Michel Warschawski spricht in Wien
Michel Warschawski, Vertreter des Alternative Information Center in Jerusalem und bekannter israelischer Unterstützer des palästinensischen Befreiungskampfes, hat am, 12. Januar 2003, in Wien an einer Podiumsdiskussion teilgenommen. Das Thema der Veranstaltung war „Ist Antizionismus gleich Antisemitismus?“. Sie wurde von der Antiimperialistischen Koordination und der Palästinensischen Gemeinde organisiert. Bereits im Vorfeld war erkenntlich, wie unangenehm diese Frage vielen pro-israelischen Kräften ist. Mit einer gezielten Verleumdungskampagne gegen die AIK war es ihnen gelungen, die Wiener Grüne und Gemeinderätin Susanne Jerusalem so unter Druck zu setzen, dass sie ihre Teilnahme im letzten Moment absagte. Auch die Israelitische Kultusgemeinde, die ebenfalls eingeladen worden war, hatte eine Teilnahme ohne Angabe von Gründen ausgeschlagen.
Aus diesem Anlass war die feindselige Kampagne, mit der sich Unterstützer der palästinensischen Bewegung in ganz Europa konfrontiert sehen, ein bestimmendes Thema des Abends. Warschawskis Worte waren deutlich: „Die Ablehnung der israelischen Unterdrückungspolitik ist nicht nur gerechtfertigt, sie ist vielmehr für das Überleben der jüdischen Bevölkerung im Nahen Osten unabdingbar. Denn nur sie ermöglicht eine radikale Umgestaltung der israelischen Gesellschaft, ohne die die jüdische Existenz in dieser Region gefährdet ist. Wer jede Kritik an der israelischen Politik als antisemitisch bezeichnet, erweist dem israelischen Volk damit keinerlei Freundschaftsdienst, ganz im Gegenteil. Wer die totale Identifikation von israelischer Politik mit dem Judentum als solchem einfordert, schürt die Feindschaft gegen das gesamte Judentum.“
Israel sei ein rassistischer Apartheidstaat, der 40% seiner Bevölkerung Staatsbürger- und Menschenrechte vorenthalte. Die brutale israelische Unterdrückungspolitik gefährde aber nicht nur die palästinensische Bevölkerung, sondern auch die jüdische. Denn letztendlich würde sie Israel in einen blutigen Krieg nicht nur mit den Palästinensern, sondern mit 180 Millionen Arabern und potentiell einer Milliarde Moslems führen. Nur eine radikale Umgestaltung der israelischen Gesellschaft im Sinne eines Staates, der allen Bürgern unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Nationalität gleiche Rechte garantiere, könne diesen Krieg verhindern.
Zum Vorwurf des Antisemitismus erklärte Mustafa Hadi, Vorsitzender der Palästinensischen Gemeinde Österreichs, dass Antisemitismus ein europäisches Phänomen sei und die arabischen Völker jahrhundertlang ein wenn auch nicht ideales, so doch weitgehend friedliches Zusammenleben zwischen Moslems, Juden und Christen gekannt hätten. Sein Volk sei seit mehr als fünfzig Jahren Opfer brutaler rassistischer und kolonialistischer Unterdrückung. Der Kampf gegen diese Unterdrückung sei legitimer Widerstand. Ihn als antisemitisch zu bezeichnen sei nicht nur unrichtig, sondern auch zutiefst zynisch.
Warschawski erläuterte, dass Antisemitismus und Kolonialismus die beiden schwarzen Flecken der modernen Geschichte Europas seien, die nach wie vor die europäischen Gesellschaften belasten würden. Dennoch habe Antisemitismus nichts mit Antizionismus zu tun. Beides seien Phänomene unterschiedlicher Kategorien, die nicht verglichen werden könnten. Antisemitismus sei eine rassistische Ideologie, der die Ablehnung des Anderen zugrunde liege. Zionismus sei eine politische Ideologie und Staatsdoktrin, mit dem Ziel zunächst der Gründung, schließlich des Erhalts und der Ausweitung eines exklusiv jüdischen Staates. Antizionismus sei die Ablehnung dieses Staatskonzeptes. Einer politischen Ideologie könne zugestimmt, oder sie könne ablehnt werden. Es sei aber per definitionem unmöglich, sie mit einer rassistischen Ideologie gleichzusetzen.
Die Palästina-Solidaritätsbewegung dürfe sich daher nicht mundtot machen lassen, sondern solle sich in scharfer Ablehnung aller tatsächlichen Formen des Rassismus, sowohl des antiarabischen als auch des antijüdischen, dessen bewusst sein, dass ihre Sache gerecht sei und letztendlich auch der israelischen Bevölkerung den größten Dienst erweise. „Die Intifada ist das größte Geschenk, das uns die Palästinenser machen konnten“, schloss Warschawski, „denn so billig wird den Israelis keine zweite Möglichkeit zur Veränderungen ihrer kolonialistischen Apartheidgesellschaft geboten werden. Wir haben schon die Gelegenheit der ersten Intifada versäumt. Die zweite hat die israelische Gesellschaft bereits viel mehr Opfer gekostet. Wenn wir auch diese vorüber ziehen lassen, wird uns über kurz oder lang nur der Krieg bleiben.“
Und an die Adresse der unnachgiebigen pro-israelischen Kräfte sagte er: „Wer von mir verlangt, das gesellschaftliche System meines Staates nicht in Frage zu stellen, der maßt sich an, mich zum Leben in einem Apartheidstaat zu zwingen.“