aus: junge Welt, 3. März 2003
Westen streitet über Verwendung von CS-Gas gegen Irak, über Kriegsziel und Waffenbereitstellung
Die Absicht der Vereinigten Staaten, im geplanten Krieg gegen Irak bei Straßenkämpfen in den irakischen Städten das giftige, aber selten tödliche CS-Gas einzusetzen, hat nach einer Meldung der britischen Zeitung The Independent on Sunday zur ersten schweren Krise in der Kriegsallianz von USA und Großbritannien geführt. Gleichzeitig wandte sich der kanadische Ministerpräsident Chrà©tien in scharfer Form gegen das von US-Präsident George W. Bush verkündete Kriegsziel, im Irak einen Regimewechsel herbeizuführen. Zudem zeichnen sich in der NATO neue Auseinandersetzungen über Waffenlieferungen an die Türkei ab.
Der Einsatz des CS-Gases stehe im Widerspruch zur Chemiewaffenkonvention, hieß es im britischen Außenministerium: „Alle Staaten, die die Chemiewaffenkonvention unterschrieben haben, haben sich dazu verpflichtet, keinerlei toxische chemische Substanzen oder deren Vorprodukte, einschließlich Mittel zur Kontrolle von Aufständen einzusetzen. Das gilt für jeden bewaffneten Konflikt.“
Die Chemiewaffenkonvention verbietet im Kriegsfall explizit auch den Einsatz von nicht tödlichen Gasen, weil die Gefahr einer unkontrollierten Eskalation bis zum Schlagabtausch mit tödlichen Chemiewaffen besteht. Diese Regel gilt, obwohl der Einsatz von CS-Gas im Innern sowohl in Großbritannien als auch in den USA bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen rechtlich erlaubt ist. Nach Informationen des US-Marinekorps wurden CS-Gas und Pfefferspraywaffen in der letzten Woche in den Golf verschifft.
Der Independent weist darauf hin, daß Bush, der oft davon spreche, den Feind „auszuräuchern“, auf Antrag von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld den Einsatz von CS-Gas und ähnlichen Chemiewaffen offenbar genehmigt hat. Unter Berufung auf Pentagondokumente schreibt die Zeitung, daß die US-Streitkräfte eine Reihe von anderen chemischen Waffen entwickelt haben, deren Einsatz ebenfalls von der Chemiewaffenkonvention verboten ist. Rumsfeld hatte laut Independent am 5. Februar vor dem Streitkräfteausschuß des US-Repräsentantenhauses seine Absicht bekundet, Chemiewaffen im Irak einzusetzen. Er sprach von einer „Zwangsjacke“ internationaler Verträge und verwies auf die Nützlichkeit dieser Waffen für den Einsatz gegen feindliche Soldaten, „die sich gemeinsam mit Frauen und Kindern in Höhlen und Kellern verstecken“. General Richard Myers, Chef der Vereinten US-Stabschefs, sprach davon, diese Waffen gegen „menschliche Schutzschilde“ im Irak einzusetzen.
Am Wochenende wurden weitere Differenzen zwischen den USA und ihren Verbündeten deutlich. Der kanadische Premierminister Jean Chrà©tien griff Bush wegen seiner Pläne zu einem Regierungswechsel in Irak scharf an. Dies sei ein neues Ziel und entspreche nicht der offiziellen Politik, die vor den Vereinten Nationen verhandelt werde, sagte Chrà©tien am Freitag (Ortszeit) in einem Fernsehinterview in Mexiko. Er sei „sehr überrascht“, daß Washington nun auf einmal den irakischen Präsidenten Saddam Hussein stürzen wolle. Das Ziel eines Regierungswechsel zu verfolgen, habe seiner Auffassung nach „sehr schwere Folgen“. Chrà©tien fragte: „Wer wird der nächste sein?“ Ablehnend zu Bushs Konzept äußerten sich auch Sprecher der Regierungskoalition in Berlin.
Bei einer sogenannten Truppenstellerkonferenz der NATO im südbelgischen Mons dürften am heutigen Montag schwierige Verhandlungen anstehen: Nach Presseinformationen bot bisher kein einziges NATO-Land von sich aus Hilfe an. Die Bundesregierung lehnt weitere Militärhilfe ab, nachdem sie die Lieferung von 46 Patriot-Raketen und den Einsatz von Bundeswehr-Soldaten in AWACS-Radarflugzeugen zugesagt hatte. Vor allem sie käme allerdings als Lieferant von Patriot-Systemen in Frage.