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Djindjic-Mafia-Diktatur

18. April 2003

von Klaus Hartmann

„Gotov je!“ – dieser „Schlachtruf“, vor drei Jahren recht beliebt bei den „demokratischen“ Oppositionsparteien in Belgrad und bei ihren Förderern in den westlichen „freien“ Medien, ist etwas in Vergessenheit geraten. „Gotov je! – Er ist fertig“, war die Losung im Wahlkampf des Jahres 2000 in Jugoslawien, gemünzt auf den Präsidenten Slobodan Milosevic. Besonders lautstark wurde er von einem Verein intoniert, der vom CIA als „Studentenorganisation“ aufgebaut worden war, „Otpor!“, „Widerstand!“ war ihr Name, und politisch war sie der deutschen „Aktion Widerstand“ verwandt, jener NPD-„Bürgerinitiative“ in den 1960er Jahren. Zumindest übten im Sommer 2000 schon mal glatzköpfige „Otpor!“-Jugendliche am Donauufer für die Machtübernahme durch „Demokraten“, wie sie dann am 5. Oktober 2000 mit dem brennenden Parlament stilecht besiegelt wurde. Zur Auffrischung der Erinnerung: „Ein Sturmlauf des Zorns fegt Jugoslawiens Diktator hinweg“, kommentierte Frau Ridderbusch am 29.12.2000 in der WELT, offenbarte aber: „Der Ausbruch des Volkszorns war indes wohl vorbereitet von den Studenten der Otpor-Bewegung,“

„Gotov je!“ – anlässlich des Attentats auf den serbischen Regierungschef Zoran Djindjic fiel die Losung nicht Vielen ein, und den Wenigen anderen blieb sie bald im Halse stecken. Denn das „System Djindjic“ war mit seinem Namensgeber nicht zu Ende, es brach sich erst mit voller Brutalität Bahn. Der Name Djindjic, er stand für das ungeschminkte Marionettenregime im Dienste der Westmächte, besonders der USA, Deutschlands und der übrigen bombigen Freunde aus den NATO-Staaten. Im Volksmund hieß Djindjic nur „der Deutsche“, im Parlament wurde er auf Deutsch mit „Herr Bundeskanzler“ angesprochen. Das störte ihn aber sowenig wie seine sonstigen Ehrentitel, von denen noch „Vaterlandsverräter“ und „Mafia-Pate“ hervorzuheben wären. Hervorzuheben deshalb, weil mit seinem Ende wieder Gerüchte und Legenden ihren Anfang nehmen, dass der Statthalter der Fremdherrschaft vielleicht
doch unmerklich die Interessen seines Landes vertreten habe, oder aber ein
Kämpfer gegen die Mafia gewesen und von dieser gerichtet worden sei.

Prüfen wir also, was und wen wer mit Zoran Djindjic wirklich verloren hat.
Zunächst, ob es ein Friedensfreund oder einer gewesen ist, der seinen
Mitbürgern die NATO-Bomben gegönnt hat.

Djindjic liebte die Bombe auch, aber diplomatisch

Am 21. Mai 1999 beklagte es Zoran Djindjic gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters als Teil der „Strategie des Regimes“, ihn zu beschuldigen, er habe „die Fortsetzung der Bombardierung gefordert“. Am 25. Mai 1999 stellte ihm die tageszeitung die Frage: „Fordern Sie vom Westen einen Stopp der Luftangriffe?“ Antwort: „Das ist nicht realistisch“. Tatsächlich war Djindic schlau genug, die Bombardierung Jugoslawiens durch die Nato nicht offen zu unterstützen, aber – und darauf bezogen sich die Vorwürfe – am 9. Mai 1999 veröffentlichte er gemeinsam mit dem montenegrinischen Präsidenten Milo Djukanovic eine Erklärung, in der er die Nato aufforderte, sie dürfe „keine Vereinbarung“ zum Ende des Krieges „unterzeichnen, die Milosevic den Erhalt seiner Macht gestattet“. Was sollte dies anderes darstellen als die Aufforderung zur Verlängerung des Krieges?

Eine Woche zuvor gab Djindjic den Bombenwerfern bereits wertvolle Hinweise,
wie sie das Leid der Bevölkerung in ihr politisches Kalkül einbeziehen können: „Wenn sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung zusehends verschlechterten und die Strom- und Gasversorgung zusammenbreche, könne sich Milosevic den Nato-Forderungen nicht länger verschließen. Danach, ,in zwei bis drei Wochen`, werde der jugoslawische Präsident die Forderungen der Nato akzeptieren, prophezeite der serbische Oppositionspolitiker Zoran Djindjic in der israelischen Zeitung ,Haaretz`“ – soweit der Bericht der
Rhein-Zeitung online vom 03.05.1999.

Dass Djindjic sich mit seinem Partner Dukanovic auch noch in die Hauptstädte der gerade Bomben auf seine Heimat werfenden NATO-Mächte begab, Schröder umarmte und Madeleine Albright knutschte, beförderte seine Beliebtheit zu Hause nicht sonderlich. Das wusste auch die „Westpresse“, und erklärte damit, warum nicht Djindjic an die Spitze der Kampagne gegen Milosevic gestellt wurde: „Kostunica war laut Umfragen der aussichtsreichste Bewerber und außerdem, anders als Djindjic, nicht als ,Nato-Söldner` zu diffamieren“, kommentierte Bernhard Küppers für die Süddeutsche Zeitung vom 27.12.2000

Dass man eine wirklich „demokratische Wahl“ nicht allein dem Volk überlassen kann, das wissen auch die Außenminister der Wertegemeinschaft namens NATO und wir dank eines Spiegel-Berichts vom Oktober 2000: Am 17. Dezember 1999 „versammelten Fischer und Albright die namhaftesten jugoslawischen Oppositionellen am Rande eines G-8-Treffens in einem fensterlosen Raum des Interconti-Hotels an der Budapester Straße in Berlin. Mit von der Partie: Zoran Djindjic und Vuk Draskovic. Die wirklich kooperationswilligen Milosevic-Gegner einigten sich auf den bis dahin weitgehend unbekannten Kostunica als Präsidentschaftskandidaten.“

Nach dem Sieg der „großen Freiheitsrevolution des serbischen Volkes“ (Freizeitdichter Gerhard Schröder) mit dem brennenden Parlamentsgebäude als Erkennungsmerkmal kannte der alte Djindjic-Freund Joseph Fischer kein Halten mehr. Laut AP-Nachrichten vom 11. Oktober 2000 sprach er „sich dafür aus, sich in Jugoslawien nicht nur materiell zu engagieren, sondern dauerhaft mit der Bundeswehr und mit zivilen Kräften vor Ort zu sein.“ Die Bundeswehr dauerhafte Besatzungsmacht in Jugoslawien, ganz so wie im Diktat von Rambouillet geplant? – Da hatte sich der deutsche Chefdiplomat doch etwas vergaloppiert, der Satz tauchte in keiner Meldung mehr auf, dafür jenes merkwürdige Fischer-Zitat, dass nun „das letzte Stück des Eisernen Vorhangs in Europa gefallen“ sei. Womit nochmals dementiert wurde, dass der „frei Westen“ Milosevic den „Nationalisten“ verübelt hätte. Folgerichtig feierten die Nachrufe auf Djindjic „den ersten nichtkommunistischen Regierungschef seit 1945“.

Allein gegen die Mafia?

Warum aber musste Djindjic sterben? Dem „Organisierten Verbrechen“ sei
„unser Mann in Belgrad“ (wie die Süddeutsche Zeitung Djindjic im Herbst 2000 nannte) zum Opfer gefallen. Jenem „Organisierten Verbrechen“, das die Gesellschaft „seit Milosevic“ im Griff habe, und dem Djindjic den Kampf angesagt habe. Soweit die Legende. Die Wirklichkeit sieht anders aus – die Mafia hat einen der ihren umgelegt. Das steht zwar in keinem Nachruf, kann aber aus einzelnen Berichten der letzten Jahre unschwer zusammengetragen
werden.

So berichtete die Financial Times Deutschland am 10.08.2001: „Einige Spitzenpolitiker unterhalten Kontakte zu Geschäftsleuten, die dem organisierten Verbrechen zugerechnet werden. Dokumente, die der Financial Times Deutschland vorliegen, sowie Aussagen von Insidern und Ermittlern legen nahe, dass sich die politischen Hoffnungsträger des Westens auf dem Balkan in ein Netz verstrickt haben, das sie über Jahre selbst gesponnen haben: allen voran Montenegros Präsident Milo Djukanovic und Serbiens Premier Zoran Djindjic – zwei Politiker, die vom Westen zu Garanten eines demokratischen Neuanfangs stilisiert werden.“

Am 13.08.2001 legt diese Zeitung nach: „Serbiens Premier Zoran Djindjic galt lange als Garant für einen Neuanfang auf dem Balkan. Jetzt holt ihn die Vergangenheit ein. Beim Bau einer Zigarettenfabrik mit British American Tobacco gerät er in Verdacht, in Kontakt zur Schmuggler-Szene zu stehen.“ – „Heute ist Djindjic Premierminister – und ein internationaler Star. Seit Jahren gilt er im Westen als Garant für die Demokratie auf dem Balkan. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich eine andere, kaum wahrgenommene Seite: Widersprüche, in die sich der serbische Regierungschef verwickelt hat, sowie Kontakte zu Geschäftsleuten, die dem Organisierten Verbrechen zugerechnet werden, werfen dunkle Schatten auf die vermeintliche Lichtgestalt.“ – „Djindjic gerät immer mehr ins Zwielicht: Am 17. Mai enthüllte das kroatische Magazin „Nacional“, der serbische Premier sei mit dem Privatjet des Zigaretten-Barons Stanko Subotic nach Moskau geflogen: mit einer Cessna Citation X (N999 CX), registriert auf die Briefkastenfirma „Brook Aviation“ im US-Staat Delaware.“

Dass die ftd die kroatischen Zeitungsberichte unter die Lupe nahm, hängt mit dem Aufsehen erregenden Mord an einem der wichtigsten Informanten zusammen: Der ehemalige Geheimdienstoberst Momir Gavrilovic wurde am 03.08.2001 in Neu-Belgrad auf offener Strasse erschossen, was „die bislang schwerste Regierungskrise auslöste“ und das St. Gallener Tagblatt vom 20.08.2001 zur Frage veranlasste: „Milosevics Erben in den Fängen der Mafia?“. „Kostunica bestätigte, dass mehrere seiner Berater mit Gavrilovic kurz vor seinem Tod konferiert hätten. ,Es ging um Korruption`, bestätigte der Präsident. Laut dem Boulevardblatt Blic, das sich auf Quellen aus der Umgebung Kostunicas beruft, soll der Geheimpolizist Gavrilovic den Präsidenten über die Verstrickung hochrangiger DOS-Funktionäre in mafiose Machenschaften unterrichtet haben.“ „Das Präsidium der Kostunica-Partei DSS begründete den angedrohten Austritt aus der serbischen DOS-Koalition denn auch mit ,Unzufriedenheit und Enttäuschung` über die Untätigkeit der Regierung Djindjic in der Bekämpfung von staatlich gelenkter Wirtschaftskriminalität.
In dem Communiquà© wird Djindjic frontal angegriffen: Es müsse geklärt werden, ,ob das organisierte Verbrechen von Teilen der Behörden geschützt oder unterstützt wird oder ob die serbische Regierung unfähig ist, dagegen
anzugehen`.“

Angesichts dessen ist es an Dreistigkeit nicht zu überbieten, wenn heute
Minister des Djindjic-Kabinetts im Schutze des Ausnahmezustands die
Kostunica-Partei für diese Zustände verantwortlich machen. Laut Neuer
Zürcher Zeitung vom 08.04.2003 richtete der neu ernannte und drogensüchtige
„stellvertretende Ministerpräsident Jovanovic in der Tageszeitung Danas vom
Samstag schwere Vorwürfe an Kostunica. Er sei dafür mitverantwortlich, dass
der Bruch mit dem Milosevic-Regime nicht vollzogen worden sei.“ Und der
christdemokratische Justizminister Batic „warf Kostunicas Demokratischer
Partei Serbiens indirekt vor, die ,Roten Barette` unterstützt zu haben.

Aber natürlich soll nicht nur der „demokratische“ Feind Kostunica
verantwortlich sein, die Quelle allen Bösen ist selbstverständlich der
Oberschurke Milosevic. Denn die „Roten Barette“, denen die Djindjic-Mörder
entstammen sollen, waren laut Agenturen eine „1991 von Milosevic gegründete
Sondereinheit der Polizei“, und deren Kommandant und Hauptverdächtiger
„Milosevic` liebster Milizenführer ,Legija`“ (Die Welt, 15.03.03).

Im Dienste seines Herrn

Solche dem Leser nahe gebrachten Assoziationen werden leider durch andere
Meldungen erschüttert, die man an anderen Tagen in der gleichen Welt findet.
Da liest man, dass ohne die Unterwelt es kaum einen Triumph der „Demokraten“ gegeben hätte: „Am 4. Oktober 2000 versicherte Legija Zoran Djindjic, dass er auf seiner Seite stehe und für den demokratischen Umbruch kämpfe. Seine ,Roten Barette` würden am nächsten Tag den Sturz des Präsidenten Slobodan Milosevic unterstützen. Legija veranlasste, dass Djindjic das Plazet der serbischen Polizei und des Geheimdienstes erhielt. Vor allem der serbischen Polizei war es zu verdanken, dass die Belgrader Revolution unblutig verlief. “ Das wusste Die Welt am 14.03., und am 26.03.03: „Die ,Roten Barette` . war(en) der entscheidende Faktor beim Sturz Milosevic` im Oktober 2000: Nachweislich hatte sich Djindjic am Vorabend des Volkssturms mit ihrem damaligen Oberkommandeur Milorad ,Legija` Lukovic getroffen, um einen Nichtangriffspakt zu schließen.“

Glücklicherweise existieren auch Selbstzeugnisse von Djindjic über seine
guten Kontakte, und dieses Glück verdanken wir keinem Geringeren als dem
Rüstungslobbyisten Moritz Hunzinger. Der wiederum scheint seinen Klienten
weniger Glück zu bringen, wie schon der Karriere Scharpings („Fötengrill-Rudi“) anzusehen ist: wie gewonnen, so zerronnen. Auch Djindjic erfreute sich Hunzingers Fürsorge und Honorare, und selbst im serbischen Wahlkampf im Dezember 2000 trat Hunzinger höchstpersönlich als Kundgebungsredner für Djindjic in Leskovac auf – und übergab ein Wahlgeschenk, für das die RWE und die Marseille-Kliniken des gleichnamigen „höchst umstrittenen Unternehmers und Hobbypolitikers“ (Manager-Magazin 1-2003) der „Schill-Partei„ zusammengelegt hatten. Einer von Djindjics hoch dotierten Auftritten in Hunzingers Politischem Salon am 29.11.2001, vor den Spitzen der Rüstungsindustrie, Hunderten Bundestagsabgeordneten, Dutzenden Regierungsvertretern, Bundeswehrgenerälen und Geheimdienstchefs, beschert uns als Abfallprodukt ein Pressegespräch, von dem die Frankfurter Neue
Presse vom 01.12.2001 zunächst das Demokratieverständnis des Demokraten
verdeutlicht:

„`Wir haben in Serbien ein Autoritäts- und ein Machtzentrum, wir haben dabei die Macht`, sagt Djindjic im Gespräch bei der Hunzinger Information AG. Als das demokratische Oppositions-Bündnis DOS im Herbst 2000 daran gegangen sei, Milosevic zu stürzen, habe man jemanden gebraucht, der beim ganzen Volk Autorität besaß, das sei Kostunica gewesen. Man habe dessen Bedeutung zunächst einmal bewusst ,aufgeblasen`, doch nach Regierungsantritt (.) sei klar, wer die Macht in Serbien habe: die Regierung Djindjic und nicht Kostunica.“

Die sensationellste Offenbarung des Pressegesprächs im Hause Hunzinger war
jedoch Djindjics Einlassung auf die Frage nach der Elite-Polizeieinheit der
„Roten Barette“, über die mitgeteilt wird: „Er habe durchaus auch eine gewisse Sympathie und Achtung für diese Truppe, die immerhin vier Kriege mitgemacht und schließlich Milosevic im März auch verhaftet und ausgeliefert habe.“ Die guten Kontakte zu Legias Einheit beschränkten sich also keinesfalls auf den Staatstreich am 5. Oktober 2000, auch beim Kidnapping des früheren Präsidenten Milosevic und dessen vom Verfassungsgericht untersagten Entführung nach Den Haag funktionierten sie als Djindjics Spezialtruppe!

Einige Tage vor Djindjics Ende berichtete die Süddeutsche Zeitung vom
28.01.03 unter dem wundervollen Titel „Djindjics Freunde in Himmel und Hölle “ über einen Ljubisa „Cume“ Buha, „Boss einer im Drogenschmuggel führenden Bande im Belgrader Vorort Surcin“. Er hat sich „aus dem Ausland bei Belgrader Zeitungsredaktionen und Fernsehstationen gemeldet, um zwei nicht minder kontroverse Persönlichkeiten aus dem serbischen Mischmilieu von Unterwelt, Polizei und Politik schwerster Verbrechen zu beschuldigen . und bot sich nun als Zeuge prominentester Entführungen und politischer Auftragsmorde an, die sein ehemaliger Pate Dusan Spasojevic genannt „Dule“ und der frühere Kommandant der Geheimdienst-Spezialtruppe „Rote Barette“,
Milorad Lukovic genannt „Legija“, zu verantworten hätten.“ Konkret nannte er „die Entführung des seit der Zeit vor der Wende verschwundenen Milosevic-Vorgängers Ivan Stambolic und zwei fehlgeschlagene Mordanschläge auf den Oppositionsführer Vuk Draskovic“. Die Gesprächigkeit war wohl
angespornt worden, nachdem auf „Cume“ im „vorigen August ein Mordanschlag
verübt und Ende vergangenen Jahres Asphaltierungsmaschinen in die Luft
gesprengt worden waren, mit deren Monopolbesitz seine Firma lukrative
Regierungsaufträge erlangt hatte.“

Am 12.03.03 zog Die Welt das höfliche Fazit: „Um Milosevic zu entmachten,
watete Djindjic entschlossen im Morast der Belgrader Unterwelt“. Und zum
demokratischen Umgang mit seinen „Partnern“: „Als Galionsfigur war Kostunica vorgeschoben, während Djindjic alle Fäden in der Hand hielt. (.) Djindjic griff durch, um den Rivalen kalt zu stellen: (.) Im Mai 2002 ließ Djindjic dann die Hälfte von Kostunicas Abgeordneten wegen angeblicher Faulheit aus dem Parlament sperren. Nun hat er auch den Rest ihrer Mandate beraubt, weil Kostunicas Partei angeblich die ,Koalitionsvereinbarung` verletzt habe.“

Staatsstreich in Permanenz

„Staatsstreich“, „Mafiamethoden“, „Diktatur“ – diese Vorwürfe gegen Djindjic stammen nicht von Serbiens Sozialisten oder Radikalen, sondern von Djindjics vormaligen und betrogenen Partnern, der Demokratischen Partei Serbiens (DSS). Als Helfer bei dieser „Entwicklung der Demokratie“ ist nach den Gehilfen im Untergrund an erster Stelle die wichtigste Erfüllungsgehilfin auf der (schein-) legalen Ebene zu nennen, Djindjics Parteifreundin Natasa Micic. Zunächst stellvertretende Parlamentssprecherin, hatte sie den aus Protest gegen Djindjics Machenschaften zurückgetretenen Sprecher Marsicanin von Kostunicas DSS beerbt. Als Ende des Jahres 2002 aufgrund des „stillen Boykotts“ von Djindjics DOS-Mehrheit die Wahl Kostunicas zum neuen serbischen Präsidenten wiederholt an der nicht erreichten 50%-Wahlbeteiligung scheiterte, wurde Micic gemäß Verfassung interimistische Präsidentin. Dem jugoslawischen Präsidenten Kostunica schafften hingegen Djindjic und Dukanovic mit Hilfe des EU-Gouverneurs Solana kurzerhand den Staat ab, so dass er nun ohne Staatsamt dasteht. Die bei der Monopolisierung aller Macht zugunsten von Djindjic so hilfsbereite Frau Micic erhielt dafür von der Welt am 15.03.2003 den Ehrentitel „Indira Thatcher“.

Ihre große Stunde kam mit dem Attentat auf Djindjic, denn unmittelbar danach verhängte sie den „Ausnahmezustand“. Wem dies übertrieben vorkam, wurde durch die nun einsetzende Polizeiaktion eines „Besseren“ belehrt. Ein
Notstandsregime mit diktatorischen Vollmachten wurde errichtet, elementare demokratische Freiheiten außer Kraft gesetzt. Über alle Ereignisse im Zusammenhang mit der Fahndung nach Djindjics Mörder sollte nur noch mit behördlicher Genehmigung berichtet werden. Da der Mord aber als „politischer “ ausgegeben wurde, wurde eine gesonderte Zensurbehörde geschaffen, die auch jeden Bericht über Parteien, Regierung und Parlament absegnen musste. Die Übertragung von Parlamentsdebatten wurde eingestellt, damit kein nicht genehmes Wort eines Abgeordneten die Öffentlichkeit erreicht.

Waren zur Zeit der „Milosevic-Diktatur“ die oppositionellen Medien in der
Überzahl, gab es im Zeichen der „Demokratie“ gerade noch eine Oppositionszeitung. Die musste nun ihr Erscheinen sofort einstellen, es
folgte eine Wochenzeitung und bis Anfang April waren schon sieben Zeitungen
verboten, ein Rundfunksender und eine Fernsehanstalt geschlossen. Die Zahl
der verhafteten stieg sprunghaft. 14 Tage nach dem Attentat, am 26.03.03
berichtete Die Welt, „nach dem Anschlag auf Djindjic waren mehr als 3000
Personen festgenommen worden, 1031 befinden sich nach wie vor in Haft“. Am
08.04.03 berichtet die Neue Zürcher Zeitung unter Berufung auf
Regierungskreise von 7000 Verhafteten, und „mindestens 2000 sind derzeit in
Haft“. Am Abend des 08.04.03 zitiert die Nachrichtenagentur Beta den
Justizminister Batic, dass nun 2.700 „vorübergehend inhaftiert“ seien, am
Nachmittag des 09.04.03 meldet die Agentur APA „über 8.200“ Festgenommene.

Das Geheimnis und den Zweck der Übung offenbarte die Frankfurter Allgemeine
Zeitung am 19.03.2003: „Der Bruch mit dem alten Regime vollzog sich nicht so radikal, wie man es nach den Bildern des Belgrader Barrikadensturmes glauben mochte.“ Damals fehlte die „Nacht der langen Messer“, eine Batholomäusnacht, die Abrechnung mit den Linken und allen Patrioten, und die soll nun nachgeholt werden. Allerdings, und besonders nachdem die Polizei bei ihren Notstandsübungen zwei Verdächtige erschossen hat, werden auch der FAZ die Gefahren des Unternehmens bewusst: Am 03.04.2003 lässt sie ihre Fragen so formulieren: „Manche serbische Berichterstatter fragen, ob es noch viele Tote bei künftigen Festnahmeversuchen geben wird. Ein Journalist schließt nicht aus, daß Lukovic ,auf der Flucht erschossen` werde. Dann könnte er auch in zu erwartenden Prozessen nichts über die Verbindungen aussagen, die die serbische Unterwelt im Regime Milosevics und später zu der neuen Regierung unterhielt.“ Doch die Verschleierung der eigenen Mafia-Verstrickung dürfte für Serbiens „Demokraten“ nicht die oberste Priorität sein.

Ausländische Hilfe erbeten – beim Gefängnisbau

Entscheidend ist, die Forderung der „Internationalen Gemeinschaft“ und
ausländischen „Geber“ zu erfüllen. Am 03.04.2003 landete einer der führenden
Mörder des irakischen Volkes, Colin Powell, mit noch frischem Blut an den
Händen zum Kondolieren bei Frau Djindjic in Belgrad. Beim ersten Besuch
eines US-Außenministers seit 1991 setzte der sich, wie die Frankfurter
Allgemeine Zeitung berichtete, „für eine Fortsetzung des innenpolitischen
Reformkurses und eine bessere Zusammenarbeit mit dem
UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ein“. Genau diese Punkte wurden zur
gleichen Zeit auch andernorts beschworen, in Strasbourg, wo Serbien und
Montenegro feierlich in den Europarat aufgenommen wurden. Die Mitgliedschaft
ist bekanntlich an die „Achtung der Menschenrechte“ gebunden, und so gewinnt
es eine reizende Symbolkraft, die Aufnahme gerade in einer Zeit zu
vollziehen, da das Land die Grundrechte außer Kraft gesetzt hat.

Zur Bekräftigung dieses Reformkurs genannten vollständigen Ausverkaufs aller
profitablen Teile der Volkswirtschaft an ausländische Konzerne fand am 1.
April in Belgrad ein „Nationaler Gipfel für Wettbewerbsfähigkeit“ statt.
Kein Aprilscherz, aber ein Gipfel an Unverfrorenheit. Die Agenturen
verbreiteten hiervon Bilder des neuen Premiers Zoran Zivkovic, wie er mit
dem US-Botschafter in Belgrad (und CIA-Residenten für den ganzen Balkan)
William Montgomery um die Wette grinst. Noch aussagekräftiger ist das
FoNet-Bild vom gleichen Tag, das einen energischen Mann zeigt, und die
Unterschrift trägt: „US-Stahl-Repräsentant John Goodis bei der
Pressekonferenz zur Übernahme der Smederevo-Eisenwerke“. Damit auch dem
Letzten klar wird, wie der Gipfel der Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen ist.
Die Metallindustrie von Smederevo war ein Flaggschiff der jugoslawischen
Industrie, international wettbewerbsfähig, entsprechend begehrt und – im
mehrheitlichen Eigentum der Beschäftigten. Dieses „undemokratische Relikt
der Milosevic-Ära“ wurde nun, bei suspendierten Gewerkschaftsrechten, neuen
demokratischen Eigentümern übertragen. Proteste von Belegschaft und
Gewerkschaften dagegen fielen aus – praktischerweise ist die Aufhebung von
Gewerkschafts- und Streikrechten ein zentraler Punkt des Belgrader
Notstandes.

Und wonach verlangt Kapital, das vom Vorbestraften Grafen Lambsdorff einst
so unnachahmlich als „scheues Reh“ tituliert wurde, am meisten? Genau,
Sicherheit, ein investitionsfreundliches Klima. Und das verlangt, dass mit
der ganzen „patriotischen“ Rhetorik, der antiwestlichen Stimmung, der
Bockigkeit gegenüber dem Haager „Tribunal“ ein für alle Mal Schluss gemacht
wird. Dazu bot sich der 24. März an, Jahrestag des NATO-Überfalls auf
Jugoslawien 1999, und seitdem alljährlich Tag des öffentlichen Protests,
einer Demonstration und Kundgebung auf dem Belgrader Platz der Republik.
Nicht so im Jahr 2003, diesmal waren im Zeichen des „Ausnahmezustands“ alle
öffentlichen Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen verboten. Bis auf
eine, und die hatte es in sich: Am 21. und 22. März 2003 tagte im Belgrader
Parlament – die Parlamentarische Versammlung der NATO! Und könnte einem zu
diesem Anlass eine würdigere Festrednerin einfallen als – Carla del Ponte?
Nein? Auch der NATO fiel keine ein. Ist eine Steigerung dieses Zynismus
vorstellbar? Zum Jahrestag der NATO-Aggression hat nur der Aggressor das
Recht der öffentlichen freien Rede!

Solchen Vorgaben entsprechend dürfen die Verantwortlichen des
Djindjic-Attentats auch keineswegs nur in dessen eigenem Mafia-Milieu
gesucht werden, deshalb muss der Anlass genutzt werden, die gesamte
politische Opposition zu kriminalisieren. So berichtet der Wiener Standard
am 08.04.03 über vage Andeutungen des neuen Regierungschefs:
„Ministerpräsident Zivkovic deutete an, daß ,eine gewisse Zahl noch aktiver
sowie ehemaliger Politiker` in die Ermordung seines Vorgängers verstrickt
sei. Es gebe Hinweise, daß einzelne Mitglieder aus einigen Parteien, die
sich zu den ,patriotischen Kräften` im Lande zählten, in den Mord verwickelt
seien.“ In der regierungsamtlichen Siegesfanfare wird zur Ablenkung vom
eigenen Chef nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ erklärt (lt. Standard online
vom 07.04.03): „Die serbische Regierung hat mit der groß angelegten Aktion
„Sablja“ (Säbel) gegen das organisierte Verbrechen dem von Milosevic
aufgebauten Machtapparat den Todesstoß versetzt und die Verquickung von
Politik, Geheimdienst und Kriminellen zerschlagen.“

Einen bringen solche Siegesmeldungen aber in Verlegenheit, wie derselbe
Bericht einräumt: „Nachdem bisher das Militär ausgeholfen hatte, hat sich
Serbiens Justizminister Vladan Batic jetzt ans Ausland gewandt mit der Bitte
um Hilfe bei der Errichtung neuer Haftanstalten.“ Da kann sich der
Kabarettist nur noch nach einem anderen Beruf umsehen – oder kann sich
jemand das Echo vorstellen, zu Milosevics Zeiten hätte Serbien um Hilfe beim
Bau neuer Knäste gebettelt?

Politische Verfolgungswelle und Räuberpistolen

Das mit diktatorischen Vollmachten agierende Notstandsregime nutzt die zeit
nach dem Attentat als willkommene Gelegenheit zur politischen Revanche und
Abrechnung. Die Hauptstoßrichtigung geht natürlich gegen die Linke und alle
Patrioten (zur Erklärung für deutsche Leser: das ist die
Anti-NATO-Opposition); damit begnügt sie sich aber längst nicht, sondern
greift weit in die Reihen ehemaliger Mitverschworener. Spätestens jetzt wird
der Eindruck unabweisbar, dass hier eine unsichtbare, aber gut geübte Hand
Regie führt. Sie dürfte William Montgomery und seinem CIA gehören, der sich
einiger, inzwischen überflüssig gewordener Marionetten entledigt.

Als prominentes Beispiel mag der vormalige Generalstabschef der
jugoslawischen Armee Nebojsa Pavkovic dienen, der am 01.04.03 verhaftet
wurde. Die Entlassung des ursprünglich mit Kostunica Verbündeten wurde
solange von Djindjic gefordert, bis Pavkovic auf die Seite von Djindjic
wechselte, und dann tatsächlich von Kostunica entlassen wurde. Aber als
Militärchef im Kosovo bei der Abwehr der NATO-Aggression 1999 hat der Mann
in den Augen des US-Kommandeurs freilich für alle Zeiten ausgedient.

Ein bemerkenswertes Beispiel liefert die österreichische Agentur APA am
02.04.03: „Der Belgrader Sender ,B-92` meldete unter Berufung auf gut
unterrichtete Kreise, dass der Bruder des Führers der Partei ,Neues Serbien`
, Velimir Ilic, verhaftet worden sei. Der Bürgermeister von Cacak hatte eine
wichtige Rolle bei den Massenprotesten in Belgrad im Oktober 2000 gespielt,
die zum Sturz des damaligen Präsident Slobodan Milosevic geführt hatten.
Ilic und seine Partei waren am letzten Freitag aus der Regierungskoalition,
die jetzt den Namen ,DOS-Reformen Serbiens` (DOS: Demokratische Opposition
Serbiens) trägt, ausgeschlossen worden.“ Zufälle gibt`s. Aber die schönste
Offenbarung war: „Laut dem Belgrader Sender soll Milorad Lukovic ,Legija`,
Anführer der Mafia-Gruppe von Zemun, dem die Ermordung von Serbiens
Regierungschef Zoran Djindjic angelastet wird, in Cacak viele Helfershelfer
haben.“

Diese letzte Information kann nur die ganz Dummen beeindrucken. Denn wer die
zentrale Rolle „Legias“ beim Staatsstreich vom 05.10.2000 kennt, weiß auch
über seine vielen Helfer aus Cacak. Für sie und besagten Velimir Ilic wurden
seinerzeit wahre Heldenepen gedichtet. Die tageszeitung vom 16.10.2000
druckte unter der Überschrift „Helden wie dieser“ aus der Schweizer
Weltwoche nach: „Er führte den Kampf um Belgrads Parlament (.) Was sich in
Belgrad abspielte, war kein spontaner Volksaufstand. Die Erstürmung des
Parlaments, die schließlich in einen Machtwechsel mündete, war nicht der
Euphorie des Moments geschuldet. ,Es gab einen Plan`, sagt Ilic, ,und den
kannten in allen Details nur fünf Leute: zwei Polizisten aus Cacak, zwei
Polizisten einer Eliteeinheit in Belgrad und ich.` (.) ,Seit vier Monaten
haben wir vertrauenswürdige Leute in der Polizei und bei der Armee
kontaktiert.`“ Die Zeit dieser „Helden“ scheint vorbei.

Ilic hatte schon im vergangenen Herbst Kostunica bei dessen vergeblichen
Anläufen um das serbische Präsidentenamt unterstützt. So war es nur eine
Frage der Zeit, wann die „Verantwortung Kostunicas“ für das
Djindjic-Attentat thematisiert wird. Am Abend des 08.04.03 war es nach
APA-Meldungen soweit – „zwei Vertraute“ von Kostunica wurden verhaftet,
wegen angeblicher „Erkenntnisse über Treffen und Abmachungen zwischen den
Drahtziehern des Mordes, Milorad Lukovic und Dusan Spasojevic“, welche, zur
Erinnerung, präventiv erschossen wurden. So lautet also das von den
Agenturen kolportierte Verdikt über den einstigen Hoffnungsträger, aber
objektiven Wegbereiter von Djindjics Marionettenregime: „Spitzenpolitiker
der serbischen Regierungskoalition haben in den vergangenen Tagen Kostunica
wiederholt vorgeworfen, die politische Verantwortung für den Tod von
Djindjic zu tragen.“

Am 08.04.03 berichtet die österreichische Agentur APA über neue
„Polizeierkenntnisse“, nach denen „hinter der Ermordung von Djindjic stehen“
sollen: „Gegner der Zusammenarbeit mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal,
darunter auch einzelne Militär- und Polizeiangehörige, der Zemun-Clan,
politische Parteien, ,die mit der Machtverteilung unzufrieden waren`, aber
auch einzelne Geschäftsleute, die nach der Wende im Oktober 2000 ihre
privilegierte Stellung verloren hatten.“ Weiterhin wird von einem
„Verschwörernetz“ berichtet, das „während des serbischen
Präsidenten-Wahlkampfes im Herbst 2002 dem serbischen Ultranationalist
Vojislav Seselj logistische Hilfe“ geleistet haben soll. Und da Slobodan
Milosevic dessen Kandidatur für die Volkseinheit gegen die NATO politisch
unterstützte, kommen wir zu einem ausgesprochen „kurzen Schluss“ über die
Attentats-Verantwortung.

Slobodan Milosevic in Visier

Am 27.03.03 meldete APA die Verhaftung von Milica Gajic-Milosevic, der Frau
von Milosevics Sohn Marko, in ihrer Heimatstadt Pozarevac. Am 07.04.03 wird
gemeldet, „Mirjana Markovic, einst die mächtige Einflüsterin ihres Mannes
Slobodan Milosevic, wird per Haftbefehl gesucht.“ Wer nach einer Begründung
fragt, wird so beschieden: „Markovic wird mit dem Mord an dem ehemaligen
serbischen Präsidenten Ivan Stambolic im August 2000 in Zusammenhang
gebracht. Die Leiche des früheren Förderers und späteren Rivalen von
Milosevic war erst im vergangenen Monat in einem Erholungsgebiet in der Nähe
von Novi Sad entdeckt worden.“

Das St. Gallener Tagblatt vom 01.04.03 berichtet, „der stellvertretende
serbische Regierungschef Zarko Korac“ – ein landesweit bekannter
Psychopath – „hatte das Ehepaar Milosevic beschudigt, hinter dem Mord an
Stambolic zu stecken. (.) Es sehe so aus, als käme der Mordauftrag aus der
Familie Milosevic, sagte Korac dem Fernsehsender BK. Zugleich deutete er
eine indirekte Verwicklung des Clans auch in die Ermordung des serbischen
Ministerpräsidenten Zoran Djindjic vor knapp drei Wochen an. Der Mord sei
„mit Sicherheit das Werk patriotischer Kräfte … Mira Markovic ist ein Teil
dieser Kräfte.“ Hier wird die Stoßrichtung vollends klar: In aller Offenheit
sollen Patrioten kriminalisiert werden, um die Ausverkäufer und Verräter des
Landes als tugendhafte Vorbilder auszugeben.

Immerhin konnte sich Mira Markovic in einem Brief, der am 31.03.03 in der
montenegrinischen Zeitung Publika abgedruckt war, gegen die Vorwürfe wehren:
„Das sind falsche, abscheuliche Beschuldigungen. Da sie mich politisch nicht
zum Schweigen bringen können, versucht die serbische Regierung, mich als
Kriminelle zu bezeichnen, um mich so von der politischen Bühne zu entfernen.

Zum Motiv der Stambolic-Ermordung heißt es im Guardian vom 29.03.03: „Es
wird vermutet, dass Milosevic den Befehl gab, Stambolic aus dem Weg zu
räumen, da er Angst hatte, dieser könne bei den Präsidentschaftswahlen im
Oktober des Jahres gegen ihn kandidieren.“

Abgesehen davon, dass die Wahlen im September stattfanden, können nur
ausgesprochen schlichte Gemüter diesem „Motiv“ auf den Leim gehen: Stambolic
wäre, hätte er kandidiert, ein Anti-Milosevic-Kandidat gewesen, er hätte
Milosevic keine Stimme abgenommen, sondern die Stimmen im Lager der
Milosevic-Gegner zersplittert. Eine Gefahr wäre diese Kandidatur für den von
Djindjic und den NATO-Spitzen im Berliner Interconti gekürten Kandidaten
Kostunica gewesen. Wer hatte also ein Interesse, eine Stambolic-Kandidatur
zu verhindern? Die gleichen, könnte man weiter folgern, die mit zwei
Attentaten den Oppositionellen und potentiellen Kandidaten Draskovic
auszuschalten versuchten.

Hier soll wieder das altbekannte Muster herhalten, Milosevic für die
Ermordung von Freunden wie (nützlichen) Gegnern gleichermaßen verantwortlich
zu machen. Eines der markantesten Beispiele hierfür war die Ermordung von
Zeljko „Arkan“ Raznatovic im Januar 2000, die auch Milosevic in die Schuhe
geschoben wurde.

Doch manchmal geschehen noch Zeichen und Wunder, und echte Mörder müssen
tatsächlich vor Gericht erscheinen. So berichtet die Aargauer Zeitung am
09.01.03 von einem Prozess, bei dem allerdings die „Öffentlichkeit oft
ausgeschlossen“ ist – und, noch befremdlicher, der Titel des Berichts
lautet: „Zeuge „K 2″ fürchtet um sein Leben“. Aufklärung des Rätsels: Es ist
kein normales Gericht, sondern das Haager „Tribunal“, dort ist manches etwas
anders, und der ängstliche Zeuge ist – der Mörder. Der allerdings gegen
Milosevic aussagt. Was auch sonst. Wir lesen: „Auf eine Frage von Milosevic
bestätigte der Zeuge, dass er in den Mordanschlag auf den serbischen
Milizenführer Arkan verwickelt war.“ Der Held war auch mal, ein Jahr lang,
bei den „Roten Baretten“ tätig, und wegen seiner Mordbeteiligung „fürchte er
weiterhin um sein Leben“. Tja, das lässt unser sauberes „Tribunal“ natürlich
nicht ungerührt, und am 03.04.03 kann die Belgrader Nachrichtenagentur Beta
melden, das „Tribunal“ habe „das Belgrader Bezirksgericht darüber
informiert, dass der Zeuge „K 2“, der in die Ermordung von Zeljko Raznatovic
verwickelt war, lebenslangen Schutz erhält“.

Angriff auf die Milosevic-Verteidiger

Fast triumphierend titelt der Kölner Stadtanzeiger vom 01.04.03 „Familie
Milosevic rückt ins Visier“. Mit den Anschuldigungen gegen die Familie
Milosevic wurde zugleich der Startschuss für eine breite Verfolgung der
Linken gegeben. „Drei enge Mitarbeiter der Vorsitzenden der
neokommunistischen JUL-Partei (Jugoslawische Linke) befinden sich seit
Samstag in Untersuchungshaft“, berichtete die österreichische APA am
30.03.03, darunter „der ehemalige jugoslawische Informationsminister Goran
Matic“. Weiterhin wurden Uros Suvakovic, Vorstandsmitglied von SLOBODA, dem
Jugoslawischen Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic und
Chefherausgeber der theoretischen Zeitschrift der Sozialistischen Partei
Serbiens sowie Bogoljub Bjelica, Präsident von SLOBODA und Vorsitzender des
Organisationspolitischen Komitees des Präsidenten der Sozialistischen Partei
Serbiens verhaftet. Vorübergehend in Haft war auch Vladimir Krsljanin,
Sprecher von SLOBODA und Internationaler Referent von Slobodan Milosevic.

Slobodan Milosevic verlangte am 01.04.03 in Den Haag: „Zunächst wiederhole
ich meinen Antrag, mir die Befragung der Zeugen zu ermöglichen, und zwar im
öffentlichen Verfahren, da dies mit der Medienkampagne zusammenhängt, die
weiterhin öffentlich erfolgt. Wie man gegen meine Frau und meine Kinder
Vergeltung geübt hat, gehört für mich zu den Erinnerungen an die
schwärzesten Tage des letzten Jahrhunderts! Ich fordere eine Untersuchung
der Mitwirkung dieser illegalen Anklagevertretung an der Fabrikation der
Unwahrheiten, die in Umlauf gesetzt werden.“

„Richter“ May unterbrach ihn natürlich an dieser Stelle, da er nicht sehen
könne, dass die „Ereignisse in Belgrad irgendeinen unmittelbaren Einfluss
auf dieses Verfahren hätte(n)“. Slobodan Milosevic erwiderte: „der
unmittelbare Einfluss liegt in der Absicht, meine Frau daran zu hindern, mir
Hilfe und Unterstützung zu leisten. Darüber hinaus möchte ich Sie
informieren, dass sie mehrere Mitglieder des Nationalen Komitees für meine
Verteidigung „SLOBODA“ verhaftet haben, obwohl es dafür keinen Grund gibt.
Demzufolge haben wir es hier mit einem orchestrierten Versuch zu tun, auf
mich und meine Familie Druck auszuüben, da diese falsche Anklage hier jeden
Tag ein Fiasko erlebt. Ich betrachte es als Ihre Pflicht, das Ausmaß ihrer
Mitwirkung festzustellen.“

Wie „wenig“ die Entwicklung in Serbien mit dem Verfahren zu tun hat, konnte
„Richter“ May dann vom Del Ponte-Stellvertreter Nice erfahren. Nach einem
Bericht des Belgrader Runfunksenders B 92 sagte der, es sei völlig
„unmöglich bis zur gesetzten Frist am 16. Mai alle Zeugen der Anklage zu
präsentieren, die Zeugenliste bleibe in der gegenwärtigen Form nicht
bestehen, da die politischen Umstände in Serbien Einfluss auf die
Aussagebereitschaft bestimmter Leute haben.“

Das SLOBODA-Komitee stellte bei einer Presseerklärung fest: „Das Fiasko des
so genannten Haager Prozesses hat Panik ausgelöst, beim „Tribunal“ selbst
wie auch beim hiesigen Regime, das als sein Belgrader Büro fungiert, sowie
bei ihren gemeinsamen Herren. Abgesehen von dem verzweifelten Versuch, das
Leben und die Gesundheit von Präsident Milosevic zu gefährden, fanden die
Kräfte der Aggression gegen unsere Freiheit und unser Volk kein einziges
Mittel gegen seinen großartigen Kampf für die Wahrheit, der die Kräfte des
Friedens und der Freiheit inspiriert und mobilisiert, zu Hause und im
Ausland.

Der Versuch, den rechtswidrig von einem illegitimen Regime ausgerufenen
Ausnahmezustand in Serbien für einen Angriff auf Präsident Milosevic, seine
Familie und seine Mitarbeiter auszunutzen, spricht allein schon für ihre
Dummheit und Schwäche. Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, es ist
zynisch und es ist vom Standpunkt der Moral und Logik nicht hinnehmbar, dass
Präsident Milosevic und Mitglieder seiner Familie mit bestimmten Personen
und Gruppen in Verbindung gebracht werden, die früher vom Regime zu „Helden
der Revolution des 5. Oktober“ erklärt wurden und die an seinem Sturz und an
seiner Verhaftung mitgewirkt haben.“

Das Präsidium des Europäischen Friedensforums protestierte am 21.03.03
„dagegen, dass die serbische Regierung die Ermittlungen gegen mögliche
Attentäter von Ministerpräsident Zoran Djindjic zum Vorwand nimmt, Bürger-
und Grundrechte außer Kraft zu setzen.“ Gefordert wird u.a. „der Stopp der
willkürlichen und politisch motivierten Verhaftungen und die sofortige
Beendigung der Kriminalisierung politischer Opposition.“ Der Deutsche
Freidenker-Verband forderte in einem Schreiben an die Berliner Botschaft von
Serbien und Montenegro „die sofortige Freilassung von Bogoljub Bjelica und
allen politischen Gefangenen.“

Politische Morde regen immer dazu an, verschiedene Hypothesen und
Spekulationen in die Welt zu setzen, der Fall Djindijic macht hier keine
Ausnahme. Manche vermuten, hier habe die Rache des Volkes gewirkt, Rache für
nationale Erniedrigung und soziale Verelendung, für die der Name Djindjic
synonym stand. Andere spekulieren, dass die USA, gerade vor dem Hintergrund
des Zwistes um den Irak-Krieg, die deutsch-europäischen Parteigänger auf dem
Balkan schwächen wollten. Wieder andere behaupten, dass Djindjic mit seinem
Insistieren auf Einlösung versprochener Finanzhilfen und einer Lösung des
„Kosovo-Problems“ im Rahmen der UN-Beschlüsse zunehmend lästiger wurde.

Deutungsversuchen dieser Art ist gemeinsam, dass sie ein gewisses Maß an
Plausibilität haben müssen. Trotzdem ist es sicherer und auch völlig
ausreichend, sich an die Fakten zu halten. Vormals gefeierte „Helden der
Revolution“ verloren ihre Nützlichkeit oder hatten ihre Schuldigkeit getan,
und ehemals hilfreichen Unterweltgestalten ewig Rente zahlen, ist einfach
unökonomisch. Alle Kolonialherren bevorzugen Kollaborateure, die willig und
aus Überzeugung ihre Arbeit machen, einschließlich der Verschleuderung der
letzen Reichtümer des Landes, ohne lange zu feilschen. Dieses ökonomische
Programm endlich durchzuziehen, jeden sozialen Protest dagegen zu
unterdrücken sowie eine linke und patriotische Opposition im Land zu
kriminalisieren und langfristig zu schwächen – das ist der Sinn und Zweck
des „Ausnahmezustands“.

Die generalstabsmäßige Durchführung dieses Notstands- oder
Kriegsrechtsmanövers weist auf eine langfristige Vorbereitung und Planung
sowie darauf hin, dass die Regie in geübten Händen ausländischer Agenturen
liegt. Das Haager Tribunal macht immer weniger einen Hehl daraus, dass es
Teil dieses „gemeinschaftlichen verbrecherischen Unternehmens“ gegen die
jugoslawischen Völker ist. Die „Tribunals-Anklage“ und die Belgrader
Notstandsbehörden arbeiten eng zusammen, um die Verteidigung von Slobodan
Milosevic mit allen Mitteln zu erschweren. Sein Verteidigungs- und
Untersuchungsteam in Belgrad wird bedroht, verhaftet, Computer werden
konfisziert, und der Haftbefehl gegen Mirjana Markovic dient in erster Linie
dazu, ihr Besuche im ehemaligen Scheveninger Nazigefängnis unmöglich zu
machen. Diese Stoßrichtung des NATO-Notstandsregimes ist eine weitere
Mahnung, die Solidarität mit Slobodan Milosevic zu verstärken.

Alle Kriegsgegner und Linken sind zur Wachsamkeit aufgerufen, damit nicht im
Schatten der alle Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Aggression gegen den
Irak an dem vorausgegangenen Kriegsschauplatz eine massive und andauernde
Unterdrückung der antiimperialistischen Kräfte stattfindet, um ein
unangreifbares proimperialistisches „Nachkriegsregime“ zu installieren. Die
Auflösung des Haager „Tribunals“ als zu diesem Zweck geschaffenen Instrument
bleibt weiterhin auf der Tagesordnung.

* Klaus Hartmann ist Vizepräsident des Internationalen Komitees zur
Verteidigung von Slobodan Milosevic (ICDSM)

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