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Eine gigantische Aggression der Feigheit

13. Februar 2003

jW-Wochenend-Gespräch mit Willi Langthaler (Wien) über Aufstieg und Niedergang der irakischen Baath-Partei sowie die Äquidistanz der Friedensbewegung im Irak-Konflikt

Interview: Werner Pirker

* Willi Langthaler arbeitet in der Antiimperialistischen Koordination Wien (AIK) und leitete mehrfach Solidaritätsdelegationen in den Irak, zuletzt Anfang Januar 2003

F: Wenn einer eine Reise in den Irak tut, dann hat er viel zu erzählen. Wo sind Sie überall herumgekommen?

Wir haben in Bagdad sowohl die Armenviertel, insbesondere Saddam-City, gesehen als auch das Geschäftszentrum, wo sich die Neureichen bewegen. Wir waren in Basra, in der 1991 vom Krieg am schwersten betroffenen Stadt. Wir waren am Schatt-el-Arab in heruntergekommenen Dörfern und in den schiitischen Gebieten. All das hat unseren allgemeinen Eindruck bestätigt, daß die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit antiimperialistisch gestimmt ist, daß sie ihr Elend aus dem Embargo, aus der amerikanischen Aggression erklärt.

F: Äußert sich das auch in Sympathie für das Baath-Regime?

Es gibt im Moment im Irak keine andere Kraft als das Baath-Regime, die diese Grundstimmung in der Bevölkerung zum Ausdruck bringen könnte. Das steht fest. Es gibt keine offene Opposition, auch nicht in den schiitischen Gebieten. Es gibt allerdings auch keine begeisterte Zustimmung zum Baathismus. Aus durchaus einsichtigen Gründen. Der Niedergang der Baath-Partei als Massenbewegung begann mit dem reaktionären Krieg gegen den Iran, der Millionen Tote kostete. Dieser Krieg hat die beiden potentiell stärksten Kräfte gegen den Imperialismus in der Region so geschwächt, daß die Kontrolle der USA über den Golf möglich geworden ist. Ein Verbrechen war auch die Unterdrückung der politischen und sozialen Opposition der Unterklassen. Im Irak gab es die stärkste kommunistische Bewegung in der arabischen Welt. Es gab äußerst aktive Gewerkschaften und eine entwickelte politische Kultur an der gesellschaftlichen Basis. Aus der Dialektik dieser Entwicklung heraus, das heißt der brutalen Repression durch das nationalistische Baath-Regime, begann sich die Kommunistische Partei objektiv antinational, proimperialistisch zu positionieren.

F: Dann 1991 der Einmarsch in Kuwait.

Der ist nicht auf die gleiche Weise zu verurteilen wie der Krieg gegen den Iran. Kuwait und die anderen Golfstaaten sind völlig illegitime Öl-Enklaven des Imperialismus. Es wäre durchaus ein demokratisches Anliegen, den Ölreichtum zum Nutzen der Volksmassen in der gesamten arabischen Welt einzusetzen. Politisch aber war der Einmarsch ein verheerender Fehler, da er den Vorwand zur amerikanischen Aggression lieferte.

F: Im Krieg gegen Iran wußte Bagdad Washington auf seiner Seite. Ist Saddam Hussein danach wieder zum Antiimperialisten geworden – zum Antiimperialisten wider Willen?

Diese Deutung möchte ich nicht ganz teilen. Bagdad hat den Krieg gegen den Iran nicht stellvertretend für die USA geführt, sondern aus Eigeninteresse, auch wenn seine Interessen im konkreten Fall mit den Interessen Washingtons zusammenfielen. Saddam Hussein ist der Vertreter einer selbständigen nationalen Militärintelligenz, die versucht hat, eine eigenständige staatliche Bourgeoisie zu schaffen. Nach 1991 sind die USA an solchen Regimen in keiner Weise mehr interessiert, sondern im Gegenteil bestrebt, sämtliche potentielle Störfaktoren ihrer Hegemonialpolitik auszuschalten.
So geriet das Baath-Regime wider Willen in einen Gegensatz zum US-Imperialismus, obwohl es ein kapitalistisches Programm verfolgte. Denn die Entwicklung eigenständiger Kapitalismen steht nicht auf der Agenda der neoliberalen Globalisierung. Aus welchen Gründen auch immer: Das Baath-Regime befindet sich heute in einem tödlichen Konflikt mit den USA. Deshalb müßte sich jeder, der an einer Schwächung des amerikanischen Imperialismus interessiert ist, an seiner Seite positionieren.

F: Der Baathismus verkörperte eine der radikalsten Strömungen der panarabischen Bewegung. Konnte man ihn aber je als links bezeichnen?

Auf seinen syrischen Flügel trifft das ganz bestimmt zu. Er entstand in einem eher sozialistisch geprägten Milieu der Intelligenz. Das hängt auch damit zusammen, daß die KP Syriens noch in den 30er Jahren den Kolonialismus und die Entstehung des Staates Israel gerechtfertigt hat. Deshalb hat der syrische Baathismus sehr weit nach links ausgeholt. Im Irak war die Kommunistische Partei die stärkste antikoloniale Kraft. In der Revolution von 1958 unter der Führung von General Kassem hat die Baath-Partei eine Koalition mit der kolonialen Reaktion, den Moslembrüdern und den Feudalherren gebildet. Doch auch die Kommunisten wurden ihrer historischen Aufgabe nicht gerecht. Weil sie sich in eine unsinnige Frontstellung gegen den Panarabismus, der Ideologie der arabischen Massen, begab und weil sie 1958/59 nicht die Macht ergreifen wollte, was damals – auch nach Einschätzung ihrer Gegner – möglich gewesen wäre. In der Folge hat sich die Baath-Partei gewendet. Sie hat das Programm der KP, nicht ihr revolutionäres, sondern ihr reformistisches, antiimperialistisches, bürgerlich-nationales, umgesetzt. Der Irak war das erste Land, in dem die Öl-Ressourcen verstaatlicht wurden, was zu einem gigantischen ökonomischen und sozialen Aufstieg dieses Landes geführt hat. Der Analphabetismus wurde ausgerottet und der Prozeß einer tiefgehenden Säkularisierung eingeleitet.

F: Wie lassen sich Aufstieg und Niedergang des Baathismus zeitlich einordnen?

Ihren Höhepunkt erreichte diese Strömung in den 1970er Jahren im Kontext des allgemeinen Aufschwungs der nationalen Befreiungsbewegungen, ihr Sündenfall ergab sich aus der Unterdrückung der kommunistischen Bewegung. Anstatt das antiimperialistische Prestige der Kommunisten, ihre Verankerung in den Massen zur Stabilisierung der nationalrevolutionären Kräfte zu nutzen, ließ die Baath die KP wie eine heiße Kartoffel fallen und beförderte deren Kader von den Regierungsbänken direkt in die Gefängniszellen. Das geschah 1975 unmittelbar nach dem Abkommen von Algier mit dem Iran des Schah, was auf einen indirekten Ausgleich mit dem Imperialismus hinauslief. Das ist eben die Crux des bürgerlichen Nationalismus. Die Kommunisten hatten ihrerseits zu wenig getan, um sich neben und im Bündnis mit dem Baathismus als selbständige Kraft zu behaupten.

F: Was ist von der kommunistischen Bewegung im Irak geblieben?

Die KP des Irak betrachtet den Sturz des Saddam-Hussein-Regimes als vordringlichste Aufgabe. Das mag während des Krieges gegen den Iran noch richtig gewesen sein, seit 1991 aber ist sie mit dieser Position zu einem Anhängsel der imperialistischen Kriegsallianz geworden. Es existiert allerdings eine kommunistische Tendenz, die sich mit Baath-Dissidenten zusammengetan hat und sich Patriotische Allianz nennt. Sie hat ihre Absicht kundgetan, an der Seite der Baath-Partei gegen die amerikanische Aggression aktiv zu werden.

F: Überwiegen in der Bevölkerung Trotz oder Schicksalsergebenheit?

Man hört immer wieder: „Inschallah! Hoffentlich kommt dieser Krieg nicht.“ Das war in den Schiitengebieten nicht anders als in Bagdad. Doch ist die antiamerikanische Stimmung mit einem starken Fatalismus verknüpft. Dem Regime dürfte die innere Kraft fehlen, die Volksmassen zu mobilisieren und auf den Krieg vorzubereiten – auf einen asymmetrischen Krieg, bei der alle militärischen Vorteile auf der Seite des Aggressors liegen. Widerstand könnte nur in der Form eines Volkskrieges geleistet werden. Nur von ihrer Sache überzeugte Kämpfer könnten die US-Infanteristen in verlustreiche Kämpfe verwickeln.

F: Wie werden sich die Schiiten verhalten?

Der Baathismus ist das einzige politische und soziale Subjekt, das das Land verteidigen kann. Daneben gibt es ein zweites politisches und soziales Subjekt, und das ist die schiitische Führung. Sie ist die unbekannte Größe im Irak-Konflikt. Sie ist handlungsfähig und hat sich bereits darauf festgelegt, auf den Bajonetten der Amerikaner die Macht zu erobern. Doch verfolgt sie mehr noch als die Nordallianz in Afghanistan ihre eigenen Interessen und steht dem Iran sehr nahe. So gesehen haben die Amerikaner wohl kaum ein Interesse daran, die schiitische Führung an die Macht zu bomben. Aus dieser Konstellation könnte sich sowohl ein Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Baath als auch ein Konflikt zwischen Schiiten und den USA ergeben.

F: Steht die Baath-Partei für die sunnitische Minderheit oder für den Säkularismus?

Wir haben uns von dem zutiefst säkularen Charakter des irakischen Regimes überzeugen können. Wenn Funktionäre des Regimes aus sich herausgehen und leidenschaftlich zu argumentieren beginnen, dann betrifft das die Verteidigung des säkularen Charakters des Staates. Die säkulare Idee ist den Trägern des Machtapparates in Fleisch und Blut übergegangen. Diesem militanten Laizismus ist es zuzuschreiben, daß im Irak Angehörige aller Konfession unbehelligt ihre Religion ausüben können. Auch wenn Saddam zum Dschihad gegen die Ungläubigen aufgerufen hat, ist er absolut laizistisch gesinnt. Das erklärt, warum die Christen im Irak für antiimperialistische Ziele gewonnen werden konnten, obwohl sie, die Assyrer, früher Stützen der Kolonialherrschaft waren.
Man kann den Laizismus allerdings auch übertreiben, wie wir das in Nadjaf, der Grabstätte des Ali, erlebt haben. Der dortige Imam hat völlig die Regierungslinie vertreten, was den mitgereisten Vertreter des Religionsministeriums aber nicht daran hinderte, den Geistlichen auf die unhöflichste Weise zu behandeln. Dieses Beispiel zeigte uns, in welch gefährlichem Verhältnis das Regime zum schiitischen Klerus steht, obwohl in den schiitischen Gebieten immer neue Moscheen gebaut und die Heiligtümer auf Hochglanz poliert werden. Aber politisch ist das Verhältnis äußerst gestört.

F: Ist auch die Bevölkerung laizistisch eingestellt?

Im Volk gibt es nach dem Scheitern der laizistisch-panarabischen Idee eine tiefe Rückorientierung zum Islam. Das Stadtbild in Bagdad und anderen Städten ist nicht mehr zu vergleichen, mit dem Bild, das man in den 1970er Jahren vorfand. Im völligen Gegensatz zu damals sieht man heute kaum noch unverschleierte Frauen. Selbst Baathistinnen verschleiern sich, um ihre Gesinnung zu verschleiern.

F: Und wie verhalten sich die einfachen Schiiten?

In einem Dorf am Schatt-el-Arab, das wir zufällig aufsuchten, wurde uns bewußt, mit welcher Genugtuung sich die Landbevölkerung der von Kassem begonnenen und von der Baath fortgesetzten Landreform erinnern. Das sichert dem Regime eine passive Unterstützung. Ebenso die Verteilung von Lebensmittelpaketen. Sie werden von der Regierung ausnahmslos an die Menschen ausgegeben. Genauso ist der Schulbesuch in diesem durch das Embargo kaum noch funktionsfähigen Wirtschaftssystem nach wie vor gratis, auch die Unterrichtsmittel. Das gilt auch für die Universitäten. Natürlich ist das trotzdem keine egalitäre Gesellschaft. Es gibt eine neue Bourgeoisie und auch Einrichtungen, zum Beispiel Krankenhäuser, ausschließlich für Reiche.

F: Wie war es in Saddam-City?

Hier leben ungefähr 1,5 Millionen Menschen unter furchtbaren sozialen Verhältnissen. Es fehlt die Kanalisation, die Müllabfuhr. Kühe und Schafe grasen in den Müllhalden. Wir haben uns außer Programm dort hinbegeben. Sofort bildete sich spontan ein Menschenauflauf. Jugendliche und Kinder skandierten Sprechchöre wie: „Wir geben unser Blut und unser Leben für Saddam“. Die antiimperialistische Stimmung kann sich im Moment nicht anders äußern als in einer positiven Bezugnahme auf Saddam Hussein.

F: Welche Kriegsszenarien können Sie sich vorstellen?

Was wir demnächst wohl erleben werden, ist die gigantischte Aggression der Feigheit, die überhaupt vorstellbar ist. Das militärische Ungleichgewicht ist so groß, daß selbst Scott Ritter, ein hoher US-Offizier und ehemaliger UN-Waffeninspekteur, die Meinung vertritt, daß dies kein Krieg werden würde, sondern eine Schlächterei. Es ist zu befürchten, daß Hunderttausende Soldaten, ohne Gegenwehr leisten zu können, hingeschlachtet werden. Von der Zivilbevölkerung ganz zu schweigen. Das wird ein Krieg ohne Skrupel, unter Einsatz aller Massenvernichtungswaffen, taktische Atomwaffen eingeschlossen.
Selbst wenn den USA ein Blitzsieg gelingen sollte, werden sie politisch die größten Probleme haben, ein Regime zu installieren, das stabil ist und voll ihren Interessen entspricht. Im Land und in der ganzen Region gibt es die unterschiedlichsten Interessen, die sich zwar zeitweilig mit den US-Interessen decken mögen, langfristig aber die Quelle neuer Konflikte sind. Eine schiitische Machtergreifung würde zum Beispiel den Machteinfluß des Iran enorm vergrößern. Mit jedem weiteren Schritt zur Durchsetzung des globalen US-Systems werden die Widersprüche im System größer. Deswegen ist abzusehen, daß dem Irak-Krieg entsprechend der Doktrin vom permanenten Krieg neue Kriege folgen werden. Am Ende aber wird das Empire das Zeitliche segnen.

F: Befindet sich die internationale Friedensbewegung auf der Höhe ihrer Aufgaben?

Anders als im Fall Jugoslawien, als sich eine breite Öffentlichkeit, einschließlich einer vorgeblichen Gegenöffentlichkeit auf humanitärem Kriegskurs befand, gibt es heute eine überwältigende Mehrheit gegen den Krieg. Das geht weit über die linken Subkulturen hinaus. Doch nach wie vor sind die Schwächen der Friedensbewegung evident. Sie bezieht auch diesmal wieder eine Position der Äquidistanz. Sie müßte aber auf der Seite der Verdammten dieser Erde stehen. Das heißt auf der Seite des Irak. Nicht nur seines Volkes, denn ein nicht organisiertes Volk ist ein Abstraktum. Das bedeutet auch Solidarität mit der irakischen Führung und den Streitkräften. Es geht heute einzig darum, die USA zu schwächen, auch wenn das eine Verlängerung der Existenz des Baath-Regimes bedeuten würde.

F: Ist Antiamerikanismus legitim?

Absolut. Die Linke hat Angst, die populäre Stimmung gegen das neue Imperium in Form des Antiamerikanismus aufzugreifen. Der Antiamerikanismus ist das Mittel, breiteste Schichten in Opposition zum US-Imperialismus zu bringen, das heißt Millionen zu mobilisieren. Eine Linke, die von politisch korrekten Berührungsängsten geplagt wird, bringt sich selbst um die Chance, zum Kristallisationspunkt des Massenbewußtseins zu werden. Eine Linke, die aus einem falschen historischen Bewußtsein heraus den Amerikanismus in seinem Wesen als kulturell fortschrittlich und demokratisch begreift, hat überhaupt nichts verstanden.

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