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Offener Brief an das DÖW

13. Juni 2003

Betrifft: Aussendung des DÖW "Die Antiimperialistische Koordination (AIK) - Antisemitismus im linken Gewand"


An das
Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands
Dr. Wolfgang Neugebauer
Wipplingerstr. 6-8
A-1010 Wien

Wien, den 12. Juni 2003

Sehr geehrter Dr. Neugebauer,

Einige der Unterzeichner des vorliegenden Offenen Briefes haben unter Einsatz ihres Lebens gegen das nationalsozialistische Regime Widerstand geleistet, gegen seinen Antisemitismus ihr Leben riskiert. Andere sind Opfer oder Nachkommen von Opfern des Faschismus. Wieder andere von uns haben sich schlicht ihr Leben lang gegen Faschismus und Rassismus eingesetzt. Nun müssen wir uns die Etikettierung „antisemitisch“ gefallen lassen. Warum? Weil das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, eine Institution deren Arbeit wir bislang als höchst wertvoll und unentbehrlich betrachtet haben, eine neue Kategorie des Antisemitismus entdeckt zu haben glaubt: Kritik an der israelischen Politik.

Wir, die Unterzeichner des vorliegenden Briefes, haben die unterschiedlichsten politischen Weltanschauungen. Wir gehören unterschiedlichsten Organisationen und Vereinen an oder sind parteilose Privatpersonen. Auch teilen viele von uns die Positionen der in Ihrer Aussendung kritisierten Antiimperialistischen Koordination (AIK) in keinster Weise. Uns verbindet im Grunde nichts anderes als die Tatsache, dass wir in – in unterschiedlichster Form – Kritik an der Besatzungspolitik des israelischen Staates üben.

Mit Bestürzung mussten wir die Aussendung des DÖW „Die Antiimperialistische Koordination (AIK) – Antisemitismus im linken Gewand“ vom 28. Jänner 2003 zur Kenntnis nehmen. Sie betrifft zwar in erster Linie die AIK, doch ist aus dem Dokument unschwer abzulesen, dass der Angriff gegen alle gerichtet ist (oder in Zukunft gerichtet werden soll), die in der einen oder anderen Form Kritik an der israelischen Politik üben. Wie sonst soll die kommentarlose Apostrophierung als antisemitisch von Aussagen, welche die (Un)taten der israelischen Armee im Flüchtlingslager Jenin oder die systematische Diskriminierung der arabischen Staatsbürger Israels thematisieren, aufgefasst werden.

In der Tat scheint die Aussendung des DÖW festschreiben zu wollen, was wir seit längerer Zeit mit großem Bedauern in einigen Medien (nicht nur in kommerziellen, sondern auch in sogenannten alternativen, sich als links verstehenden wie etwa „Indymedia“) sowie im öffentlichen Auftreten der Israelitischen Kultusgemeinde und nun auch des DÖW beobachten mussten: 1) Jedwede Kritik an Israel ist per se antisemitisch; 2) Eine Diskussion um die Inhalte dieser Kritik ist weder erwünscht noch möglich, sondern muss verhindert werden; 3) Zu diesem Zwecke bedient man sich unlauterer Methoden wie aus dem Zusammenhang gerissener und oft unüberprüfter Zitate, Halbwahrheiten, Behauptungen, unzulässiger Vergleiche und Gegenüberstellungen sowie Diffamierungen.

Wir halten dazu fest: 1) Wir weisen die Gleichsetzung von Kritik an Israel mit Antisemitismus zurück; 2) Wir haben uns immer gegen Antisemitismus, Faschismus und Rassismus eingesetzt; 3) Aus eben diesem Grund kritisieren wir die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik Israels und setzen uns für eine Lösung des Nahostkonfliktes ein, die allen in der Region lebenden Menschen gleiche Rechte garantiert; 4) Eine inhaltliche Auseinandersetzung zu diesem Thema wurde von uns immer begrüßt und gesucht. Von Seiten jener, die Kritik an Israel als antisemitisch bezeichnen, wurde sie hingegen immer abgelehnt und verhindert; 5) Wir werden trotz dieser bedauerlichen Entwicklungen an unserem Engagement festhalten und fordern weiterhin zu einem Dialog über die Inhalte unserer Kritik an Israel auf.

„Diejenigen, die jede Kritik an Israel verurteilen, schaden Israel damit. Die einzige Möglichkeit die nationale, ethnische und konfessionelle Existenz der jüdischen Bevölkerung im Nahen Osten zu sichern, ist zu zeigen, dass es keine vollkommene Identität zwischen der israelischen Politik und dem israelischen Volk gibt. Hingegen ist der Versuch Kritik an Israel zum Schweigen zu bringen und Solidarität mit den Palästinensern zu verurteilen das schlimmste Geschenk, das man dem israelischen Volk machen kann. (…)
Wenn die Solidaritätsbewegungen mit dem palästinensischen Volk in Europa eine klare Linie ziehen zwischen ihrem gerechten Kampf auf der einen und jedweder Art von Rassismus und Faschismus auf der anderen Seite und wenn sie sich dann in ihrem Kampf nicht beirren lassen, so ist dies das größte Geschenk, das sie dem israelischen Volk machen können. Darum appelliere ich an Sie: Lassen Sie sich nicht in die Defensive drängen, fahren Sie in Ihrem Kampf fort. Es ist der beste Weg, die jüdische Existenz im Nahen Osten zu sichern.“
Michel Warschawski, Alternative Information Center, Jerusalem, während seines Vortrages „Ist Antizionismus gleich Antisemitismus?“, Wien, 12. Jänner 2003

Unterzeichner:

Paula Abrams-Hourani, Frauen in Schwarz, Wien
Tom Allahyari, Wien
Johann Anthofer, antifaschistischer Widerstandskämpfer, Seniorsprecher des Antifaschistischen Personenkomitees Burgenland
Wilfried Bader, parteiunabhängiger Gemeinderat Angerberg, Tirol
Gunnar Bernhard, Sozialarbeiter, Wien
Dr. Andrea Bertolini, Journalist, Wien
Daniel Buell
Gerhard Drexler, KPÖ Wien
Manfred Ebner, Landesvorsitzender KPÖ Tirol
Juno Sylva Englander, Global Mothers, Wien
Jürgen Enser, KSV Linz
Mag. Andreas Fabisch, KPÖ
Helmut Fellner, Arbeiterkammerrat, Wien
Margarethe Gal, antifaschistische Widerstandskämpferin
Werner Gilits, Berufschullehrer, Wien
Rudolf Glanz, KPÖ Wien
Dr. Günther Grabner, KPÖ Oberösterreich
Beatrix Grasenick, Angestellte, Wien
Elisabeth Gschaider, Angestellte, Wien
Sonja Jamkojian-Huber, Friedensbüro Wien
Dr. Haimo L. Handl, Politikwissenschafter, Wien
Angelika Hipfinger, Studentin, Wien
Dr. Hannes Hofbauer, Verleger, Wien
Irmgard Hubauer, Projektbeauftragte WU-Wien
Oliver Jonischkeit, ÖGB-Sekretär
Elke Kahr, Gemeinderätin Graz
Ernst Kaltenegger, KPÖ Stadtrat, Graz
Martin Khull-Kholwald, Gemeinderat Graz
Etsuko Kondo, Musikern, Mitglied der japanischen Kampagne „Kinder für Palästina“, Wien
Elisabeth Lindner-Riegler, Lehrerin AHS-Vereinsgasse, Wien
Gerhard Mack, KPÖ Wien
Peter Melvyn, Frauen in Schwarz, Wien
Univ. Prof Hans Mikosch, Wien
Dr. W. Murgg, Gemeinderat Leoben
Alexander Muth, Übersetzer, Wien
Kathrin Niedermoser, KPÖ Salzburg
Engelbert Novak, KPÖ
Univ. Prof. Gerhard Oberkofler, Innsbruck
Karin Oberkofler, KPÖ Tirol
Andreas Pecha, Friedensbüro Wien
Josef Pfeifer, Eisenbahner, SPÖ Wien
Werner Pirker, Journalist, Wien
Alexandra Pomper, Kulturverein Kanafani, Wien
Michael Pröbsting, ArbeiterInnenstandpunkt, Wien
Walter Ratley, Angestellter, Wien
Dr. Rudolf Reiter, Richter, Salzburg
Lisl Rizy, KPÖ Wien
Charlotte Rombach, KPÖ Wien
Waltraud Schauer, Pensionistin, Wien
Selma Schlacht, KPÖ Wien
Anna Schmid, Lehrerin, Wien
Karl Schmid, Angestellter, Wien
Florian Schwanninger, KPÖ
DI Reinhard Seiß, Raumplaner, Wien
Dr. Petra Stöckl, Akademie der Wissenschaften, Innsbruck
Claudia Trost, KPÖ Salzburg
Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwältin, Wien
Willi Weinert, Alfred Klahr Gesellschaft
Walter Winterberg, KPÖ Wien
Hanno Wisiak, KSV Graz
Edgar Wolf, KPÖ Salzburg
Baruch Wolski, Angestellter, Wien
Erna Zanger, KPÖ Wien
Othmar Zendron, Lehrer, GÖD EBSL 14, Wien

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