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Der Krieg im Irak

4. April 2003

politisch-militärische Betrachtungen, vom 1. April 2003

Zwei Wochen Widerstand
Eine politisch-militärische Analyse

1. April 2003

Krieg ist unmenschlich. Er verkörpert alles, gegen das wir stehen, er widerspricht allen grundlegenden menschlichen Bedürfnissen. Was heute im Irak geschieht ist nicht nur Ausbeutung und Marginalisierung eines ganzen Volkes im Interesse des Profits – letztlich geschieht die Vernichtung von Mitmenschen, die Zerstörung ihres Landes, dessen Verseuchung mit Massenvernichtungswaffen wie dem abgereicherten Uran.
Ist der Krieg unmenschlich, dann ist seine Wissenschaft eine Perversion – kombiniert sie doch die Sehnsucht des Menschen nach eigener Entwicklung mit der Suche nach Erkenntnissen um das Töten von Menschen effizienter zu gestalten. Die Wissenschaft des Krieges und ihre sterile Sprache ist nicht die unsere, aber sie wird uns von einem Feind aufgezwungen, der den Krieg zum höchsten Mittel der Politik erklärt hat. Wollen wir seine Politik verstehen, können wir uns seiner Sprache nicht entziehen. Aber wir dürfen niemals vergessen, dass hinter Frontbewegungen, Verlusten, offensiven wie defensiven Operationen, immer ganz konkretes menschliches Leid steckt.
Wir müssen diesen Krieg als gigantischen Schrecken und Horror begreifen. Das kann aber nicht bedeuten, einfach den Blick abzuwenden, es kann auch nicht bedeuten einfach nur „Frieden“ zu sagen. Wir müssen erkennen, wo der Aggressor steht und wer hier angegriffen wird. In dieser Situation tragen wir nicht die Regenbogenfahne mit dem italienischen Pace in der Mitte (sowenig wir deren Träger und ihre Emotionen allgemein verurteilen wollen), sondern die Fahne der Solidarität mit dem Irak, die Fahne des Irak. Die Verteidigung des Irak ist legitim, das sagt sogar der Pabst. In letzter Instanz handelt es sich um einen imperialen Aggressionskrieg der Reichen gegen die Armen dieser Erde, da können wir nicht abseits stehen. We support our troops.

Strategische Ziele der USA bis jetzt verfehlt
Vor knapp zwei Wochen hat die angloamerikanische Aggression gegen den Irak begonnen. Einen Tag lang verkündete die Propagandamaschinerie den baldigen Zusammenbruch der irakischen Truppen, ganze Divisionen würden sich ergeben und bis Abend wolle man Basra befreit haben. Die internationalen Börsenkurse waren sofort im Steigflug begriffen. Knapp zwei Wochen später ist klar: Basra wurde immer noch nicht „befreit“, ergeben hat sich kaum jemand. Bruchlandung des Dow Jones und des Dax.
Bis jetzt haben die Angreifer kaum ein einziges strategisches Ziel erreicht: Basra wurde zwar umstellt, ein Eindringen in die Stadt war bis jetzt aber kaum möglich. Die 51. mechanisierte irakische Infanteriedivision, das Kernstück der Verteidigung der Stadt ist damit abgeschnitten, da eine Zerschlagung dieser Truppe nicht geglückt ist, werden aber eine schwache britische Panzerdivision sowie Teile einer amerikanischen Division Marineinfanterie gebunden.
Die 4. Marineinfanteriedivision hätte eigentlich schnell bei Nassirija über den Euphrat setzen sollen, die Stadt nehmen, dann weiter nach Norden auf Kut am Tigris, eventuell auch nach Nordosten nach Amara vorstoßen sollen, dadurch die südlichen Verbände der irakischen Armee abschneiden und Bagdad von Osten bedrohen sollen. Nachdem tagelang ein überschreiten des Euphrat auf Grund der heftigen Gegenwehr nicht möglich war, ist heute Kut immer noch nicht erreicht. Widersprüchlichen Angaben zu Folge wird der Großteil der Division bei Nassirija gebunden – das konnte ebenso wenig genommen werden wie auch nur eine einzige andere größere Stadt, der Rest steht wahrscheinlich bei Shatra, 35 Kilometer weiter nördlich. Verteidigt wird durch das Dritte Armeekorps, ein weiterer Vormarsch gestaltet sich kaum weniger schwierig wie der Vorstoß des amerikanischen Hauptverbandes südwestlich von Bagdad, auf der Linie Nadjaf-Kerbala. Hier halten irakische Milizen, reguläre Truppen sowie Teile der republikanischen Garde in Brigadestärke, zwei amerikanische Divisionen auf, die zuvor in einem medienwirksamen Gewaltmarsch mehrere hundert Kilometer unbewohnter und auch nicht verteidigter Südlicher Wüste durchquert hatten. (tagelang konnte man daher „amerikanische Soldaten nur noch so und so viele Kilometer vor Bagdad“ hören). Tatsächlich ist die irakische Verteidigungslinie Kerbala-Nadjaf-Samawa-Nassirija-Basra zwar an einigen Stellen eingedrückt worden, aber noch nicht völlig ausgehebelt. Schleppend gestaltet sich auch der Aufbau einer Nordfront, durch das Ausscheren der Türkei können die Amerikaner kein schweres Material in die Kurdengebiete verlegen, ob leichte Luftlandetruppen und die Peshmergas der KDP und PUK allein die irakischen Truppen bei Kirkuk und Mosul ernsthaft bedrohen können, bleibt abzuwarten.
Dem strategischen Bombenkrieg der US-Luftwaffe konnte die irakische Verteidigung bis jetzt wenig entgegensetzen, die Wirkung der Angriffe bleibt aber zweifelhaft. Die wesentlichen Ziele, die Zerstörung der Möglichkeit zur operativen Führung der Truppe, sowie das Ausschalten der irakischen Regierung, wurden einstweilen verfehlt. Währenddessen gestaltet sich die alliierte Versorgungslage auf Grund der langen Nachschublinien und der irakischen Störaktivitäten als zunehmend schwierig. Auch westliche Medien berichten von Panzerkolonnen ohne Benzin und US-Marines, die mit einer Mahlzeit pro Tag auskommen müssen.
Wir fassen zusammen: Keine einzige nennenswerte Stadt genommen. Der Vorstoß auf den Tigris (und damit die Zweiteilung des Landes) bis jetzt nicht möglich. Keine Nordfront. Bagdad noch lange nicht isoliert (geschweige denn eingenommen). Die irakische Kommandostruktur intakt.
Im Augenblick müssen massive Verstärkungen herangeführt werden, der ursprüngliche Kräfteansatz des Pentagon hat sich als viel zu schwach erwiesen.

Volkswiderstand
Immer wieder haben wir analysiert, dass das Aufkommen eines echten Volkswiderstandes und die entschlossene Verteidigung der Städte der Schlüssel für eine erfolgreiche irakische Verteidigung wären (zumindest gemessen an den objektiven Möglichkeiten angesichts der gewaltigen amerikanischen Überlegenheit). Das war angesichts keineswegs gewiss, aber es scheint nun eingetreten zu sein und jeder weitere Tag des Widerstandes wird diese Tendenz verstärken – das hat nicht nur unmittelbare militärische Auswirkungen, sondern auch langfristige politisch-militärische.
Die irakische Regierung behauptet sieben Millionen Menschen bewaffnet zu haben, angesichts einer Bevölkerung von 23 Millionen, davon aber die Hälfte unter 15 Jahren, eine gewagte und auch nicht überprüfbare Aussage. Durchaus glaubwürdig sind aber Berichte der patriotischen Opposition, die bezeugt wie in vielen Städten des Landes große Teile der Bevölkerung – ohne in die Armee oder die Baathpartei eingebunden gewesen zu sein – aktiv an der Verteidigung teilnehmen. In Basra sollen auch arabische Kämpfer aus dem iranischen Arabistan über die Grenze gekommen sein. Und selbst CNN erzählt von Exilirakern, die sich zu Tausenden auf die Heimreise aus Jordanien machen, um ihr Land zu beschützen. Es scheint der Effekt von 1982 einzutreten: Nachdem der Angriff auf den Iran anfangs unpopulär war, sammelte sich die Bevölkerung zu einem patriotischen Verteidigungskrieg, ab dem Zeitpunkt als persische Truppen die Grenze zum Irak überschritten. Das galt nicht nur für die Sunniten, sondern auch für die Schiiten (mit 60 Prozent die große Mehrheit der Bevölkerung), deren Identität offensichtlich weniger schiitisch als arabisch ist (andernfalls hätte eine Solidarisierung mit dem Iran einsetzen müssen.) Auch heute gibt es keinerlei Anzeichen eines schiitischen Aufstandes, wie er von den USA immer wieder beschworen wird.
In der Beurteilung dieses Volkswiderstandes darf man sich keinen romantisch-spontaneistischen Illusionen hingeben. Der militärische Beitrag verschiedener irregulärer Milizen und lokaler Selbstverteidigungsgruppen wird beschränkt bleiben, es fehlt ja auch der Zugang zu schwereren Waffen. Volkswiderstand bedeutet aber auch eine Armee aus Wehrpflichtigen, die aus Patriotismus, nicht aus Angst vor dem Regime kämpft, bedeutet auch Republikanische Garden, die nicht nur bereit sind für Saddam zu töten, sondern auch für den Irak zu sterben. Das scheint der Fall zu sein, Desertion und Kapitulation sind bisher weitgehend ausgeblieben. Die Amerikaner behaupten, sie hätten 8.000 Gefangene gemacht, und bloß zur Hälfte reguläre Truppen – nicht zu überprüfen, aber angesichts einer Armee von 300.000 keine besonders große Zahl. Höherrangige Militärs befinden sich überhaupt nicht in den Händen der Alliierten.

Perspektiven
Der Widerstand des irakischen Volkes hat weitreichende politisch-militärische Konsequenzen. Je länger er anhält, um so weniger können die USA diesen Krieg als bloße Konfrontation mit der irakischen Regierung verkaufen, desto schwieriger wird auch eine stabile Nachkriegsordnung. Ganz offensichtlich werden die GIs als Okkupanten erkannt. Der Widerstand bewirkt auch eine Stärkung des Selbstvertrauens und eine Mobilisierung der Bevölkerung, die Basis für einen weiteren Aufschwung sozialer und politischer Kämpfe, auch nach dem Krieg. Als zusätzliche Dimension scheint auch eine religiöse Mobilisierung einzusetzen, die seit der Niederlage 1991 bereits vorsichtig vom an sich säkularen Regime genutzt wurde, und die, völlig unabhängig vom Regime, die Unterschichten stark erfasst hat.
Wir wissen genauso wenig wie lange dieser Krieg dauern wird, wie unzählige Fernsehreporter, die der gleichen Frage nachjagen. Deutlich sind jetzt die Schwächen der amerikanischen Kriegsführung. Diese erklären sich einerseits durch strategische Fehler – die Unterschätzung ihres Feindes und der daraus abgeleitete zu geringe Kräfteansatz – die in der Folge operative Schwierigkeiten – wie unzureichend gedeckte Nachschubwege – nach sich gezogen haben. Auf der anderen Seite ist eine politische Schwäche zu erkennen, der Unwillen größere eigene Verluste hinnehmen zu müssen und daher die Unfähigkeit das Erreichen bestimmter operativer Ziele einfach zu erzwingen. Angesichts des entschlossenen Widerstandes des irakischen Volkes wird der alliierte Luftkrieg in den kommenden Wochen verstärkt versuchen dessen Moral zu brechen, das bedeutet den bewussten Angriff auf Zivilisten und auf die zivile Infrastruktur.
Ob die irakische Verteidigung angesichts der gewaltigen militärischen Überlegenheit der USA langfristig bestehen kann – das ist zu bezweifeln, vor dem Krieg haben es fast alle verneint. Als Teil der Politik entzieht sich der Krieg aber einer Mathematisierung, da mag man planen was man will, die gewaltigen politischen Dynamiken die im Augenblick ausgelöst werden sind nicht berechenbar. Eines ist gewiss: Die irakische Verteidigung selbst ist von der Möglichkeit ihres Sieges überzeugt – sonst würde sie nicht kämpfen.

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