Fleischer wie folgt kommentiert: „Dies war ein entsetzlicher Akt der Gewalt, ein schrecklicher Terrorakt.“ Der Mangel an Wut oder an einer annähernden Ernsthaftigkeit oder Betroffenheit, wenn palästinensische Zivilisten ermordet werden, ist augenfällig. Die Frage drängt sich unweigerlich auf, wem dieser Terror nützt? Will man ein Klima der Angst solange aufrechterhalten, bis Bush den Irak angreift, um einen größeren Teil der Palästinenser zu transferieren? Der Journalist Gordon Thomas, ein Mann mit besten Beziehungen zum israelischen Geheimdienst, hat vor einigen Monaten im Sunday Express enthüllt, dass Sharon das Militär angewiesen habe, sich auf die Vertreibung Hunderttausender von Palästinensern nach Jordanien vorzubereiten. Sharon glaubt, dass ihm ein Krieg gegen den Irak den Vorwand und die „Ausrede“ für diese ethnische Säuberung geben werde, da er die Palästinenser für eine „total inakzeptable Gefahr für die Sicherheit Israels“ hält.

Wie weit die strategischen Überlegungen in Israel bereits gehen, zeigen die Überlegungen von Mossad-Chef Ephraim Halevy, die er am 16. Dezember 2001 auf einer Konferenz des „Institute of Policy and Strategy“ in Israel dargelegt hat. Er sagte, dass ein Weltkrieg am 11. September 2001 ausgebrochen sei, „in dem die alten Regeln des Krieges nicht mehr gelten … Dies wird kein typischer Krieg mehr sein, in dem der geschlagene Feind zu Friedensgesprächen mehr eingeladen wird.“ Dieser Krieg gehe gegen den Terror. Wer die Ziele sind, dazu erklärte Halevy: „Länder werde gezwungen werden sich entweder für die Seite des Terrors oder für das `powerhouse of the United States` zu entscheiden.“ Ein anderer wichtiger Berater Sharons ist sein Sprecher Ra´anan Gissin. Auf einer Vortragstour durch die USA erklärte er am 27. April 2002 gegenüber der Zeitung Arizona Star folgendes: „Wir haben in den letzten 18 Monaten einen Krieg geführt, welcher der Vorbote des Dritten Weltkrieges ist. Die Welt wird kämpfen müssen, ob es ihr gefällt oder nicht. Ich bin ganz sicher.“ Wie machttrunken die israelische Militärführung ist, zeigt die Rede des Generalstabschefs Yaálon vor der Konferenz der Rabbiner in Jerusalem: „Israel ist eine regionale Supermacht. Es ist eine militärische Supermacht, eine wirtschaftliche Supermacht, eine kulturell-geistige Supermacht.“ (Ynet vom 25. August 2002). Alle diese Äußerungen zeigen, dass die israelische politische Elite bereit ist, konventionelle und nicht-konventionelle Maßnahmen bis zum Einsatz von Atomwaffen zu ergreifen.
Die westeuropäisch-US-amerikanisch beeinflusste Klasse tut aus historischen Gründen nichts oder zu wenig gegen die Strangulierung eines kolonisierten Volkes. Dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Volk auf grausamste Weise seiner Rechte beraubt wird und die aufgeklärte Weltöffentlichkeit dazu schweigt, ist der wirkliche Skandal. Dabei bietet sich der Vergleich mit Südafrika geradezu an. Das weiße Rassistenregime in Südafrika hätte es niemals gewagt, F-16-Kampfbomber, Apache-Kampfhubschrauber und Panzer sowie anderes schweres militärisches Gerät „Made in USA“ und „payed by the US“ gegen vermeintliche Terroristen und Zivilisten einzusetzen. Israel tut es mit Billigung der USA. Die Schuld- und Verantwortungsfrage wird dabei auf den Kopf gestellt. Von den Unterdrückten erwartet man die Akzeptierung der Bedingungen der Unterdrücker! Eine solche „Logik“ hat es in der modernen Kolonialgeschichte bisher nicht gegeben.
Das palästinensische Volk hat seit der Besetzung seines Landes im Sechs-Tage-Krieg schweres Leid ertragen müssen. Seine Existenz ist gefährdeter als jemals zuvor. Seit Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada am 28. September 2000 hat es einen hohen Blutzoll zahlen müssen. Auch die Israelis wurden erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Über 1900 Tote auf palästinensischer und zirka 665 Tote auf israelischer Seite sind zu beklagen, von den fast 40 000 Verletzten auf palästinensischer und über 6000 auf israelischer Seiten und den Verwüstungen in den besetzten Gebieten gar nicht zu reden. Die Infrastruktur der Autonomiebehörde wurde völlig zerstört. Für diese Tragödie tragen die politischen Eliten in Israel und zum Teil die Autonomiebehörde die politische Verantwortung.
Seit Monaten wird in Israel und selbst im Parlament, der Knesset, offen über einen Transfer der Palästinenser, sprich Vertreibung oder ethnische Säuberung, im Rahmen eines Krieges gegen den Irak diskutiert. Der Transfer-Gedanke ist der zionistischen Bewegung von Beginn an inhärent gewesen. Alle wichtigen zionistischen Politiker habe sich darüber geäußert; einige radikaler als andere. Im Rahmen eines Krieges gegen den Irak bietet sich eine gute Gelegenheit, die zweite Hälfte von 1948 zu vollenden. Schon 1989 hat Benjamin Netanyahu Studenten der Bar-Ilan-Universität erklärt: „Israel hätte die Unterdrückung der Demonstrationen in China ausnützen sollen, als die Aufmerksamkeit der Welt auf dieses Land gerichtet war, um Massenausweisungen von Arabern aus den Gebieten durchzuführen.“ (3) Der ermordete ehemalige Tourismusminister Zeevi war der Vorsitzende der Moledat-Partei (Vaterland), die als einzigen Programmpunkt den Transfer der Palästinenser proklamierte. Wie weit der Transfer als Lösung des Konfliktes innerhalb der israelischen Bevölkerung verbreitet ist, zeigen Umfragen, in denen sich über 45 Prozent dafür aussprechen. Besorgte Stimmen wie die des Soziologie-Professors Baruch Kimmerling oder des Militärhistorikers Martin van Creveld prognostizieren eine bevorstehende Vertreibung im Rahmen eines Krieges gegen den Irak. 125 israelische Intellektuelle haben erst kürzlich in einem Aufruf ihrer Sorge über eine erneute Vertreibung zum Ausdruck gebracht, dass Israel im „Nebel“ eines Krieges „weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bis zur vollständigen ethnischen Säuberung“ begehen könnte. Meron Benvenisti, der frühere stellvertretende Bürgermeister von Jerusalem, hat ebenfalls am 15. August 2002 in Haáretz vor einem möglichen Transfer-Szenario gewarnt: „Ein amerikanischer Angriff auf den Irak gegen arabische und weltweite Opposition und eine israelische Einbeziehung, selbst nur symbolisch, führt zum Zusammenbruch des Haschemitischen Regimes in Jordanien. Dann verwirklicht Israel die alte `Jordanien-Option`, indem es Hunderttausende von Palästinensern über den Jordan vertreibt … Jeder, der eine solche ethnische Säuberung als ein schreckliches Verbrechen betrachtet, muss seine Stimme jetzt erheben, ohne irgendein ´Wenn und Aber`, das so typisch ist für die Reaktionen auf die Bestrafungsaktionen, die bereits jetzt in schrittweise immer einschneidender Form durchgeführt werden.“ Die Sicherheitsberaterin von Präsident Bush, Condoleeza Rice, hat sogenannte Think tanks damit beauftragt, Vorschläge über eine Um- und Neuansiedlung der Palästinenser zu machen. Dabei ist auch an den Irak gedacht.
Sharon hat in einem äußerst aufschlussreichen Interview, das am 13. April 2001 gleichzeitig in den Tageszeitungen Haáretz und Maariv veröffentlicht worden ist, folgendes erklärt: „Der Unabhängigkeitskrieg ist noch nicht beendet. Wenn Sie mich fragen, ob der israelische Staat in der Lage ist sich heute selbst zu verteidigen, dann sage ich ja, auf jeden Fall. Und wenn Sie mich fragen, ob der israelische Staat einer Kriegsgefahr entgegen siegt, dann sage ich nein.“ (4) In der internationalen Öffentlichkeit wird immer wieder behauptet, es gebe einen neuen Sharon. Was sagt der betroffene selbst dazu: „Nein, da ist nichts neues, ich war immer schon so, wie ich bin. Ich habe mich nicht um ein Jota geändert. Es gibt keinen neuen Sharon. Es gibt nur eine Verteufelung… Ich habe meinen Standpunkt nicht geändert. Das einzige, was sich geändert hat, ist meine Meinung über …‚Jordanien ist Palästina…‘. Und auch das nur, weil einfach eine Tatsache geschaffen wurde. Sie wissen, ich war nie für zwei palästinensische Staaten. Das ist die einzige Veränderung in meiner Position.“ (5) Sharon, so in diesen Interviews, will den Palästinenser 42 Prozent für ihren „Staat“ geben. Nicht eine Siedlung werde aufgelöst. „Sie wissen, es ist kein Zufall, dass die Siedlungen dort sind, wo sie eben sind. Die Siedlungen wurden entsprechen des Konzeptes aufgebaut, dass wir die westliche Sicherheitszone nahe der grünen Linie halten müssen und die östliche Sicherheitszone, entlang des Jordan und die Straßen, die die beiden verbinden. Und Jerusalem, natürlich. Und den Berg .????..(6) Es könne keinerlei Zugeständnisse in Jerusalem geben. Sharon kann sich ein Zusammenleben mit den Palästinensern nur dann vorstellen, wenn sie an den „zionistischen Traum“ glauben! Diesen „Friedensplan“, der sich eng an die „Vision“ des US-Präsidenten anlehnt, hat Sharon am 5. Dezember 2002 in einer Rede an das israelische Volk vorgestellt. Die Palästinenser müssen demzufolge bereit sein, in von Israel bewachten Bantustans oder Reservaten zu leben. Dass die internationale Staatengemeinschaft Israel nicht in die Schranken weist, ist der eigentliche Skandal.

Ludwig Watzal

(1) „The PA (Palestinian Authority L. W.) is behind the terror, it…‘s all terror. Arafat is behind the terror. Our pressure is aimed at ending the terror. Don…‘t expect Arafat to act against the terror. We have to cause them heavy casulties and then they will know they can´t keep using terror and win political achievements.“

(2) „Since 1967, millions of Palestinians have been under a military occupation, without any civil rights with, and most lacking even the most basic human rights. The continuing circumstances of occupation and repression give them, by any measure, the right to resist that occupation with any means at their disposal and to rise up in violence against that occupation. This is a moral right inherent to natural law and international law.“

(3) „Israel should have exploited the repression of the demonstrations in China, when World attention focused on that country, to carry out mass expulsions among Arabs of the territories.“

(4) „The war of independence has not ended. If you ask me whether the State of Israel is capable of defending itself today, I say yes, absolutely. And if you ask me whether the State of Israel is facing the danger of war, I say no.“

(5) „No, there is nothing new, I have always been the way I am. I have not changed one jota. There is no new Sharon. There was just demonization. …… I have not changed my viewpoint. The only thing that has changed is my opinion about ´Jordan is Palestine`. And even that, simply because a fact was created. You know, I never intended for there to be two Palestinian States. That is the only change in my position.“

(6) „You know, it…‘s not by accident that settlements are located where they are. The settlements were established according to the conception that we have to hold the western security area, which is adjacent to the Green Line, and the eastern security area along the Jorden River, and the roads linking the two. And Jerusalem, of course. And the hill acquifer.“

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