Nach der Aggression: Über den irakischen Widerstand und die amerikanische Weltordnung
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Die populäre Formel „Kein Blut für Öl“ ist weit zu einfach gegriffen um die Intentionen der anglo-amerikanischen Aggression gegen den Irak zu erklären. Der „permanente, präventive und globale Krieg“ der von den USA seit dem 11. September 2001 geführt wird, muss als ihre Antwort auf die Niederlage der „Neuen Weltordnung“, die nach dem Golfkrieg 1991 ausgerufen wurde, verstanden werden. Die Pax Americana bot den ehemaligen Feinden nach ihrer Niederlage Integration an. Sie versprach eine globale Dà©tente. In der Form der Politik Clintons drang sie tief in die europäische Intelligenz ein und verwandelte die historische Linke in jene Linksliberale, aus denen die Führerschaft des Imperialismus rekrutiert wurde. Aber nur ein Jahrzehnt später wurden die inneren Widersprüche in der globalen US-Herrschaft – welche in letzter Instanz die tiefen sozialen Ungleichheiten befrieden sollte – bereits wieder so explosiv, dass sie nicht länger verdeckt werden konnten. Der „Kampf der Zivilisationen“ ersetzte das „Ende der Geschichte“. Der Ausbruch der Intifada teilte der Welt mit, dass die „Friedensverträge“ von Oslo, die paradigmatisch für Clintons globalem „grand design“ gewesen waren, gescheitert waren und dass der Widerstand wieder aufgenommen wurde. Schon vor den Angriffen auf das WTC forderten neokonservative mit der imperialistischen Oligarchie verknüpfte Kräfte in den USA eine signifikante Änderung der US-Politik. Die überlegene militärische Macht der führenden Nation sollte rücksichtslos und präventiv gegen jede mögliche Opposition, die in Zukunft ihre Dominanz über die Welt bedrohen könnte, eingesetzt werden. Aber in dem Delirium der militärischen Omnipotenz entging Washington die Tatsache, dass diese historische Wende ihre bereits geschwächte politische Hegemonie weiter schwächte. Auf lange Sicht ist die offene Herrschaft durch brutale Gewalt weniger erfolgreich als durch politische Integration. Der Krieg gegen Afghanistan war von besonderer symbolischer Bedeutung. In einem Kampf wie er ungleicher nicht hätte sein können, besiegte das stärkste Land der Welt einen der ärmsten Staaten dieser Welt, der von Milizen geführt wurde, die einem mittelalterlichen Gesellschaftsentwurf verhaftet waren. Indem der schwächste Feind ausgesucht wurde, sollte die Erniedrigung des 11. Septembers gerächt werden. Aber der Mythos der Unverwundbarkeit, welche die Vorraussetzung für Unbesiegbarkeit ist, konnte nicht erneuert werden. In jedem Fall war der Krieg gegen Afghanistan nur ein Vorspiel.
Von Anfang an war der Irak das Hauptziel von dem Regime von Bush. Während der Hauptkampf um das zukünftige Gesicht der Weltordnung im Fernen Osten ausgetragen werden könnte, so wird doch der Funke dazu im Nahen Osten gezündet werden. Letzterer erscheint von Neuem als Gordischer Knoten. Der palästinensische Widerstand gegen die zionistische Besatzung ist nur die Spitze des Eisbergs. Der politische Islam gewinnt mehr und mehr an antagonistischem Moment und bedroht historische Brückenköpfe der USA wie die Regimes von Saudi Arabien und Pakistan, die bisher ihre Legitimation aus dem Islam ziehen konnten. Früher oder später wird eine Volksrebellion gegen das imperialistische Joch die gesamte imperialistische Architektur der Region wegfegen. Der jüngste Schlag gegen den Irak wurde durchgeführt um präventiv diese Architektur zu schützen. Indem einer der letzten Erben des Panarabismus besiegt wurde, sollte nicht nur den benachbrten Ländern eine Lektion erteilt werden, sondern auch den Widerstandsbewegungen. Obwohl der Irak eine der stärksten arabischen Mächte war, wurde seine Fähigkeit sich zu verteidigen durch die Sanktionen in den 90ern drastisch eingeschränkt und die diplomatische Isolation machte aus ihm ein leichtes Ziel. Gleichzeitig ist der permanente und präventive Krieg durch extremen Unilateralismus charakterisiert. „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“ fordert die totale Unterordnung unter die amerikanische Führung. Dieser Krieg war auch eine indirekte Warnung an die europäischen Verbündeten und Russland, die gerade versuchen einen gewissen Grad an Unabhängigkeit in ihrer Politik zu erlangen.
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In militärischer Hinsicht war es keine Frage ob die USA ihr Ziel erreichen würden order nicht. Die interessante Frage war vielmehr, wie lang sie dafür brauchen würden. Die militärische Übermacht der Amerikaner ist so drückend, dass unter den heutigen Bedingungen keine einzige Nation, kein einziger Staat an der Peripherie einem massiven Angriff der US-Militärmaschine widerstehen kann, solange er nicht mit der Unterstützung anderer Mächte rechnen kann. Die US-Militärmacht auf einen Punkt konzentriert kann auch mit der höchsten Kampfmoral nicht erfolgreich entgegengetreten werden.
Daher überraschte der irakische Widerstand während der ersten zwei Wochen der Aggression die Welt. Die Schlachten um Um Quasr, Basra und Nasseriya bewiesen die hohe Kampfmoral der Verteidiger auch im schiitischen Süden. Die westliche Medienmaschine Lügen strafend kam es weder zur Massendesertion noch zum Volksaufstand.
Im Gegenteil, der schnelle amerikanische Vorstoß in der Wüste, der bewusst Konfrontationen in dicht besiedelten Regionen vermied, bereitete den Invasoren ganz offensichtlich erhebliche Probleme. Für die Versorgung der Truppe über die in die Länge gestreckte Wege hatte man scheinbar zu wenig Ressourcen eingeplant. Unterstützt von den Unbilden der Sandstürme konnten die Verteidiger erfolgreiche Hinterhalte legen.
Dennoch scheint es, dass sich die Iraker in der Verteidigung des Großraumes Bagdad zu sehr in konventionelle Kriegsführung eingelassen haben, in der sie nur verlieren konnten und tatsächlich schwere Verluste und Niederlagen hatten hinnehmen müssen.
Alle Hoffnungen richteten sich auf den Städtekampf in Bagdad. Doch zum allgemeinen Erstaunen wurde der internationale Flughafen den Angreifern fast kampflos überlassen. Nicht einmal die Start- und Landebahnen wurden zerstört. Im Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Angriffs auf Bagdad wurden keine der für den Straßenkampf notwendigen Vorbereitungen getroffen. Weder wurde von Panzergräben noch von sonstigen Fallen und Hinterhalten berichtet. Der US-Vorstoß auf die Zentren der Macht traf de facto auf keinerlei Widerstand mehr. Ganz offensichtlich hatte die militärische Führung entschieden den Endkampf nicht zu führen und aufzugeben. Derzeit ist es noch unklar, ob ein Geheimabkommen mit der Besatzungsmacht geschlossen wurde oder ob die Führung einfach desertierte und die Truppe auf sich allein gestellt ließ. Laut Le Monde soll der Kommandant der Republikanischen Garden, General Maher Sufyan, im Austausch für freies Geleit die Kapitulation befohlen haben. Was genau geschah ist jedenfalls nur von zweitrangiger Bedeutung. Tatsache bleibt, dass was die Kampfmoral der Truppen und auch in der Bevölkerung betrifft, ein viel längerer und erbitterterer Widerstand möglich gewesen wäre.
Das Problem lag also in erster Linie an der Verrottung der baathistischen Hierarchie selbst und nicht so sehr an der Erschöpfung der durch Kriege und Embargo leidgeprüften Bevölkerung. Trotz der Unzufriedenheit mit dem Regime Saddam Husseins hätte die Masse die Verteidigung des Landes gegen den imperialistischen Eindringling unterstützt, wenn das Rückgrad des Staates standhaft geblieben wäre.
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Die Tatsache, dass der baathistische Staatsapparat weder willig noch fähig war, dem Aggressor entgegenzutreten ist ein weiterer Beweis dafür, dass ein frontaler Zusammenstoß mit dem Imperialismus nicht im Interesse der nationalen Bourgeoisie, welche in der Essenz die Basis des Baathismus darstellt, unabhängig von manchen jakobinischen oder abenteuerlichen Stimmungen des modernen Kalifen an der Machtspitze, lag. Nur durch einen Volkskrieg in den städtischen Gebieten, dessen Basis die Mobilisierung der armen Klassen, des städtischen Lumpenproletariats, der Bauern und Arbeiter gewesen wäre, nur so wäre ein entschlossener Widerstand möglich gewesen. Aber der Baathismus hatte längst die politische Unterstützung dieser Klassen verloren – wenn er sie überhaupt je hatte. Anders als in anderen arabischen Ländern wurde der irakische Baathismus in der Stunde der offenen Konfrontation mit der Volksbewegung geboren. In einer antikommunistischen Funktion gewann er nicht nur die Unterstützung der nationalen Bourgeoisie sondern auch von Teilen der pro-britischen reaktionären feudalen Kräfte. Nach der Machtübernahme musste eine temporäre Allianz mit der Kommunistischen Partei eingegangen werden und einige ihrer Forderungen wie die Nationalisierung der Ölindustrie durchgeführt werden. Aber während dies ein Akt war, der den Interessen der Volksmassen entgegen kam, wurde deren politische Unabhängigkeit niedergerissen, indem die Kommunistische Partei und auch jeder andere Ausdruck der Volksbewegung verboten wurden. Mit dem Krieg gegen den Iran betrog der Baathismus das irakische Volk offen im Interesse des Imperialismus.
Obwohl es Zeichen gab, dass das Volk bereit sein würde, das Land trotz des abgelehnten baathistischen Regimes zu verteidigen, so fehlte diese Bereitschaft innerhalb der baathistischen Kader selbst. Ohne Führung jedoch können die Volksmassen keinen Krieg führen.
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Jedoch weinte im Irak niemand Saddam eine Träne nach. Noch weniger allerdings begrüßten signifikante Teile der arabischen Bevölkerung des Irak die Okkupanten als Befreier. Die imperialistische Aggression gab nationalistischen Gefühlen und Neigungen massiven Auftrieb trotz der abzusehenden Niederlage des Baathismus. Die von der US-Propaganda gesendeten Bilder zeigten niemals größere Menschenmassen. Als die Statue Saddam Hussein im Zentrum von Bagdad gestürzt wurde, mussten dies amerikanische Soldaten vollbringen. Selbst die wenigen in unmittelbarer Umgebung stehenden Irakis – angesichts der Tatsache, dass der Fardus-Platz hermetisch von US-Truppen abgeriegelt war, ist wahrscheinlich, dass diese vorselektiert worden waren – protestierten als der Union Jack Saddam über das Gesicht gezogen wurde. Einzig in Saddam City jubelten vereinzelte Lumpenproletarier den Amerikanern zu. Jedenfalls war nichts mit den osteuropäischen Konterrevolutionen von 1989/91 Vergleichbares zu beobachten. Einige Berichte sprachen sogar davon, dass US-Kommandanten die Plünderungen angestiftet hatten um die Reste des alten Regimes zu zerstören und dazu der Zerfall der öffentlichen Ordnung herbeigeführt wurde.
Nur in der kurdischen Region wurde die US-Präsenz von der Bevölkerung sichtbar willkommen geheißen. In Kirkuk kam es zu Massenansammlungen die jedoch gleichzeitig dazu dienten, den Anspruch auf die Stadt als Kapitale des irakischen Kurdistans gegenüber den turkmenischen und arabischen Einwohnern zu unterstreichen.
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Nur wenige Tage nachdem der Anschein einer öffentlichen Ordnung wieder hergestellt war, kam es zu den ersten Massenprotesten unter der Führung des schiitischen Klerus. Die erhobenen Forderungen waren mehr als klar: „Nein zu Saddam, nein zu den USA! Ja zur Freiheit, ja zu einer islamischen Republik!“ Der schiitische politische Islam erhebt damit den Führungsanspruch auf den wachsenden Volkswiderstand gegen die Okkupation – eine Rolle die ihm unzweifelhaft auch zukommen wird.
Bemerkenswert ist der Unterschied zum Südlibanon nach der zionistischen Okkupation 1982. Damals hieß die schiitische Bevölkerung die Besatzer vorerst einmal willkommen. Erst nach Jahren israelischer Massaker und Verbrechen entwickelte sich ein breiter Volkswiderstand.
Es soll nicht vergessen werden, dass die schiitische mit dem Iran verbundene Führung unter Al Hakim sich nicht gegen den amerikanischen Angriff gestellt hatte, sondern wie Teheran selbst „Neutralität“ versprach. Diese opportunistische und reaktionäre Haltung machte sich jedoch nicht bezahlt. Abgesehen davon, dass sich ein Flügel seiner Bewegung abspaltete und zum Dschihad aufrief versucht Washington mit allen Mitteln pro-iranische Kräfte von seinem Versuch der Bildung eines Marionettenregimes fernzuhalten. Im Gegenzug boykottierte Al Hakim den ersten amerikanischen Versuch in Nasseriya die Grundlagen für eine sich auf einheimische Kräfte stützende Kolonialregierung zu bilden.
Trotz des Faktums, dass dem schiitischen Islamismus als Vertreter der Mehrheitsbevölkerung die führende Rolle im Kampf gegen die Besatzung zukommen wird, ist es klar, dass der islamische Widerstand auf einem kraftvollen arabisch-irakischen nationalistischen Substrat ruht, das nicht einmal vom Klerus ignoriert werden kann.
Der schiitische Klerus ist trotz seiner starken Hierarchisierung nicht in der gleichen Weise zentralisiert wie der Katholizismus. Verschiedene Ayatollahs machen sich die Führung streitig und es ist keine ausgemachte Sache wer und ob einer seine Vorherrschaft wird etablieren können. Die entscheidenden und mit einander verbundenen Fragen sind die Beziehung zum Iran, zur sunnitischen Bevölkerung und zur US-Militäradministration. Eine Führung, die wie Al Hakim in den Geruch kommt zu nahe an der Islamischen Republik Iran zu sein, riskiert nationale Gefühle zu verletzen, zumal das Misstrauen gegenüber dem persischen Nachbarn noch immer sehr weitverbreitet ist. Diese Distanz ist gleichzeitig auch die unabdingbare Voraussetzung für ein Bündnis mit den Sunniten, unter denen der arabische Nationalismus über eine noch stärkere Tradition verfügt. In den Massendemonstrationen waren Transparente wie “ Schiiten und Sunniten gemeinsam für einen islamischen Staat“ – eine ungelöste Herausforderung für die schiitischen Führer. Denn in Khomeinis Doktrin der „Wilayat-e Fakih“, der Herrschaft der Theologie-Gelehrten, wird dieses Problem nicht behandelt. Obwohl der schiitische Klerus in den 60iger und 70iger Jahren nachhaltig politisiert wurde und seinen Höhepunkt in der iranischen Revolution von 1978 hatte, gibt es in der Schia eine starke quietistische Tendenz, der eine eigene theologische Lehre, die „takiyya“ entspricht. Es ist offen, ob sich auf dieser Basis eine Strömung bilden wird, die bereit ist mit den Okkupanten zu kollaborieren.
Was die sunnitischen Bevölkerung betrifft, so hat auch unter dieser der politische Islam Auftrieb. Dennoch scheint unter den Mittelschichten und in der Elite, die viele Christen enthält, die säkular-nationalistische Tradition zu stark zu sein um einfach unterzugehen. Früher oder später wird sie sich eine neue Führung geben, die zwar einen islamischen Staat hinnehmen könnte, jedoch unter der Bedingung, dass ihre grundlegenden Rechte garantiert blieben.
Die große Mehrheit der arabischen Bevölkerung des Irak – unabhängig davon ab schiitisch, sunnitischen oder christlich – wird ein angloamerikanisches Protektorat unter einem Militärgouverneur nicht hinnehmen. Wenn sich die Fremdherrschaft zu verewigen droht wird der politische Widerstand unweigerlich auch bewaffnete Formen annehmen, zu deren Erhaltung die derzeitige Militärpräsenz nicht ausreichen wird.
Washington sieht sich mit einem ersten Problem bei der Einsetzung eines von ihm abhängigen Regime konfrontiert. Im Unterschied zu Afghanistan verfügen sie über keine bedeutenden lokalen Verbündeten. Ahmed Chalabis INC wird als von den USA importierte ausländische Kraft ohne Wurzeln angesehen. Der kurdische Führung wiederum, die bereit wäre die Rolle der Nordallianz zu spielen, kann diese Aufgabe aufgrund der Ablehnung durch die wichtigsten US-Verbündeten wie der Türkei nicht zugeteilt werden. Andererseits trachten die neuen Machthaber danach, pro-iranische und radikal-islamische Kräfte, die ihren globalen Machtanspruch ablehnen, von einer Verwaltung fernzuhalten.
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Zu den politischen Schwierigkeiten der USA kommt noch, dass selbst die treuesten US-Verbündeten wie Saudi-Arabien, die Türkei und Ägypten einer amerikanischen Kolonialherrschaft sowie militärischen Präsenz ablehnend gegenüberstehen. Für sie stellt sie eine weitere Beschränkung ihres bereits sehr engen Handlungsspielraums dar.
Die jüngsten Drohungen gegen Damaskus zeigen anschaulich in welcher Weise die Sieger die neuen Kräfteverhältnisse zu nutzen intendieren. Alle Staaten der Region sollen sich vollkommen den amerikanisch-israelischen Interessen unterordnen. Die Saudis beispielsweise wissen sehr gut, das ein vollständig US-kontrollierter Irak ihre Rolle als amerikanische Stütze untergräbt und sie selbst unter Druck setzt, den Wahabismus zu beschneiden. Da dieser jedoch die Kraft ist, aus dem sie ihren Machtanspruch schöpfen, handelt es sich dabei um eine unerfüllbare Forderung. Das ist nur ein Beispiel für einen weiteren Kandidaten eines amerikanischen „Re-designs“ der Region.
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Nach der anglo-amerikanischen Besetzung des Iraks, welche in erster Instanz die Macht des Angreifers gestärkt hat, haben Frankreich, Deutschland und Russland, welche gegen den Krieg gewesen waren, ihrem Ton die Schärfe genommen und versuchten Wege zu finden, ihre Beziehungen mit den USA wieder zu normalisieren, die Differenzen zu glätten. Sie bestehen darauf, dass die UNO eine führende Rolle im Irak spielen sollte. Ein Kompromiss wird möglicherweise beides sichern: die amerikanische Führungsrolle und die untergeordnete Rolle der UNO, wodurch eine gewisse rückwirkende Legitimation für die Aggression erzielt werden würde. Obwohl der Konflikt zwischen den USA und ihren konkurrierenden Verbündeten nicht ungeschehen gemacht werden kann, wird er überbrückt werden durch die neuen Kräfteverhältnisse, die zu gunsten der USA sind. Unter der Oberfläche jedoch werden diese Spannungen weitergehen und ausbrechen sobald eine Möglichkeit für die Gegenspieler besteht, an Boden zu gewinnen. Aber diese sekundären imperialistischen Kräfte sehen sich einem strategischen Dilemma gegenüber. Sie sind zu schwach um die amerikanische Überlegenheit wirklich herauszufordern und sie sind abhängig von Washington, das ihnen die imperialistische Weltordnung schützt, deren Teil sie ja sind. Die Europäische Union war von Anfang an ein zweischneidiges Schwert. Während einerseits es ohne Zweifel einen Aspekt in dieser Vereinigung gibt, der dahingeht die europäischen bourgeoisen Interessen gegen jene der Vereinigte Staaten zu verteidigen, so haben doch andererseits die USA immer die EU unterstützt, um sie letztendlich unter Kontrolle zu halten. Aus diesem Grund drängen die USA so darauf, dass die Türkei aufgenommen wird.
Um den USA wirklich entgegenzutreten müsste die EU gespalten und eine neue Achse mit Russland, China und möglicherweise Indien aufgebaut werden. Aber das Gegenteil passiert. Mit der Aufnahme der neuen osteuropäischen Staaten, von denen die meisten unter strenger politischer und militärischer Kontrolle der USA via der NATO sind, wird der amerikanische Einfluss auf die EU noch weiter wachsen. Die Initiative von Frankreich, Deutschland und Belgien, einen gemeinsamen militärischen Block zu gründen ist nichts mehr als eine leere diplomatische Drohung. Um ernst genommen zu werden bedürfte es der Bereitschaft, die amerikanischen Marionetten auszuschließen und die Union aufzubrechen – ein unvorstellbares Erdbeben.
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Wie in Afghanistan so stärkt auch der Krieg gegen den Irak und die darauffolgende Besetzung einerseits die militärische Überlegenheit der einzigen Supermacht der Welt, aber andererseits sind die USA nicht fähig die sozialen und politischen Widersprüche zu lösen die letztendlich eine wachsende Opposition gegen das amerikanische Imperium bedingen. Je mehr die USA sich wieder auf militärische Gewalt verlassen müssen, desto stärker wird die Opposition und der Widerstand wachsen – zumindest auf lange Sicht.
Die wachsenden politischen Probleme mit denen Washington zu kämpfen hat sind kombiniert mit einer stetig wachsenden ökonomischen Abhängigkeit von Europa und Japan. Nur solange Kapital von diesen Regionen von den USA angezogen wird und dort investiert wird, kann die Ordnung ihre Stabilität beibehalten. Der permanente Fluss von Kapital hängt von den höheren Profitraten in den USA ab, die direkt mit der globalen Vorherrschaft in jeder Hinsicht verknüpft sind. So kann sich Washington nur mit militärischer Macht behaupten und dreht damit die Spirale des permanenten und präventiven Krieges.
Wir können nicht vorhersagen, wie lang das globale System seinen innewohnenden Widersprüchen standhalten wird. Aber bereits jetzt warnen mainstream-Kommentatoren in den USA davor, dass sich die amerikanische globale militärische Macht sich übernommen hat. Natürlich wird das Militärbudget aufgestockt und es gibt viele Ressourcen. Aber die USA werden gezwungen sein Kriege auch gegen stärkere Feinde und mehrere gleichzeitig zu führen. Sobald es eine realistische Chance Widerstand zu leisten gibt, gibt es keinen Grund weshalb die sekundären oder regionale imperialistischen Mächte nicht diesen unterstützen sollten. Diese wachsenden Widersprüche, die nicht gelöst werden können, in Rechnung gestellt, ist es auf lange Sicht unmöglich, dass die USA mit weniger als 5% der Weltbevölkerung, den Rest kontrollieren und dominieren. Früher oder später wird die amerikanische monopolare Weltordnung Platz machen für eine multipolare Weltordnung die eine neue Möglichkeit für antiimperialistische und revolutionäre Siege eröffnen kann.
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Wichtige Teile der europäischen Volksmassen sowie der Intelligenz waren gegen die amerikanische Aggression. Sie sind überrascht und erschreckt über die Rücksichtlosichkeit mit der die USA jene Werte, die sie vorgeben zu schützen, verletzen, und über die Brutalität derer sie sich auf ihrem Kampf zur Sicherung ihrer globalen Überlegenheit bedienen. Dieses Gefühl war die Basis der Massenmobilisierungen die in Europa stattfanden. Das ist weder antiimperialistisch noch antikapitalistisch. In einem gewissen Sinne mag es sogar die Verteidigung der Clinton`schen Welt ohne Konflikte sein – eine Illusion die wie eine Blase zerplatzt ist.
Nichtdestotrotz ist es eine bedeutende Wende sowohl in der öffentlichen Meinung als auch in der Antiglobalisierungsbewegung. Letztere pflegte den wilden Kapitalismus anzugreifen ohne auf den Imperialismus in Form der US-Vorherrschaft einzugehen. Sie wollte gegen die kapitalistische Globalisierung eine Globalisierung von unten stellen, ohne zu verstehen, dass Globalisierung keine andere Bedeutung innerhalb der amerikanisch dominierten Ordnung haben kann. Die jüngste Geschichte falsifizierte die These von Toni Negri von einem Imperium ohne ein Machtzentrum. Wichtige Sektoren beginnen nun zu verstehen, dass man die US-Herrschaft angreifen muss, welche die Garantie für Imperialismus und Kapitalismus ist.
Antiamerikanismus wächst nicht nur in der Peripherie des Systems sondern auch in Europa selbst. Da die europäische Bourgeoisie in der einen oder anderen Weise dazu verdammt ist, die Allianz mit den USA aufrechtzuerhalten, enthält das antiamerikanische Gefühl ein antagonistisches Moment – trotz der Tatsache, dass es von sehr bourgeoisen demokratischen Illusionen abstammt.
Für die kommende Periode ist der Antiamerikanismus die einzige Möglichkeit, der einzige Hebel, den antiimperialistische und antikapitalistische Kräfte benützen können um eine antagonistische Bewegung und ein Subjekt auf Massenbasis zu entwickeln – nicht nur im politischen sondern auch in weiterem kulturellem Sinne. Antiamerikanismus ist gleichzeitig die nichtwegzudenkende Verbindung mit dem Kampf der unterdrückten Völker der Welt.
Angloamerikanische Truppen raus aus dem Irak und dem Golf
Nein zu einer Regierung der Besatzung – weder durch die USA noch durch die UNO!
Für das Recht auf Selbstbestimmung – unterstützt den Widerstand!
Freiheit für Palästina!
Nieder mit der US-Weltordnung!
27. April 2003