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„Bin ich verrückt, oder die anderen“

19. Februar 2003

– die österreichische „Aktion Menschliches Schutzschild“ bricht in den Irak auf

Einer Gruppe couragierter ÖsterreicherInnen ist es gelungen, durch ihre Teilnahme an der internationalen Schutzschildaktion im Irak einen wichtigen Akzent in der hierzulande bisweilen noch farblosen Anti-Kriegsbewegung zu setzen.

Heute (Mittwoch, 19.2.) tritt die erste Gruppe von 5 Personen ihren Weg in den Irak an, um sich als „lebende Schutzschilde“ vor zivile Infrastruktureinrichtungen zu postieren. In einem Staffelsystem werden in den nächsten Wochen weitere Gruppen nach Bagdad aufbrechen, wo sie sich mit mehreren hunderten Aktivisten aus aller Welt zusammenzuschließen, um sich mit der irakischen Bevölkerung zu solidarisieren, indem sie mit dieser Aktion der Weltöffentlichkeit signalisieren, dass hier Menschenleben betroffen sind – auch westliche.

Organisiert wird die „österreichische Schutzschildmission“ von der Antiimperialistischen Koordination (AIK), die im letzten Jahr bereits zwei international Solidaritätsdelegationen – zuletzt zum Jahreswechsel – in den Irak geleitet hat. Eigentlich hatte man diese Mission wieder auf Eis gelegt, nach dem es nicht gelungen war, engagierte Prominente als Schutzschilde zu gewinnen. Doch offensichtlich hatte man in falschen Teichen gefischt, denn wie sich zeigte – und das scheint auch das politisch Bemerkenswerte dieser Aktionsgruppe – kommt das Interesse an derart drastischen Protestformen aus der ganz normalen Bevölkerung.

Die politischen und persönlichen Beweggründe zur Teilnahme an der Live Shield Mission sind entsprechend unterschiedlich. Die Palette reicht von pazifistischer, religiöser und antiimperialistischer Motivation bis hin zur schlichten menschlichen Empörung über das heuchlerische Vorgehen, mit dem die USA einen Krieg vom Zaun bricht, der die ganze Welt in Chaos zu stürzen droht.
Der Unmut gilt besonders auch der eigenen Regierung, die sich seit Monaten darum windet, eine klare Position zur US-Kriegspolitik zu beziehen, obwohl dieser Krieg von der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung entschieden abgelehnt wird.
„Seit Monaten schon frag ich mich“, so eine 61 jährige Teilnehmerin, die bisher noch nie politisch tätig war, „bin ich verrückt oder die anderen. Als kleiner Nobody fühlt man sich so ohnmächtig, das hat mich so geärgert, dass ich mich zu diesem Schritt entschlossen habe.“

Trotz allen Engagements schätzen die TeilnehmerInnen die Möglichkeiten, diesen Krieg zu verhindern, recht gering ein. Die wichtigste Funktion dieser Mission sieht man vielmehr darin, mit Mitteln der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen, so ein 57 jährige Aktivist. Darüber hinaus müsse man diese breit angelegte Aktion nutzen, unabhängige Informationen über das Kriegsgeschehen vor Ort und die tatsächliche Situation der irakischen Bevölkerung zu transportieren.

Tatsächlich ist es der Gruppe gelungen, bereits im Vorfeld eine gewisse Öffentlichkeit zu erreichen. Letzten Freitag hatte man dem Außenamt eine Petition übergeben, in der die österreichische Regierung aufgefordert wird, über die Entscheidung des nationalen Sicherheitsrats hinaus eine grundsätzliche Stellungnahme gegen jeglichen Angriffskriegs, sowie gegen das Embargo zu treffen und alle diplomatischen Mittel auszuschöpfen, um den Einsatz von chemischen und nuklearen Waffen zu verhindern, ebenso den Einsatz von DU (abgereichertes Uran) Geschossen. Als Minimallosung wird die strikte Einhaltung der Neutralität gefordert.
Den TeilnehmerInnen wurde entsprechend der offiziellen Stellungnahme versichert, dass Österreich „aufgrund seiner Rechtslage“ keine US-Militärtransporte und Überflüge genehmige. Tags zuvor wurde jedoch der „Aktion Österreichisches Schutzschild“ von „Insidern“ Material zur Verfügung gestellt, die allein für letzten Freitag 68 genehmigte Flüge der US-Airforce mit den unbestimmten Destinationen „Southbound“ und Kuwait bestätigen. Vom österreichischen Verteidigungsministerium wurden diese Informationen nur teilweise dementiert. Es handle sich „nur“ um 16 Überflüge.

Insgesamt ist das Medienecho bemerkenswert hoch. Selbst in den öffentlich rechtlichen Medien wurden bereits mehrere Beiträge und Reportagen ausgestrahlt. Den meisten scheint der Journalistenrummel eher unangenehm zu sein. Trotzdem stellen sie sich recht entschlossen dieser ungewohnten Aufgabe, denn schließlich lebt dieser Einsatz davon, in die Öffentlich getragen zu werden. Und das bisherige Feedback ist sehr ermutigend. Die couragierte Aktion „ganz normaler Leute“ scheint viele aufzurütteln.

Auf die immer wiederkehrende Gretchenfrage, wie sie es denn mit Saddam Hussein halten und der Gefahr, vom irakischen Regime missbraucht zu werden, wird ausdrücklich die Unterstützung der irakischen Bevölkerung betont, die die ganze Last des Krieges und des Vernichtungsembargos zu tragen hat. Der jüngste dieser ersten Gruppe, ein 22 jähriger Angestellter im Kulturbereich, sieht es jedoch als wichtige Aufgabe, „mit dieser Aktivität auch Kritik am Regime mit hinein zu bringen.“ Doch das ändert nichts an der Ungerechtfertigkeit dieses Krieges. Vor allem geht darum, die Mitverantwortung des Westens durch ihre jahrlange militärische und politische Unterstützung an Saddam Husseins Regime aufzuzeigen. Eine echte politische Befreiung kann nur von den IrakerInnen selbst getragen werden – und nicht von einem neuen Regime, dass ihnen der Westen vor die Nase setzt.

Wien, am 18.2. 2003, Irmgard Hubauer

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