von einem Teilnehmer an einer Solidaritätsdelegation
Teil 1
Wir haben die vergangenen Tage das permanente Vorantreiben der Siedlungspläne der Israelis in und um Jerusalem gesehen und gehört. Wir sahen wie weit die Planung eines Großjerusalems bereits vorangeschritten ist. Wir trafen Salim, dessen Haus von den israelischen Soldaten viermal mit Bulldozern dem Erdboden gleich gemacht wurde, bis seine Familie völlig zerstört war. Sie wollen vollendete Tatsachen schaffen, damit die jüdische Mehrheit in Jerusalem erhalten bleibt. Sogar eine U-bahn zu den verschiedenen Siedlungen ist im Bau. Die Palästinenser werden daher permanent aufgrund von „Sicherheitsinteressen“ vertrieben. Das alles lässt sich nicht in einem Kurzbericht beschreiben, daher sei auf das israelische Komitee gegen die Zerstörung der Häuser verwiesen, das diese ganzen Machenschaften sehr eindrucksvoll und genau beschrieben hat.
Nach einem Abschiedsabend mit Musikprogramm in Beit Sahour ging es dann weiter nach Ramallah, wo wir mit verschiedenen Organisationen zusammen trafen. Natürlich besichtigten wir auch Arafats zerstörte Residenz sowie viele andere zerstörte Häuser. Wir waren auch in einem Kulturzentrum, in dem sich das größte Archiv für palästinensische Musik und die einzige palästinensische Tanzschule befindet. Auch dieses Kulturzentrum wurde von den Israelis letztes Jahr komplett verwüstet. Inzwischen ist es neu renoviert. Abends sahen wir als Einstimmung für die nächsten Tage im dortigen Kino den Film „Jenin, Jenin“, der aufgrund des israelischen Vetos auf Arte nicht laufen durfte.
Am nächsten Tag ging es weiter nach Nablus. Schon auf dem Weg zum Checkpoint wurde einer unserer Betreuer bei einer israelischen Kontrolle festgenommen, weil er erst vor kurzem im Gefängnis war. Wir wissen noch nicht, was mit ihm ist. Wir mussten ohne ihn weiter und liefen dann zu Fuss durch den Checkpoint. Auf der anderen Seite handelten wir ein Taxi aus, das uns zum Checkpoint nach Nablus brachte. Einige von uns mussten ihr Gepäck auspacken, aber es war eher eine ungenaue Durchsuchung. Sie warnten uns, wie gefährlich Nablus sei, ließen uns jedoch passieren. In Nablus wurden wir vom Health Work Committee in Empfang genommen und durch die Altstadt geführt.
Überall sind Märtyrer-Plakate und zerstörte Häuser zu sehen. Jede Nacht kommen die israelischen Soldaten und durchsuchen die Häuser nach jungen AktivistInnen, die sie aber meist nicht finden. Es kommt aber auch immer wieder zu Schießereien mit den Tansim-Kämpfern. Am Tag zuvor hatte eine große Demonstration zum Tag der Gefangenen stattgefunden, die heute im lokalen Fernsehen gezeigt wurde. Wir besichtigten zerstörte Häuser, besuchten Märtyrerfamilien und hörten ihre schrecklichen Geschichten. In einem Haus wurden 16 Personen, z.t. kleine Kinder, als menschliche Schutzschilder 13 Stunden lang in einem kleinen Raum festgehalten. Insgesamt starben letztes Jahr 98 PalästinenserInnen durch die israelischen Angriffe während der 40-tägigen Ausgangssperre. Wir besuchten die Familie einer palästinensichen Friedensaktivistin, die im Oktober letzten Jahres in ihrem Haus von den Soldaten ohne Anlass erschossen wurde. Es gibt auch eine Internet-Seite dazu: http:// www.remembershaden.org
Wir trafen auch den ehemaligen Bürgermeister von Nablus, der allen israelischen Einschüchterungen und Drohungen widerstanden hatte, bis er 1976 bei einem Bombenanschlag durch Siedlerextremisten beide Beine verlor und seitdem im Rollstuhl sitzt. Hier ist die Besatzung, die permanente Kriegssituation, in der die PalästinenserInnen nunmehr seit über 36 Jahren leben müssen hautnah überall spürbar. Für uns Deutsche ist es eine sehr ungewohnte Situation. Aber es macht auch Mut, zu sehen, dass die Menschen sich hier in keinster Weise unterkriegen lassen und Widerstand leisten.
Achim, 18. 4. 2003
Teil 2
Nach einigen beschwerlichen Checkpoint-Übergängen bin ich gestern Nacht wieder in Jerusalem angekommen. Die Nacht in Nablus war recht aufregend. Wir konnten uns gut vorstellen, wie sich die PalästinenserInnen jede Nacht fühlen, wenn sie nicht wissen, ob die Soldaten in ihr Haus einbrechen, es mit F 16 – Flugzeugen beschießen oder plötzlich Merkava-Panzer dort auftauchen. Mit Leuchtraketen leuchteten sie immer wieder die ganze Region aus. Wie wir später erfuhren, hatten sie im Balata Flüchtlingscamp einen Palästinenser erschossen. Als wir das Haus wo wir übernachteten verlassen wollten, füllte sich die Luft mit großem Lärm. Zwei Merkava-Panzer bogen um die Ecke und fuhren an uns vorbei. Kurze Zeit später fuhren sie wieder zurück und blieben 100 Meter weiter an einer Ecke stehen. Wie uns unser Begleiter vom Health Work Committee erzählte, waren 10 Merkava und 20 Jeeps in der Altstadt. Am Checkpoint wurden wir abgewiesen und unser Fahrer verwarnt, weil er uns in der Ambulanz mitgenommen hatte. Für ihn ist das nichts Außergewöhnliches. Er wurde auch bereits dreimal beschossen, als er Verletzte transportierte oder bergen wollte.
Wir fuhren auf die andere Seite von Nablus und mussten dann zu Fuß weiter laufen, als plötzlich mitten auf dem Weg ein Merkava auftauchte und wir über Lautsprecher aufgefordert wurden, nicht weiter zu gehen. Nach dem ein Mitglied unserer Gruppe jüdischer Abstammung ist und Hebräisch spricht, war es ihm möglich, mit den Soldaten im Panzer zu sprechen. Wir durften mit unserem Gepäck passieren, unser palästinensischer Begleiter, ein Arzt, der in Tubas in der Klinik arbeitet, musste jedoch wieder zurück gehen. Genauso erging es drei Lehrern, die in Nablus unterrichteten und die wir trafen, nachdem wir am Merkava vorbei gelaufen waren. Wir mussten noch eine ganze Weile den immer wieder aufgerissenen Weg entlang laufen, bis wir von einem Pick-up nach Tubas mitgenommen wurden. Dort trafen wir wieder Leute vom Health Work Committee, die bereits von unserem Kommen unterrichtet waren, obwohl wir ursprünglich gar nicht vorhatten, über Tubas zu fahren. Mit dem Bus ging es dann weiter nach Jenin, von wo aus wir zum Flüchtlingslager gebracht wurden, in dem letztes Jahr das schreckliche Massaker stattgefunden hatte. Inzwischen sind die Schutthalden und die Ruinen bei Seite geräumt worden, aber man kann sich vorstellen, wie die Israelis gewütet haben, wenn man weiß, dass einst enge Gassen waren, wo jetzt breite Strassen und weite freie Flächen sind. 500 Häuser wurden mit Bulldozern, Panzern, F 16 und Apache-Hubschraubern zerstört. Das Camp, in dem etwa 12 000 Menschen lebten wurde von 13 500 Soldaten überfallen, die in Schichten die Menschen dort massakrierten. Mindestens 54 Tote und Hunderte von Verletzten sowie etliche Gefangene, die nach wie vor in Haft sind, waren das Ergebnis. Nahezu jede Familie ist von den Folgen des Massakers betroffen. Unser Begleiter erzählte uns, dass es hier an allem fehlt, v.a. an medizinischer Hilfe und Hilfe für die Familen. Viele sind vorübergehend in umliegenden Dörfern untergekommen, aber sie wollen auf alle Fälle wieder zurück und die Häuser wieder aufbauen.
Auf der anderen Seite zeigt die Tatsache, dass sich die Israelis nur mit Merkava Panzern in das Camp wagen können, wie feige sie sind und wie stark der Widerstand nach wie vor ist. Sie kommen jeden Tag mit ihren Panzern und terrorisieren die Menschen, aber sie können die Moral der Palästinenser nicht brechen, sondern erreichen genau das Gegenteil. Dabei hörten wir im Laufe unserer Reise und auch hier im Camp, dass ein Leben in Frieden und Freiheit das Einzige ist, was sich die PalästinenserInnen wünschen. Aber darauf warten sie seit über 50 Jahren vergebens und dafür kämpfen sie weiter.
Die Menschen im Camp sind sehr enttäuscht von internationalen Delegationen, die oft eine Menge versprechen und dann nichts mehr von sich hören lassen. Immer wieder bekamen wir eindringlich geschildert, wie notwendig die Unterstützung ist. Als kleines Reisegrüppchen konnten wir keine Versprechungen machen, sondern nur beteuern, dass wir den Menschen zu Hause erzählen würden, was wir gesehen und gehört hatten.
Zurück in der Innenstadt von Jenin erzählte uns unser Begleiter, wie die Soldaten vor kurzem auf die ISM-AktivistInnen geschossen hatten, als sie mit erhobenen Händen auf der Strasse vor den Panzern standen. Der britische Aktivist Brian wurde ins Gesicht getroffen und liegt jetzt schwerst verletzt im Hospital in Haifa.
Auch der Weg aus Jenin gestaltete sich schwierig. Am Checkpoint nach Nazareth wurden wir abgewiesen mit der Begründung, dass der Checkpoint heute geschlossen sei. Wir mussten wieder umdrehen und fuhren den Weg nach Tubas zurück, aber auch hier stand plötzlich ein Panzer, als ein willkürlicher Kontrollpunkt mehr. Nach einigem Warten durften wir jedoch passieren und kamen auf Umwegen und mit großer Verspätung zu unserem Treffpunkt. Das Programm in Haifa mussten wir auf den nächsten Tag verschieben.
Wir übernachteten in Nazareth und erlebten hier wieder eine neue Welt, die sich doch sehr von Nablus oder Jenin unterschied. Schließlich befanden wir uns, auch wenn in der Innenstadt v.a die AraberInnen wohnen und ihre Geschäfte haben, wieder in „Israel“.
Am nächsten Tag trafen wir noch Ta`ayusch und Abna el balad (Kinder der Erde) von denen wir eine Menge über die Situation der arabischen Israelis in den Gebieten, aus denen die PalästinenserInnen 1948 vertrieben worden waren, erfuhren. Wir trafen eine Familie, die wie viele andere, seit damals ohne fließendes Wasser und Strom in Containern haust. Dies ist eines von vielen sog. nicht anerkannten Dörfern. Auch in den 48-er Gebieten sind Einschüchterung und Zerstörerung von Häusern auf der Tagesordnung, wie wir erfuhren.
Achim, 21. 4. 2003