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Prozess gegen Mohamed R. vor dem Amtsgericht Tiergarten am 18.11.2002

15. Januar 2003

Solidaritätsbündnis Palästina Berlin

Mohamed R.:1969 im Libanon als palästinensischer Flüchtling geboren, mit „unklarer Staatszugehörigkeit“, geschieden, 3 Kinder, lebt seit einem Jahr mit Duldungsstatus in Berlin. Um seine Familie 1996 aus dem Libanon heraus zu bekommen und fürs erste finanziell abzusichern nahm er ein für seine Verhältnisse sehr großes Darlehen auf, und brachte 5 Jahre um die damit entstandenen Schulden abzuarbeiten.

Das zu Grunde gelegte Vorkommnis: Mohamed R. hatte auf einer Palästina-Demonstration am 13.04.2002 in Berlin ( Schluss mit der Besatzung!, an der 20.000 Menschen teilnahmen ) seinen 3 Kindern ( zwischen 6 und 12 Jahre ) Sprengstoffattrappen aus Pappe um den Bauch gebunden. Dies war von einem Fotografen entdeckt und über die Geschichte wurde bundesweit in den Zeitungen berichtet.

In der Anklageschrift vom 26.04.2002 wird M.R. vorgeworfen, „Völkermord und Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, nach dem sie begannen wurde, in einer Weise, die geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich gebilligt zu haben“.
Vergehen nach folgenden Paragraphen werden M.R. zur Last gelegt:
…§140(2) Störung des öffentlichen Friedens durch öffentliche Billigung von Straftaten
in Verbindung mit:
…§126(1)Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
…§220a Völkermord und
…§308(1,6) Brandstiftung.
Zu Beginn des Prozesses gibt M. R. eine Erklärung ab. Er bedauert, das er mit seiner Handlung Menschen gekränkt haben könne, und entschuldigt sich dafür. Er habe jahrelang dafür gekämpft, das seine Kinder aus dem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt im Nahen Osten heraus kämen, und überhaupt eine Zukunft hätten. M. R. wie die Vorstellung, auch in Europa können junge Menschen solche Anschläge begehen entschieden zurück. Da ja die Lebensverhältnisse hier ganz andere, besser seien. Er schäme sich, das er hier von Sozialhilfe leben müsse. Er würde viel lieber den Lebensunterhalt für sich und die Familie erarbeiten, so wie er das jahrelang im Libanon getan habe. Seine Persönlichen Wünsche seien, 1. eine Arbeit und 2. die Rückkehr in seine Heimat ( Palästina ).
Dann verliest der Staatsanwalt die Anklageschrift, nimmt allerdings den Vorwurf der „Billigung von Völkermord“ zurück. Die Gefahr einer „Störung des öffentlichen Friedens“ behielt er aber mit der Begründung bei, die starke Reaktion der Öffentlichkeit belege diesen Sachverhalt.
M. R. Verteidiger RA Radtke beantragte den internationalen Völkerrechtler Norman Paech als Sachverständigen zur Bewertung der Situation im Nahen Osten zu laden. Das Gericht reagierte mit einer halblauten Drohung, wenn die Verteidigung versuche, den Prozess zu „politisieren“, habe das Konsequenzen für das Strafmass. Der Beweisantrag der Verteidigung wurde nicht zu gelassen.
Weiter führte RA Radtke aus, es seien auf dem Hintergrund des Völkerrechtlich gedeckten Rechts auf Widerstand der palästinensischen Bevölkerung sogenannte Selbstmordanschläge nicht strafbar. Denn wenn zutrifft, das der israelische Staat mit militärischen Mitteln gegen die palästinensische Zivilbevölkerung in ihrem eigen Gebiet vorgeht, sowie israelische Staatsangehörige sich auf palästinensischen Gebiet widerrechtlich aufhielten, so seien solche Anschläge auf Armeeangehörige, militärische Einrichtungen und Gegenstände, sowie auf sogenannte Siedler innerhalb palästinensischen Gebiets rechtlich nicht unbedingt zu verurteilen. Anders als im israelischen Kernland, etwa in Cafes und Einkaufszentren.
RA Radtke führte dann den Begriff „Kostümierung“ für die politische Inszenierung von M. R. mit seinen Kindern ein. Diese Kostümierung sei harmlos, weil der Angeklagte, wie in dessen persönlicher Erklärung ausgeführt, damit ja nur auf die gefährliche Situation und die Gefahr meiner großen Katastrophe habe hinweisen wollen.
Der Staatsanwalt will dagegen die „Kostümierung“ als Charakterisierung des Sachverhaltes nicht gelten lassen, und weist auch die vom Angeklagten und der Verteidigung behauptete Absicht der Anklage und Warnung in Bezug auf die Sprengstoffattrappen um den Bauch der Kinder zurück. Er beharrt auf einer Störung des öffentlichen Friedens durch das „Verhalten“ des Angeklagten auf einer „Anti-Israel-Veranstaltung“, und der Billigung von „Selbstmordanschlägen“ durch dieses „Verhalten“ des Angeklagten, was die Gefahr solcher Anschläge hier in sich berge.
Eine Haftstrafe von 6 Monaten solle verdeutlichen, das ein solches „Verhalten“ hier nicht geduldet werde. Mit ihrer Aussetzung auf Bewährung, und nebenbei einer Bewährungsstrafe von 3 Jahren sollen die Reue des Angeklagten berücksichtigt werden. Die Staatsanwaltschaft sieht sich offenbar zu einer Art pädagogischen Auftrag berufen, dem Angeklagten (zivilisierte) Manieren beizubringen zu sollen. Damit auch das Bedürfnis des Angeklagten nach Arbeit und Eigenleistung in gewissem Umfang Berücksichtigung erfährt, kommen noch 300 Stunden gemeinnützige Arbeit zum Strafmaß hinzu.
Das Gericht übernimmt im Wesentlichen die Vorschläge der Anklage, aus den 6 Monaten Bewährungshaft werden ebenfalls wegen der glaubhaften Reue und der guten Prognose, 5 gemacht. Um die 300 gemeinnützigen Arbeitsstunden seien für den Angeklagten nur zu begrüßen.
Die Verteidigung legte gegen das Urteil Revision ein.

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