Interview mit Martxelo Otamendi, Direktor der vor zwei Wochen geschlossenen baskischen Tageszeitung Euskaldunon Egunkaria
Sie sind vor wenigen Tagen aus den Kerkern der Guardia Civil in Madrid auf Kaution freigekommen. Haben Sie nun Angst, nachdem Sie, wie Sie mehrfach geschildert haben, schwer gefoltert wurden?
Ich habe Angst davor, daß noch einmal ähnliches geschieht. In den Kerkern sagten sie mir nicht nur, daß ich die nächsten 20 Jahre im Gefängnis verbringen würde, sondern daß man sich, falls ich rauskäme, wiedersehen würde. Klar habe ich Angst, auch wenn ich das bisher ganz gut weggesteckt habe.
Wie haben Sie die Schliessung und das Verbot Ihrer Zeitung vor zwei Wochen erlebt?
Sie kamen nachts gegen halb zwei Uhr und schlugen gegen die Tür, ohne sie einzuschlagen. Dann haben sie bis sechs Uhr die Wohnung ausgeräumt, eine Menge Bücher mitgenommen, obwohl die seit langem nicht mehr illegal sind. Vor 30 Jahren mußten wir Bücher aus dem französischen Baskenland in den spanischen Teil noch illegal rüberbringen, aber seither hat mir niemand mehr ein illegales Buch angeboten. Später haben sie mich in die Redaktion gefahren, wo sie weiteres Material beschlagnahm-ten– Ordner, Informationen aus der Politikredaktion.
Wussten Sie da schon, wie weit die Beschuldigungen gehen?
Nein, erst wenn die Vernehmung beginnt, bekommt man eine Ahnung davon, wohin der Hase läuft. Ich wußte aber bereits, daß sie die Zeitung schließen würden, weil sie es mir gesagt hatten. Als mir der Justizsekretär den Vorwurf der Mitgliedschaft oder Unterstützung einer bewaffneten Bande eröffnete, wußte ich, daß es ernst wird.
Befuerchteten Sie Folter?
Ich habe nicht gedacht, daß ich mißhandelt werden könnte, denn ein Zeitungsdirektor hat schon etwas Gewicht im Land, weshalb ich nicht an Folter gedacht hatte. Aber sie haben es gemacht.
Es war erschuetternd, Sie im baskischen Fernsehen zu sehen, als Sie unter Traenen vor den Toren des Gefaengnisses die erlittene Folter anklagten und dabei sofort auf die Jugendlichen verwiesen, die nicht solche Aufmerksamkeit erhalten.
Als ich rauskam, habe ich sofort daran denken müssen, nachdem ich meine Schwester umarmt hatte. Sie hatte mir ein Telegramm geschickt und über das große Medienecho der Verhaftung und die große Demonstration berichtet. Ich hatte entschieden, alles zu sagen, was mir passiert ist, damit mein Fall dazu dient, die lange Liste der Folteropfer abzuschließen. Deshalb nahm ich auch in diesem kaputten Zustand die Gelegenheit wahr, auf die Situation der Folteropfer aufmerksam zu machen.
Sie klagen auch die Folter des Kollegen Juan Mari Torrealdai an.
Ich habe ihn in einer Art Vorzelle getroffen. Ich konnte zwar nicht mit allen sprechen, aber einige der Verhafteten kamen dort zusammen. Juan Mari hat mir dabei erzählt, wie heftig sie ihn geschlagen und die Tüte angewendet haben. Ihn haben sie speziell dort geschlagen, wo es besonders weh tut, während sie mich eher zur Erniedrigung geschlagen haben. Er hat mir auch von Xabier Alegria erzählt, dem es ähnlich ergangen ist, während Txema Auzmendi erklärte, ihn hätten sie nicht angerührt. Inma Gomilla hat mir ebenfalls erzählt, daß sie nicht angerührt worden ist.
Es gibt Leute, die Sie zur ETA zaehlen, weil Egunkaria die ETA nicht ausdruecklich verurteilt.
Die Rechte aller Menschen müssen geachtet werden. Ich habe beim letzen Anschlag der ETA klargemacht, daß sie damit das Recht auf Leben verletzt und Angst verbreitet. Das ist die Position der Zeitung dazu. Aber auch die Mitglieder der ETA dürfen nicht gefoltert werden.
Sie haben die Egunero als Uebergangsblatt gegruendet.
Bisher haben wir darin eine Chronik zur Schließung der Egunkaria abgedruckt. Jetzt gehen wir dazu über, eine richtige Zeitung aus ihr zu machen. Wir haben jetzt vier Seiten mehr, und bis zum Ende des Monats sollen es 32 Seiten mit allen Rubriken sein. Eigentlich wollen wir aber wieder als Egunkaria eine Zeitung in baskischer Sprache herausgeben.
Lektüre als Protest
Nach dem Verbot der baskischen Zeitung „Egunkaria“ boomt der Nachfolger „Egunero“
An den Zeitungskiosken im Baskenland gibt es eine ungewöhnliche Neuerscheinung. Sie nennt sich Egunero, wird in baskischer Sprache verfasst und meldet beachtlichen Erfolg: Aus einer Auflage von 15000 Exemplaren sind nach Redaktionsangaben binnen weniger Tage 50 000 geworden, obwohl die Mitarbeiter für unbestimmte Zeit auf gewohnte Konferenzteilnehmer und Arbeitsplätze verzichten müssen. Auf zunächst nur 16 Seiten berichtet Egunero ausschließlich über das Verbot ihres Vorgängerblattes Euskaldunon Egunkaria.
Dabei geht es um Terror und Zensur, um Foltervorwurf und Selbstmordversuch, um Polizeigewalt und Justizwillkür, und das alles erregt nicht nur empörte Leser. Der Fall beschäftigt in Spanien selbst die Bürger, die vom baskischen Originaltext kein Wort verstehen. Wo, fragt sich das Land, enden Rechtsstaat und Meinungsfreiheit?
Die Verlagszentrale in Andoian bei San Sebastian und ihre Ableger in Bilbao, Vitoria und Pamplona sind seit zwei Wochen versiegelt. Zuvor hatten 300 Beamte der Polizeieinheit Guardia Civil die Räume durchsucht, Material beschlagnahmt und zehn Führungskräfte festgenommen (SZ vom 22. Februar). Fünf davon, darunter Chefredakteur Martxelo Otamendi, wurden unterdessen gegen Kautionen zwischen 12000 und 30000 Euro freigelassen. Vier andere, darunter der Verwaltungsratsvorsitzende, sitzen bis auf weiteres im Gefängnis. Der frühere Chefredakteur Peio Zubira steht unter Hausarrest, nachdem er in einer Klinik einen Selbstmordversuch unternommen hat. Ihnen allen werden Kontakte zur schlimmsten und berüchtigtsten Vereinigung ihrer Heimat unterstellt: Euskadi ta Askatasuna, zu deutsch „Baskenland und Freiheit“, kurz Eta.
Ermittlungsrichter Juan del Olmo vom Nationalen Gerichtshof in Madrid spricht von „mutmaßlichen Verbindungen zur Terrororganisation Eta, sowohl in Bezug auf Finanzierung als auch auf Stärkung der terroristischen Ziele“. Sein Vorstoß gehört zur staatlichen Offensive gegen Aktivisten und Umfeld der Eta, die in ihrem perversen Kampf für ein unabhängiges Baskenland an die 800 Politiker, Polizisten oder Juristen ermordet hat. Das jüngste Attentat ereignete sich in Andoian. Die Eta-nahe Separatistenpartei Batasuna wurde per Erlass suspendiert, den Verbotsantrag hat das spanische Parlament auf den Weg gebracht. Allerdings ist dieses Parteiverbot umstritten. Und noch umstrittener ist die Schließung der einzigen Tageszeitung, die komplett auf Baskisch erschien.
Duenne Beweislage
Die Beweislage für einen Eingriff der Justiz ist dünn.Die Erkenntnisse Del Olmos stützen sich auf Recherchen aus den Jahren 1990 bis 1993, sind also zehn Jahre alt. Der Sprecher der nationalistischen Baskenregierung wetterte, der Richterspruch sei „eine Maßnahme, die totalitären Staaten eigen ist“ – eine Anspielung auf die Diktatur Francos von 1939 bis 1975, während der Baskisch verboten war. Auch andere betrachten die Aktion als Angriff auf das Kulturgut. Mehr als 100000 Mensc hen protestierten neulich in San Sebastian. Viele wehren sich auch gegen den Eindruck, Baskisch sei unwillkürlich mit Terror verknüpft.
Ralf Streck, Donostia/San Sebastian 04-03-2003
Mehr als 4500 Unterschriften für „Egunkaria“
Eine bisher ignorierte „schwarze Liste“ gewinnt im Baskenland neue Bedeutung
Den fast 2500 Persönlichkeiten aus ganz Spanien, die sich in den ersten Tagen nach Schließung der einzigen baskischsprachigen Tageszeitung Euskaldunon Egunkaria solidarisiert hatten, haben sich inzwischen weit mehr als 2000 Menschen angeschlossen, darunter Universitätsprofessoren wie Carlos Taibo und Schriftstellerinnen wie Lolo Rico. Sie fordern in einer Erklärung die sofortige Aufhebung des Zeitungsverbots vom 20. Februar.
„Die Schließung der Zeitung stellt einen schweren Anschlag auf die Meinungs- und Pressefreiheit dar und im Konkreten auf das Recht, diese auch in baskischer Sprache auszuüben“, heißt es in der Erklärung. Das Blatt erhielt zudem Solidaritätsbekundungen aus der ganzen Welt. Musiker wie Manu Chao, die teilnehmenden Gewerkschaften am Sozialforum in Florenz und sogar der baskische Regierungschef Juan Jose Ibarretxe haben sich solidarisiert. Derweil spielte erneut eine bereits bekannte schwarze Liste der „Guardia Civil“ eine Rolle in der Diskussion um das Tageszeitungsverbot. Bezug darauf hatte schon vor Monaten die katalanische Zeitung Vanguardia genommen. Die auf dieser Liste aufgeführten Firmen seien, so der Vorwurf, in „Geldwäsche“ der ETA verstrickt. Bis zur Egunkaria-Schließung war der Veröffentlichung wenig Gewicht beigemessen worden, da sich auf der Liste Namen befanden, die bis dato kaum ins Visier spanischer Politiker gerückt worden waren, darunter Egunkaria.
Mit deren Schließung vor zwölf Tagen allerdings erscheint auch die Liste in neuem Licht. Es befinden sich darauf die Stiftung Euskalgintza Elkarlanean (Baskische Kulturaktivität), der Verlag Zabaltzen, das Plattenlabel Oihuka, eine Kette von Buchläden sowie ein Zusammenschluß zur Förderung der baskischen Sprache. Um Aktionen der Guardia Civil zuvorzukommen, ging die Kulturstiftung in die Offensive und legte inzwischen ihre Bücher dem zuständigen Gericht offen. Bereits vor zwei Jahren hatte Ermittlungsrichter Baltasar Garzà³n den Verlag Zabaltzen durchsucht und ihm Geldwäsche für die ETA vorgeworfen. Doch das Verfahren wurde eingestellt. Nun erklärte Josà© Maria Sors, Leiter der Kulturstiftung: „Wir haben in dem Schreiben an diese Vorgänge erinnert und unterstrichen, daß die Firmen unserer Stiftung die Ermittlungen der Justiz in jeder Hinsicht unterstützen“. Alle Vorgänge seien in völliger Legalität abgewickelt worden. Es sei traurig, in solch eine Situation zu kommen, daß irgendwer unbegründet schwere Vorwürfe erhebt: „In einer Demokratie müßte die Justiz die Schuld beweisen und nicht der Beschuldigte seine Unschuld.“ Sors weiter: „Statt einer Unschuldsvermutung gibt es nun eine Schuldvermutung.“ Am Montag hatte der Nationale Gerichtshof noch immer nicht über die nächste Zukunft von Egunkaria entschieden. Die Staatsanwaltschaft hatte am Freitag gefordert, die „vorläufige Schließung“ um sechs Monate zu verlängern. Die Verteidigung, unterstützt durch ein Rechtsgutachten, das von mehr als 300 baskischen Anwälten unterzeichnet wurde, forderte die Aufhebung des Verbots, das nur in „einem Ausnahmezustand“ denkbar sei.
Ralf Streck, Donostia 26-02-2003
Was geschah mit Pello Zubiria?
Vier Journalisten der geschlossenen baskischen Tageszeitung Egunkaria auf Kaution freigelassen
Nach fast 20 Stunden Verhören ohne eigenen Anwalt sollten am Dienstag nach fünf Tagen Haft vier baskische Journalisten auf Kaution zwischen 12000 und 30000 Euro freigelassen werden. Der Vorwurf gegen sie wurde von der „Mitgliedschaft“ in „Unterstützung einer bewaffneten Bande“ heruntergestuft. Unter ihnen befindet sich auch der Direktor der Zeitung, Martxelo Otamendi. Am Donnerstag war seine Euskaldunon Egunkaria (Baskische Tageszeitung) von der Guardia Civil gestürmt und „vorläufig“ bis zu fünf Jahren geschlossen worden. Dabei wurden insgesamt zehn Journalisten verhaftet, von denen Richter Juan del Olmo fünf wegen angeblicher „Mitgliedschaft in der ETA“ in Haft behielt. Unklar blieb die Lage des zehnten Verhafteten. Pello Zubiria, erster Direktor von Egunkaria sowie derzeitiger Chef der Zeitschrift Argia (Licht), war während der Kontaktsperre ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er habe einen Suizidversuch unternommen, hieß es.
Ob das stimmt, ist ebenso unklar wie die Behandlung, die dem Journalisten zuteil wurde. In der Kontaktsperre dürfen nach dem Antiterrorgesetz weder Anwälte noch Angehörige zu den Gefangenen. Zubiria leidet unter einer unheilbaren Krankheit, die ohne medikamentöse Versorgung große Schmerzen bereitet. Da er immer noch unter Kontaktsperre gehalten wird, wurde der Familie lediglich mitgeteilt, daß er lebt. In ihrem am Montag vorgelegten Jahresbericht von 2002 listete das Antifolterkomitee (TAT) 127 Fälle von Mißhandlungen und Folter in Gefängnissen und Kommissariaten aus dem vergangenen Jahr auf, darunter auch sexuelle Übergriffe. Spaniens Justizminister Angel Acebes bezeichnete inzwischen das Verbot der einzigen Tageszeitung in baskischer Sprache als eine Maßnahme „zur Verteidigung und zum Schutz der Rechte und der Freiheiten der Basken, ihrer Kultur, ihres Denkens und ihrer Sprache“. Er unterstellte der baskischen Regionalregierung, mit Egunkaria eine Zeitung zu bezuschussen, die ETA „gegründet hat“. Eine Unschuldsvermutung scheint es für die Aznar-Regierung, die gemeinsam mit dem Richter in Negierung der vielbeschworenenen Gewaltenteilung eine Erklärung zum Verbot heraus gegeben hatte, ohnehin nicht zu geben.
Ralf Streck, Donostia 28-02-2003
Folter in Spanien
Verhaftete baskische Journalisten erheben schwere Vorwürfe
„Sie haben uns wie Ratten behandelt“, erklärte der Chefredakteur des Euskaldunon Egunkaria, Martxelo Otamendi, am Mittwoch im baskischen Anoain vor den Toren seiner einer Woche zuvor geschlossenen Baskischen Tageszeitung. Vier der zehn bei der Schließung verhafteten Journalisten wurden auf Kaution freigelassen. Nach eigenen Aussagen wurden sie von der spanischen Guardia Civil während der Kontaktsperre gefoltert.
Ihr Sprecher Martxelo Otamendi berichtete: „Ich wurde geschlagen und mehrfach wurde bei mir die Tüte angewendet“. Dem mitinhaftierten Juan Mari Torrealdei, ein 60jähriger Jesuitenpfarrer und Radiojournalist bei Herri Irratia, sei es noch schlimmer ergangen. Drei Tage lang sei dieser fast „zu Brei“ geschlagen worden. Es müsse „Schluß mit einer Situation“ gemacht werden „wie im Chile unter Pinochet“, sagte Otamendi und dankte den 100 000 Demonstranten, die am vergangenen Samstag gegen die Schließung seiner Zeitung protestiert hatten.
Die Berichte der Freigelassenen vom Mittwoch glichen in ihrer Substanz den Äußerungen der noch fünf inhaftierten Journalisten gegenüber ihren Anwälten nach Aufhebung der Kontaktsperre. Ihren Aussagen zufolge mußten Iñaki Uria, Xabier Oleaga und Xabier Alegria Scheinhinrichtungen und schwere Schläge erdulden. Auch wurden sie dazu gezwungen, nackt Kniebeugen zu machen, und gaben weiterhin an, der „bolsa“ (Tüte) unterworfen gewesen zu sein, einer Foltermethode, bei der eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt und zugezogen wird, bis das Folteropfer dem Ersticken nahe ist. Amnesty International in London forderte inzwischen Aufklärung, während die spanische ai-Sektion daran erinnerte, daß sie sich alljährlich mit der Folter auseinandersetze.
Wie meist in derartigen Fällen, wurden die Ereignisse der vergangenen Woche mit einer angeblichen ETA-Nähe der Betroffenen und der Zeitung begründet. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch bezeichnete der spanische Innenminister Angel Acebes die vor dem Richter der Audiencia Nacional del Olmo angezeigten Foltervorwürfe als „Lüge“ und einen „typischen Mechanismus, dessen sich auch ETA bediene“. Ícebes kündigte an, den gesamten juristischen Rahmen auszuschöpfen, um gegen diese „falschen Foltervorwürfe“ vorzugehen. Mit seiner Rückendeckung erteilt der Innenminister den mutmaßlichen Folterern der Guardia Civil und der Nationalen Polizei einen Freibrief für die Zukunft.
Patxi Arpirtarte, Generalvikar der Diözese in Donostia (spanisch: San Sebastian), bezweifelte derweil in Radio Euskadi jegliche Verbindung von Torrealdei mit ETA („Baskenland und Freiheit“). Die physische Verfassung von Pello Zubiria, Direktor der Zeitschrift Argia (Licht), stellte sich nach Aufhebung der Kontaktsperre als kritisch heraus. Er befindet sich auf der Intensivstation eines Madrider Krankenhauses. Der erste Direktor des Egunkaria bei der Gründung vor 13 Jahren habe einen Suizidversuch unternommen, hieß es. Der entlassene Luis Goia hielt es tatsächlich für möglich: Er habe Zubiria mehrfach in einer Nachbarzelle schreien gehört. „Bringt mich um“, habe der Gefangene gerufen. Otamendi bestätigte: „Einigen von uns haben sie gedroht, uns umzubringen“.
Derweil erklärte Iñigo Elkoro, Sprecher vom Antifolterkomitee im Baskenland (Torturaren Aurkako Taldea/TAT), in einem jW-Interview: „Von den 127 Folteranzeigen und 113 Aussagen in 2002 haben wir 97 in den Jahresbericht aufgenommen. Bei der Guardia Civil gibt es immer noch eine äußerste Brutalität mit direkten Angriffen auf die Personen. Die Menschen sollen völlig zerstört werden. Das reicht von schweren Schlägen auf den ganzen Körper, die Genitalien, den Kopf, wie Elektroschocks, Scheinhinrichtungen, etc. In fast allen Fällen wurden die Opfer fast mit einer Tüte erstickt bis sie das Bewußtsein verlieren. In zwei Fällen, das sticht zu früheren Jahren hervor, wurde die „Badewanne“ angewendet, wo die Leute bis zum Verlust des Bewußtseins reingetaucht werden.“ Auch zu sexueller Folter sei es bei Männern und Frauen gekommen. Derartige Zustände, so Elkoro, seien sonst nur aus der Türkei bekannt.
Niemand im Baskenland bezweifele die Existenz von Folter. Aber es sei etwas Neues, “ wenn auch angesehene Journalisten, die nicht zur linken Unabhängigkeitsbewegung gehören, gefoltert werden“. Amnesty International kritisierte am Donnerstag erneut die gegen die zehn verhafteten Redakteure verhängte „incommunicado“-Haft als „Bruch des Völkerrechts“ und protestierte gegen die Schließung der Zeitung. Eine jW-Anfrage beim Komitee zur Folterprävention bei der EU in Strasbourg (CPT) ergab, daß die spanische Regierung einen CPT-Bericht von 2001 und die Erwiderung darauf immer noch nicht veröffentlicht hat.
Inzwischen wurde bekannt, daß Spanien im eigenen Land eng mit den USA bei der „Terrorbekämpfung“ zusammenarbeitet. Es wird vermutet, daß Ministerpräsident Aznar seinen Besuch bei US-Präsident Bush auch zur Intensivierung der diesbezüglichen Kontakte nutzte.
Interview: Ralf Streck 24-02-2003
Baskische Zeitung dichtgemacht: Angriff auf die Meinungsfreiheit?
Ralf Streck Sprach mit Mertxe Aizpurua, Direktorin der baskischen Tageszeitung Gara (Wir Sind)
Am vergangenen Donnerstag hat die paramilitaerische Guardia Civil die Redaktionen der Kulturzeitschrift Jakin (Wissen) und der politischen Wochenzeitschrift Argia (Licht) gestuermt, zehn Journalisten verhaftet und die einzige baskischsprachige Tageszeitung Euskaldunon Egunkaria -vorlaeufig- fuer bis zu fuenf Jahre geschlossen. Gegenwaertig ist noch unklar, ob auch Ihre Zeitung Ziel moeglicher Repressionen sein wird. Womit werden die Schlaege gegen die Pressefreiheit gerechtfertigt?
Wie immer in diesen Fällen diktiert ein Ermittlungsrichter einen Beschluß, der irgendwem die Mitgliedschaft oder die Unterstützung der bewaffneten Organisation ETA vorwirft. Es gibt keine Beweise. Auf Basis der persönlichen Überzeugung eines Richters werden so drastische Maßnahmen wie die Schließung einer Zeitung und die Verhaftung ihrer Leitung umgesetzt. Beispielhaft war die Zerschlagung der Zeitung Egin (Machen), die mitsamt ihrem gleichnamigen Radiosender vor fünf Jahren geschlossen und deren Leitung verhaftet wurde. Bis heute warten die später auf Kaution Entlassenen auf ihren Prozeß. Was bleibt, ist eine bankrotte Zeitung, die während der Dauer ihrer Schließung einen riesigen Schuldenberg angehäuft hat.
Eigentlich bedarf es fuer derartige Massnahmen des Nachweises, dass die Zeitung Teil einer Terrororganisation ist. Im Falle aller vier Medienorgane, die in den zurueckliegenden fuenf Jahren im Baskenland geschlossen wurden, konnte der Nachweis nicht erbracht werden, dass einzelne Journalisten die ETA unterstuetzt haetten. Wieso kann also weiter geschlossen werden?
Die Justiz fühlt sich sehr sicher und unangreifbar. Wenn es eine demokratische Kontrolle gäbe, die einen Richter zur Verantwortung zieht, wenn er über die Stränge schlägt, Amtsmißbrauch begeht oder schwere Fehler macht, wäre das etwas anderes. Doch derlei Kontrollen gibt es nicht im spanischen Staat. Demokratische Garantien sind Fehlanzeige, statt dessen herrscht eine totale Ungerechtigkeit, die einen zur Hilflosigkeit verdammt. Wir müssen mit dieser Situation leben und warten täglich darauf, was als nächstes passiert.
Auch Sie wurden beschuldigt, die ETA unterstuetzt zu haben. Mit dem Direktor der Egunkaria, Martxelo Otamendi, wurden Sie vor einem Jahr vor den Nationalen Gerichtshof gezerrt. Was wurde Ihnen vorgeworfen?
Es ging um die Veröffentlichung eines ETA-Interviews, was der Staatsanwalt im ersten Verfahren als Akt der Unterstützung einer bewaffneten Organisation wertete. Im zweiten Verfahren wurde behauptet, wir hätten mit einer Frage zum Mord aufgestachelt beziehungsweise einen Mord gerechtfertigt. In der Frage ging es darum, ob eine Änderung der politischen Position einiger Parteien dazu führen könnte, daß ihre politischen Vertreter nicht mehr attackiert würden. Abgesehen davon, daß eine Frage niemals etwas rechtfertigen kann, wollten wir lediglich wissen, wie eine bewaffnete Organisation die politische Situation analysiert. Das erste Verfahren wurde eingestellt, das zweite wegen Anstiftung zum Mord ist noch anhängig.
Warum hat es ausgerechnet die Egunkaria getroffen? Von Politikern und Medien wird doch immer wieder die Gara als ETA-Zeitung betitelt?
Ich glaube, es geht der spanischen Regierung darum, die Meinungsfreiheit zu kippen. Uns greifen sie an, weil wir keine explizite Verurteilung der ETA vornehmen. Jeder, der nicht mit der Meinung der Regierung über den baskischen Konflikt übereinstimmt, wird bestraft. F: Befürchten auch Sie einen Angriff? In diesem Land gibt es einen großen Sektor, der in dauernder Unsicherheit lebt, die die spanische Regierung zu verantworten hat. Natürlich gibt es auch den anderen Sektor, der in einer permanenten Unsicherheit lebt, weil er von der ETA angegriffen wird.
Wie steht es um die Pressefreiheit in Spanien?
Solange Zeitungen geschlossen werden und man auf diesem Wege die Meinungsfreiheit bedroht, kann von Pressefreiheit nicht die Rede sein.
Ralf Streck 22-02-2003
Unglaublich große Demo für die Pressefreiheit im Baskenland
Von Weit über 100.000 Menschen haben gerade aufgehört gegen das Verbot der Zeitung Egunkaria zu demonstrieren. Es war die größte Demonstration in Donostia-San Sebastian je gesehehen hat. Unglaublich viele Menschen haben in den Straßen gewartet, weil sie nicht einmal zum Versammlungsort vorgedrungen sind. Daran konnte auch der Regen zu Beginn der Demo nix ändern. Der öffentliche Nahverkehr ist völlig zusammen gebrochen, so dass es einige nicht nach Donostia geschafft haben dürften.
Völlig gewaltlos wurde die Antidemokratische Politik mit Vehemenz abgelehnt. Wobei sich nicht damit aufgehalten wurde die spanische Regierung zu beschimpfen, sondern die Schließung der einzigen baskischsprachigen Zeitung hat die Frage der Unabhängigkeit wieder mehr als deutlich gemacht. Dass die Justiz zusammen mit der Regierung die Schließung begründet hat, zeigt, dass Spanien noch weit entfernt von einer formellen Demokratie ist.
Vielstimmig wurde die Freiheit der 10 Gefangenen Journalisten gefordert und die Freiheit der über 650 politischen Gefangenen gefordert.