Heftige Verhandlungen am Busbahnhof in Damaskus über den Preis einer Taxifahrt. Der Einfachheit halber nennen wir unser Angebot in Dollar. Der Fahrer, sichtlich unzufrieden, schimpft: „Warum Dollar, das ist schlechtes Geld, genauso wie Bush und ganz Amerika schlecht sind. Ihr seid doch Europäer, nicht?“ Diese Vorlage lassen wir uns nicht nehmen und zücken unsere Euro, die wir während des gesamten Aufenthalts noch kein einziges Mal benutzen konnten. Und tatsächlich hat sich der gewiefte Verhandler ein Eigentor geschossen. „Leider, Euro kann ich nicht nehmen, nur Dollar.“ Die Szene ist symptomatisch für die Stimmung zwischen Wut und Ohnmacht.
Allein der Blick auf das unmittelbar westlich der Stadt liegende noch schneebedeckte Golan-Massiv scheint dieses Dilemma deutlich zu machen. Von den über der Stadt förmlich thronenden, seit 1967 von Israel besetzen Höhen können dessen Streitkräfte ohne größeren Aufwand die Hauptstadt mit Artillerie beschießen, ohne sich selbst der geringsten Gefahr auszusetzen. Syrien ist wirtschaftlich wie militärisch der israelisch-amerikanischen Allianz hoffnungslos unterlegen. Daher auch die allerorts geäußerten irrationalen Hoffungen auf die EU.
Besonders vor den Kopf gestoßen ist man vom US-amerikanischen Kampf der Kulturen, des christlichen Abendlandes gegen den islamischen Orient. Denn nicht nur das säkulare Baath-Regime, sondern auch die Muslime sind stolz auf die integrierte christliche Bevölkerung. Am Brunnen im Hof der Omayyaden-Moschee, dem wichtigsten Wahrzeichen Damaskus, spricht uns eine Studentin mit Kopftuch an und fragt, wie es uns hier gefiele. Als wir voll des Lobes antworten, sichtliche Freude auch bei den Umstehenden. Wie an einen Grashalm hängt man sich an jede positive Äußerung aus dem Westen, von dem man glaubt, dass er die moslemische Welt pauschal als barbarisch verurteilt. Ungefragt setzt sie nach: „Bei uns gibt es zahlreiche Kirchen und die Frauen können mit oder ohne Kopftuch gehen. Wir waren immer tolerant und es gibt keinen Grund gegen uns Krieg zu führen.“
Nicht verwunderlich sind daher die täglichen Demonstrationen gegen die US-Krieg in den Straßen von Damaskus. Während in vielen arabischen Ländern nur einige wenige Großdemonstrationen zum Dampfablassen zugelassen wurde, beschränkte die Baath-Partei den Volkszorn nicht. Palästinenser, Kommunisten, Nationalisten sowie islamisch Inspirierte marschierten Schulter an Schulter – trotz der gebotenen Vorsicht ein unerhörtes Novum.
Denn die Öffnung die Bashir al-Assad, der Sohn des langjährigen Präsidenten Hafiz, nach dessen Tod einleitete, ist nur begrenzt. Im ersten Überschwang bildete sich unter den Intellektuelle eine richtiggehende Bewegung für demokratische Reformen, in der es sowohl prowestliche als auch linke Strömungen gab. Langjährige Dissidenten, oft Kommunisten oder Islamisten, wurde unter der stillschweigenden Auflage aus den Gefängnissen entlassen, dass Regime nicht anzugreifen. Doch als der 71-jährige Riyad al-Turk, bekannter Kommunist und scharfer Kritiker Hafiz al-Assads, der nach mehr als 17 Jahren hinter Gittern frei gekommen war, abermals öffentlich zum Übergang von „Despotismus und Tyrannei der Erbrepublik zur Demokratie“ aufrief, wanderte der kurzerhand mitsamt einigen seiner Verteidiger wieder ins Gefängnis. Dennoch scheint die spürbare politische Lockerung dem Regime eher genutzt als geschadet zu haben.
Gleichzeitig versteht man unter „Liberalisierung“ wie überall auf der Welt auch Öffnung zum Weltmarkt, kapitalistische Reformen und eine verstärkte soziale Differenzierung. Noch gibt es in Damaskus keine Elendsviertel, die mit jenen Kairos oder Bagdads vergleichbar wären. Aber die die kargen Hänge hinaufwachsenden Vierteln, die sich mit vom Land emigrierten, oft kurdischen Bauern füllen, zeigen die ersten Ansätze dazu.
Auf der anderen Seite der sozialen Pyramide sind die Söhne der Baath-Generäle, die sich in eine Klasse von reichen Geschäftsleuten umgewandelt haben. Sie sind es, die dem Druck des Westens nachgeben wollen. Ein hochrangiger Funktionär der palästinensischen Volksfront zur Befreiung Palästinas, die in Damaskus einige Büros unterhält, berichtet allerdings, dass sie seitens der Behörden bis dato noch nicht unter Druck gesetzt worden seien. „Ein bruchloses Hineinwachsen des Baath-Regimes in die westliche Regionalarchitektur ist zwar nicht ausgeschlossen, aber nicht sehr wahrscheinlich.“
Ein mögliche Bruchlinie und daher auch ein strenges Tabu-Thema bleibt die De-Facto-Herrschaft der religiösen Minderheit der Alawiten. Nicht nur als Zeichen der Schwäche Bashirs erscheint in diesem Licht die überall im Land zur Schau gestellte Dreifaltigkeit des heutigen Präsidenten, seines Vaters Hafiz und seines ums Leben gekommenen Bruders Basil.
Nachdenklich stimmt indes eine Aufforderungen am Grenzübergang zum Libanon: „Sie verlassen nun Assads Syrien. Zögern sie nicht sich mit ihren Beschwerden an unseren Präsidenten zu wenden.“
Wilhelm Langthaler, Beirut