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General Aoun vor der Rückkehr?

27. Mai 2003

Syrien im Libanon unter Druck

Begibt man sich dieser Tage nach Beirut, so lachen einem vom Flughafen kommend auf der dreispurigen Stadtautobahn als erstes die überlebensgroßen Bilder von Scheich Nasrallah, dem Führer der Hisbollah, entgegen – nur gelegentlich unterbrochen vom milden Lächeln des verschollenen Moussa Sadr, dem verschollenen Inspirator der Amal. Überall und vor allem im historischen Zentrum fällt sogleich die wilde Bautätigkeit auf, über die die Passanten gerne Auskunft geben: „Das ist Cità© Solidere, die private Stadt unseres Premiers.“ Auf die Frage, wer sich denn die Wohnungen leisten könne, die, zumindest was den Preis betrifft, jenen in New York, Paris oder Tokio um nichts nachstehen, erhält man die verstohlene Antwort, es seien Rafik Hariris saudische Geschäftsfreunde, die sich hier mit russischen Prostituierten die Zeit vertreiben würden. Hariri, der von Forbes als Nummer 83 der reichsten Männer der Welt geführt wird und seinen auf rund vier Mrd. US-Dollar geschätzten Privatbesitz als Geschäftsmann mit besten Beziehungen zur Königsfamilie Saud machte, ist Architekt des Nachkriegslibanon und dessen langjähriger Premier.
Der Libanon bleibt auch in Friedenszeiten ein Land von Gegensätzen. In den betriebsamen Städten begegnet man dem Mix von rund zwanzig anerkannten Konfessionen, die, so unterschiedlich sie sind, doch augenscheinlich zusammenleben können. Die sozialen Gegensätze bleiben gewaltig. Einerseits die reichen christlichen und sunnitischen Geschäftsleute, andererseits die himmelschreiende Armut vor allem unter den Schiiten, in den palästinensischen Flüchtlingslagern aber auch der syrischen Wirtschaftsflüchtlinge. Das sind heute die Gruppen, die Sabra und Shatila bewohnen, jenes Flüchtlingslager, in dem unter der Aufsicht von Ariel Sharon 1982 das Massaker an palästinensischer Zivilbevölkerung stattfand und das in der Folge durch den Krieg mit der Amal völlig zerstört wurde. Teils aus antipalästinensischen Restriktionen, teils aus Armut scheint es eines der wenigen Vierteln Beiruts zu sein, dass weder neu aufgebaut wurde, noch über Kanalisation oder Müllentsorgung verfügt.
Mehr als ein Jahrzehnt hält nun schon der Frieden von Taef, der 1989 maßgeblich von Hariri nicht nur zwischen den Kriegsparteien, sondern auch den hinter ihnen stehenden Mächten in Saudi-Arabien ausgehandelt wurde. Zu seiner Stabilität trug wesentlich ein stilles Abkommen zwischen den USA und Syrien bei, das Damaskus die Kontrolle über das Zedernland im Gegenzug zur syrischen Unterstützung für den Krieg der „Heiligen Allianz“ gegen den Irak 1991 zusicherte. Zwar beschränkt sich heute die offene syrische Militärpräsenz im Gegensatz zu den 90er Jahren auf die Bekaa-Ebene, doch der eiserne syrische Griff auf das Land bleibt unbestritten. Aus dem Bürgerkrieg gingen sowohl die Palästinenser und die mit ihnen Verbündete libanesische Linke besiegt hervor, so wie sich auch die proisraelische maronitische Rechte geschlagen geben musste. Der Konfessionalismus hingegen, gegen den sich die soziale Rebellion der 70er Jahre gerichtet hatte, überlebte, jedoch musste dem schiitischen Moment, das sowohl demografisch als auch politisch das dynamischste war und ist, mehr Gewicht eingeräumt werden. Ausdruck dessen ist der Aufstieg der Partei Gottes, der Hisbollah, die vom Westen als terroristisch angesehen wird, doch im Libanon die einflussreichsten Kraft stellt und selbst den anderen Konfessionen Anerkennung und Respekt abverlangt. Vor allem wird der schiitischen Partei der langjährige militärische Widerstand gegen die zionistische Besatzung des Südlibanon, in dem die Militärkader der Palästinenser und Linken eine wichtige Rolle spielten, und der im Jahr 2000 zum schmachvollen Abzug Israels führte, von großen Teilen der Gesellschaft hoch angerechnet. Doch darf nicht vergessen werden, dass die Partei für die schiitischen Unterklassen ein fein verästeltes Sozial- und Bildungssystem aufgebaut hat. Streng getrennt von den Männern wird auf die Bildung und Förderung der Frau besonderen Wert gelegt. Tatsächlich basiert der Erfolg der Hisbollah auf eine sehr weltliche soziale und demokratische Reformpolitik. Paradoxerweise ist die Partei Gottes die einzige der großen libanesischen Formationen, die die konfessionalistische Verfassung ablehnt und für einen demokratischen Staat eintritt (der für sie gleichbedeutend mit einem islamischen ist), während die säkularen Kräfte den auf die fixe Religionsparität aufgebauten Staat mitsamt den ihm zugehörigen Pfründen verteidigen. Gänzlich unverständlich wird es dann für europäische Medienkonsumenten, wenn Scheich Nasrallah, der „fundamentalistische Terroristenführer“ kürzlich im parteinahen TV-Kanal Al-Manar weibliche Masturbation ausdrücklich guthieß – als eine erlaubte Abhilfe für die durch Armut und gleichzeitige Urbanisierung ausgelöste gesellschaftliche Krise, die das Heiratsalter immer weiter hinauftreibt.
Szenenwechsel auf den Campus einer vor allem von Christen frequentierten Universität Ostbeiruts. Im politischen Gespräch in der Cafeteria erfährt man schnell, dass General Aoun nicht nur noch immer eine rege Anhängerschaft hat, sondern richtiggehend zum Helden stilisiert wird. Der Maronitengeneral hatte 1989 den Epilog des Bürgerkriegs geschrieben, als er seinen „Befreiungskrieg“ gegen Syrien ausrief – und kläglich scheitere. Heute lebt er sichtlich gealtert im französischen Exil, ohne jedoch seine Kampf aufgegeben zu haben. Die amerikanischen Drohungen gegenüber Syrien kommentierte er mit Freude. Für seine Anhänger Anlass zur Hoffnung auf seine baldige Rückkehr.
In Abu Elies Szenelokal in Westbeirut wird indes die Bedrohung durchaus Ernst genommen. Unter den Bildern von Che treffen sich die alten Kämpfer der Linken, der Morabitun (arabische Nationalisten) sowie der Palästinenser, um sich bei einem Bier über die neuesten politischen Ereignisse auszutauschen. Der amerikanische Druck könnte mit der Zeit nicht nur Syrien zum Zurückweichen aus dem Libanon bewegen – ein Szenario, das mit einem weinenden und einem lachenden Auge gesehen wird. Sondern auch was die libanesischen Maroniten betrifft, sei zu erwarten, dass alte Ideen neue Kraft gewönnen. Eine Dekade prosyrischer Haltung könnten 800 Jahre einer privilegierten Beziehung mit dem Westen nicht vergessen machen. Würde Israel abermals das Angebot eines christlichen Separatstaates machen, so wäre es nicht verwunderlich wenn ein guter Teil der Maroniten abermals darauf eingehen würde – vorausgesetzt, die Kräfteverhältnisse ließen ein solches Ziel als durchführbar erscheinen.
Indes zeitigte der US-Krieg gegen den Irak tatsächlich direkte Auswirkungen, doch diese weisen vorerst in die andere Richtung. Am 17. April bildete Hariri sein Kabinett um, das nun als noch stärker prosyrisch gilt. Fast erscheint es als ein präventiver Schachzug amerikanischen Bemühungen zuvorzukommen. Die Falken in Washington wetzen jedenfalls bereits die Messer. Erst am 12. Mai ist im Weekly Standard, dem Sprachrohr der Neokonservativen, ein Artikel von Richard W. Carlson erschienen, in dem er provokativ fordert, dass, „solange Libanons terroristische Unterschlüpfe nicht ausgeräuchert sind, Hariris Privatbesitz in den USA beschlagnahmt und zum Verkauf ausgeschrieben werden soll“. Offiziell ist vorerst jedenfalls einmal massiver diplomatischer Druck auf Damaskus angesagt, sich aus dem Libanon zurückzuziehen und der Hisbollah die Flügel zu stutzen.
„Niemals werden sie die Hisbollah entwaffnen können“ ist hingegen die Quintessenz eines morgendlichen Gesprächs in einer Bäckerei in den schiitischen Vororten im Süden Beiruts. Schnell als deutschsprachig erkannt, muss man sich das obligate Lob für Mercedes und BMW anhören, das alsbald in eine Eloge auf die deutsche Ablehnung des US-Krieges übergeht. Wann denn die EU Amerika endlich Einhalt gebieten würde, ist die am häufigsten an Europäer gestellte rhetorische Frage nicht nur im Libanon, sondern in der gesamten arabischen Welt. Ungern geht man hingegen trotz wiederholtem Nachfragen auf die Rolle Syriens ein. Man werde es zwar in Zukunft schwerer haben, aber solange man das Volk hinter sich habe, könne niemand, wirklich niemand, die Partei Gottes in ihrer Existenz gefährden.
Haissam, palästinensischer Aktivist der Gruppe „Treue zu Mensch und Erde“ in der linke und nationalistischen Jugendliche eine Alternative zu den zerrütteten historischen Parteien suchen, fast zusammen: „Unsere sozialistische Revolution haben wir zwar verloren, aber den Volkskrieg gegen die israelische Okkupation gewonnen. Die Amerikaner sollen nur versuchen uns über ihre Handlanger ihren Willen aufzuzwingen, wir jedenfalls sind bereit uns zu verteidigen.“

Wilhelm Langthaler, Beirut

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