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Zur gegenwärtigen Situation der Christen im Irak

1. Februar 2003

Bericht vom Symposium in Wien vom 27. Jänner 2003

Organisatoren: GÖAB, PRO ORIENTE, ICO

Der Erzbischof Gabriel Kassab von der chaldäischen Gemeinde in Basra wurde über Vermittlung von Edlinger, Generalsekretär der GÖAB, von Kardinal Schönborn offiziell eingeladen.

Am Montag Abend hält Kassab dann den Vortrag „Zur gegenwärtigen Situation der Christen im Irak“ im Prälatensaal des Schottenstifts. Der Besucherandrang ist enorm. Die Reden werden deshalb auch über Lautsprecher in den Vorraum zum Prälatensaal übertragen. Unter den Gästen finden sich u.a.: Weihbischof Ludwig Schwarz, Vertreter der anglikanischen Kirche, Vertreter der chaldäischen Gemeinschaft Österreichs, Geschäftsführer der irakischen Botschaft Khalid Nassir, viele verschleierte Christinnen (Nonnen), der Generalsekretär der Palästinensischen Gemeinde und etliche Presseleute. Letzteren schmeichelt Edlinger in seiner Rede, indem er sich bei ihnen für die vielen Artikel etc. der letzten Wochen bedankt und bittet, sie weiterhin die Anliegen der GÖAB u. ähnlicher Organisationen zu unterstützen.

Als erster Redner spricht Dr. Johann Marte, Geschäftsführender Präsident der Pro Oriente Stiftung, von der Solidarität, die alle „wahren Christen“ dem irakischen Volk zu leisten haben und wertet den grossen Besucherandrang als ebensolchen.

Nächster Redner ist Univ.Doz.Dr. Dietmar Winkler, Mitglied der Pro Oriente Syriac Commission. Er macht gleich zu Beginn klar, dass das Embargo und die Sanktionen ein langsamer Tod sind, der sich gegen die Bevölkerung richtet und nicht gegen die irakische Regierung. Ausserdem haben 10.000 Christen jährlich seit Embargobeginn den Irak aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, was er für besonders tragisch hielt, da die ersten christllichen Gemeinden im Irak schon im 1.Jht. entstanden. Die Kirche des Ostens hatte im 14.Jht. ihre größte Ausdehnung, eine Ausdehnung, die die lateinische Westkirche niemals erreichte. Ab dem 16.Jht. ist ein Teil der Ostkirche mit Rom in Verbindung getreten, diese kennen wir heute unter chaldäische Kirche, jene die sich nicht an Rom anlehnte, ist die syrisch-kathol. Kirche. Durch die vermehrte Auswanderung hat die syrisch-kathol. Kirche schon vor etlichen Jahren, die chaldäische Kirche 2001 mit Rom erklärt, dass chaldäische Christen die Eucharistie von syrisch-kathol. Kirchenvertretern empfangen können und umgekehrt. Winkler bedauert, dass das ehemalige Venedig des Orients – al-Basra – heute in tiefster Armut versunken ist. Auch er betont wie Marte, dass Kassab sich nicht nur um die Christen Iraks sondern auch um die muslimische Bevölkerung kümmert.

Edlinger verwies gleich zu Beginn seiner Rede auf die langjährigen Projekte der GÖAB im Irak. Die letzten 2 Jahren hätte die GÖAB ihren Projektschwerpunkt in Basra gesetzt, da diese Region bei allen Kriegen am meisten betroffen war. 5.000 Kinder die jeden Monat als Folge des Embargos sterben, das weist auf ein „sehr dunkles und düsteres Kapitel“ des Golfkrieges 1990/91 hin – nämlich auf die Kriegsführung, über die so gut wie nicht geschrieben wurde und wird. Man weiss bis heute nicht, welche Faktoren ausschlaggebend sind bzw. waren, dass seit 1995 eine explosive Zunahme ganz bestimmter Krankheiten, wie Leukämie, Fehlgeburten, Totgeburten, u.ä., zu vermerken sei. Edlinger erhält kräftigen Applaus, als er das Embargo anprangert, das verhindert, dass Medikamente nicht ins Land kommen, die eben diese Krankheiten heilen oder zumindest lindern könnten. Edlinger würdigt ebenfalls, dass Kassab nicht nach der Herkunft, der Religion fragt, sondern einfach hilft, allen, nicht nur den ca. 1200 chaldäischen Familien in und um Basra.

Der Hauptredner Kassab redet auf Arabisch und wird ins Deutsche übersetzt.

Kassab stellt sich als Augenzeuge aus Basra vor und möchte aus dieser Position heraus verstanden wissen. Ein schönes Land sei der Irak bis vor ca. 20 Jahren gewesen, ein Land mit grossem kulturellen Reichtum und grosser kultureller Vergangenheit, das durch 2 Kriegen dann plötzlich ganz zerstört wurde, besonders der südliche Teil – al Basra – war Ziel aller Angriffe. 400 Bomben an einem Tag seien beim letzten Krieg gefallen, aber darüber möchte er nicht sprechen, er möchte vom Embargo, den Sanktionen sprechen, dass das Leben in dem „schönen Land Irak“ zum Stillstand brachte. Er könne an einem Abend den Menschen hier nicht klar machen, was das heisse – Embargo, Sanktionen, aber er möchte ein paar Beispiele vom Leben unter so einem Embargo bringen.

Der Nahrungsmittelmangel führe zu geistigen und körperlichen Behinderungen. Ein dramatischer Anstieg der chronischen Krankheiten und Todesfälle sei zu verzeichnen. Aufgrund der fehlenden Mittel, stünden Ärzte hilflos da, was z.B. heißt, dass Operatione, chirurg. Eingriffe ohne schmerzstillende Mittel oder Anästhesie durchgeführt werden müssen. Die unhygenische Wasserversorgung – Chlor darf nicht eingeführt werden – führte zu übertragbaren Krankheiten, die man vor Jahrzehnten als ausgestorben betrachtete. Das würde noch Folgen für die kommenden Generationen haben. Es fehle auch an so banalen Dingen wie Spritzen und Nadeln.
Er erzählt von einem Beispiel mit Blutreserven: das Spital in Basra musste das Italienische Spital in Amman um Gratis-Blutreserven bitten, weil sie sich nicht leisten konnten, Blutreserven zu kaufen, die Dollar 35,– gekostet hätten. Es klinge lächerlich, aber derzeit ist der Gehalt eines Angestellten 35 Dollar für 4 Monate!
Die Anzahl der Kinder, die täglich sterben, hat Frau Dr. Hobiger genau dokumentiert.
Wie Edlinger nannte auch er die Zahl von rund 5.000 pro Monat. Er meinte,
dass die chemische Waffen, die im letzten Golfkrieg verwendet wurden, der Grund der Tot – bzw. Fehlgeburten sind. Die erste Frage iwäre immer „lebt es?“, die zweite „ist es gesund?“.
Die Ärzte im Irak sind paralysiert, weil sie mit Krankheiten konfrontiert werden, für die es keinen Namen gibt, von denen noch nie berichtet wurde, die keiner kennt, da sie noch nie zuvor aufgetaucht sind. Auch das ist für ihn ein deutlicher Hinweis der Kriegsführung im letzten Krieg.

Stromausfalle während vieler Stunden jeden Tag erschwerten zusätzlich das Leben der Bevölkerung. Fabriken stehen schon lange still. Vor allem auch Kleinbetriebe mussten schliessen Schulkinder verlassen die Schule, weil sie sich das Material, Kleidung und Schuhe nicht mehr leisten können.
Dazu kommt die Hitze, ebenso viele Tote gefordert hat. . Die meisten Haushaltsgeräte sind kapputtgegangen, eben auch Kühlschränke.
Viele Schulkinder werden auch zum Arbeiten geschickt, da jeder zur Ernährung der Familie beitragen muss. Die Bedingungen in den Schulen sind auch nicht geeignet zum Lernen: keine Sesseln, keine Tische, zerbrochene Fensterscheiben, keine Ventilatoren,…

Ein grosses Problem ist auch die Kanalisation, die schon sehr Reperaturfällig. Strassen und auch Häuser werden immer wieder von überschwemmt von gebrochenen Kanalleitungen.

Die Sanktionen hätten vor allem auch eine andere „Krankheit“ mit sich gebracht – die Immigration.
Die Auswanderung würde vor allem auch die Jugend betreffen.

Für alles, worüber er heute berichten würde, gebe es nur einen Grund: das Embargo.

Gäbe es das Embargo nicht, müsste die Bevölkerung nicht ohne medizinischer Versorgung, ohne sauberes Wasser, ohne Lebensmittel auskommen. Er verweist auf die Selbstständigkeit des Iraks, der genug natürliche Ressourcen hhätte. Wenn er diese nützen könnte, wäre ein normales, respektables Leben wie vor ca. 20 Jahren wieder möglich. Sie hätten immer ein ein gutes Schulsystem und gutes Gesundheitssystem gehabt.
Seiner Meinung nach hätte der 2. Golfkrieg nicht nur 42 Tage gedauert hatsondern dauert noch an, sei nie zu Ende gegangen. „Seit 12 Jahren ist Krieg:
Embargo und Sanktionen bedeuten eine klug durchdachte Lösung Menschenleben zu vernichten, Menschen zu töten.“ (Zitat Kassab)

Abschliessend stellte Kassab Projekte seiner Gemeinde in Basra vor. Viele Spenden dafür kämen auch von Exilirakern in den U.S.A., vor allem aus den chaldäischen Gemeinden in Detroit, San Diego und Chicago.

Ein Projekt z.B. war die Eröffnung von 3 Kindergärten für 240 Kinder verschiedener Konfession. Die Aufgabe dabei sieht er, den Kindern Harmonie und Offenheit zu vermitteln, denn diese Kinder würden im Krieg aufwachsen und haben schwere psychische Probleme. Es wurde einfaches Spielzeug besorgt, was Luxus ist derzeit imIrak. Die Kinder bekommen ausserdem Frühstück, was hauptsächlich aus Datteln und Brot und Kekse.

Kassab erwähnte mehrmals, dass zu ihm auch Muslime kämen und forderete die Christen in Europa auf, keine Unterschiede zwischen den Konfessionen zu machen, sondern den Sinn des Christ-seins im Dienen zu sehen. Er würde deshalb Irak uns seiner Bevölkerung dienen, denn in diesem „schönen Land“ sei er zuhaus.

Elisabeth Gschaider, 28.01.03

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